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8. Hannes fliegt

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Es lebt sich gut von den Spesen eines mzungu. Nach einem ausgiebigen Frühstück mit mindestens vier gequirlten Eiern und ordentlich Speck holt uns Sonntagmorgen um acht wie bestellt das Taxi ab. Eine knappe Stunde später stehen wir vor dem Niceness-Air-Schalter am Flughafen. Während ich nur Handgepäck da­bei habe, checkt Jens einen gehörigen Koffer ein. Allmäh­lich macht sich doch ein wenig Nervosität in mir breit: Mein erster Flug! Bisher war ich mit unseren noto­risch unzu­verläs­sigen Bussen am Boden immer gut bedient. (Den Trip im Polizeihubschrauber damals aus Kilwa zurück nach Dar’ habe ich seit Jahren verdrängt und vergessen.)

„Ist da ihr halber Haushalt drin?“, frotzele ich meinen Auftrag­ge­ber scherzhaft an.

„Nein, aber Flossen und Tauchermaske nehmen schon eine Menge Platz weg. Und Gewicht!“

Die Frau am Gepäckschalter mischt sich lächelnd ein. „Da haben sie hier nichts zu befürchten! Kostet höchstens ein paar Dollar extra ... Die Abfluggebühr aber müssen Sie auf jeden Fall noch bezahlen.“

„Ich doch nicht!“, empöre ich mich und wedele mit meinem tansanischen Reisepass vor ihrer Nase rum. War diese Gebühr nicht sogar ausdrücklich „im Ticketpreis enthalten“?

„Okay, aber ihr Begleiter. Macht fünf Dollar.“ Petermann zückt einen Fünfer, dann winkt sie uns durch zur Sicherheits­kontrolle. Erst durch die Schleuse, dann Arme hoch, Beine auseinander, fast so, wie bei mei­ner letzten Festnahme. Kurz darauf wandern Peter­mann und ich mit vielleicht fünfzig anderen Passagieren übers Flug­feld. Der Deutsche, bei weitem nicht der einzige mzungu unter den Leuten, muss einem Uniformierten nochmal seinen Koffer zei­gen, der mit dutzenden anderen vor dem Flugzeug aufgereiht ist, dann steigen wir die Treppe zum seltsam schmalen Flieger der tansanisch-kenyanischen Fluggesellschaft hoch. Diese zwei mickrigen Pro­peller sollen uns durch die Lüfte tragen?

Welcome on board, Sir!“ Das freundliche Grinsen des Ste­wards entspannt mich nicht wirklich. Gern überlasse ich Peter­mann den Platz am Fenster, auch wenn er sich mit seinen langen Beinen da etwas quetschen muss. Wer am Gang sitzt, kommt schneller wieder raus. Irritiert schaue ich mich dann in der engen Röhre um. Vorne tritt gerade ein kräftig gebautes wazungu-Pärchen zusammen mit einem etwas gedrungenen, aber eben­falls breitschultrigen Schwarzen in den Gang. Alle drei wedeln mit ir­gend­einem Ausweis herum und werden vom Bordpersonal über­aus zuvorkommend auf die vordersten Plätze verwiesen. Der vierte Sitz in ihrer Reihe bleibt leer.

Dem Prospekt im Gepäcknetz vor mir entnehme ich, dass wir demnächst in fünf Kilometern Höhe 500 km/h schnell übers Land fliegen werden. Flögen wir statt nach Westen gen Osten, würden wir glatt gegen meinen Kili klatschen, wie beruhigend. Dann geht alles recht flott. Dröhnend starten die Motoren, die Propeller fangen an Luft zu schaufeln, und schon rollen wir wie an einem unsichtbaren Seil gezogen auf einer gelben Linie über die weite, asphaltierte Fläche des Vor­felds gen Osten. Keine drei Minuten später dreht sich das Flug­zeug 180 Grad um seine Achse und röhrt sofort fürchterlich auf. Wir starten! Und schwupps, schon sind wir in der Luft, kein steiles Aufbäumen, einfach so. Im flachen Winkel steigend, liegt Arusha unter uns, im Norden flankiert vom unnachahmlichen Mount Meru.

„Ladys and Gentlemen! Karibu!“, tönt es kurz darauf aus den Bordlautsprechern. „Hier spricht ihr Co-Pilot. Will­kom­men an Bord unserer modernen ATR 72. Wir wünschen Ihnen einen an­ge­nehmen Flug an den Viktoriasee nach Mwanza, wo wir plan­mä­ßig um elf Uhr vierzig landen sollen. Das Wetter dort ist präch­tig, auch für unsere Flugroute wurde uns ruhiges Wetter vor­hergesagt. Aus Sicherheitsgründen empfehlen wir Ihnen trotz­­dem, während des gesam­ten Flugs angeschnallt zu blei­ben. Sobald wir unsere Reise­flughöhe erreicht haben, wird Ih­nen das Bordpersonal eine kleine Erfrischung reichen.“

Ein Sprichwort sagt, dass jemand, der den Regen preist, gleich selbst im Regen steht. Ich hoffe nicht, dass sich dies hier bewahrheitet. Mein Puls hat sich tatsächlich fast normalisiert, allmählich kann ich wieder denken. „Ist das normal, dass vorn Security sitzt?“, fra­ge ich Petermann.

