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6. Hannes bucht

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Am nächsten Morgen bin ich früh auf den Beinen. Vom fünften Stock des Crown Hotels habe ich einen fantastischen Blick auf den geometrisch so vollkomme­nen Kegel des Mount Meru am Horizont. Davor ziehen sich unter dem strahlend blauen Him­mel unzäh­li­ge rostrote Pyramidendächer bis an die grünen Vulkanhänge. Ab und zu blitzt dazwischen auch fabrik­neues Blech in der Morgensonne. Auf den Stadionbän­ken unter mir räkeln sich die bedröhnten Jugendli­chen von gestern Abend. Überall verstreut liegen Pappen herum. Jetzt erst sehe ich, dass nicht wenige der darunter Hervorkrab­beln­den kleine Kinder sind: verwahrloste Straßenjungs, wie es sie in wachsender Zahl überall im Lande gibt.

Alle Welt behauptet, dass diese verdammeleite Immunschwächekrankheit dafür verantwortlich sei, die Abertausend Eltern dahingerafft habe. Ich mag das ja nicht so recht glauben. Verwaiste Kinder gibt es schließlich seit eh und je, immer haben sich Verwandte um sie gekümmert. Dass das heute nicht mehr überall funktioniert, dürfte doch viel eher an der wirtschaftlichen Not liegen, in der sich immer mehr Familien befinden. Not kann böse machen. So viele Waisen­häuser können da gar nicht gebaut werden, wie nötig wären, um all die verstoßenen, als kostenlose Arbeitskraft oder sogar sexuell missbrauchten Kinder aufzufangen. Das trübt den Blick jetzt doch gehörig. Ich mag mir gar nicht ausmalen, welche asozialen Verhält­nisse da auf uns zukommen, wenn diese hoffnungs­losen, sich selbst überlassenen Kids ausgewachsen sind und auf uns los­ge­las­sen werden.

Viel zu lange stehe ich unter der heißen Dusche, meine Haut brennt längst wie Feuer. Welch ein Kontrast! In meiner Hütte in Moshi werde ich mein Lebtag keine solche Dusche haben, geschweige denn im Büro.

Dann gehe ich Petermann wecken. Der hat’s ja eilig. Nach dem Früh­stück klappern wir zusammen mehrere Bankauto­ma­ten ab, wo der Deut­sche jedesmal zentimeterdick Bargeld abhebt. Die nächste Chance dazu gibt’s erst wieder in Mwanza. Obwohl Wochenende ist, stehen vor jeder ATM mehrere Wachmänner rum. Ich lasse mir einen Wochenlohn als Vorschuss aus­zahlen – zweihundertundzehn Scheine! –, besorge mir sechzig Minuten airtime fürs Handy und rufe noch von der Straße aus meine Tante Honorata in Dar es Salaam an. Tatsächlich nimmt sie schon nach dem dritten Klingeln ab.

„Honni, hi, hier ist Hannes! Ich brauche dich!“ Ich weiß, normalerweise fällt man nicht so mit der Tür ins Haus, aber die traditionellen Begrüßungsformeln spare ich mir am Telefon gern einmal. Kosten schließlich nur mein Geld.

„Oh, alter Neffe, du schon wieder? Wie geht’s der Familie? Nyaucho? Hatten? Den Kindern? Meiner Schwester?“

Tante Honorata Rwebusoya ist die kleine Schwester Salmas, der dritten Frau meines Vaters, und mehr als zehn Jahre jünger als ich. Außerdem verdient sie als Übersetzerin einer ausländi­schen „Sicherheits­firma“ in Dar’ seit Jahren viel mehr Geld als ich und ist nicht nur deshalb auch traditionell gebaut.

„Alles bestens. Honni, hilf mir. Ich brauche ein paar Tipps in Mwanza.“

„Mwanza? Was willst du denn am Viktoriasee? Warst du überhaupt schon mal in der Stadt?“ Das Nette an meiner Tante ist, dass sie mir meine forsche Art am Telefon nie übelnimmt. Dafür hält sie mich zuweilen für blöd und unerfahren.

