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Radikalisierung, misslungene Mäßigung und der Weg in die Republik (1567–1588)

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Zu den ersten Maßnahmen Albas, der im August 1567 mit einer umfangreichen spanischen Streitmacht eingetroffen war, gehörte die Schaffung eines neuen Gerichts, das die Verfolgung der Aufständischen in den Niederlanden in die Hand nahm. Dieser sogenannte Raad van Beroerten, Rat der Unruhen – im Volksmund schon bald Blutrat genannt –, verurteilte in den darauffolgenden Jahren mehr als 1000 Personen zum Tode, und 9000 Personen verloren ihren Besitz. Prominente Opfer von Albas Repressionspolitik waren die Grafen von Egmond und Hoorn, die Ende 1566 noch dem Aufruf Margarethes von Parma gefolgt waren, dem König Treue geschworen hatten und ihr bei der Wiederherstellung der Ruhe behilflich gewesen waren. Sie wurden 1568 auf dem Großen Markt in Brüssel enthauptet. Der Oranier, dem schon 1567 von Philipp II. die Statthalterschaft aberkannt worden war, verlor nicht nur alle seine Besitztümer, auch in persönlicher Hinsicht traf Alba ihn hart: sein zwölfjähriger Sohn, Philipp Wilhelm, wurde als Geisel nach Spanien geschickt, wo er erst 1596 freigelassen werden sollte. Zehntausende flohen aus dem Land, darunter viele prominente Bürger und Vertreter des niederen Adels.

Neben der Verfolgung der Aufständischen gehörte es auch zu Albas Aufgaben, die Zentralverwaltung auf Kosten der Provinzen zu stärken und die Generalstände gefügig zu machen. Zudem musste er das Problem der Steuereintreibung endlich im Sinne der Spanier lösen. Im Jahr 1569 versuchte er zu diesem Zweck, drei Steuern einzuführen, den hundertsten Pfennig (die einmalige Erhebung von 1 % auf alle Vermögen), den zwanzigsten Pfennig (5 % auf den Verkauf von Immobilien) sowie den zehnten Pfennig (eine Umsatzsteuer von 10 % auf den Handel mit beweglichen Gütern). Viel Erfolg hatte er damit nicht, und der Widerstand gegen seine Politik nahm weiter zu.

Der erste Versuch Wilhelms von Oranien, mit Waffengewalt zurückzukehren, scheiterte 1568. Seine Brüder Ludwig und Adolf von Nassau verbuchten anfangs im Norden einen Erfolg (Schlacht bei Heiligerlee, 1568), wurden danach jedoch schon bald gnadenlos von Alba geschlagen. Der Oranier selbst versuchte es mit einem Angriff auf Obergelderland (das heutige Nordlimburg), aber fehlende Unterstützung seitens der Bevölkerung, Geldmangel und Albas militärische Strategie führten dazu, dass er kein einziges Gebiet eroberte und seine Truppen schon bald entlassen musste. Einen bewaffneten Widerstand gegen den König hatte Wilhelm von Oranien nach eigener Aussage nicht entfesselt. Nicht als Rebell gegen die gesetzliche Autorität wollte er in die Niederlande zurückkehren, sondern als jemand, der es mit den schlechten Beratern des Königs aufnahm. Sie, nicht der König selbst, seien für die schlechte Regierung und die Eskalation der vergangenen Jahre verantwortlich. Pro rege, lege et grege (»Für König, Gesetz und Volk«) lautete seine Devise, und so präsentierte er seinen Kampf eben nicht als einen Kampf gegen Philipp II., sondern gegen Alba. In Flugblättern und Schriften sollte der Oranier auch in späteren Jahren auf diese Argumentation zurückgreifen und auf diese Weise versuchen, mehr Unterstützung für sein Handeln zu erhalten.

