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8. Marie Goldt

(Freitag, 11. November 2011)

Froh, endlich daheim zu sein, warf ich mich aufs Bett und starrte an die Zimmerdecke. Der gestrige Dienst in der Bäckerei war nervig gewesen und ich war nicht das erste Mal kurz davor, alles hinzuschmeißen. Auch die Schule war heute alles andere als ein Spaziergang. Gib der schlechten Laune keine Chance, sondern gönn dir lieber etwas Schönes, wisperte eine innere Stimme. Nimm ein Schaumbad und lass die Welt für einen Augenblick einfach Welt sein … Gedacht – getan! »Lykke ist es okay, wenn ich die nächste Stunde das Bad blockiere? Wenn du auf die Toilette musst, würde ich das an deiner Stelle jetzt tun«, rief ich vom Flur aus, erhielt jedoch keine Antwort. Wahrscheinlich war Lykke wieder abgestöpselt und hörte mich nicht. Also klopfte ich an der Tür, wartete einen Moment und betrat dann das Zimmer. Dort war weit und breit keine Spur meiner Stiefschwester, die freitags in der Regel früher nach Hause kam als ich. Sie hatte das Fenster offen gelassen und ich ging hin, um es zu schließen. Vor dem Schreibtisch blieb ich stehen. Auf der Tastatur des PCs lag ein wunderschön illustriertes Buch. Neugierig linste ich hinein:

Wilhelm Busch (1832–1908)

Herbst

Der schöne Sommer ging von hinnen,

Der Herbst, der reiche, zog ins Land.

Nun weben all die guten Spinnen

So manches feine Festgewand.

Sie weben zu des Tages Feier

Mit kunstgeübtem Hinterbein

Ganz allerliebste Elfenschleier

Als Schmuck für Wiese, Flur und Hain.

Ja, tausend Silberfäden geben

Dem Winde sie zum leichten Spiel,

Sie ziehen sanft dahin und schweben

Ans unbewusst bestimmte Ziel.

Sie ziehen in das Wunderländchen,

Wo Liebe scheu im Anbeginn,

Und leis verknüpft ein zartes Bändchen

Den Schäfer mit der Schäferin.

Den letzten Absatz hatte Lykke mit einem gelben Leuchtstift markiert und ein Herzchen daneben gemalt. Gedankenverloren verriegelte ich das Fenster und ging kopfschüttelnd ins Bad. Wer hätte gedacht, dass meine Schwester Gedichte mochte? Eigentlich war nur ich diejenige, die gern mal eine Romantic-Comedy las, und musste mir dafür immer den Spott von Lykke anhören, die fast nur Thriller in ihrem Bücherregal stehen hatte. Bedeuteten die Herzchen etwa, dass sie gerade verliebt war?

Während die wohlige Wärme und der beruhigende Duft des Schaumbads mich umschmeichelten, dachte ich an Julia und ihre Verabredung mit André. Und an Morten, der mich gestern gefragt hatte, ob wir mal zusammen einen Tee trinken gehen würden.

Ich überlegte gerade, wie ich dieses Date noch in meinen übervollen Terminkalender quetschen sollte, als mein Handy klingelte. Vermutlich war es Julia, die mir Fotos von verschiedenen Outfits zur Begutachtung schicken und wissen wollte, ob ich on war. »Hast du heute Abend schon was vor?«, fragte sie und klang, als sei sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs.

»Nichts Besonderes. Ich wollte vielleicht den Brief an meinen Vater schreiben, den Dr. Hahn bis Dienstag haben will, und danach früh ins Bett, weil ich morgen arbeite. Wieso?«

»Stimmt, du musst in die Bäckerei«, kam es enttäuscht vom anderen Ende der Leitung. »Das ist ja doof, denn ich wollte dich bitten, spontan als Babysitter für Finchen und Elric einzuspringen. Meine Eltern sind zu einem wichtigen Geschäftsessen eingeladen und Nele, die sonst aufpasst, ist plötzlich krank geworden.«

»Und du bist mit André verabredet«, antwortete ich, als mir klar wurde, was für Julia auf dem Spiel stand. »Kein Problem, wann soll ich da sein?«

Punkt halb sieben traf ich bei den von Menkwitz’ ein, stürmisch begrüßt von Finja, die sich schon genau überlegt hatte, wie sie den Abend verbringen wollte. Da sie gerade auf dem Märchen-Trip war, türmten sich auf dem Wohnzimmertisch bereits ein Märchen-Memory, diverse Puzzles, sechs leere Wasserflaschen und eine große Schüssel mit getrockneten Linsen und Erbsen. »Na, da hast du ja einiges vor«, lachte ich und zwinkerte Julias Mutter Gesa zu. »Wann muss Finchen denn ins Bett? Wenn ich mir das so anschaue, haben wir ein Programm für das ganze Wochenende.«

»Au ja, Marie bleibt bis Montag«, klatschte Finja begeistert in die Hände, kniete sich auf ein kuscheliges Kissen und begann, die Memory-Karten zu mischen. »Heute darf sie ausnahmsweise bis zehn aufbleiben. Aber danach verschwindest du brav in den Federn und bleibst auch da, nicht wahr, Mäuschen?« Finja schenkte ihrer Mutter einen Blick aus babyblauen Augen, als könne sie kein Wässerchen trüben. Gesa seufzte, schließlich kannte sie ihre quietschlebendige, stets zu Streichen aufgelegte Tochter ganz genau.

