Читать книгу Mutti, warum hast du mich nicht lieb? - Gabi P. - Страница 9

Schöne, unbeschwerte Kinderzeit…

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Aber vorher durfte ich Mutti dieses Jahr zum ersten Mal in ihrem neuen Zuhause in der Großstadt besuchen. War das aufregend. Ich versuchte mir auszumalen, wie es in Muttis Wohnung wohl aussehen würde, und ob es da auch Spielzeug für mich gab? Was würden wir wohl dort alles zusammen unternehmen? Tausend und eine Frage ging mir immer wieder durch den Kopf. Nicht so schön fand ich, dass meine Großeltern nicht mit mir zusammen zu Mutti fahren konnten. Aber Oma hatte mir erklärt, dass Opa arbeiten müsse und leider keinen Urlaub bekam, um mit in die Großstadt zu fahren. Schade ...


Dann war endlich der Tag da, wo Oma den kleinen Reisekoffer für mich packte und Mutti am Mittag kam, um mich abzuholen. Für mich war das sehr aufregend und ein richtig großes Abenteuer. „Such dir was zum Spielen aus was du mitnehmen willst. Und am besten nimmst du auch dein Malbuch und Buntstifte mit“ sagte Oma. ‚Aha‘ dachte ich bei mir. ‚Also doch keine Spielsachen bei Mutti – schade.‘ Mir schwante, dass es bei Mutti ganz anders sein würde, als ich mir das vorstellte. Und ich sollte Recht behalten…


Am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück ging die Reise los. Mit dem Zug in die große Stadt. Ich fuhr für mein Leben gerne Zug. Da gab es so viel zu entdecken und man konnte so herrlich die Nase an der Fensterscheibe platt drücken und die schnell vorbeiziehende Landschaft beobachten.

Mutti und ich fanden einen Platz im großen Waggon und natürlich wollte ich am Fenster sitzen. Uns gegenüber saß ein Herr, der uns freundlich anlächelte und Mutti beim Verstauen unseres Gepäcks half. Selbstverständlich knüpfte sie schnell Kontakt mit dem freundlichen Herrn und ich beobachtete sie dabei, wie sie sehr vornehm tat. Das befremdete mich, denn so kannte ich meine Mutti noch gar nicht. Während sie plauderten, sah ich lieber aus dem Fenster und bewunderte die Landschaft. Die Zeit im Zug verging wie im Fluge und dann waren wir endlich da.

Ich stellte schnell fest, dass diese Stadt wesentlich größer war als unsere beschauliche Heimatstadt. Und es war auch viel lauter, denn es gab viel mehr Autos, Busse und sogar Straßenbahnen. Straßenbahnen kannte ich bis jetzt nur aus Bilderbüchern. Viele Menschen eilten hektisch hin und her. Und irgendwie roch es gar nicht so gut. – Aber all das nahm ich nur am Rande wahr, denn jetzt war ich schon sehr gespannt auf Muttis Zuhause.

Zu meinem Erstaunen ging es aber zuerst in ein Café. Sie öffnete die Tür zu dem Caféhaus und wir traten ein. Drinnen roch es angenehm nach Kaffee, Kuchen und allerlei Gebäck. Es war viel Betrieb und eine Bedienung lief geschäftig hin und her. Hinter der großen Kuchentheke stand ein dunkelhaariger Mann mit goldgeränderter Brille. Als er uns sah, lächelte er und kam eilig auf uns zu, um uns zu begrüßen. Ich gab ihm artig die Hand und machte einen Knicks. Mutti war richtig stolz auf mich, was in meinem späteren Leben leider nur noch höchst selten bis gar nicht mehr vorkam. – Ja, ich war halt immer noch klein und niedlich, und man konnte mich in meinen entzückenden Kleidchen so herrlich vorzeigen. -

