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Wirtschaft, Finanzen und politische Struktur

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Die habsburgischen Niederlande waren um die Mitte des 16. Jahrhunderts vor allem dank der relativ dicht bevölkerten und urbanisierten Provinzen Flandern, Brabant und Holland ein wirtschaftlich und damit strategisch wichtiges Gebiet. Mit dem Aufschwung des Welthandels im 16. Jahrhundert entwickelte sich dieser Teil Europas zum zentralen internationalen Knotenpunkt, dessen wichtigste Stadt Antwerpen war. Die Stadt an der Schelde wuchs schnell zu einer der größten Städte Europas heran (von 40 000 Einwohnern im Jahr 1495 auf mehr als 100 000 im Jahr 1565) und in den Provinzen um Antwerpen herum nahm die Urbanisierung ebenfalls zu. Holland hatte sich bereits im Mittelalter zu einem Gebiet mit vielen kleinen Städten entwickelt, und diese Struktur war auch für das 16. Jahrhundert charakteristisch. 1514 war Leiden mit rund 14 000 Einwohnern die größte Stadt in Holland. In dieser Provinz lebten bereits 46 % der Bevölkerung in den Städten (in Brabant 41 %). Auch wenn diese Städte oft noch klein waren, nach damaligen europäischen Maßstäben zeichneten sich diese Gebiete durch einen sehr hohen Urbanisierungsgrad aus. Charakteristisch für die Verstädterung im Norden blieben im 16. Jahrhundert das Fehlen einer Metropole sowie die Verteilung der Bevölkerung über eine Reihe mittelgroßer Städte, ein Phänomen, das sich für die Entwicklung von Wirtschaft und Staatssystem als sehr bedeutsam erweisen sollte.

Bevölkerungswachstum und Urbanisierung ließen die Nachfrage nach Massengütern wie Getreide und Holz aus dem Ostseeraum zunehmen. Das galt im Norden insbesondere für die Provinz Holland. Gleichzeitig fand im Westen eine Intensivierung und Spezialisierung der Landwirtschaft statt, und durch verbesserte Techniken stieg die Produktivität an. Die wirtschaftliche Blüte ermöglichte ein Bevölkerungswachstum, das seine Ursache auch in der Migration aus anderen, ärmeren Provinzen hatte. Amsterdam entwickelte sich zu einem wichtigen Zentrum für den Handel mit Getreide und Holz, und nirgendwo sonst in Europa hatten am Ende der 1550er Jahre so viele hochseetaugliche Schiffe ihren Heimathafen wie in Holland.

Der große Unterschied zwischen Antwerpen und Amsterdam bestand darin, dass in der Scheldestadt der sogenannte »reiche Handel« (Textilien, Kolonialwaren) konzentriert war und in Amsterdam der Handel mit Massengütern. Dies hatte zur Folge, dass die holländische Flotte aus vielen, relativ großen und billig gebauten Schiffen bestand, die für den Transport großer Ladungen geeignet waren. Die Antwerpener Flotte war hingegen kleiner und für den Transport kostbarerer Produkte über weite Entfernungen ausgerüstet. Ein weiterer Unterschied lag darin, dass der Handel in Antwerpen in erster Linie passiver Natur war. Das heißt, dass vor allem Kaufleute, die von anderswo kamen, die Stadt ansteuerten. Spanier und Portugiesen brachten Produkte aus Asien, Afrika und Amerika, und die Stadt war auch stark von der holländischen und zeeländischen Schifffahrt abhängig. Nach 1585, als Antwerpen in spanische Hände fiel und die nördlichen Provinzen die Schelde absperrten, sollte sich dieser »reiche Handel« in den Norden verlagern.

