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Nous und Atomtheorie:
Demokrit

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Der bekannteste Teil des umfangreichen Werks Demokrits aus Abdera in Thrakien, dessen Lebenszeit das Jahrhundert zwischen 479/60 und 370/60 umfasst haben soll, ist wohl seine Atomtheorie. Nach antiker Überlieferung soll sie durch die Beobachtung von Staubteilchen in einem Lichtstrahl veranlasst worden sein, von Teilchen also, die für gewöhnlich mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar sind. Von hier aus soll er dann – intuitiv? – auf letzte, für das Auge nicht sichtbare Materiebausteine geschlossen haben. Damit ist der Grundgedanke seiner Atomlehre formuliert: Das von Parmenides her uns bekannte Eón, das Seiende, besteht ihr zufolge aus kleinsten Bausteinen, die mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbar und ihrerseits nicht mehr teilbar, also unteilbar sind. ‚Unteilbar‘ heißt auf Griechisch átomos. Hierher rührt die Bezeichnung ‚Atome‘ für diese letzten Bausteine der materiellen Welt. Diese Atome versteht Demokrit nun nicht nur als unteilbar, sondern auch als nicht entstanden, unvergänglich, voll und erfüllt im Sinne von undurchdringlich, und als körperlich, also als materiell. Zudem geht er von einer unendlichen Zahl von so begriffenen Atomen im leeren Raum aus, in dem sie sich bewegen und im Zuge ihrer Bewegungen im Laufe eines mehrstufigen Prozesses Welten mit den in ihr existierenden Körpern und Lebewesen erzeugen. Wie er sich diese Weltentstehung im Einzelnen vorgestellt hat, wäre zwar reizvoll nachzuvollziehen; gleichwohl steht es hier nicht im Brennpunkt des Interesses. Da es uns ja in erster Linie um das Problem des Geistes zu tun ist, ist eine Konzentration auf jene Komponenten seines Denkansatzes angebracht, die Auskunft über Nous und Erkenntnis geben können. Und im Blick hierauf ist festzuhalten: Sinneswahrnehmungen entstehen nach Demokrits Ansicht dadurch, dass sich von den Dingen, denen die Sinne zugewandt sind, Eidola, also gleichsam ‚Bilder‘ ablösen und sich in die jeweiligen Öffnungen der Sinnesorgane hineinbewegen. Demokrit stellt sich den Wahrnehmungsprozess demnach so vor, dass sich atomare Strukturen vom wahrgenommenen Gegenstand ablösen, durch die Nervenbahnen des jeweiligen Sinnesorgans laufen und im Nous ein (materielles) Abbild erzeugen. Dasjenige, darauf läuft die Geist-Theorie des Demokrit augenscheinlich hinaus, was den Sinnen als eine Art ‚Substanz‘ erscheint, erweist sich für den Geist in Wahrheit als ein Komplex sehr kleiner Teilchen, der Atome, die materiell und undurchdringlich sind und den Raum erfüllen.

In Anbetracht solcher hier etwas vereinfacht wiedergegebener Überlegungen Demokrits kann, wie Kurt von Fritz formuliert hat, „schwerlich irgendein Zweifel daran bestehen, daß die Tätigkeit der phren oder des nóos in der Philosophie des Demokrit nicht ausschließlich in induktivem und deduktivem Schließen im traditionellen Sinne besteht, sondern viel komplexer ist“.44 Kurt von Fritz hat anhand von Demokrits Versuch, die reale Welt zu rekonstruieren und die hierauf bezogene Tätigkeit des Geistes zu analysieren, insbesondere auf folgende integralen Bestandstücke der Demokrit’schen Nóos-Theorie hingewiesen: Erstens operiert diese Theorie mit fundamentalen, gewissermaßen apriorischen Begriffen wie ‚sein‘, ‚nicht sein‘ und ‚Raum‚. Zweitens zieht Demokrit Schlussfolgerungen, die von analytischen Urteilen ausgehen, die sich auf solche Begriffe stützen. Drittens beinhaltet seine Theorie vergleichende Untersuchungen des Zeugnisses der Sinne über bestimmte Gegenstände. Und viertens schließlich arbeitet sie mit Folgerungen auf der Grundlage von Analogien und der Suche nach Modellen in der sichtbaren Welt, die den genannten Bedingungen genügen. All diese Operationen zusammengenommen machen für Demokrit Nóos, Geist, aus. Wieweit sich Demokrit selbst, fasst Kurt von Fritz zusammen, „dieser verschiedenen Elemente in seinem Denken bewußt war oder über sie reflektierte, das festzustellen, fehlen uns alle Mittel“.45

Zu Demokrit bleibt abschließend noch auf die Konsequenz hinzuweisen, die seine Atomlehre für die Psyché, die Seele, mit sich bringt. Entsprechend der konsequenten Durchführung seines atomistisch-materialistischen Programms besteht für ihn auch die Seele aus Atomen, mithin aus kleinsten materiellen Bausteinen, ist folglich selbst etwas Materielles. Allerdings vertritt er die Ansicht, die Seelenatome seien etwas anders geartet als die übrigen Atome: nämlich ganz fein, glatt und rund – und damit von ähnlicher Art wie die Atome, die das Feuer bilden. Die Psyché nun begreift Demokrit nicht als ein eigenes Organ, das seinen festen Ort im Körper hätte. Vielmehr, meint er, seien die Seelenatome im ganzen Körper verteilt und würden durch die Atmung von ihm eingesogen und im Körper zurückgehalten. Von solchen Ausführungen her liegt es auf der Hand, dass Demokrit schon vom Ansatz her keine Lehre von einer Unsterblichkeit der Seele vertreten konnte. Die Seele, das liegt ganz offensichtlich in der Konsequenz dieses materialistisch orientierten Ansatzes, geht mit dem Körper zugrunde. Im Tod wird gleichsam das letzte Seelenatom ausgehaucht, infolge wovon der Körper sein ihn belebendes Prinzip verliert. Im Fortgang des kosmischen Prozesses können sich diese Seelenatome dann wieder mit anderen Seelenatomen zu einer neuen Psyché formieren und einen anderen Organismus beleben.

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