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9. Agenten in der Serengeti

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Unfassbar, wie beschissen die Wettervorhersagen hier sind! Da hätten wir bei drauf gehen können!“ Charles McKune – so zumindest steht’s in seinem Pass – sitzt bei seinem vierten Bier auf der Terrasse der Seronera Lodge und hat absolut keinen Blick für die grandiose Umgebung um ihn herum. McKune’s blaue Augen sind rot unterlaufen, die helle Haut im Gesicht verbrannt und auf­gequollen. Hals und Kopf gehen bei diesem Bild von einem weißen Afri­kaa­ner fließend ineinander über. Von Tarnung kei­ne Spur – was unterscheidet einen Agenten schon vom Tou­risten? Seine platinblonde Führungsoffizie­rin Susannah, weder hübsch noch hässlich, dafür genauso breit­schultrig wie ihr angeblicher Ehe­mann Charles, ist stock­­­nüch­tern, weil im Dienst. Wütend pflich­tet sie ihrem Kollegen bei. „Das hätte nie passie­ren dürfen! Die hätten doch nur ein paar Kilometer weiter südlich zu fliegen brau­chen, dann säßen wir jetzt nicht mitten in dieser elenden Steppe fest! Serengeti! Wenn ich das schon höre! Fleischfresser und Dickhäuter haben wir zuhause doch im Überfluss!“

Das Paar ist seit 24 Stunden unterwegs. Vorgestern kam der Befehl, für eine vernünftige Vorbereitung des Einsatzes blieb ih­nen kaum Zeit. „Am Viktoriasee geistert ein deutscher Starjour­nalist herum. Dessen Aktivitäten gefährden die Staatsräson. Stop­pen Sie ihn.“ Es folgten Arbeitgeber, letzter Aufenthaltsort (Mwanza), Name, Alter, Passnummer und das Passfoto eines Mittvierzigers mit vollem Haar. „Der Mann ahnt, dass sich im Wrack der Bukoba brisante (plofbare!) Armscor-Dokumente über Südafrikas Verwicklung in den regionalen Waffenhandel befin­den könn­ten. Er will danach tauchen. Kommen Sie ihm zuvor oder beschlagnahmen Sie seinen Fund. Der Einsatz besonderer Mittel ist erlaubt. Vermeiden Sie Aufsehen. Achtung: Sowohl befreundete (CIA, DGSE, MI6, BND) als auch feindliche Dienste (MSS, SWR) sind mit von der Partie.“ Gestern Vor­mittag dann der dreieinhalbstün­dige Flug von Johannesburg nach Dar es Salaam, wo sie ihr Militärattaché abfing und zum Kilimanjaro umleitete. Was folgte, war ein elend langes War­ten auf den Anschlussflug, dann eine im­pro­vi­sierte, kurze Nacht in einem versifften Hotel in Arusha, alles nur, damit der CIA-Kollege Mohammed King sie dort heute Morgen würde briefen können. Eigent­lich hätten sie längst in Mwanza sein sollen und ihren Kontakt­mann Godwell treffen müssen, so war der Plan.

Das Gespräch mit dem legendären Mohamed King hatte ihnen dann auch noch den Tag verhagelt. Nicht unbedingt arrogant, aber mit diesem so typisch ignoranten Selbstbewusstsein des US-Amerikaners hatte der zerknittert wirkende CIA-Mann ihnen umständlich wie kleinen Kindern den Ursprung des Alarms erklärt: Executive Output ist mit im Spiel! Nur weil die NSA de­ren Namen in Verbindung mit der Erwähnung Osama bin Ladens aus dem Datenwust routinemäßig abgefangener Tele­fon­ge­sprä­che einer Hamburger Redaktion he­raus­gefil­tert hatte, wuss­ten sie überhaupt etwas vom Vorhaben des deut­schen Journalisten Gerd Koerner. Darüber hatte die CIA dann neben anderen auch den SASS informiert. Eher unwahrscheinlich, dass die NSA-Analys­ten den viel näher liegenden bedrohlichen Zusammenhang zwi­schen „diving“ und „Bukoba“ erkannt hätten.