Die einzige Bedrohung, die in den darauffolgenden Jahren von den Aufständischen ausging, kam von den sogenannten Watergeuzen (Wassergeusen), geflohenen Adeligen, Seeleuten, Bürgern und Gruppen niederen Volks, die, ausgestattet mit Kaperbriefen von Wilhelm von Oranien, Angriffe und Raubzüge von See aus durchführten. Sie spielten auch in den Plänen des Oraniers eine Rolle, nach dem katastrophal verlaufenen Feldzug des Jahres 1568 erneut einen Angriff zu wagen. Ebenso wie 1568 plante er einen Angriff aus verschiedenen Himmelsrichtungen, wobei die Wassergeusen vom Meer aus, die mit dem Oranier verbündeten französischen Hugenotten aus dem Süden und er selbst aus dem Osten kommen sollten. Wieder lief es anders, als er es gewünscht hatte. Die Wassergeusen, die, nachdem Königin Elisabeth ihnen den weiteren Zugang zu englischen Häfen untersagt hatte, auf See umherstreiften, eroberten eher zufällig als beabsichtigt – und dann auch noch früher als der Oranier es gewollt hatte, nämlich am 1. April 1572 – die Hafenstadt Den Briel. Stärker als im Jahr 1568 herrschte nun unter der Bevölkerung eine antispanische Stimmung, wodurch schon bald einige andere holländische und zeeländische Städte in die Hände der Geusen gelangten. Diese Brückenköpfe sollten die Basis für den schließlich erfolgreichen Verlauf des Aufstands bilden, auch wenn der Kampf im Süden und Osten für die Aufständischen erneut schlecht verlief. Hier hatte Alba seine Truppen konzentriert, und hier verfügte er über eine militärische Übermacht. Entscheidend war, dass der Einmarsch aus Frankreich ausblieb: In der berüchtigten Bartholomäusnacht im August 1572 wurden die Hugenotten in Paris ausgeschaltet, wodurch aus Frankreich keine Unterstützung mehr zu erwarten war (Karte 2).


Karte 2: Aufständische Gebiete im Dezember 1572

Günstiger war es im Sommer 1572 in den Provinzen Holland und Zeeland, die beide nahezu vollständig in die Hände der Aufständischen gelangt waren. Im August beriefen sich die holländischen Stände selbst in Dordrecht ein (Den Haag war noch nicht »umgedreht«). Ebenso wie Wilhelm von Oranien im Jahr 1568 richteten sich die Aufständischen nicht explizit gegen den König, und sie versuchten, den Anschein der Legitimität aufrechtzuerhalten. Obwohl Philipp II. schon lange einen anderen Statthalter für Holland, Zeeland und Utrecht ernannt hatte, erklärten die Stände, Wilhelm von Oranien sei immer noch der Vertreter des Königs in diesen Provinzen. Neu war allerdings, und so sollte es später in der Republik auch sein, dass der Statthalter nun seine Autorität den Provinzialständen entlehnte. Damit beabsichtigten die Stände im übrigen keine dem Oranier untergeordnete Stellung. In seiner Oranien-Biographie weist Olaf Mörke darauf hin, dass die Stände in der Person des Statthalters einen starken Partner wollten, der sowohl die calvinistischen Geusen unter Kontrolle als auch Alba außen vor halten konnte, ohne jedoch eigene Kompetenzen aufzugeben. Das machte zwischen Statthalter und den Ständen einen ständigen Prozess des Verhandelns und Abgrenzens von Befugnissen erforderlich, eine Situation, die auch später in der Republik fortbestehen und noch für große Spannungen sorgen sollte.

Durch das Fortbleiben der Hugenotten hatte Alba im Süden freie Hand, und er startete einen Feldzug in den Norden, wo er den Aufständischen empfindliche Niederlagen beibrachte. Die brutale Art und Weise, in der die Bevölkerung der eingenommenen Städte behandelt wurde, sollte der nächsten Stadt, die an der Reihe war, die Lust zur Verteidigung nehmen. Kurzfristig war dieses Vorgehen nicht ohne Erfolg, langfristig schadete es jedoch der spanischen Autorität, weil der Widerstand dadurch verstärkt wurde. Mechelen, Zutphen und Naarden wurden zum Synonym für Albas gnadenlose Strategie: Hunderte von Einwohnern wurden nach der Einnahme der Stadt ermordet, und in Naarden wurde Anfang Dezember 1572 sogar fast die gesamte Bevölkerung umgebracht. Nach einer siebenmonatigen Belagerung eroberte Alba schließlich im Sommer 1573 Haarlem und trieb damit einen Keil in die aufständische Provinz Holland. Weiter sollte er jedoch nicht kommen. Von strategischem Nachteil für die Spanier war die große Zahl der Städte, die sie im wasserreichen und tiefliegenden Holland erobern mussten. Die Aufständischen brauchten lediglich einige Deiche zu durchstechen oder Schleusen zu öffnen, und große Gebiete wurden unter Wasser gesetzt – für die spanischen Belagerer in vielen Fällen ein unüberwindliches Hindernis.

