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Theoretische und praktische Funktion des Nous:
Empedokles

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Realitätsnäher, wenn man so sagen will, ging Empedokles aus dem sizilischen Akragas (483/82–424/23 v. Chr.), ein weiteres prominentes Mitglied der vorsokratischen Philosophen, der entscheidende Beiträge zum Thema Geist beigesteuert hat, die Angelegenheit an. Empedokles bewegt sich insofern zunächst im Fahrwasser des Parmenides, als es auch für ihn kein Entstehen aus dem Nichts oder ein Vergehen ins Nichts geben kann. Andererseits aber hält er Veränderungen und Wandlungen nicht für bloßen Schein. Seine Kosmologie erklärt solche Wandlungen als Mischungen und Trennungen der vier ‚Elemente‘ Feuer, Wasser, Erde und Luft. Und zwar, so meint er, werde die Mischung und Trennung der Elemente durch zwei Kräfte bewirkt, die es von jeher gab und die es immer geben wird: nämlich Liebe (Philia) und Hass (Neikos). Der Kosmologie des Empedokles zufolge ruhten ursprünglich alle Dinge von der Liebe zusammengehalten in der Gestalt einer Kugel ungeschieden beieinander. Allmählich jedoch fand der Hass Eingang in diese ungeteilte Einheit. In dem Maße, in dem er an Macht gewann, bewirkte er eine Trennung der Elemente und den Anfang einer Kosmogonie. Im Laufe der Zeit gewinnt die Liebe wieder die Oberhand. Ihre Hauptleistung in dieser Periode besteht darin, dass sie die getrennten Elemente wieder zusammenführt und damit die Bildung „unzählige[r] Scharen sterblicher Geschöpfe, in mannigfaltige Formen gefügt“, in die Wege leitet.40 Aber auch die Liebe muss irgendwann wieder dem Hass weichen – und so fort in unaufhörlichem Wechsel.

Dergestalt führt die Naturphilosophie des Empedokles die Veränderungen im Kosmos auf wechselnde Machtverhältnisse zurück. Gewiss, das ist sehr anthropozentrisch gedacht, aus menschlicher Perspektive betrachtet (wobei diesem naheliegenden Einwand entgegenzuhalten wäre: Welche andere Perspektive hätten wir denn?). Für unseren Zusammenhang sind indessen andere Sachverhalte von Bedeutung, und zwar zunächst derjenige, dass es der Nous ist, der Liebe und Hass als treibende Kräfte erfasst: sowohl im Menschen als auch im kosmischen Geschehen. Da Liebe und Hass die wahren Triebkräfte in und hinter allen Ereignissen der natürlichen Welt sind, ihr Wechselspiel gewissermaßen das Grundgesetz kosmischer Prozesse ist, kommt dem menschlichen Geist bei Empedokles entscheidend die Funktion zu, diese Grundgesetzmäßigkeit von Natur und Kosmos zu erkennen. Wie aus den Fragmenten 2 und 4 hervorgeht, ist der Nous laut Empedokles zwar einerseits von den Sinnen unterschieden, gewinnt andererseits aber seine Erkenntnis in der Regel mit Hilfe der Sinne – was freilich nicht ausschließt, dass er in einigen Fällen auch ohne Vermittlung der Sinne zu Erkenntnissen zu gelangen vermag. Wie Kurt von Fritz herausgearbeitet hat, lässt sich anderen Empedokleischen Fragmenten, insbesondere dem Fragment 5, entnehmen, dass Empedokles den Nóos als „eine geistige Fähigkeit oder Funktion“ begreift, „die das Zeugnis der verschiedenen Sinne auswählt, prüft, korrigiert und vor allem koordiniert und verbindet“,41 und zwar mit dem Ziel, zu einem „Verständnis des Ganzen“ zu gelangen.42

Darüber hinaus kommt dem Nóos im Kontext des Empedokleischen Denkens die Funktion zu, Tätigkeiten und Handlungen menschlicher Wesen zu planen und zu leiten.43 Demnach hätte der Nóos nicht nur die Funktion, das kosmische Grundgesetz zu erfassen, sondern wäre auch zu so etwas wie Voraussicht in der Lage, die ja mit dem Planen von Tätigkeiten und Handlungen einhergeht. Damit käme ihm über die erkenntnismäßige eine eminent lebenspraktische Funktion zu. Und damit wäre dem Geist durch Empedokles eine weitere, neue Dimension der Betätigung erschlossen worden.

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