Executive Output – diese Paramilitärs, die sich an kei­nerlei Regeln halten! Wie soll man mit solch freischaffend arbeitendem Pack auf der Bühne den guten Ruf Südafrikas retten? Wenn die schneller sind und tatsächlich irgendwelche Belege in die Hand bekommen, wer wann wie ohne warum mit wie vielen Waffen von Arm­scor versorgt worden ist, gibt’s am Ende glatt ´ne Schie­ße­rei! Dafür hat man sie schließlich losgeschickt: Zur Geschäfts­sicherung. Natürlich wäre es auch ganz nett, imageschä­digende Berichte über ihren Natio­nal­hel­den Madiba zu ver­hindern. Hat viel riskiert, der Mann, nicht erst als Vermitt­ler in Burundi. Kein Schatten soll auf sein Erbe fallen.

Mohamed King hat kein Problem mit nüchternen, blon­dierten Kolleginnen, mit Alkohol hingegen schon. Der gedrun­gene, höchstens ein Meter fünfundsiebzig große Mann, einer der wenigen schwarzen West Point Absolventen, hat schon bessere Tage gesehen. Jetzt ist er Ende vierzig und zum Erfolg ver­dammt. Sonst kann er abtreten. Stationiert in Nairobi, hatte er die SASS-Kollegen heute Morgen nach Arusha zum Briefing eingeladen. Das Verhältnis zwischen CIA und SASS war zwar seit Ende der Apartheid zuweilen leicht gespannt, aber alte Bande halten lange. Natürlich waren die Südafrikaner der Einladung gefolgt, schon allein aus Eitel­keit.

In dieser Sache schien es King, dass sich seine Interessen be­zie­hungs­weise die der USA mit denen Südafrikas weitgehend deckten: Niemand konnte wollen, dass beider Länder Verwick­lung in den schwunghaften Waffenhandel mit der ruandi­schen Patriotischen Front, die 1994 die Völkermörder aus Kigali ver­trieb, oder mit den später siegreichen Rebellen der CNDD Bu­rundis bewiesen wird, geschweige denn, dass man auch die je­wei­ligen Gegner der heute in Ruanda und Burundi Herr­schen­den stets prächtig mit Kriegsgerät versorgt hatte. Da könnten manche Leute leicht auf die Idee kommen, dass sich dies bis heute fortsetzt, angesichts der anhaltenden Kleinkriege gar bis weit in den Kongo hinein ausgeweitet habe. Das Image Washingtons wie auch das der Regierung in Johannesburg als selbstlose Frie­dens­stifter, natür­lich immer gern auf Seiten der Sieger, würde in jedem Fall Schaden nehmen.

Genau das aber, unwiderlegbare Beweise zu liefern für das doppelte Spiel der USA und Südafrikas bei den Machtkämpfen um die Rohstoffe im Gebiet der Großen Seen, schien sich dieser deutsche Enthüllungs-Journalist Gerd Koerner vor­ge­nommen zu haben, vor dem die gesamte Szene warnt. Wrack­tauchen im Viktoriasee! Was für eine beknackte Idee!

Es war ja tat­sächlich gar nicht so unwahrscheinlich, dass Al-Kaidas zweiter Mann Abu Ubaidah al-Banshiri, der damals mit der Fähre absoff, ein Archiv feindlicher Erkenntnisse bei sich trug. Zumal in den Tagen zuvor auch noch das Gerücht die Runde machte, Söldner von Executive Output hätten sich im Sudan einen Koffer klauen lassen. Die Inhalte gehen selbstverständlich niemanden außer der Agency etwas an. Sollte an dem Gerücht was dran gewesen sein und auch Al-Kaida etwas von den Plänen dieses deutschen Journalisten mitbekommen haben, könnte sich vielleicht sogar ein weiterer Grund auftun, die Sache im Auge zu behalten: Dann würden hier nämlich alsbald auch bekannte Figuren auftauchen, hinter denen King schon lange her ist, allen voran das brandgefährliche Oberarschloch Fazul Abdullah Muhammad.