Ein noch größeres Problem Albas war finanzieller Art. Die Bezwingung der Aufständischen kostete viel Geld, und Philipp II. führte inzwischen auch wieder im Mittelmeer Krieg gegen die Türken. Wie häufiger während des niederländischen Aufstands nahm der Druck auf die Aufständischen zu oder ab, je nachdem, ob Philipp II. auch anderswo Krieg führte. Die hohen Kosten des Kampfs gegen die Türken hatten zur Folge, dass die Soldaten in den Niederlanden keinen oder unzureichenden Sold erhielten und zu meutern begannen. So blieb der spanische Vormarsch im Herbst 1573 stecken, und Philipp II. rief Alba zurück nach Spanien. Sein Nachfolger, Don Luis de Requesens, war gemäßigter und zu Gesprächen mit den aufständischen Provinzen bereit. Tatsächlich begannen 1575 Verhandlungen, bei denen die holländischen Stände und der Oranier kundtaten, treue Untertanen des Königs sein zu wollen, dass dieser dann aber wohl den Protestantismus gestatten und die alten »Rechte und Privilegien« der Provinzen anerkennen müsse. Das waren Forderungen, denen Philipp II. nicht stattgeben wollte, wodurch die Chance für ein Abkommen nahezu vertan war.

Dennoch schien eine Annäherung nicht ausgeschlossen. Durch Geldmangel hatten die Spanier ihre chronisch unterbezahlten und daher meuternden Truppen nicht unter Kontrolle. Unter diesen Bedingungen nahm in allen niederländischen Provinzen der Wunsch nach einem Abzug der spanischen Soldaten zu, und Philipp II. wurde – alleine schon aus finanziellen Gründen – zu einer Atempause gezwungen. 1576 kam es zwischen den niederländischen Provinzen in der sogenannten Genter Pazifikation zu einem vorläufigen Vergleich. Die royalistischen und die aufständischen Provinzen stimmten in der Forderung überein, dass die spanischen Truppen die Niederlande verlassen sollten. Mit Blick auf die Religion vereinbarten sie, dass der Status quo Ausgangspunkt für eine spätere endgültige Lösung sein solle: Im Süden blieb der Katholizismus die einzige anerkannte Religion, in den aufständischen Pro--vinzen der Calvinismus. Allerdings sollten in allen Provinzen Andersdenkende in Ruhe gelassen werden. Die selbständig operierenden Generalstände setzten sich zum Ziel, dass alle Provinzen gemeinsam eine Lösung für die politischen und religiösen Probleme finden sollten. Notgedrungen war der neue Statthalter Don Juan d’Austria – Requesens war 1576 plötzlich gestorben –, bereit, die Pazifikation zu akzeptieren, und auch Philipp II. sah keine andere Möglichkeit, als den Fakten für kurze Zeit ins Auge zu sehen.