„Hier arbeitet die Mutti“ sagte sie und beugte sich zu mir runter. Noch etwas schüchtern sah ich mich um. Eine Bedienung, die meinen neugierigen Blick bemerkte, winkte mir freundlich lächelnd zu. Dann verließen wir das Café wieder und fuhren mit dem Aufzug nach oben in die Wohnung, in der Mutti nun lebte. Ich kam durch einen dunklen Flur in ein recht großes Wohnzimmer mit wuchtigen, vornehm aussehenden Möbeln und einem dicken Teppich. Schüchtern stand ich da und sah mich neugierig um. Alles war so fremd… Mutti zog mir den Mantel aus und ermunterte mich auf dem Sofa Platz zu nehmen. Dann sah ich auf einem kleinen Tischchen nahe dem Fenster einen bunt karierten Regenschirm liegen. Mutti war meinem Blick gefolgt und sagte lächelnd: „Geh nur hin, der ist für dich.“ Ich freute mich über das kleine Willkommensgeschenk. „Wenn es mal regnen sollte hast du jetzt auch einen schönen Schirm und wirst nicht nass. Den kannst du sicher auch für die Schule gut gebrauchen.“ Ich nickte und betrachtete die neue bunt karierte Errungenschaft strahlend. „Danke!“, sagte ich artig und gab Mutti einen Kuss auf die Wange.

Dann sah ich mich weiter in ihrer Wohnung um. Sie stand während dessen vor dem Spiegel und sah nach, ob ihr Make-up auch nicht verrutscht war, und zog sich die knallrot geschminkten Lippen nach. „Sei vorsichtig und mach nichts kaputt“ ermahnte sie mich. „Ich passe schon auf“ erwiderte ich. Nach einer kleinen Weile nahm meine Besichtigungstour ein Ende, denn meine Mutter nahm mich an die Hand und sagte: „So, nun komm, wir müssen wieder nach unten gehen. Mutti muss noch arbeiten und du hast doch bestimmt auch Hunger, nicht wahr?“ „Waaaas?“, rief ich entrüstet und enttäuscht. „Aber ich dachte du hast jetzt Zeit für mich und wir spielen was zusammen oder so ...“, rief ich vorwurfsvoll. „Heute nicht. Morgen habe ich mehr Zeit für dich. Es gibt hier in der Nähe einen wunderschönen großen Zoo mit ganz vielen interessanten Tieren und da wollen wir morgen hin. Aber nur, wenn du heute schön lieb bist und die Mutti in Ruhe arbeiten lässt. Sonst bleiben wir hier und gehen nicht in den Zoo.“

Mit diesen Worten zog sie mich aus der Wohnung und wir fuhren mit dem Lift wieder nach unten in das Café.

Dort angekommen brachte sie mich an einen kleinen runden Tisch nahe dem Fenster und sagte: „So, jetzt bleib hier sitzen und sei schön lieb! Und lauf bloß nicht überall rum und störe die Gäste!“

Ich bekam eine Tasse heiße Schokolade mit Sahne und ein Stückchen Kuchen vor die Nase gesetzt. „Jetzt iss erstmal was“ sagte Mutti, indem sie die leckeren Kostbarkeiten vor mir auf den Tisch stellte. – Eigentlich hatte ich gar keinen Hunger, aber ich tat, was Mutti sagte. Ich war etwas enttäuscht, denn meine Ankunft bei Mutti hatte ich mir ganz anders vorgestellt.