Insgesamt wurde im frühen 16. Jahrhundert die Nordsee zum wichtigsten Handelsgebiet und die Niederlande übernahmen die zentrale Rolle im Welthandel von Italien. Hier kreuzten sich die wichtigen Wasserwege zwischen Nord- und Südeuropa und zwischen England und dem Deutschen Reich. Außerdem gab es in den Küstenprovinzen eine Infrastruktur, die dieser Entwicklung eine starke Dynamik verlieh. Von einer ökonomischen Einheit der habsburgischen Niederlande konnte allerdings in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine Rede sein. Der Historiker Simon Groenveld hat die Wirtschaft der siebzehn Provinzen in dieser Periode als »unbeständig« und »inkohärent« charakterisiert. Ein Teil der Niederlande, vor allem der dünn besiedelte Nordosten, war noch hauptsächlich durch eine agrarische Struktur geprägt. Hier wurde für den lokalen und den regionalen Markt produziert. Ärmlich und größtenteils vom Wachstum der westlichen Landesteile abgeschnitten war auch der Südosten. Modern war hingegen die Entwicklung in Antwerpen, die zugleich eine große Ausstrahlung auf die unmittelbar benachbarten Provinzen hatte. Eine »nationale« Ökonomie gab es also noch nicht, wohl aber ein sich rund um Antwerpen entwickelndes ökonomisches und militärisch-strategisches Herz Nordwesteuropas, das für die Konsolidierung und Expansion der Stellung der Habsburger in Europa und der Welt eine gewichtige Bedeutung hatte.

Die habsburgische Expansion kostete Geld, viel Geld, das vor allem in Kriegen gegen Frankreich und die Türken ausgegeben wurde. Karl V. und sein Sohn und Nachfolger in den Niederlanden, Philipp II., waren auch auf die Steuereinkünfte aus den niederländischen Provinzen angewiesen, wobei vor allem die sich stark entwickelnden westlichen Provinzen als wichtige Ressourcen betrachtet wurden. Unter den Burgundern hatte es kein geregeltes Steuersystem gegeben, sondern ein System von sogenannten Beden (›inständige Bitte‹), bei dem der Landesherr in regelmäßigen Abständen seine Provinzen aufforderte, Abgaben zu leisten. Dies hatte stets zu komplizierten Besprechungen zwischen dem Fürsten und den Provinzialständen geführt, bei denen die Provinzen in erster Linie versuchten, ihre eigenen regionalen Interessen zu wahren, während der Fürst bemüht war, seine finanzielle Not zu lindern. Wie im folgenden noch erläutert werden wird, sollten die Versuche Philipps II., ein zentralistisches Steuersystem zu schaffen und durch die Abschaffung der Beden die Position der Provinzialstände zu schwächen, im Aufstand gegen ihn eine Rolle spielen. Die fiskalische Selbständigkeit der Stände und damit vor allem die Freiheiten von Adel und Bürgertum drohten ja hierdurch angetastet zu werden, eine Entwicklung, gegen die sie sich mit aller Kraft wehren sollten.

Diese Gegensätze bei der Steuereinziehung deuten nicht nur auf unterschiedliche Interessen des Landesherrn und der Provinzen, sondern auch auf eine unterschiedliche Perspektive des Fürsten und der Bevölkerung in den Provinzen hin. Karl V. und Philipp II. blickten in erster Linie von oben herab nach unten und sahen die niederländischen Provinzen als ein Ganzes, das weiter zu einem zentral regierten Königreich zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich zusammengefügt werden müsse. Aus der Perspektive des in Brüssel residierenden Karls V. bestand aller Grund, in dem Flickenteppich aus Grafschaften, Herzogtümern, Herrlichkeiten und selbständigen Städten, die zusammen die Niederlande bildeten, eine Vereinheitlichung der Regierung herbeizuführen. Diese Vereinheitlichung hatte bereits unter den Burgundern eingesetzt, und sie passte in das allgemeine europäische Muster. Auch andernorts stärkten die Fürsten die zentrale und provinziale Macht auf Kosten der lokalen Autoritäten, auch andernorts wurde die Macht des Adels eingeschränkt und auch andernorts gab es eine Vereinheitlichung von Recht und Rechtsprechung. Für eine Vereinheitlichung der Verwaltung und eine Zentralisierung der Niederlande sprach nicht zuletzt der enorme Umfang des Reichs Karls V., der ja den deutschen Kaisertitel trug und darüber hinaus in Personalunion noch zwei spanische Königreiche sowie deren überseeische amerikanische Gebiete regierte.