Die Genter Pazifikation schien die Chance für einen maßvolleren Umgang mit den politischen und religiösen Fragen zu vergrößern. Wilhelm von Oranien, dessen Ziel es immer gewesen war, den Zusammenhalt der siebzehn Provinzen zu bewahren und in den Niederlanden religiöse Toleranz zu verankern, versuchte dann auch mit aller Macht, die wackelige Basis der Pazifikation zu stärken. Das erwies sich als unmögliche Aufgabe. Don Juan wartete den Augenblick ab, in dem Spanien die Initiative wieder an sich ziehen und Holland und Zeeland in die Isolation drängen konnte. Seine Interpretation der Pazifikation – die Position der katholischen Kirche dürfe nicht angetastet werden – deutete ebenfalls in diese Richtung und führte dazu, dass sich Holland und Zeeland unter der Führung des Oraniers schon bald in Konfrontation mit Don Juan befanden. Hinzu kam, dass die Gemäßigten, die sich in der Pazifikation zusammengefunden hatten, eine heterogene Gruppe bildeten und dass die Eliten im Süden bereit waren, dem neuen Landvogt gegenüber eine entgegenkommende Haltung einzunehmen. Ihre Zielsetzungen reichten nicht weiter als die des Hochadels in den 1560er Jahren: Stärkung der eigenen Machtposition in der Zentralverwaltung in Brüssel, eine selbständige Stellung der Niederlande im habsburgischen Reich und die Aufrechterhaltung des Katholizismus, bei gleichzeitiger Einschränkung der Verfolgung. Für Holland und Zeeland war das nicht mehr genug. Sie forderten eine Beschneidung der Zentralverwaltung, eine Loslösung der Niederlande und eine dominante Stellung des Calvinismus. Zwischen diesen Positionen war ein Kompromiss nahezu ausgeschlossen.

Als Don Juan doch zu den Waffen griff, schienen sich die Provinzen erneut für kurze Zeit in den Generalständen zu finden, und sie erklärten den Landvogt zu ihrem gemeinsamen Feind. Gleichzeitig erkannten sie Matthias von Österreich als neuen Landvogt über die Niederlande an. Das war ein revolutionärer Schritt – immerhin wurden Landvögte vom König ernannt –, da aber Matthias ein Verwandter Philipps II. war, hofften die Generalstände, dass der König ihre Wahl akzeptieren werde. Verzweifelt versuchte Wilhelm von Oranien, an seinen Zielen von Einheit und Religionsfrieden festzuhalten. Radikale Calvinisten und viele Katholiken waren jedoch nicht zu Kompromissen bereit. So hatte der Vorschlag des Oraniers aus dem Jahr 1578, überall dort, wo mindestens einhundert Familien freie Religionsausübung verlangten, diese auch zu gewähren, keine Aussicht auf Verwirklichung. Im Gegenteil, in vielen Städten standen sich Katholiken und Calvinisten inzwischen so unversöhnlich gegenüber, dass die Konflikte die Form eines Bürgerkriegs annahmen. In dieser zunehmenden Polarisierung sowohl zwischen Calvinisten und Katholiken als auch zwischen den Gemäßigten untereinander schwanden die Aussichten auf die vom Oranier angestrebte Lösung rasch. Als dann Don Juan – mit frischen Truppen aus Spanien – mehrere südliche Provinzen an seine Seite zwang, war endgültig klar, dass die Genter Pazifikation fehlgeschlagen war.

Während die südlichen Provinzen Artois, Hennegau und Wallonisch-Flandern mit Spanien Friedensgespräche aufnahmen, die im weiteren Verlauf des Jahres zur sogenannten Union von Arras führen sollten, schlossen einige nördliche Provinzen im Januar 1579 die Union von Utrecht. Damit entstand ein Verteidigungsbündnis gegen Spanien, in dem gemeinsam und einmütig über Krieg und Frieden entschieden werden sollte. Entscheidungen über »innere« Angelegenheiten, zu denen auch die Religion gehörte, blieben den Provinzen selbst überlassen. Holland, Zeeland, Utrecht und das Groninger Umland gehörten zu den ersten Unterzeichnern, und allmählich schlossen sich auch andere Provinzen an. Wilhelm von Oranien war kein Befürworter der Union und sollte sich erst im Mai 1579 damit abfinden, wenn auch unter der Bedingung, dass die Union die Einheit der Niederlande und Religionsfrieden anstreben solle. Selbst in dem Augenblick, in dem diese weiter entfernt waren als je zuvor, hielt der Oranier noch an seinen Zielen fest.

