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2. Timaios

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Im Dialog Timaios legt Platon eine Kosmologie vor, die zudem den Ursprung des Menschen beinhaltet. Rückblickend auf den Dialog Der Staat wird die Entstehung der Gesellschaft angedeutet. Im Gegensatz zu den anderen Dialogen Platons spielt Sokrates im Timaios nur eine randständige Rolle, welche die anderen Gesprächspartner namens Hermokrates und Kritias mit ihm teilen. Hauptredner hingegen ist der Astronom und Philosoph Timaios, der dem Dialog seinen Namen gegeben hat. In unserem Zusammenhang ist zunächst ein Blick auf Timaios’ Proömion zu werfen, in dem die Erschaffung der Welt und des Menschen thematisiert wird. Timaios führt darin aus, dass seine Erzählung über die Entstehung der Welt keine wahre, sondern nur eine wahrscheinliche, analoge Rede (ἀνά λόγόν = aná lógon) sein kann. Denn im Gegensatz zu den wahrhaft intelligiblen Formen, wie etwa die Mathematik oder die Ideen, kann die Welt doch nur als Abbild von etwas Ewigem verstanden werden, sodass

„die Worte dagegen über das, was jenem nachgebildet ist, die müssen, indem dies selbst ja nur ein Bild ist, wahrscheinlich sein und jenen Gegenständen entsprechen. Denn wie zum Werden das Sein, so verhält sich zum Glauben die Wahrheit.“64

Platon verwendet hier einen metaphysisch verstandenen Wahrheitsbegriff, der den Menschen handlungsanleitend in der Haltung des Glaubens (pistis = πίστις) zukommt. Insofern liegt es auf der Hand, dass Platon hier die Wahrheit hypostasiert, also in einem ewigen göttlichen Bereich angesiedelt wissen will. Dementsprechend kommt der Wahrheit für das menschliche Leben eine ordnende und heilende Funktion zu. Dies wird besonders in den anthropologischen Überlegungen deutlich, die Platon im Timaios ausführt. Gemäß allgemeiner antiker Vorstellungen beschreibt er die Leber als Sitz der Empfindungen und der Leidenschaften des Menschen. In der Leber ist dementsprechend der begehrliche Seelenteil des Menschen zu finden, der sich auf der einen Seite durch Heiterkeit und Wohlbefinden, auf der anderen Seite aber durch Unvernunft und Unwissenheit auszeichnet.65 Letzteres ist für den Menschen nicht gut. Abhilfe schafft hier wiederum die göttlich verstandene Wahrheit, mit der der Mensch im antiken Mantikwesen in Berührung kommen kann.

„Denn die uns gestaltet haben, erinnerten sich an den Auftrag ihres Vaters, als er sie anwies, das sterbliche Geschlecht so gut als möglich zu machen, und so erhoben sie auch das Minderwertige in uns, und damit es irgendwie mit der Wahrheit in Berührung komme, machten sie es zum Sitz der Weissagung.“66

Kern des mantischen Verständnisses ist für Platon der Gedanke der Weissagung, der den Menschen – über die Seelenkraft des Orakelsitzes der Leber – an die Wahrheit heranführt.67 DaSeelenkraft des Orakelsitzess orakelhafte Ergriffensein ist indes mit einer Art geistiger Bewusstlosigkeit für die Menschen verbunden, kommt doch dem mantischen Ergriffenen selbst keine vernünftige Erkenntnis über das sich in der Zeit einstellende Gute oder Böse zu. Vielmehr ereignet sich die mantische Schau im der Denkkraft ermangelnden Schlaf, bei Krankheit oder gar aufgrund von göttlicher Verzückung. Dies wiederum führt den mantisch Ergriffenen nicht zur Erkenntnis der Erscheinungen (ϕαντάσματα = fantásmata). Vielmehr bedarf dieses göttlich inspirierte Geschehen der vernünftigen Deutung durch theologisch geschulte Propheten, welche die orakelhafte Schau zu erklären verstehen. Diese allein sind darum in der Lage, die orakelhaft wahrgenommenen Bilder durch nüchternes und verständiges Nachdenken wahrheitsgemäß zu deuten und zu beurteilen.68 Das Göttliche und die damit einhergehende Wahrheit erschließen sich nach Platon über den Weg des vernünftigen Überlegens, welches je persönlich in der Haltung des Glaubens Lebensgestalt findet. Beides aber kommt mit der Wahrheit in Berührung.

Platons Überlegungen gehen nun aber weiter, indem er das gedankliche Ergreifen des Ziels menschlichen Lebens im Zusammenhang mit der Wahrheit zum Thema macht. Zur Pflege der Seele gehört nämlich auch die richtige Erkenntnis der Kreisläufe des Alls. Ist doch die geschaffene Welt ein ewig fortbestehendes Vernunftwesen, das durch das Band der mathematisch strukturierten Weltseele dem Kosmos in seinem Sein und Werden Identität verleiht. So sagt Timaois gegen Ende des Dialogs Folgendes:

„Wer dagegen die Liebe zum Lernen und die wahren Erkenntnisse gepflegt und von seinen Fähigkeiten vorzugsweise diese geübt hat, der wird, sofern er überhaupt zur Wahrheit gelangt, nur unsterbliche und göttliche Gedanken haben – das ist gar nicht anders möglich –, und er kann auch selbst in gar keiner Weise weniger unsterblich sein, als die menschliche Natur es überhaupt zuläßt, an der Unsterblichkeit teilzuhaben. Und weil er nur das Göttliche pflegt und den Schutzgeist (= Daimon), der in ihm wohnt, in guter Ordnung gehalten hat, muß er auch in vorzüglichem Maße glücklich (= vom guten Geist beseelt) sein. Die Pflege aber, die man jedem zu erweisen hat, ist jedesmal dieselbe: man muß einem jeden die Nahrung und die Bewegungen geben, die ihm zukommen. Die Bewegungen aber, die Verwandtschaft mit dem Göttlichen in uns haben, sind die Gedanken und die Umläufe des Alls. Diesen also muß ein jeder Gefolgschaft leisten; die Kreisläufe, die sich in unserem Kopfe befinden und die durch unsere Entstehung gestört sind, müssen wir in der Weise wieder in Ordnung bringen, daß wir zur Erkenntnis der Harmonien und der Umläufe des Alls gelangen und so das Denken mit dem Gegenstande des Denkens in Übereinstimmung bringen, entsprechend seinem ursprünglichen Wesen, und daß wir, wenn das geschehen ist, die Vollendung jenes Lebens erreichen, das den Menschen von den Göttern für die Gegenwart und für die zukünftige Zeit als Bestes vorgesetzt ist.“69

Die Wahrheit zu berühren führt den Menschen notwendigerweise an das Göttliche an sich heran. Dieses Ziel menschlichen Strebens zu erreichen, ist nach Platon aber nur demjenigen möglich, der sich um die wahrhafte Erkenntnis vom Sein und Werden des Kosmos bemüht. Hat sich aber der Mensch in seiner Seele auf diesen mühsamen Weg begeben, dann wird er durch das Göttliche in ihm und durch den ihm einwohnenden Schutzgeist, den Platon Dämon nennt, die Glückseligkeit erlangen, nach der der wissende Mensch strebt: die Unsterblichkeit. Begründet ist dies für Platon in der gedanklichen Verwandtschaft zwischen den göttlich-kosmischen Bewegungen des Alls und dem Göttlichen im Menschen, das den Menschen einer Gottähnlichkeit zuführt. Das Ziel der Wahrheitserkenntnis ist somit die Erlangung göttlicher Harmonie.

Platon und Christus

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