Nach­dem die Islamisten-Bande damals ihr Hauptquartier in Khar­toum überstürzt hatte aufgeben müssen, war al-Banshiri vor dem Untergang zwei Tage auf der Flucht. Der hatte seine Dossiers kaum unter­wegs irgendwo sichern oder loswerden können. Eher erstaun­lich, dass die­ses mögliche nachrichtendienstliche Leck nicht längst entdeckt und gestopft worden war! Ist denn nie­mand von den Jungs in Langley vorher mal darauf gekommen und runter­getaucht? Das hätte man doch spätestens vor zwei Jahren beim Einsatz an der abgestürzten russischen Iljuschin vor Entebbe neben­bei erledigen können. Da waren Gerät und genügend Spezialisten vor Ort. Statt­dessen muss er jetzt hastig improvisieren und sich mit zwei weißen Afrikaanern arrangie­ren, weil angeblich nur diese beiden auf die Schnelle über die nötigen Kontakte vor Ort verfügten.

Aber warum zum Teufel schickten die Springboks auch ausgerechnet ein weißes Pärchen? Die fallen hier doch auf wie Vollmond! Mit gut ausgebildeten, unsichtbaren Wrack-Spezia­lis­ten der südafrikanischen Navy hatte King ge­rech­net, nicht aber mit einem Doppelpack unerfahrener weißer Heiß­sporne. Viel zu spät hatte er sich deren Personal­ak­ten kom­men lassen. Wie er mit diesem „Ehepaar“ McKune unbemerkt in Mwanza ope­rie­ren, vielleicht sogar tauchen gehen soll, ist ihm schlei­erhaft. Erst recht, nachdem sich auch noch dieser Executive-Blödmann Piet van Vegan in Bukoba hat festnehmen lassen und die tansanischen Be­hör­den aufge­scheucht hat! War der etwa schon am See gewe­sen und hatte Koerner beseitigt? Lief deshalb die Vermissten­mel­dung über Interpol? Dann besäßen jetzt auf jeden Fall die Falschen das Material aus der Fähre.

Als der CIA-Mann sich mit zerknittertem Jacket zu seinen afri­kanischen Kollegen auf die Aussichtsterrasse setzt – sein gesamter Aufzug hat unter der Beinahe-Notlandung arg gelitten –, ist er spürbar distanziert. Hinter der Brüstung, nur wenige Meter entfernt, weiden zwischen Dornbüschen und Felsen friedlich eine Handvoll Thomson-Gazellen.

„Auch ein Bier? Gutes Kilimanjaro ...“ Der Akzent des rotwangigen SASS- Kollegen klingt breiter als erwartet.

No, thanks. Let’s talk about our next steps ...“

„Welche Schritte sollen hier wohl möglich sein? Wir sitzen fest, verdammt“, antwortet Charles McKune genervt.

„Reden Sie keinen Mist, Mann, die sind doch gut organisiert hier. Ich will hier heute noch weg!“ Der Ärger knautscht nach seinem Anzug jetzt auch noch Kings Gesicht.

„Können’se vergessen! Wir befinden uns im tiefsten Afri­ka! Schwarzafrika! Und nebenbei: Wieso sollten wir überhaupt zu­sam­men reisen?“, nörgelt Kollege Charles weiter, eindeutig angetrunken. „Außerdem hab ich mir den Nacken verrenkt ...“

Genervt unter­bricht seine Chefin Susan­nah das Ge­plänkel. „Char­les, halt mal die Klappe.“ Die Frau hat Stil! „So­bald sich das Unwetter verzogen hat, mieten wir uns eine der Cessnas, die auf dem Flugfeld standen. Da reicht schon die kleine Skyhawk, die ich gesehen habe, sind ja kaum noch 200 Kilometer bis zum See. In einer Stunde sind wir drüben.“

Tatsächlich gelingt es den drei Agenten noch am gleichen Nachmittag, einen Piloten zu finden, der starten mag. Kurz vor Sonnenuntergang checken sie in Mwanzas teuerstem Hotel ein, dem Royal Ochid Malaika Beach Resort im Stadtteil Ilemera.

Das Erbe der MV Bukoba

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