Durch die Unionen von Utrecht und Arras drifteten Norden und Süden auseinander und der Kampf mit Spanien spitzte sich weiter zu. Für Vertreter der Mitte war darin kein Platz mehr, und es gab nur noch die Wahl, den König oder die Aufständischen zu unterstützen. Auf Initiative Wilhelms von Oranien suchten letztere militärische Unterstützung beim Herzog Franz von Anjou, dem Bruder des französischen Königs. Kurz darauf belegte Philipp II. Wilhelm von Oranien mit dem Bann, und 1581 erklärten die Generalstände in der sogenannten Plakkaat van Verlatinghe, dass sie Philipp II. nicht mehr als König anerkannten. Das war das endgültige Aus für den Standpunkt, die Aufständischen wendeten sich nicht gegen den König, sondern gegen die schlechten Vollstrecker seiner Regierung.

Die Generalstände, die inzwischen nahezu deckungsgleich mit den Provinzen der Union von Utrecht waren, bestimmten nun den Herzog von Anjou zum neuen Landesherrn, und so vollzog sich 1580/81 der endgültige Bruch der nördlichen Provinzen mit Spanien. Im Rückblick markieren die Union von Utrecht und die Plakkaat van Verlatinghe den Beginn einer selbständigen niederländischen föderalen Republik, beabsichtigt war dieses Ziel jedoch damals noch nicht. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, sollte es noch bis 1588 dauern, bis die Republik tatsächlich zustande kam, allerdings ohne formalen Gründungsakt.

Dem Vormarsch der Spanier unter der Führung Alexander Farneses, Herzog von Parma, dem Nachfolger Don Juans, konnte die Union von Utrecht wenig entgegensetzen. Philipp II., inzwischen nicht mehr durch einen Krieg an südlichen Fronten geplagt, hatte nun Kapazitäten (und Geld) frei für eine neue Offensive im Norden. Schon bald gelangten die Provinzen im Süden in die Hände der Spanier. Das lag nicht nur an der Kraft, die Spanien unter Parma entwickelte, sondern auch an der Schwäche der Aufständischen. Das Experiment mit Anjou als neuem Landesherrn führte zu nichts: Es zeigte sich, dass er, statt Unterstützung gegen Spanien zu leisten, in erster Linie auf die Ausweitung seiner eigenen Macht aus war, und er zog bereits 1583 unverrichteter Dinge zurück nach Frankreich, wo er 1584 verstarb. Kurz darauf, am 10. Juli 1584, wurde Wilhelm von Oranien in Delft ermordet – die einzige Person, die es verstanden hatte, die uneinigen Provinzen zusammenzuhalten.

Wilhelm von Oranien ist als »Vater des Vaterlandes« in die Geschichte eingegangen und damit als Begründer der niederländischen Nation. Das ist nicht unrichtig, aber bei der Ermittlung seiner historischen Bedeutung muss noch einmal darauf hingewiesen werden, dass er ein ganz anderes Ziel vor Augen hatte als eine Nordniederländische Republik. In den 1570er Jahren wurde er zur zentralen Figur eines Aufstandes, den er in dieser Form nicht gewollt hatte. Anfänglich ging es ihm ja in erster Linie um die Einheit der siebzehn niederländischen Provinzen unter der spanischen Krone mit einflussreichen Positionen für sich selbst und andere Angehörige des niederländischen Hochadels. Erst allmählich vollzog sich der Bruch mit Philipp II., und nicht die Union von Utrecht, sondern die Genter Pazifikation deckte sich mit seinen Zielsetzungen. Selbst noch nach dem Abschluss der Union von Utrecht gab er das Ziel der Einheit von Norden und Süden nicht auf und hoffte weiterhin auf Kompromisse, die nicht mehr realistisch waren. Wie die beabsichtigte Einheit schlug auch sein Streben nach religiöser Pluriformität und Toleranz fehl. So betrachtet, scheiterte der Oranier mit seinen zentralen Zielsetzungen.