Anschließend brachte sie mir mein Malbuch und Buntstifte und sagte: „Jetzt beschäftige dich mal eine Weile alleine, Mutti muss jetzt arbeiten!“ Mit diesen Worten eilte sie davon, und ich saß an dem kleinen Tisch in dem vollen Caféhaus und langweilte mich. Ich hatte keine Lust zum Malen. Am liebsten wäre ich wieder zurück zu Oma und Opa gefahren. Da konnte ich wenigstens raus auf die Straße und mit den anderen Kindern spielen. Hier war eine große mehrspurige Straße vor dem Haus, es war viel Verkehr und rein gar nichts lud zum Spielen auf der Straße ein…

Eine Zeitlang beobachtete ich Mutti beim Arbeiten, doch bald wurde mir noch langweiliger und ich beschloss, Muttis Arbeitsplatz trotz ihrer Ermahnungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Doch weit kam ich damit nicht, denn schon kam sie angelaufen und zischte leise: „Ich habe dir doch gesagt du sollst da sitzen bleiben! Wenn du jetzt nicht artig bist gehen wir morgen wirklich nicht in den Zoo!“ Und so landete ich wieder an dem kleinen runden Tisch am Fenster. So ging das einige Male. Dann stand ich erneut auf und ging zu Mutti, die gerade an der Kuchentheke stand und zupfte an ihrer Schürze: „Ich muss mal“ sagte ich. Sie seufzte: „Na gut, dann komm ich zeige dir wo die Toilette ist. Und beim nächsten Mal kannst du dann alleine gehen.“

Sie nahm mich an der Hand und ging mit mir auf eine Tür zu, auf der ein Schild mit einer Frau prangte. Sie öffnete die Tür und schaltete das Licht an. Und dann passierte es: Ich schrie wie am Spieß und klammerte mich voller Panik an Muttis Beine. „Ich kann da nicht drauf treten. Da geh ich nicht rein, ich hab Angst!“, weinte ich los und klammerte mich nur noch fester und voller Panik an Mutti. „Um Himmels Willen, Kind, was ist denn jetzt los? Was soll denn das?“, rief Mutti entsetzt und sehr gereizt. „Jetzt hör doch mit der Schreierei auf!“, herrschte sie mich an. „Was sollen denn die vielen Leute hier denken?“ „Ich hab Angst. Ich trete da nicht drauf!“, heulte ich weiter und wies mit dem Finger auf den schwarzen Fußboden. „Bitte nimm mich auf den Arm ich hab Angst da drauf zu treten“ weinte ich voller Panik weiter. Mutti blieb nichts anderes übrig als mich die paar Schritte bis zur Toilette zu tragen und danach wieder zurück.

Anschließend ging sie mit mir nach oben in die Wohnung. Sie setzte mich unsanft auf das Sofa und schimpfte los: „Was ist denn mit dir los? Was soll denn das Geschrei? Du weißt doch genau, dass Mutti arbeiten muss und dass das Kaffee voller Gäste ist. Wie kannst du mich so blamieren? Du bist doch kein Baby mehr sondern schon ein großes Mädchen! Nur kleine Kinder machen so ein Geschrei.“ Ich saß da, weinte und zitterte, war verzweifelt, fühlte mich unverstanden. Doch ganz allmählich beruhigte ich mich wieder. Dann fragte Mutti erneut: „ Was war denn los auf der Toilette?“

„Ich habe Angst vor dem schwarzen Fußboden. Ich kann da nicht drauftreten, weil ich Angst habe da in ein schwarzes Loch rein zu fallen.“

„Was ist das denn für ein Unsinn!“ rief Mutti empört. „Das ist doch nur ein PVC Boden. Wieso willst du da nicht drauftreten? Das ist doch alles nur Einbildung. Nächstes Mal nimmst du dich zusammen und machst mir nicht noch mal wegen so einem Unsinn so ein Geschrei, dass es alle Leute hören können.“

Sie reichte mir ein Taschentuch und sagte abschließend: „So, jetzt putzt du dir die Nase und bist wieder lieb. Mutti muss jetzt wieder runter zum Arbeiten!“ Mit diesen Worten brachte sie mich wieder nach unten ins Café, an den mir schon gut bekannten kleinen runden Tisch.