„Wieso Security?“, fragt er zurück. Sehen kann er von sei­nem Platz aus nichts. „Normalerweise sind vorne die überteuerten Sitze der Busi­ness Class, die für die VIPs.“

„Na ja, bei uns haben sich da drei Gorillas breit gemacht, die silberblonde Frau gehört dazu, da vorn, zwei weiß, einer schwarz. Sieht weniger nach Geld denn Einfluss aus.“

„Die gibt’s wohl überall. Wichtigtuer.“ Jens scheint es inter­es­santer zu finden, sich die Nase am Fenster plattzu­drü­cken. „Un­ter uns macht sich gleich die Serengeti breit! Ein Welt­wunder!“

„Von dem wir hier oben nicht wirklich etwas sehen wer­den ...“ Mir ist schummrig genug so knapp vorm Weltall.

Petermann hingegen scheint den Flug zu genießen, der Mann strahlt übers ganze Gesicht. „Na ja, immerhin fliegen wir nicht besonders hoch. Ich glaube schon, dass man größere Herden wandern­der Gnus aus fünf, sechs Kilometern Höhe ausmachen kann. Ist doch gerade die Zeit dafür, oder? Millionen Weide­tiere auf dem großen Treck nach Norden!“

Wenige Minuten später tut sich unter uns tatsächlich die Erde auf: Mein Stuhl stürzt ab! Und ich obendrauf! „Meine Da­men und Herren!“, meldet sich jetzt die weibliche Stimme einer Stewardess aus dem Lautsprecher. „Bitte schnallen Sie sich an. Wir durchfliegen gerade eine Zone heftiger Turbu­len­zen, das ist über dem Großen afrikanischen Graben völlig nor­mal. Es besteht absolut kein Grund zur Besorgnis!“ Das Flug­zeug und wir werden ziemlich durchgeschüttelt, aber offenbar fallen wir wirklich nicht vom Himmel. Rechts im Fenster sehe ich am Horizont den Kegel des Ol Doinyo Lengai dampfen, des heili­gen Bergs der Masai, der so viele Broschüren schmückt. Ich re­cke mich ein wenig, um besser sehen zu kön­nen, und erha­sche dabei auch einen Blick durch die Fenster vor uns. Dort baut sich etwas ganz anderes auf: ein riesiger, undurch­dring­licher Berg schwarzer Wolken, wo alle paar Sekunden Blitze zucken! Da kommen wir doch nie und nimmer durch!

Als unter uns gerade unser Welt­naturerbe, der weltgrößte Ngoro­ngoro Crater, entlangzieht, kracht es quer durch die Maschine. Mehrere Passagiere, auch die drei Gorillas auf den Luxussitzen, werden hochgerissen, der lange mzungu knallt mit dem Kopf gegen die Deckenverkleidung. Mich hält glücklicher­weise mein Gurt zurück, auch Jens ist angeschnallt. Über den Köp­fen der Passa­giere fliegen ein­zelne Ge­päck­fächer auf, Köffer­­chen, Kör­be und Laptop­taschen fallen heraus und den da­run­ter Sitzen­den auf Kopf und Schoß. Schreie hallen durchs Flugzeug. Gleich bricht hier die Panik aus! Mir sackt das Herz in die Hose, jetzt geschieht es wirklich: Wir stürzen ab! Ver­dammt, warum muss sowas immer ausgerechnet mir pas­sie­ren?