Allerdings drückte er dem Aufstand und dessen – unbeabsichtigtem – Resultat einen entscheidenden Stempel auf. Van Deursen beschließt sein biographisches Porträt mit dem Satz, dass »nicht die Hälfte von dem, was Wilhelm erhofft hatte« erreicht worden sei. »Aber dieser kleinste Teil trug weiterhin den Stempel seines Urhebers.« Als gemäßigter Mann der Mitte hatte er die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gruppen ermöglicht, sich »pragmatisch-situativ« (Mörke) den Umständen angepasst und war zur Schlüsselfigur geworden. Darüber hinaus hatte er durch moderne Propaganda das Bewusstsein einer niederländischen Zusammengehörigkeit verbreitet. Das Erbe des Oraniers sollte sich auch in der Staatsstruktur der Republik niederschlagen: eine Regierungsform, in der die Kompetenzen zwischen Statthalter, Provinzialständen und Generalständen auf komplizierte Weise verteilt waren und die wiederholt zu großen Spannungen führen sollte, aber immerhin bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Basis des politischen Systems der Republik bestimmte. Auch in der Religionsfrage blieb sein Erbe sichtbar, denn unter ihm entstand eine einzigartige Form der Gewissensfreiheit. Staat und Kirche wurden unter ihm nicht eins, wie das anderswo zumeist der Fall war, und er legte die Grundlage für die für die Republik charakteristische Duldungspolitik: Die reformierte Kirche war als einzige öffentlich zugelassen, und wer Macht und Einfluss ausüben wollte, musste dieser Kirche angehören, aber andere Religionen durften außerhalb der Öffentlichkeit ihre Anhänger haben. Das war kein Religionsfrieden, wie ihn der Oranier vor Augen gehabt hatte, aber doch eine für jene Zeit weitreichende Form der Religionsfreiheit.

Diese langfristigen Einflüsse waren bei seinem Tod im Jahr 1584 noch nicht vorherzusehen. Im Gegenteil, 1584 und in den darauffolgenden Jahren sah es sogar so aus, als müsse der Aufstand scheitern. Schon vor dem Tod des Oraniers waren große Teile Flanderns, Groningens und Drenthes in die Hände der Spanier geraten, und in den Jahren 1584–1590 folgten Brabant und Teile der östlichen Provinzen, wodurch sich das Territorium des Aufstands praktisch auf den Westen und die Mitte beschränkte (Karte 3). Eine Stadt nach der anderen fiel in die Hände Parmas, der nicht nur ein guter Feldherr war, sondern auch durch eine geschickte Amnestiepolitik Städte auf seine Seite brachte. Ein Religionsfrieden war unter ihm undenkbar, aber er bot Protestanten wohl die Gelegenheit, ihre Besitztümer zu verkaufen und die Stadt zu verlassen. Unter diesen Bedingungen öffneten viele Städte ihre Tore, ohne dass ein Schuss abgegeben worden war. Dies hatte nicht nur zur Folge, dass im Süden Ruhe einkehrte, sondern auch, dass dort der Calvinismus verschwand. Im Norden und Westen hingegen fand der Calvinismus zunehmend Verbreitung, katholische Gottesdienste wurden verboten. Dennoch bildeten die Katholiken weiterhin eine Mehrheit, die man nicht, wie die Protestanten im Süden, des Landes verweisen konnte.


Karte 3: Spanische Eroberungen ab 1579

Nicht nur auf religiösem, sondern auch auf ökonomischem Gebiet hatten die Eroberungen Parmas bedeutsame Konsequenzen. Große Folgen hatte vor allem die Eroberung Antwerpens im August 1585. Als Gegenmaßnahme blockierten die aufständischen Provinzen die Schelde, wodurch Antwerpen für lange Zeit seine Bedeutung als Hafenstadt verlor. Auch der Auszug der Protestanten trug zur Ausblutung der Stadt bei: Im Verlauf von vier Jahren zogen rund 38 000 Menschen in den Norden, ungefähr die Hälfte der Bevölkerung. Auch aus anderen Städten im Süden setzte ein Emigrationsstrom in den Norden ein, und die Einwohnerzahl vieler holländischer Städte nahm in diesen Jahren explosionsartig zu. Alleine Amsterdam zog 30 000 Immigranten an, Leiden verdoppelte seine Einwohnerzahl auf 26 000, und auch andere Städte wuchsen um das Zweifache oder darüber hinaus. Wie im folgenden noch erläutert werden wird, war dieser Aderlass des Südens für den Norden ein enormer Impuls. Das Ausbluten des Südens war in erster Linie religiös begründet, aber die sich verschlechternden ökonomischen Bedingungen und der Boom im Norden führten auch zu einem Fortzug aus wirtschaftlichen Motiven.

