Читать книгу DIE LIEBESMASCHINE - Gabriele Behrend - Страница 12
Ouvertüre
ОглавлениеHätte sie damals doch ›Nein‹ gesagt. Hätte sie nur auf ihre Intuition gehört. Dann müsste sie heute nicht alleine hinter der Bühne stehen. Dann müsste sie nicht alleine in das Scheinwerferlicht treten, müsste sich nicht alleine der Möglichkeit eines grandiosen Scheiterns stellen.
Mia prüft noch einmal den Sitz der Elektroden an den Fußsohlen und in ihren Handinnenflächen. Sie streicht sich über den mitternachtsblauen Latexanzug, der soviel wie möglich bedeckt, dabei aber noch genug Raum zum Bespielen bietet. Dann tritt sie zwischen den Kulissen hervor.
Das Publikum hält den Atem an. Ein blaues Alienwesen mit entblößter Brust, Bauch und Scham, tritt vor die Menschen hin. Die Aussparungen des Anzuges lassen die Nacktheit aggressiv wirken, nichts scheint mehr von dem zarten Mädchen übrig zu sein, das Mia einst war.
Die Stille zwischen den Menschen und Mia wird nur durch die Lüftung des Rechners unterbrochen, die gerade in diesem Moment anspringt.
Mia weiß nicht recht, was sie als Nächstes machen soll. Die Sprachlosigkeit rollt einer Welle gleich über sie hinweg. Ihr Geist ist leer und öd. Sie schwankt leicht. Am liebsten würde sie auf der Stelle flüchten. Doch das kann sie sich nicht leisten. Da reißt sie sich zusammen und macht einen Schritt auf das Publikum zu. Dann einen zweiten. Einen Moment später steht sie mitten unter ihnen. Mit der rechten Hand berührt sie sich an der Schläfe. Ein leichter Druck und schon wird ein moduliertes Hintergrundrauschen hörbar. Unaufdringlich kriecht es in die Köpfe der Menschen, noch nicht wirklich Melodie, aber nicht unangenehm, nicht unangenehm. Mia dreht sich im Kreis. Sie sucht hungrige Augen. Augen, wie Zidat sie hatte. Aber sie findet niemanden. Stattdessen schlagen die Männer die Augen nieder, wenn Mia an ihnen vorbeigeht und die Frauen mustern sie feindselig. Man ist schließlich nicht der Sexualität wegen hergekommen, sondern um der Musik willen.
Da dreht sich Mia herum. Ein zweiter Handgriff an die linke Schläfe aktiviert die Funkübertragung der Messdaten des Differenzverstärkers an den Rechner, der mithilfe eines AD-Wandlers und eines Musikprogramms ihre Körpermusik hörbar macht.
Sie steht jetzt mit dem Rücken zu den Menschen. Ein Beben geht durch ihren Körper. Die Töne sind unharmonisch, dissonant. Da birgt sie das Gesicht in den Händen, streicht mit den Fingerspitzen über Augenbraue und Jochbein, erst links, dann rechts, dann gleichzeitig. Sie schließt die Augen und beginnt sich zu wiegen. Die Töne formieren sich, bilden erste harmonische Inseln auf dem Meer des 3-D-Rauschens.
Mia spürt, wie sich das Publikum entspannt. Endlich bekommt es das geboten, was es haben will. Musik.
Mia lächelt in das Geflecht ihrer Finger hinein. So wie die Menschen hinter ihr zur Ruhe kommen, so breitet sich auch in ihr etwas aus, das sie schon lange nicht mehr so rein gespürt hat wie eben jetzt. Freude. Ruhige, verhaltene Freude zunächst, aber Mia spürt schon in diesen ersten Momenten ein Versprechen nach mehr in sich aufblühen.
Ihr Körper spielt ein Tremolo …