In den Provinzen jedoch blickte man von unten nach oben, und so erhob sich bei den dort vorhandenen regionalen adeligen und bürgerlichen Eliten Widerstand gegen die Zentralisierungspolitik Brüssels. Schließlich drohten diese Eliten ja Macht und Einfluss zu verlieren. In den nördlichen und östlichen Provinzen war überdies die Erinnerung an die jüngste Unterwerfung unter Karl V. noch sehr frisch und die Bereitschaft zu einem weiteren Machtverlust verständlicherweise gering. Dies stellte Karl V. vor ein Dilemma: Einerseits begriff er, dass er die administrative Unterstützung dieser Eliten brauchte, um sein Streben nach Einheit zu einem Erfolg zu machen, und auch für die Finanzierung seiner kostspieligen Kriege war er auf sie angewiesen. Das bedeutete andererseits, dass er, würde er die Interessen der regionalen Eliten zu wenig berücksichtigen, diese Unterstützung nicht in ausreichendem Maße erhielte. Die Folge dieses grundlegenden Gegensatzes zwischen der zentralen Macht und den regionalen Eliten war, dass die Verwirklichung einer stärkeren administrativen Einheit ein sehr schwieriger Prozess war. So ging die Vereinigung dann auch mit starken Spannungen einher, die zur Zeit Philipps II. zu einem wichtigen Faktor beim Aufstand werden sollten.

In der Praxis bedeutete dies, dass eine Mischform aus Altem und Neuem entstand, wobei von Brüssel aus dem bereits bestehenden Verwaltungsnetzwerk einige zentrale Ämter und Einrichtungen hinzugefügt wurden. Von oben nach unten sah die Verwaltung folgendermaßen aus: An der Spitze stand selbstverständlich der habsburgische Fürst selbst (Karl V. beziehungsweise Philipp II.), der als Landesherr in jeder einzelnen Provinz die Macht ausübte. Da sie aufgrund anderweitiger Verpflichtungen oftmals nicht in Brüssel waren, ließen sie sich durch einen Landvogt – zumeist ein naher Verwandter – vertreten. Ab 1531 blieb der Landvogt auch bei Anwesenheit des Fürsten im Amt, wobei er sich allerdings ganz nach den Anweisungen des Fürsten zu richten hatte. Im selben Jahr wurden drei in Brüssel tagende Zentralräte, die sogenannten Kollateralräte, gebildet. Der wichtigste war der Staatsrat, ein einflussreiches Beratungsorgan in internationalen Fragen und »nationalen« Angelegenheiten religiöser, finanzieller und administrativer Art. Seine Mitglieder kamen anfangs aus dem Hochadel und dem Klerus, aber schon bald hielt eine neue Gruppe von Verwaltungsangehörigen Einzug, die Juristen. Bei der Abdankung Karls V. 1555 waren dem Rat neben sieben adeligen Vertretern bereits fünf Juristen beigetreten, sehr zum Missfallen der Erstgenannten, die ihren Einfluss schwinden sahen. Neben dem Staatsrat war der Geheime Rat gegründet worden, der gänzlich aus der neuen leitenden Gruppe von Berufsbeamten und Rechtsgelehrten bestand, täglich zusammentrat und eine regierungsvorbereitende und – ausführende Aufgabe hatte. Schließlich gab es noch den Finanzrat, der – besetzt mit drei Vertretern des Hochadels und drei im Rechts- und Finanzwesen versierten Beamten – die Einziehung der Beden vorbereitete und die Finanzorgane der Provinzen beaufsichtigen sollte.