Mit dem Tod des Herzogs von Anjou und Wilhelms von Oranien war erneut die Frage akut, wem die Souveränität über die aufständischen Provinzen angeboten werden könnte. Wie bereits erwähnt, hatte Anjou nicht die erwartete Unterstützung geleistet, und angesichts der Erfolge Parmas war internationale Hilfe dringender nötig denn je. Der französische König Heinrich III. weigerte sich, auf das Hilfegesuch einzugehen, woraufhin die Generalstände Unterstützung bei der englischen Königin Elisabeth I. suchten. Einerseits betrachtete sie den Vormarsch Parmas in den Niederlanden voller Sorge, andererseits hatte sie ihre eigenen Pläne, in denen für die Selbständigkeit der aufständischen Provinzen kein Platz war. Ihr Ziel war die Verwirklichung der alten Genter Pazifikation: Die Niederlande Spanien untergeordnet, aber mit eigenen Befugnissen, die die Macht der Spanier auf dem Kontinent einschränken sollten. Mit diesem Ziel vor Augen war sie zu einer begrenzten Unterstützung bereit und sandte zu diesem Zweck 1585 Robert Dudley, Graf von Leicester, mit Truppen und Geld in die aufständischen Provinzen. Aber ebenso wie das Experiment mit dem Herzog von Anjou misslang das Hereinholen ausländischer Hilfe auch dieses Mal. Leicester entwickelte kein Gefühl für die niederländischen Verhältnisse, ergriff Partei für die harte calvinistische Linie und geriet immer mehr in einen Machtkonflikt mit den holländischen Ständen. Ferner verlor er den Rückhalt Königin Elisabeths. 1587 zog er sang- und klanglos aus den Niederlanden ab.

Dass Leicester im Kampf mit Holland unterlag, gründete vor allem in der Person von Johan van Oldenbarnevelt, der sich nach dem Tod des Oraniers zum mächtigsten Mann in Holland und der sich formierenden Republik emporarbeitete. Schon bald nach dem Mord an Wilhelm von Oranien hatte er die Basis für diese Position gelegt. Seit 1576 war er Ratspensionär der Stadt Rotterdam gewesen, keine Spitzenposition, aber doch eine, die dazu geeignet war, ihn als Repräsentanten seiner Stadt in die holländischen Stände und damit in Kontakt mit Wilhelm von Oranien und dem Zentrum der Macht zu bringen. Oldenbarnevelt organisierte 1584 die Beerdigung des Oraniers und übte im Auftrag der holländischen Stände einige wichtige Verwaltungsaufgaben aus. 1586, das Jahr, in dem Leicester sich anschickte, seine Machtstellung auszuweiten und die holländischen Stände auf der Suche nach einem Gegengewicht waren, baten sie Oldenbarnevelt, Landesadvokat von Holland zu werden. Bis dahin hatte ein Landesadvokat eine dienende, amtliche Aufgabe erfüllt: er vertrat die Adeligen in der Ständeversammlung, sprach in ihrem Namen als erster und führte die Korrespondenz. Bevor Oldenbarnevelt seiner Ernennung zustimmte, verlangte er eine deutliche Ausweitung der Kompetenzen: Die Feststellung der Tagesordnung der Ständeversammlung, das Erstellen von Resolutionsentwürfen und das Formulieren der getroffenen Entscheidungen sollten zukünftig zu seinen Aufgaben gehören. Alle Kontakte zum Ausland sollten über ihn laufen müssen, und in den Generalständen sollte er der wichtigste Vertreter der Provinz Holland sein. Die holländischen Stände waren damit einverstanden, und so gelangte viel Macht in die Hände des neuen Landesadvokaten.