»Wo sind denn Julia und Elric?«, fragte ich und folgte Gesa in die stylishe Küche mit Mobiliar aus Edelstahl, wo Abendessen für uns drei bereitstand. »Da bin ich schon«, trompetete Julia und baute sich vor mir auf. »Wahnsinn! Du siehst toll aus«, lobte ich. »Also wenn das André nicht umhaut, dann weiß ich auch nicht.« Julia tippelte eine Weile in der Küche auf und ab, die hohen Absätze ihrer schwarzen Overknee-Stiefel klackerten auf dem Marmorboden, was ihrem Vater garantiert den Schweiß auf die Stirn getrieben hätte. Sie trug einen schwarzen Cord-Mini und darüber einen engen roten Rollkragenpulli, der ihre weiblichen Rundungen bestens zur Geltung brachte. Das rotbraune Haar mit den Goldsträhnchen hatte sie zu einem lockeren Knoten aufgesteckt, ähnlich wie Blake Lively aus Gossip Girl. Ihre dunkelbraunen Augen wirkten durch den pudrigen Lidschatten noch wärmer als sonst, die vollen Lippen waren durch einen farblosen Gloss betont.

»Einfach zum Verlieben«, kommentierte nun auch Gesa den Auftritt ihrer Ältesten und nahm sie in den Arm. »Ich wünsch dir einen wunderschönen Abend, mein Schatz. Stell uns André ruhig bald mal vor, wenn es … du weißt schon … ernst mit euch werden sollte.«

»Mann ey, wie siehst du denn aus. Gab’s die Stiefel nicht noch eine Nummer höher?«, zerstörte Elrics Kommentar die Stimmung und ließ Julias Mundwinkel augenblicklich nach unten rutschen. »Was wissen zwölfjährige Jungs schon von hippen Outfits?«, konterte sie und kniff ihren Bruder in die Wange. »Wir sprechen uns, wenn du mir deine erste Freundin vorstellst!« Elric murmelte etwas, das verdächtig nach »Da kannst du aber lange warten« klang, und beäugte dann misstrauisch das Abendessen. »Keine Frikadellen?«, fragte er enttäuscht. »Keine Frikadellen, dafür Mini-Veggie-Burger und Kartoffelsalat«, antwortete Gesa ungerührt und gab mir einen Kuss auf die Wange. »Danke, dass du für Nele eingesprungen bist und dich heute Abend um die beiden kümmerst. Wenn Elric frech wird, ignorier ihn einfach, und was Finchen betrifft, nun ja, du kennst sie. Wir versuchen, vor Mitternacht daheim zu sein. Leg dich einfach schon hin, wenn du müde bist. Unsere Handynummer hast du ja.«

»Danke, Gesa, ich schaff das schon. Grüß Jan. Und mach dir keinen Kopf. Amüsiert euch und bleibt, so lange ihr wollt.«

»Ich muss dann auch mal los«, sagte Julia und umarmte mich, als es an der Tür klingelte. André war pünktlich auf die Minute und so würden sie es rechtzeitig zum Blankeneser Kino schaffen. Als sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, war ich allein mit Elric, der sich sofort murrend in sein Zimmer verzog, und Finja, die an meinem Bein hing wie eine Klette. »Komm, wir spielen das Aschenputtel-Spiel«, befahl sie und zerrte mich Richtung Wohnzimmer. Dann legte sie den Kopf in den Nacken, holte tief Luft und schrie mit aller Kraft: »Elric, wir brauchen dich hier unten. Und zwar JETZT!«, woraufhin ihr Bruder erstaunlicherweise sofort erschien.

Ich verkniff mir ein Grinsen und setzte mich auf den flauschigen Fellteppich, während Finja mit wichtigem Gesichtsausdruck jedem von uns zwei Flaschen gab. »Wenn ich Los sage, dann müsst ihr so schnell wie möglich die Linsen und Erbsen aus der Schüssel nehmen und in die beiden Flaschen stecken«, erklärte sie. »Wer zuerst fertig ist, hat gewonnen und darf ab jetzt den Titel Cinderella Undercover tragen.«

»Wieso denn undercover? Was für ein Quatsch!«, stöhnte Elric und ließ sich augenrollend zu uns auf den Boden sinken. »Außerdem hab ich keine Lust, den Namen irgendeiner blöden Prinzessin zu tragen. Dann will ich lieber Prinz Eisenherz heißen oder Artus!«

»Aber die haben nun mal nix mit Linsen zu tun«, entgegnete Finja ungerührt und begann schon mal mit dem Sortieren.

»Du bist aber heute streng«, sagte ich amüsiert und freute mich, dass der Freitagabend eine so unerwartet schöne Wendung genommen hatte. Ich liebte es, mit Finchen zu spielen, und ich mochte Elric – egal, wie bockig er sich gerade benahm. Das hier gab mir das Gefühl von Geborgenheit und davon, Teil einer Großfamilie zu sein. Deshalb genoss ich jede Minute.

Den Brief an meinen Vater konnte ich immer noch am Sonntag schreiben.

Goldmarie auf Wolke 7

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