Eingeschüchtert und traurig saß ich dann für den Rest des Tages an dem Tisch und rührte mich nicht mehr weg. – Meine anfängliche Freude bei Mutti sein zu können war wie weggewischt. Es war nicht schön hier ... ich wollte schrecklich gerne wieder nach Hause zu Oma und Opa… Plötzlich hatte ich großes Heimweh. Und ich musste noch eine ganze Woche aushalten bis Mutti mich wieder nach Hause brachte.

Als es Schlafenszeit war, zog ich meinen neuen Schlafanzug an, den Oma mir gekauft hatte und fragte Mutti, wo ich denn schlafen sollte. Sie antwortete: „Du schläfst hier bei Mutti im Bett.“ Ich sah sie skeptisch an. „Und wo schläft der fremde Mann?“ „Das ist kein fremder Mann und er schläft neben Mutti auf der anderen Seite des Bettes. Jetzt stell dich nicht so an, der tut dir schon nichts!“ „Ich soll bei einem fremden Mann im Bett schlafen?!“ Ich sah sie groß an und fragte sie neugierig: „Oder ist das vielleicht mein Papa?“ Entsetzt sah Mutti mich an. „Nein, das ist nicht dein Vater. Und hör jetzt mit der dummen Fragerei auf!“ Mehr sagte sie nicht. Mit sehr gemischten Gefühlen legte ich mich in Muttis Bett und schlief Gott sei Dank bald darauf ein.

Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück ging es los und Mutti fuhr mit mir in den Zoo. All die vielen Tiere… Ich freute mich, hatte viel Spaß und war von diesem Abenteuer hellauf begeistert. Wir fütterten die Rehe und hinterher gab es für mich sogar ein Eis. - Das Zooabenteuer sollte jedoch das einzige Großereignis in meiner Urlaubswoche bei Mutti sein. Weder hatte sie Zeit mit mir zu spielen, noch nahm sie sich anderweitig Zeit für mich…

Trotz dass wir uns so selten sahen, gab es keinerlei weitere Erlebnisse in dieser Zeit, denn Mutti musste ja arbeiten und ich saß dann in dem Café an dem kleinen runden Tisch, wieder bewaffnet mit Malbuch und Buntstiften. Wenn ich sie fragte, wann sie denn mit mir spielen würde, hieß es: „Du wolltest doch immer hierher zu mir. Jetzt hast du deinen Willen und bist bei mir. Was willst du denn noch? Sei jetzt zufrieden und lass Mutti in Ruhe arbeiten und blamier mich bloß nicht!“ Ich war schon sehr enttäuscht, hatte Sehnsucht nach zu Hause, nach all meinen Freundinnen. Und draußen spielen durfte ich auch nicht. Das sei viel zu gefährlich wegen der vielen Autos hieß es.


Muttis Traumstadt mochte ich gar nicht. Zweimal nahm sie mich mit in die Stadt und in den nahe gelegenen Supermarkt zum Einkaufen. Das waren auch schon meine gesamten Ferienerlebnisse bei Mutti in der großen Stadt. Deshalb war ich auch heilfroh, als die Woche endlich rum war und sie mich wieder zurück nach Hause brachte.

Man war das schön, endlich wieder draußen zu spielen und zu toben, meine Freundinnen zu sehen, auf dem Spielplatz zu schaukeln und wieder in meiner vertrauten Umgebung sein zu können. Aber vor allem war ich sehr froh, wieder bei Oma und Opa zu sein. Das fühlte sich endlich wieder an wie zu Hause. Nein, bei Mutti in der großen Stadt hatte es mir überhaupt nicht gefallen. Das war für mich eine Riesenenttäuschung.

Und so begann meine einstige Sehnsucht nach meiner Mutter und einem Leben mit ihr ganz langsam zu schwinden. Nur selten fragte ich nach ihr und ich hoffte inständig, dass ich nie wieder in diese große hässliche Stadt und in Muttis neues Zuhause reisen müsste. Aber lieb hatte ich sie trotzdem noch.

Mutti, warum hast du mich nicht lieb?

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