Oldenbarnevelt entwickelte sich zum wichtigsten Gegenspieler Leicesters. Im Namen Hollands führte er einen harten Kampf um die Macht in der Republik, der bürgerkriegsartige Züge aufwies und den Oldenbarnevelt ruhmreich zum Vorteil Hollands und der eigenen Person entschied. Nach Leicesters Abzug im Jahr 1587 lautete das Fazit, dass der Rückgriff auf ausländische Fürsten als Träger der Souveränität über die Niederlande kein Erfolg gewesen war. Die Konsequenz war, dass die Provinzialstände, allen voran Holland, 1588 vollendeten, was sie mit der Plakkaat van Verlatinghe 1581 begonnen hatten: Sie beanspruchten nun endgültig die Souveränität. Dies geschah mit der historischen Rechtfertigung, der zufolge die Stände von alters her die Souveränität besessen und diese einem Grafen (in Holland) oder Herzog (in Gelderland) übertragen hatten. Dieses alte Recht, so die gefundene Argumentation, umfasse auch, dass man sich gegen den Grafen oder Herzog wenden dürfe, wenn dieser die Interessen der Provinz verletze. Daher gehe es hier nicht um eine revolutionäre Unabhängigkeitserklärung oder um eine neue Staatsform, sondern um die Betonung der Kontinuität eigener Freiheiten und Privilegien und damit um eine Bestätigung der Machtposition der Städte und der Adeligen durch die Provinzialstände. Die Stände nahmen damit auch die Würde des früheren Grafen, Herzogs oder Herrn ein, dem sie in der Person Philipps II. 1581 mit der Plakkaat van Verlatinghe die Macht genommen hatten. Im April 1588 entbanden sie die Beamten von ihrem Eid gegenüber Leicester und erlegten ihnen nun den Eid gegenüber sich selbst auf, was als die faktische Entstehung der Republik der Vereinigten Niederlande betrachtet werden kann. Damit war die Grundlage für eine einzigartige politische Struktur gelegt worden, die in den darauffolgenden Jahren Gestalt annehmen sollte.

Viele Entwicklungen in den Jahren des Aufstands waren zuvor nicht bedacht oder geplant worden, und dies traf auch auf die Gründung der Republik zu. Sie entstand – ohne tatsächlich ausgerufen zu werden – am Ende einer Reihe von als unvermeidlich angesehenen Entscheidungen. In diesem Prozess gab Holland den Ton an, und es erhielt unter der Leitung Oldenbarnevelts die Führungsrolle in der entstehenden Republik. Dabei hatte Oldenbarnevelt auch das Glück auf seiner Seite. Die Spannungen zwischen den aufständischen Provinzen und England verringerten sich durch neue Angriffspläne Philipps II. erheblich. Um dem Protestantismus im Norden den Gnadenstoß zu geben, schickte er – mit päpstlichem Segen – eine »unbesiegbare Armada« in englisch-niederländische Gewässer, mit dem Ziel, Elisabeth I. vom englischen Thron zu vertreiben und endgültig mit dem niederländischen Aufstand abzurechnen. Die heranrauschende Armada trieb England und die aufständischen Provinzen wieder aufeinander zu. Die sich hieraus ergebende Kooperation führte zu einer dramatischen Niederlage für den spanischen König, dessen Flotte – von englischen und niederländischen Schiffen ramponiert und dezimiert – 1588 nach Spanien zurückkehren musste. Es sollte sich zeigen, dass dies für die aufständischen Provinzen ein entscheidender Wendepunkt war. Parma hatte seinen Vormarsch in den Niederlanden für die geplante Invasion in England unterbrechen müssen, und nach der spanischen Niederlage auf See war auch die Schlagkraft in den Niederlanden geschwächt.

Die aufständischen Provinzen profitierten darüber hinaus von Entwicklungen in Frankreich, wo 1589 mit dem protestantischen Thronfolger, Heinrich von Navarra, eine Gefahr für Philipps katholische Mission drohte. Philipp II. zog Parma aus den Niederlanden ab und erteilte ihm den Auftrag, den Schwerpunkt des Kampfes nach Frankreich zu verlegen. Dies verschaffte den aufständischen Provinzen eine Atempause. Im darauffolgenden Jahrzehnt sollten sie Terrain zurückerobern und es schaffen, der Republik eine stabile und dauerhafte Grundlage zu geben.

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