„Meine Damen und Herren!“, krächzt es erneut aus dem Laut­sprecher, „Hier spricht ihr Kapitän.“ Der Mann spricht Swahili. „Bitte bewahren Sie Ruhe. Das Flug­zeug wurde gerade von einem Blitz getroffen. Kein Grund zur akuten Sorge, darauf sind die Maschinen ausgelegt. Einen Scha­den können wir allerdings nicht völlig ausschließen. Vor uns liegt zudem eine Zone heftiger Gewitter, die wir weder über? noch umfliegen können. Das Wetterge­schehen überrascht manchmal sogar den bordeigenen Radar, auch die Flug­kon­trolle hat uns nicht gewarnt. Weil sich diese Gewitter­front ungewöhnlich schnell vergrößert und verlagert, habe ich mich entschlossen, nicht umzukehren, sondern unsere Rei­se­flug­höhe sofort zu ver­lassen und eine Sicherheitslandung auf der vor uns liegenden Piste von Seronera einzuleiten.“ Heftiges Raunen erfasst die Passagiere, der Kapitän aber spricht ruhig weiter. „Meine Damen und Herren, bitte wahren Sie die Ruhe. Alles ist unter Kon­trolle, dies wird keine Notlandung. Die Flug­sicherung ist infor­miert und hält uns den Luftraum frei. In wenigen Minuten wer­den wir auf der Landebahn aufsetzen. Zuvor werde ich die Piste einmal in geringer Höhe überfliegen, um Tiere zu verscheuchen. Beim Landen dann kann es ein wenig rumpeln, auch müssen wir etwas schärfer bremsen als ge­wohnt, aber bleiben Sie locker: Die Piste ist trocken und lang genug. Aus Vorsicht ziehen Sie bitte Ihre Sicher­heits­gurte be­son­ders fest und nehmen bei der Lan­dung, wenn Sie von mir das Kommando ‚Brace, brace!’ hören, die für einen außergewöhnli­chen Fall wie diesen vorgese­hene Sicherheits­haltung ein: Beu­gen sie den Oberkörper nach vorn, senken Sie ihren Kopf auf die Knie und verschränken Sie die Hände im Nacken. Ich wiederhole: Dies wird keine Notlandung. Sie werden das Flugzeug auf gewohntem Weg verlassen können. Ich bedanke mich für ihr Verständnis. Gott sei mit uns.“ Noch­ einmal knarzt es laut und vernehmlich, dann herrscht Ruhe.

In Momenten größter Gefahr wird man entweder panisch oder stoisch. Ich würde gern meine Wut herausbrüllen, erinnere mich aber rechtzeitig an das kluge Wort: Auf Wut folgt Zerstörung! Auch Besatzung und Passagiere scheinen sich für die ruhige Variante entschieden zu haben. Niemand schreit, selbst die Babys auf dem Schoß der vorn sitzenden Mütter haben auf­ge­hört zu blä­ken. Mein Gangnachbar faltet die Hände, gewiss nicht nur er fängt an zu beten. Meine Trommelfelle knacken und fangen bedenklich an zu schmerzen, Spuckeschlucken hilft. Bevor wir uns versehen, taucht braun-grün die Steppe der Serengeti unter uns auf.

Wir drehen einen Kreis über der Landebahn, dann gibt der Pilot das angekündigte „Brace!“-Signal, alle wapp­nen sich und ich verkrieche mich zwischen meinen Knien und Ellenbo­gen. Keine zehn Sekun­den später knallt das Heck der Maschine hart auf dem Boden auf, direkt danach auch das Bugrad, das mehr­fach auf- und abfedert, dann rasen wir, Staub aufwir­belnd, über die Piste. Die ersten lösen sich aus ihrer Angststarre und be­gin­nen laut zu schreien. Dann werden wir extrem in die Gurte ge­presst, die Bremsen greifen. Jetzt traue ich mich, mich aufzu­richten und rauszuschauen. Sofort krieg ich wieder das Grausen: Wieso laufen die Propeller noch? Petermann guckt mich an und deutet mein Erschrecken richtig. „Keine Bange, Hannes, die Rotorblätter sind verstellt, die helfen jetzt beim Bremsen.“ Und tatsächlich: Schon stehen wir.

Am Rand der Staubpiste, auf der unser Flugzeug aufge­setzt hat, stehen zwei Giraffen und glotzen. Jetzt erst fällt die Angst von mir ab. Auch die anderen Passagiere fangen an zu lachen und klatschen, niemand scheint ernsthaft verletzt. Viele stehen bereits und drängen in den mit Gepäckstücken über­säten Gang. Nur keine Panik jetzt! Das Bordpersonal sprich beruhigend auf die Leute ein und bemüht sich, die Ausgänge freizumachen. Dann werden die in die Türen eingebauten Trep­pen ausgeklappt – nichts wie raus hier!

Unvermutet stehen wir mitten in der überhitzten Serengeti. Am Rande des Geländes sieht man Antilopen grasen, da dürften Raubtiere nicht weit sein. Die sollen uns bloß in Ru­he lassen! Unsere Landung kam der­art plötz­lich, dass außer uns nirgends ein Mensch zu sehen ist. Im Osten verdunkelt die Gewitter­front, die uns zur Landung zwang, den Himmel, uns aber ver­sengt die Tropen­son­ne. In der Nähe eines strohbedeckten Unterstands mit zwei, drei Bäumen davor parken drei Kleinflugzeuge. Es scheint weit und breit der einzige Ort, der Schatten verspricht. Kaum anzunehmen, dass wir alle unter das Dach passen. Für Petermann und mich, die als eine der ersten an der Hütte sind, reicht es noch. Auch die drei Wichtigtuer haben es sich bequem gemacht und testen ihre mobiles. Ich kann mir kaum vorstellen, dass sie hier Empfang haben.