Wie der König in Brüssel – auf zentraler Ebene – vom Landvogt vertreten wurde, so wurde er in den Provinzen von einem dem Hochadel entstammenden Statthalter repräsentiert. Dieser befehligte nicht nur die Truppen in der Provinz und war für die Wahrung der Ordnung verantwortlich, er trug auch die Sorge für den Besitz des Fürsten, für die Stellung der Kirche, und er spielte in einigen Provinzen eine wichtige Rolle bei der Ernennung von städtischen Amtsträgern. Selbstverständlich stand er in regelmäßigem Kontakt mit Brüssel, sei es, um Rechenschaft abzulegen, beratend tätig zu sein oder Anweisungen entgegenzunehmen. Oft übten die Statthalter ihre Funktion in mehreren Provinzen aus. Wie im weiteren noch verdeutlicht werden wird, sollte sich die Statthalterschaft unter den völlig anderen Bedingungen der Republik zu einer Achse in der politisch-administrativen und militärischen Struktur entwickeln.

Der Statthalter war gleichzeitig befugt, die Provinzialstände zusammenzurufen, in denen seit dem späten Mittelalter der Adel, die Städte und der Klerus vertreten waren. Die wichtigste Funktion der Stände war die Beratung über königliche Geldforderungen. Da der König keine Steuern auferlegen konnte, lag hierin für die Provinzen die Möglichkeit, auch eigene Interessen einzubringen und ein Gegengewicht gegen zentralisierende Tendenzen zu bilden. Ebenfalls aus der burgundischen Zeit stammten die Generalstände, die Versammlung der einzelnen Provinzialstände, die zum ersten Mal 1464 zusammengekommen waren. Auch in den Generalständen ging es zumeist um die Beratung anlässlich königlicher Beden. Unter Karl V. und Philipp II. wurden die Generalstände regelmäßig zusammengerufen, wobei die Vertreter der Provinzen, nachdem sie die Beden vernommen hatten, sich zur »Rücksprache« in ihre Ständekollegien zurückzogen, um anschließend mit der Antwort zu den Generalständen zurückzukehren. Ebenso wie die Provinzialstände entwickelten sich die Generalstände zunehmend zu einer eigenen politischen Körperschaft, welche die Zustimmung zu den königlichen Forderungen an Bedingungen knüpfte und damit ein Gegengewicht zur fürstlichen Machtkonzentration bildete. Übrigens entsandten unter Karl V. und Philipp II. nicht alle Provinzen Vertreter in die Generalstände. Die Provinzen, die Karl V. selbst den habsburgischen Niederlanden hinzugefügt hatte – Friesland, Groningen, Drenthe, Overijssel, Geldern und Utrecht –, hatten durchgesetzt, dass sie hiervon freigestellt wurden und nur bei ganz besonderen Anlässen an einer Großen Versammlung teilnehmen würden. Das war beispielsweise bei der Abdankung Karls V. im Jahr 1555 und der Abreise Philipps II. nach Spanien im Jahr 1559 der Fall.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass unter den Habsburgern stärker als zuvor eine Entwicklung in Richtung auf Zentralisierung und Bürokratisierung einsetzte. Eine neue Gruppe akademisch gebildeter Juristen erlangte in verschiedenen neugegründeten Räten einflussreiche Positionen, wodurch die alte adelige Elite Macht einbüßte. Gleichzeitig nahm der zentralisierende Druck auf die Provinzialstände zu, wobei die Finanznot des Königs in zunehmendem Maße eine Quelle von Konflikten darstellte. Ein stabiler habsburgischer Einheitsstaat, wie er Karl V. und besonders Philipp II. vor Augen stand, lag damit noch nicht in Reichweite. Wie auch in anderen Gebieten Europas war ein composite state (Groenveld) das Äußerste des Erreichbaren: eine Bündelung verschiedener Einheiten, zusammengefügt unter einer einzigen, allgemeinen Verwaltung. In diesem sich bildenden Staat hatten sich die Befugnisse und die wechselseitigen Beziehungen zwischen der zentralen, regionalen und lokalen Obrigkeit noch nicht herauskristallisiert. Die hierbei auftretenden Spannungen sollten in den Jahren des Aufstands eine wichtige Rolle spielen.

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