„Einmal, vor Jahrzehnten, ist doch egal. Kennst du da jeman­den, dem ich vertrauen kann?“

„Moment, gleich.“ Nach wenigen Sekunden, in denen ich es rauschen und rascheln höre, nennt sie mir Namen und Adresse einer „engen Freundin von deiner Stiefmutter oben“, Felista Bwire. „Respekt, Hannes, ich warne dich!“ Mama Bwire betreibe in Mwanza als Fischerswitwe das Gästehaus einer klei­nen Genossenschaft, stehe einer Großfamilie vor und sei eng mit Honnis Schwester befreundet. „Am bes­ten rufst du sie gleich an, nicht erst morgen! Sonntags ist sie unerreichbar, da sitzt sie stundenlang in der Messe, ist schwer katholisch, aber voll in Ordnung. Die haben Telefon! Liegt in Kita­ngiri, nicht weit vom neuen Sta­dion. Ich diktier dir die Nummer: 0785 781 463.“

„Klasse, danke.“ Arushas Verkehr rauscht so laut, dass Honni die Nummer dreimal wiederholen muss, bevor ich sicher bin, sie korrekt notiert zu haben. „Hoffentlich hat deine mama Bwire auch ein paar Kontakte ...“

„Hannes, bring mich ja nicht in Verlegenheit! Wie kommst du denn zum See?“

„Weiß ich noch nicht genau. Ich arbeite wieder mit diesem Deut­schen, Jens Petermann, zusammen. Musst du aber nicht gleich rausposaunen. Der zahlt. Sucht da nach einem befreun­de­ten Jour­nalisten, der verschollen oder abgetaucht sein soll. Kann sein, dass auch dein Chef bald was von der Geschichte hört, die deutsche Botschaft jedenfalls weiß schon Bescheid.“

Bei meinem letzten Zusammentreffen mit Petermann hatte Honorata mich am Schluss mit Courage und Beziehun­gen aus dem Knast gepaukt, während ihr Arbeitgeber, die international agierende Sicherheitsfirma „Safety First“, sich im Auftrag der Deutschen Botschaft um Petermann kümmerte. Da gilt es rechtzeitig vor­zu­beugen, dass mir ihre Firma meinen neuen Job nicht streitig macht. Petermanns Freund finde ich auch ohne die!

„Was zahlt dir dein Deutscher denn? Denk dran, mich angemessen zu beteiligen ...“

„Honni, ich hab von dir gelernt. Hab anständig was rausgeholt, 300.000 pro Tag. Du willst doch nicht etwa Geld für Felistas Telefonnummer? Zu spät, Tantchen!“

„Lass gut sein, Hannes. Mein nächster Einsatz kostet dich aber mindestens einen Tagessatz ...“

Nach dem Gespräch mit meiner Tante schlendere ich mit dem Deutschen zu einem nahen Reisebüro, das mit „Safaris in die Serengeti“ wirbt. Wie originell. Mein Auftraggeber überlässt es mir, zu checken, wie wir am schnellsten nach Mwanza kom­men. Während er im roten Plüschsessel wartet, stellt mir eine charmante junge Inderin die wichtigsten Daten zusammen.

„Wir können einen Bus heute Abend um fünf neh­men, fährt über Nairobi, das dauert im besten Fall zwanzig Stunden. Morgen früh fährt einer durch die Serengeti, der braucht planmäßig zehn, im Normalfall mindestens fünfzehn Stunden. Fliegen würde nicht ganz billig, kostet um die 500 Dollar für uns beide, das Zehnfache vom Bus. Morgen Vor­mittag gäb’s einen Direkt­flug vom Kilimanjaro nach Mwanza, dauert wenig mehr als eine Stunde. Egal wie, morgen Mittag können wir am See sein.“

Petermann hat sich schnell entschieden. „Ich steh nicht so auf Ihre Busse, Hannes. Das Verlässlichste und Sicherste ist ja wohl das Fliegen, oder?“ Na, bravo, wo ich doch noch nie in so einer überproportionierten Zigarre gesessen habe. Wovon, zum Teufel, bezahlt der Mann das alles? Ist er am Ende vielleicht selbst ein Agent?

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