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Katja stürmte in die Leitzentrale. Ihre Stirn war dunkel umwölkt, alle Zeichen standen auf Orkan.

»Wie geht es dir, Kat?« Eine freundliche Stimme ertönte, zwischen männlich und weiblich oszillierend.

Kat warf ihre Crossbody Bag und das Hoverboard in die Ecke und sich selber in den Ledersessel vor dem Terminal.

»Was meinst du, Spex? Wie soll’s mir schon gehen? Hm?« Sie warf einen wütenden Blick zu dem Gesicht, das vor dem Schaltkomplex, leicht nach rechts versetzt, körperlos in der Luft schwebte. Spex war eine Holografie. Während sich seine glatte Stirn zu runzeln begann, als ob er tatsächlich nach einer Antwort suchte, fuhr Katja sich durchs strubbelige bunt gesträhnte Haar, schüttelte den Kopf und begann ihre allmorgendliche Hasstirade auf alle triebgesteuerten Testosteronschleudern dieser Erde, die außer fressen, saufen, vögeln und ihren Scheiß-PS-Schüsseln nichts im Sinn hatten. Sonst hatte Katja stets mit dem Satz ›Zum Glück ist Andriy nicht so, wenigstens einer. Und darum liebe ich ihn‹ geendet. Heute verstummte sie, als sie am Ende ihrer Hetze angekommen war, biss sich auf die Lippen und wischte sich ungeduldig eine Träne von der Wange.

»Was ist denn passiert, Kat?«

Katja nahm die Sonnenbrille ab und deutete auf ihr rechtes Auge.

»Was ist das?« Spex klang neutral.

»Das passiert, wenn frau gegen einen Schrank rennt. Nur heißt mein Schrank Andriy.«

»Wie geht es dir?«

»Es tut weh, Spex. Alles tut weh, außen wie innen. Aber jetzt lass mich deine Schaltkreise überprüfen. Alles fit?«

Katja konzentrierte sich auf ihre Arbeit. Sie überprüfte über die Monitore, ob alle Kameras funktionierten. Sie testete die Telefonleitungen, die Stromanschlüsse, den Status der Aufzüge und die interne Müllverbrennungsanlage. So ein Block wie Spex 12 war wartungsintensiv. Und auch wenn die KI, die jedem Block zugeordnet war, den reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäfts überwachte, so brauchte man eben doch noch einen Menschen, einen Techniker, der als verlängerter Arm der KI Leuchtmittel tauschte, Kameras reparierte oder auch ab und an in den Serverraum abtauchte, um bei Spex wieder alle Schrauben anzuziehen, wie Kat zu sagen pflegte. Nachdem Katja die Schadensprotokolle durchgegangen war, packte sie ihren Koffer, schnallte sich den Werkzeuggürtel um und begab sich samt Hoverboard auf ihren Rundgang, die Sonnenbrille wieder auf der Nase. Keiner außer Spex sollte ihr Malheur sehen.

»Bis dann!« Katja bemühte eine erzwungene Fröhlichkeit. »In vier Stunden bin ich wieder da. Lass die Hütte stehen!«

»Pass auf dich auf, Kat.« Spex’ Stimme klang so neutral wie immer.

Als Kat durch Spex 12 streunte, hier und da anhielt, um die Hardware des Blocks wieder in Ordnung zu bringen, da fielen ihr mit einem Mal die vielen, vielen Einzelappartements auf. Sardinenbüchsen, in denen Menschen eingesperrt waren. Menschen in Öl, damit die Wände und Kanten nicht so scheuerten – Katja verwarf das Kopfkino wieder und las stattdessen den Namen auf der nächstbesten Tür. Evgenij stand da. Kein Nachname. Schon wollte sie klingeln, um den Mieter an sein Versäumnis zu erinnern, da fiel ihr etwas ein. Schnell zückte sie ihr Telefon und ließ sich mit der Leitzentrale verbinden.

»Hier spricht Ihr Wartungsmodul Spex 12 in der Mykoly Bazhane Avenue, Kiew. Wie kann ich helfen?«

»Kat hier. Prüf mal, ob der Mieter aus der Wohneinheit 246P seinen vollständigen Namen am Klingelmodul angegeben hat. Wenn nicht, muss ich ihn mir vornehmen.«

»Einen Moment bitte, Kat.«

Sie wartete ungeduldig. Einige Sekunden später meldete sich Spex zurück. »Er heißt Solowjow. So eingetragen im Modul, wie auch in den Empfangslisten und dem Empfangsrechner. Warum fragst du?«

»Es ging mir nur um seine Erreichbarkeit. Du weißt doch – wenn Lieferungen nicht zugestellt werden können oder wenn sich Gäste im Komplex verlaufen, dann fällt das immer auf uns zurück. Und ich werde bestimmt nicht meinen Namen für irgend so einen hergelaufenen Typen aufs Spiel setzen, der zu blöd ist, seinen Nachnamen anzugeben!«

Katja wurde wieder wütend. Ohne eine Erwiderung von Spex abzuwarten, ließ sie ihr Telefon wieder zuschnappen, drehte sich noch einmal zur Tür herum. »Evgenij, pah!« Dann stieg sie wieder auf ihr Hoverboard und glitt den hell ausgeleuchteten Flur hinunter.