Es dauert eine Weile, bis auch der Flugkapitän sich zu uns gesellt und zu einer kleinen Rede ansetzt. Angesichts der überstande­nen Gefahr fällt er zurück ins Offizielle und spricht uns auf Englisch an. „Ladys and Gentlemen! Ich be­dan­ke mich, dass sie ruhig geblieben sind und keine Panik haben aufkommen lassen. Damit haben Sie uns allen einen großen Dienst erwiesen. Wie bereits erwähnt, bestand zu keinem Zeit­punkt akute Gefahr, weder für das Flugzeug noch für Sie. Aber eine außerplan­mäßi­ge Landung wie diese machen auch wir Pilo­ten nicht alle Tage. Ich weiß nicht, ob hier überhaupt schon mal eine so große Maschine runtergegangen ist.“ Während wir genauso wie die drei Gorillas abgeklärt in die Landschaft blicken, kommt unter den ande­ren Zuhörern Beifall auf. Ich bin überhaupt nicht stolz darauf, der erste zu sein, der hier mit so einem unpassend großen Ding heil gelan­det ist! Das hätte, mit Ver­laub, auch richtig in die Hose gehen können! Der Kapitän aber fährt ungerührt fort:

„Als eine Geste des guten Willens und zur Beruhigung der Gemüter möchte ich Ihnen jetzt zuerst einmal vorschlagen, dass wir gemeinsam die Bar unseres Fliegers plündern.“ Nun hat der Mann mich doch auf seiner Seite. „Vielleicht könnten einige von Ihnen unseren Stewards dabei helfen, die Getränke hierher in den Schatten zu schaffen. Danach sollten Sie auch ihr Gepäck aus dem Flugzeug holen ...“ Der letzte Satz lässt die Leute augenblicklich unruhig werden. „Warum das denn, zum Teufel?“ „Was soll das heißen?“ „Flie­gen wir etwa nicht weiter?“ „Ich habe Termine!“

„Bitte beruhigen Sie sich, ich werde Ihnen unsere Lage gleich erklären.“ Ersteinmal aber verteilt die Besatzung jetzt ihre gut gekühlten Döschen Cola, Beck’s und Viertelliterflaschen Was­ser. Als wenn das lange reichen würde! Dann spricht der Kapitän weiter:

„Nach unserer Landung habe ich als erstes die Flugsi­che­rung in Arusha verständigt, die mir gratulierte, zugleich aber auch verbot, die Maschine erneut zu starten, bevor sie nicht inspiziert worden ist. Daran habe ich mich zu halten. In Arusha blitzt und hagelt es seit einer guten Stunde Höllen­hun­de. Doch auch vom Ostufer des Viktoriasees werden schwere Gewitter gemeldet. Der Flugverkehr zwischen Arusha, Muso­ma und Mwanza ist eingestellt. Insofern wird das mit der Inspek­tion sicher noch ein wenig dauern. Wir befinden uns hier in Sero­nera in einer isolierten Schönwetterzone. Über die Zu­stän­de auf den Zufahrtsstraßen weiß ich noch nichts, nehme aber an, dass es die auch ganz schön erwischt hat. Ehrlich gesagt, rechne ich nicht damit, dass irgendwer von Ihnen die Serengeti heute noch ver­las­sen wird.“ Empörtes Raunen macht sich in der Menge breit, aber der Kapitän lässt sich weder irritieren noch unterbrechen.

„Wir haben die Parkverwaltung über unsere unplanmäßige Anwesenheit informiert. Die hat ja, wie manche wissen dürften, nur wenige Kilometer entfernt ihr Hauptquartier. Von dort sind einige Kleinbusse unterwegs, die bald eintreffen dürften und Sie ins Parkzentrum nach Seronera bringen werden, wo man sich weiter um sie kümmern und auf dem Laufenden halten wird. Selbstverständ­lich kommt Niceness Air für sämtliche Un­kos­­ten auf.“

Klingt ja irgendwie ganz reizvoll: Ein Aufenthalt mitten zwischen Grzimeks Wanderherden, genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort, ohne einen Shilling dazuzuzahlen. Nur ein einziges Mal habe ich das bislang erleben dürfen, als Schüler unserer Abschlussklasse vor mehr als zwanzig Jahren. Mein Trip mit Jens Petermann entwickelt sich zur Entdeckungsreise, noch bevor wir überhaupt angefangen haben, seinen Freund zu suchen. Als hätte ich darauf mein Leben lang gewar­tet.

Das Erbe der MV Bukoba

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