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Intermezzo

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Zidat hatte ihr also verboten, zu Ou’mar zu gehen. Und sie war seinem Gebot gefolgt, weil sie ihn liebte und es ihm recht machen wollte. Es zahlte sich aus, Zidat erschien gelöster, selbstsicherer. Es ging ihm gut und damit ging es auch ihr gut. Ou’mar erzählte sie nichts von dem Vorfall. Sie verbrachte die Fahrten nun ständig auf dem Rücksitz neben Zidat, oder blieb allein dort zurück, während Zidat auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, um mit Ou’mar über anstehende Termine zu sprechen. Wenn Ou’mar ihren Blick im Rückspiegel suchte, lächelte sie ihm munter zu, schlug aber sofort den Blick nieder, alles, um Zidat zu zeigen, dass er niemanden neben sich fürchten musste.

Das verschob das Gleichgewicht zwischen den Parteien, doch Ou’mar ließ sich nichts anmerken. Alles ging weiter wie bisher. Die Konzerte waren grandios, die Erfolge überwältigend. Mia strahlte wie die Sonne, sie badete im Applaus und in den Blicken der Menschen, wenn sie sich am Ende vor ihnen verneigte. Natürlich fiel ihr auf, dass Zidat sie immer schneller in einen Umhang hüllte, dass er sie den Menschen entzog. Aber sie dachte sich nichts dabei.

Bis er sie eines Tages, kaum war der letzte Ton verklungen, mit dem Tuch verhüllte, das er zum Anfang des Konzertes von ihr herunterschob. Als die Menschen den Raum verlassen hatten, hatte sie das Tuch von sich gezogen und war vom Tisch gesprungen.

»Was sollte das, Zidat?«

»Es soll dich keiner so sehen.«

Mia blieb der Mund offen stehen. »Bitte, was?« Sie sah an sich hinunter, schüttelte den Kopf ungläubig und blickte wieder zu Zidat hoch. »Man sieht mich den ganzen Abend nackt! Wo ist denn das Problem?«

Zidat starrte sie einen Moment stumm an, dann drehte er sich um und verschwand Richtung Garderobe. Ou’mar hatte dem Ganzen wortlos beigewohnt.

»So geht das nicht weiter, Mia«, sagte er schließlich. »Wenn du nicht mit ihm sprichst, dann muss ich es tun.«

»Und was willst du ihm sagen?« Mia hielt den Atem an.

»Entweder er reißt sich zusammen oder er muss gehen.«

Mia schlang die Arme um sich. »Was wird dann mit mir?«

»Du hast immer einen Platz bei mir, das weißt du. Du musst dich aber entscheiden.« Ou’mar machte einen Schritt auf sie zu. Mia wich unwillkürlich zurück. Die Distanz hatte sich in den letzten Monaten eingeprägt. Ou’mar sah es. »Geh und such nach ihm. Ich brauche eure Entscheidung morgen früh.«

Damit wandte er sich der Ausrüstung zu. Mia lief zur Garderobe. Dort angekommen zog sie sofort ihren weißen Anzug an, setzte sich vor den Spiegel – doch anstatt der vergangenen Musik nachzuhorchen, starrte sie sich in die müden Augen und suchte dort nach einer Antwort. Sie hatte sie noch nicht gefunden, als die Tür leise klappte und Zidat eintrat. Er zog sie in seine Arme, sie ließ es zu. Er bat um Verzeihung, sie gewährte sie ihm. Er küsste sie, sie reagierte auf ihn. Am Schluss lagen sie keuchend vereint auf dem Boden.

»Du gehörst mir«, murmelte er in ihr Haar. »Ich ertrage es nicht, wenn dich andere Männer begaffen.«

»Sie sehen nicht mich«, flüsterte sie. »Sie sehen nur das Instrument.«

Zidat lachte leise auf. »Nein«, erwiderte er dann scharf. »Wir sehen immer das Fleisch.«

Mia verbarg das Gesicht an seiner Schulter.

Am nächsten Morgen packten sie ihre Koffer. Ou’mar zog Mia in seine Arme. »Ich wünsche dir das Beste«, sagte er. Und: »Pass auf dich auf.« Und er schob ihr seine Karte in die Hand. Danach trennten sich die Wege.

Zidat brachte Mia zu seinen Eltern. Dort wohnten sie einen Monat lang, bevor sie etwas Eigenes fanden. Zidats Eltern führten ein Restaurant, das genügend Arbeit und Lohn für die ganze Familie abwarf. Mia war dieses Leben nicht gewohnt, aber sie fügte sich ein, so gut es eben ging. Zidat wurde als stellvertretender Geschäftsführer eingesetzt und blühte unter dieser Verantwortung auf. Mia half überall aus, wo sie gebraucht wurde.

Anfänglich ging sie in ihrer neuen Rolle auf, genoss das Provinzielle ihres neuen Lebens. Zidat wiederum gefiel sich in der Rolle des Ernährers, des Fürsorgers. Dafür forderte er seinen Lohn. Sein Lohn, das war Mias Hingabe, ihre Bewunderung, ihre Abhängigkeit. Zidat nahm das alles als selbstverständlich hin. Bekam er einmal nicht, was er wollte, dann wurde er grob und ungehalten. Mia fühlte sich immer öfter leer und hohl und unendlich müde. Dann sehnte sie sich nach der Musik zurück, doch statt sich zu erinnern, spürte sie nur so etwas wie Schuld. Sie hatte sich abgewandt von der Bühne, hatte freiwillig ihr Leben aufgegeben, sie hatte es nicht besser verdient. So dachte sie und fühlte sie und so verkümmerte sie allmählich, verlor ihren Glanz und ihre Besonderheit. Grau wurde sie, unsichtbar.

Zidat fing an, sie zu übersehen. Er suchte neue Reviere auf, erkundete neue Körper, kostete neues Fleisch. Mias großäugige Sehnsucht, ihr stilles Betteln, ihre stumme Selbstaufgabe, alles das hingegen wurde ihm lästig.

Eines Abends, als Mia versuchte ihn zu umarmen und zu küssen – kalt war ihre Welt geworden, so ganz ohne ihn –, da schob er sie auf Armeslänge von sich und musterte sie stumm. Sein Blick wanderte über verschwitzte Haarsträhnen, müde Augen mit tiefen Ringen darunter, die Haut war grau und fleckig geworden. Er stieß sie von sich, griff in seine Hosentasche und zog ein Bündel Geldscheine heraus. Er drückte es ihr in die Hand. Dann drehte er sich herum. »Wenn ich morgen wiederkomme, bist du verschwunden. Verstanden?«

Mia starrte erst die Scheine, dann ihn an. Ihr fehlten die Worte. Stumm bewegten sich ihre Lippen, die über zu viele Fragen stolperten. Schließlich brachte sie ein einziges »Warum?« hervor.

Er hatte die Hand schon auf der Türklinke liegen. »Es läuft schon seit einiger Zeit nicht mehr rund, das merkst du doch selber. Warum sich also noch länger etwas vormachen?«

Dann blickte er doch über seine Schulter zu ihr hin. »Vielleicht nimmt dich ja der Alte zurück.« Er musterte sie ein letztes Mal, dann schüttelte er den Kopf, stieß die Tür auf und verschwand.

Das war das letzte Mal, dass sie Zidat sah.

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