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Reformation

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Die oben angedeuteten Spannungen zwischen der sich formierenden Brüsseler Zentralgewalt und provinzialen und lokalen Verwaltungseinheiten waren nicht dergestalt, dass der Prozess der Vereinigung schon früh zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Im Gegenteil, solche Spannungen waren dem Weg zu mehr Einheit inhärent. Der britische Historiker Jonathan Israel schreibt sogar, dass alles darauf hindeutete, dass die habsburgischen Niederlande »erfolgreich zu einem lebensfähigen und kohärenten Ganzen aneinandergeschmiedet werden könnten, mit der Unterstützung durch den Hochadel und mit einer neuen, humanistisch gebildeten Beamtenelite«. Auch sein niederländischer Kollege Arie Th. van Deursen schätzt, dass die Vereinigung hätte gelingen können, »wenn nicht andere Ursachen zu Aufstand und Bürgerkrieg geführt hätten«. Es war die Religionsfrage, so van Deursen, die die Probleme der Vereinigung unlösbar machte.

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatte sich die Stellung der Kirche grundsätzlich verändert. Hatte es um 1500 noch eine selbstverständliche Einheit der römisch-katholischen Kirche und der Gesellschaft gegeben, so war diese in der Mitte des Jahrhunderts verlorengegangen. Die zunehmende Kritik an der katholischen Geistlichkeit und ihr Verlust an Glaubwürdigkeit und moralischer Autorität hatten sich durch den wachsenden Einfluss Martin Luthers in den Niederlanden verstärkt. Angesichts der starken Urbanisierung, des hohen Alphabetisierungsgrades, der großen Zahl von Buchdruckern und des intensiven Austauschs mit deutschen Gebieten hatten sich Luthers Schriften in hohem Tempo in den Niederlanden verbreitet. Bereits im Mai 1519 berichtete Erasmus von Rotterdam, dass Luthers Werke »überall« in den Niederlanden gelesen würden. In den 1520er Jahren startete Karl V. jedoch eine kraftvolle und effektive Repressionspolitik, und die ersten Ketzer starben auf dem Scheiterhaufen der Inquisition. Dies hatte zur Folge, dass es der Reformation in den Niederlanden an organisatorischer Kraft und Kohäsion fehlte, wodurch die Verbreitung des Luthertums schon bald gebremst wurde. Dies führte zu einer Verinnerlichung der Reformation sowie dazu, dass sich in der Kirche eine Kluft zwischen der religiösen Überzeugung und der Religionsausübung auftat. Zwar blieb die Mehrheit der Bevölkerung in der Kirche, sie distanzierte sich jedoch innerlich vom alten Glauben und entwickelte eigene Richtungen. Israel spricht im Zusammenhang mit dem frühen niederländischen Protestantismus von einer »verblüffenden Unterschiedlichkeit von Lehrmeinungen und Standpunkten« und dass dieser »dogmatisch pluriform und weitgehend dezentralisiert« gewesen sei. Dabei dachten viele nicht an einen Bruch mit der katholischen Kirche, sondern forderten Raum für eine eigene Ethik und Interpretation.

Radikal und auf einen Bruch zusteuernd waren hingegen sehr wohl die Täufer gewesen, eine kleine Minderheit, die ab den 1530er Jahren bis zum Ende der 1550er Jahre in den Niederlanden die organisatorische Vorhut der Reformation bildeten. Ihrer Meinung nach musste der Bibeltext wörtlich genommen werden, und damit begründeten sie unter anderem, dass die Kindstaufe nicht anerkannt werden sollte. Nur als Erwachsener könne man sich bewusst für den Glauben entscheiden, so die Täufer, die auch die übrigen katholischen Sakramente als Irrtümer betrachteten. Versuche, das Königreich Gottes auf Erden mit Gewalt zu verwirklichen, führten 1534–1535 sogar zu der Besetzung der westfälischen Bischofsstadt Münster, und auch in anderen Städten kam es in dieser Zeit zu Ausschreitungen. Die Täufer wurden scharf verfolgt, und viele Täufer aus der Anfangsphase mussten ihre eigene Radikalität und Gewalt mit dem Leben bezahlen. Um die Mitte des 16. Jahrhunderts gaben die Täufer jedoch das Mittel der Gewalt auf, und gerade die Gewaltlosigkeit wurde ein wichtiges Charakteristikum der Bewegung. Von großer Bedeutung in dieser auf Ruhe abzielenden Entwicklung in der Täuferbewegung war die Rolle von Menno Simons (um 1496–1561) und Dirk Philips (1504–1568), die vor allem im Norden unter dem einfachen Volk viele Anhänger gewannen. In Relation zur Gesamtbevölkerung blieben die Täufer jedoch eine Minderheit, die, auch wenn sie ökonomisch erfolgreich war, nicht zur regierenden Elite durchdringen konnte. Charakteristisch blieben ihr kompromissloser Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes sowie die Bereitschaft, hierfür auch das Märtyrertum hinzunehmen. So waren sie dann auch noch vielfach Opfer von Verfolgungen, nachdem sie selbst der Gewalt abgeschworen hatten. Es wird geschätzt, dass in den Niederlanden zwischen 1531 und 1574 insgesamt rund 3000 Personen wegen ihres Glaubens hingerichtet worden sind und dass 2000 von ihnen Täufer waren.

Ab 1540 machte eine für die Niederlande wichtige dritte Gruppe von sich reden: die Calvinisten. Sie brachen mit dem Verhalten, das viele Anhänger der Reformation in der davor liegenden Periode an den Tag gelegt hatten: nur im stillen der neuen Richtung anzuhängen, nicht auf einen Bruch zuzusteuern, sondern auf eine Erneuerung innerhalb der bestehenden Kirche zu hoffen. Sie absorbierten einen Teil des noch wenig strukturierten und im Fluss befindlichen Protestantismus und waren anfangs im Süden stärker vertreten als im Norden. Ab den frühen 1560er Jahren verbreitete sich der Calvinismus rascher als zuvor, was zu einer Verschärfung der Verfolgung führte. Die Spannungen verstärkten sich, weil viele Katholiken die gewalttätige Unterdrückung und die damit einhergehende Unruhe verabscheuten. Dadurch entfremdeten sich nicht nur viele von der habsburgischen Regierung, sondern es nahm auch die Sympathie für die Calvinisten zu. Auch diese Entwicklung war ein wichtiger Faktor dafür, dass es zum Aufstand kam.

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts bot die religiöse Karte der Niederlande ein buntes Bild. Die Historiker Simon Groenveld und Gerrit Schutte sprechen von »gestaffelten religiösen Gesinnungen«, die von orthodoxen bis zu protestantisierenden Katholiken, von Täufern über starre und moderate Calvinisten bis zu einer Handvoll Lutheranern variierten. Die durch die Täufer verursachte Unruhe gehörte inzwischen der Vergangenheit an, und es schien wieder Ruhe eingekehrt zu sein, aber, so resümiert Israel, am Ende der 1550er Jahre war die Position der katholischen Kirche bereits so sehr geschwächt, dass ein Überleben in ihrer traditionellen Form zweifelhaft geworden war. Ab den 1560er Jahren sollte sich die Religionsfrage in noch nie dagewesener Heftigkeit manifestieren.

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