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Buddha und der „mittlere Weg“

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Immer, wenn in einem geistigen Aufbruch die bisher geltenden religiösen Grundlagen infrage gestellt werden, treten auch Menschen auf, die überhaupt jede übersteigende Dimension für Illusion und Irrtum erklären. So gab es damals auch in Indien wie etwa zur selben Zeit in Griechenland religiöse Skeptiker und „Materialisten“. Sie betrachteten die vedischen Opferriten als leeren Ritualismus, durch den sich der Stand der Brahmanen seine Machtstellung und seine reichlichen Einkünfte sicherte. Mit der Erkenntnis, dass das im Opfer vergegenwärtigte Göttliche Gewalt und Betrug war, verwarfen sie überhaupt die Möglichkeit eines göttlichen, durch Symbole wahrnehmbaren Seins und Lebens. Man nannte diese Gruppe deshalb nastika, „Negierer“, also Menschen, die eine höhere, symbolisch erfassbare Wirklichkeit, eine übersteigende Dimension des gegenständlich Gegebenen, verneinten. Selbst nannten sich diese Skeptiker lokayata, d. h. „die der Welt Zugewandten“. Dieser Name ist Ausdruck ihrer Vorstellung, dass nur das unmittelbar sinnlich Gegebene existiert. Jenseits, Gott, Erlösung, Seele, sittliche Seinsordnung waren für sie Illusion. Sie lebten einzig in der Welt der Sinne. Zwar räumten sie ähnlich wie die Asketen ein, dass dem sinnlichen Genuss und der sinnlichen Freude immer auch Schmerz beigemischt ist, doch deshalb beides aufzugeben und bedürfnislos zu werden, bedeutete für sie, das Kind mit dem Bade auszuschütten: „Wirft man etwa das Reiskorn weg, weil es von der Spelze umschlossen ist?“63 Ähnlich wie auf verfeinerte Weise Epikur und in gröberer Art die griechischen Hedonisten, suchten sie das Leben soweit wie möglich auszukosten. Dabei waren sie aber keine unsozialen Menschen, sondern fügten sich in die Stadt- und Dorfgemeinschaft ein.

Buddha, der „Erleuchtete“, mit bürgerlichem Namen Gautama Siddharta, war wie Parsva und Jain ein Fürstensohn und trat aus diesem Milieu hervor. Aus den Legenden, die Buddhas Geburt und Jugend und seinen Aufbruch zum asketischen Leben umgeben, lässt sich erschließen, dass er den oben beschriebenen lokayatas nahe stand. Nach der bekannten Jugendlegende führte er mit der Königstochter Gopa ein Leben in Freude und Reichtum, bis er durch die Begegnung mit dem Alter, mit der Krankheit und mit dem Tod, die das auch ihm unausweichliche Schicksal sichtbar machte, innerlich erschüttert wurde und er sich dem Leben des Bettelmönchs zuwandte, der ohne Leidenschaft, Gier und Hass nach der inneren Ruhe der Seele und nach übergreifender Erkenntnis strebt. So verließ er nach der Legende seine Eltern, seine Paläste, seine Gattin und sein kleines Kind und zog aus der Heimat in die Heimatlosigkeit des Asketentums. Der Auszug aus der Heimat in die Heimatlosigkeit ist ein Grundmotiv der buddhistischen Existenz. Nachdem die Unterweisung in der Geheimlehre der Upanishaden und die konzentrierte Versenkung in der Yoga-Meditation ihm nicht die ersehnte Erlösung brachten, ging er mehrere Jahre lang den Weg der strengen, selbstquälerischen Askese.

Doch Buddha erkannte die radikale Askese als Gewalt gegen sich selbst, und unbekümmert um die Enttäuschung, Empörung und den Zorn seiner Bewunderer brach er seine extreme Askese ab, nahm wieder ausreichend Nahrung zu sich, pflegte und kleidete sich und gab sich, der Legende nach im Wald von Uruvela, der ruhigen, in sich selbst verweilenden, alle Gedanken sammelnden Versenkung hin. Nachdem er vier Versenkungsstufen durchlaufen hatte, kam die bodhi, die „Erleuchtung“, die große Erkenntnis, die völlige Klarheit des Geistes, über ihn. Er erkannte die Ursache für das leidverhaftete menschliche Dasein, das sich durch die Wiedergeburt ins Unendliche ausdehnte, und fand den Weg, der von dieser Ursache des leidverhafteten Lebens befreit und zur Erlösung, zum Frieden, zum nirwana führt.

Auch über Buddhas Weg steht grundlegend das ahimsa. Der achtfache Pfad, der zum Verlöschen des Lebensdurstes und damit zur Aufhebung der Leidenschaften und des Leidens führt, beginnt zwar mit der Erkenntnis der „Vier Edlen Wahrheiten“ über die Ursache und die Bedingungen des Leidens, doch dann folgt unmittelbar als erster der praktisch einzuschlagenden Wege der „rechte Entschluss“, der in der Entscheidung besteht, ahimsa zu üben, d. h. kein lebendiges Wesen zu verletzen, zu schädigen oder gar zu töten. Die Abwendung von der Gewalt steht vom Ursprung her im Zentrum buddhistischer Lebensweise.

Gewalt in den Weltreligionen

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