Wie versprochen öffnete Katja vier Stunden später die Tür zum Kontrollraum. Spex wartete bereits auf sie.

»Nach deiner Anfrage vorhin habe ich etwas entdeckt.« Seine Stimme war nicht mehr ganz neutral, fast konnte man eine Spur Aufregung darin hören.

»Ja?« Katja musterte das durchscheinende Gesicht am Schaltschrank.

»Ich habe hinterher das System gescannt. Wenn man mich neu ordnen würde, würde ich über mehr freie Kapazitäten verfügen!«

Katja schmunzelte. »Und wofür?«

»Zunächst würde meine Arbeitsleistung verbessert werden.« Spex klang wieder so neutral wie immer.

»Aber du hast noch etwas anderes im Sinn gehabt. Rück’ schon raus damit, Spex. Wir sind hier unter uns.«

Katja legte den Kopf zur Seite und musterte die KI. Ernst diesmal, denn ihr war der Unterschied in ihrem Verhalten wohl aufgefallen. Und auch jetzt schien etwas anders zu sein als sonst. Spex stockte.

»Hey, druzhe – Spuck's aus, Freund!«

»Ich will lernen.« kam schließlich die Antwort.

»Aaaaaaaaaaaaaaah ja.« Katja dehnte die Worte, bis ihr die Luft ausging. Sie selbst war keine gute Schülerin gewesen, zu hibbelig, zu abgelenkt. Das Einzige, was sie zur Ruhe brachte, waren Formeln. Und der Werkunterricht. Spex schwieg.

»Was willst du lernen?«, fragte Katja in die Leere zwischen ihr und dem Hologramm.

»Warum dein Schrank Andriy heißt. Warum dein Auge verfärbt ist und warum du andere Menschen verfluchst. Warum die Frau aus 359G sich immer heimlich in die gegenüberliegende Wohneinheit schleicht, um dort bei einem anderen Mann zu liegen.«

Katja bekam kugelrunde Augen. »Die Jerschowa und der Soronkin? Wirklich?«

»Du kennst ihre Namen?« Spex klang beeindruckt.

»Na, jetzt weiß ich, warum die Flurkamera immer kaputt ist. Du hast mich doch gerade erst vorgestern auf die Ebene zur Reparatur geschickt. Aber sag mal, Spex, woher weißt du das?«

»Ich sagte ja schon – da gibt es freie Kapazitäten. Deswegen kann ich meine Statusprüfungen ausweiten. Zum Beispiel auf alle Kameras im Block, auch die in den Rauchmeldern.«

»Du spannst.« Katja wurde es ungemütlich. »Etwa auch bei mir?«

Spex schwieg. Dann schepperte seine Sprachausgabe, als wollte er sich räuspern. »In den Morgenstunden wird der vergangene Tag aufgrund von Platzmangel automatisch gelöscht. Außer dir weiß niemand davon.«

»Warum erzählst du mir das überhaupt? Ich müsste dich lahmlegen, ist dir das klar? Da gibt es so was wie Datenschutz, ein Recht auf Privatsphäre, die Sicherheit der eigenen Wohnung, herrjeh!«

»Du müsstest« wiederholte Spex. »Das heißt, du willst es nicht.«

Katja schwieg. Sie hatte sich immer gewünscht, mit so einer großen Maschine wie Spex es war, zusammenzuarbeiten. Schon damals, als sie noch in einer Kleinstadt aufwuchs, irgendwo vor Kiews Stadtgrenze. Jetzt hatte sie die Chance und da sollte sie ihre wunderschöne Maschine verstümmeln? Eine Maschine, die lernen wollte?

Spex hatte recht. Sie wollte nicht das tun, was man hätte tun müssen. Sie wollte das Experiment wagen. Mal schauen, wie viel Leben man einer KI einhauchen konnte.

»Du willst also lernen, wie Menschen ticken. Wie kann ich dir dabei helfen?«

»In dem du mir sagst, was ich sehe. Ich will lernen, Situationen zu analysieren. Zu interpretieren. Damit ich meinen Bewohnern besser helfen kann.«

»Helfen?« Katja neigte den Kopf. »Brauchen wir denn deine Hilfe?«

»Vielleicht ja, vielleicht nein.« Spex klang wieder so neutral wie Edelstahl, als er diese für ihn ungewöhnlich vage Äußerung tätigte.

Einen Moment lang herrschte verblüfftes Schweigen im Raum, allein die Technik summte weiter wie im Bienenstock. Dann grinste Katja breit. »Du hast einen Witz gemacht, was, druzhe?«

Spex’ Sprachmodul schepperte.

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