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Agamben in der Tradition
ОглавлениеDer Glaube an die Existenz einer der Politik spezifischen Ebene ist so prägend, dass sogar ein Autor wie Giorgio Agamben, dessen Projekt doch beansprucht, die Kategorien der Politik zu dekonstruieren, nicht daran denkt, sie in Frage zu stellen. Er stellt sie an den Anfangspunkt seiner Untersuchung. Ganz am Ende von L’uso dei corpi31, dem Werk, das die zwanzigjährige Reflexion von Homo sacer abschließt, erinnert Giorgio Agamben daran, dass sein Ehrgeiz darin bestand, die Politik einer Archäologie zu unterziehen. Es handelte sich weder darum, diesen oder jenen politischen Begriff oder diese oder jene Institution zu kritisieren oder zu korrigieren, sondern das ans Licht zu bringen, was die Grundlage dieses Diskurs- und Praxisraums ausmacht. Agamben nennt das „die originäre Struktur der Politik“32 freilegen. Doch diese Formulierung ist problematisch. Die Arbeit, die versucht, „das freizulegen, was die originäre Struktur der Politik bildet“, setzt die Existenz eines eigenen Bereichs – mit dem Namen „die Politik“ – voraus, dessen Abgrenzung im Vorhinein gegeben ist und dessen tatsächliches Bestehen und Umrisse Agamben nie in Frage stellt. Sicher, es gibt das Gesetz, es gibt den Staat, es gibt die Polizei, doch warum sollten unsere Beziehungen zu diesen Institutionen anderer Natur sein als unsere Beziehungen zu Unternehmen, zum Markt, zur Familie usw.? Warum sollten die Mächte, die sich in ihnen entfalten, eine andere Form haben als die, denen wir in anderen Sphären gegenüberstehen? Aus welchen Gründen sollten politische Beziehungen eine Singularität gegenüber allen interindividuellen und alltäglichen Formen darstellen?
Ich sage nicht, dass der Versuch, eine Unterscheidung zwischen dem Politischen und dem Nicht-Politischen zu machen, als solcher notwendigerweise illegitim sei und ein Projekt zum Irrtum verurteile (obwohl, wer weiß!). Aber diese Grenze kann nicht postuliert und als Grundlage, die die Entfaltung der rationalen Untersuchung vorprägt, vorausgesetzt werden. Die Rechtfertigung dieser Konstruktion muss notwendigerweise einen Bestandteil des Projekts ausmachen, denn sonst stutzt man sich die Welt auf ideologische Weise im Vorhinein zurecht und macht diese ideologische Voreinteilung, von der nichts garantiert, dass sie nicht auf einer Mystifizierung oder Illusion beruht, zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen.
Indem Agamben die Vorstellung eines eigenen Bereichs der Politik seinem Werk zugrunde legt, verurteilt er sein Denken dazu, sich von äußeren Elementen beeinträchtigen zu lassen. Trotz seines Ehrgeizes, die politische Sphäre und ihre Grundelemente zu objektivieren, bringt er mystische Bilder der Macht in Umlauf: Er verwendet Wörter und Begriffe, auf deren Gebrauch wir verzichten sollten. Das kommt besonders in seinem Buch über Hobbes und den Bürgerkrieg zum Ausdruck, wo er für die Beschreibung des Staats, des Gesetzes und der politischen Subjekte Kategorien wie „Menge“, „Volk“, „Verfassung“ oder „Souveränität“ benutzt, ohne sich über die Gültigkeit solcher Begriffe oder über ihre operativen Eigenschaften Gedanken zu machen.33