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FAIRNESS – LIEGT IM AUGE DES BETRACHTERS

Die Gerechtigkeit ist nichts anderes als die Nächstenliebe des Weisen.

G. W. Freiherr von Leibniz – Deutscher Philosoph und Mathematiker

Gerade in Zeiten von Pandemien steht immer wieder ein Begriff im Vordergrund: Fairness. Was ist gerecht, was nicht? Wie soll nach Fairness gehandelt und gerechtfertigt werden? Zentral ist natürlich die Debatte darum, wer aus der Bevölkerung als Erstes mit den wichtigen Impfstoffen versorgt wird.

Der amerikanische Sozialpsychologe Donelson R. Forsyth hat eine interessante Theorie über Verteilungsgerechtigkeit aufgestellt, nach der es vier grundlegende Prinzipien von Fairness gibt. Das Erste ist das Gleichheitsprinzip, was bedeutet, dass jeder den gleichen Anteil von etwas bekommt. Bezogen auf die Impfstoffe würde das bedeuten, dass jeder in Deutschland die gleiche Chance auf die Impfung gegen das Virus hat und niemand mehr bekommt als der andere. Das zweite Prinzip nennt sich Leistungsgerechtigkeit und ist mit am häufigsten in unserer heutigen Kapital- und Leistungsgesellschaft vertreten. Nach diesem Prinzip würden als Erstes Berufstätige den Impfstoff bekommen, die Steuern zahlen und Wirtschaft und Land am Laufen halten. Das dritte Verteilungsprinzip ist das der Macht. Hierbei bekommt derjenige das meiste, der die meiste Macht hat – global gesehen würden also vorrangig Länder den Impfstoff bekommen, die am mächtigsten sind und sich ihn am leichtesten beschaffen können. Schließlich gibt es noch die Bedarfsgerechtigkeit, wonach die bedürftigsten Menschen den größten Anteil bekommen. Das bedeutet, dass ältere und immungeschwächte Menschen, also jene, die bei Ansteckung mit hoher Wahrscheinlichkeit einen schweren oder sogar tödlichen Krankheitsverlauf hätten, als Erstes den Impfstoff bekommen würden.

Alle Ansätze haben zu einem gewissen Grad ihre Berechtigung und können als fair angesehen werden. Tatsache bleibt jedoch, dass einer verlieren muss, wenn der andere mehr bekommt. Bezüglich der Impfungen kann das schwere Folgen haben, denn es geht um Existenzen und vor allem um Leben. Eine Lösung zu finden, die für alle fair ist, erweist sich in diesem Fall als schwierig und zurecht gibt es viele Debatten über das Thema.

Als nächstes möchte ich dir ein ebenso reales Beispiel aus dem Businessbereich aufzeigen, dass ich erst vor kurzem erlebt habe und bei dem es ebenfalls eine Debatte um Fairness gab. Dabei ging es nicht um eine gefährliche Infektionskrankheit, sondern um eine Allokation. Was das bedeutet? Es gab eine Verknappung auf dem Markt, die zur Folge hatte, dass elektronische Mikrochips knapp wurden. Diese Chips sind wichtig für Fahrzeuge, vor allem aber für Handys, Laptops und ähnliche Steuergeräte.

Unser Lieferant sagte uns damals, er würde lediglich zu 60 % unseren Bedarf an Chips würde decken können. Wir mussten uns deswegen entscheiden, wie wir die zur Verfügung stehende Menge an unsere drei Montagewerke verteilen, die auf die Produkte angewiesen waren. Es galt also zu klären, wer wie viel Volumen bekommen sollte. Der erste Vorschlag richtete sich nach dem Bedarf der Werke. Damit würde derjenige am meisten bekommen, der auch die höchsten Kundenbedarfe hatte. Klingt doch fair, oder nicht?

Das Problem bei dieser Verteilung ist, dass sich die Bedarfe stetig ändern und wir demnach jede Woche die Verteilung hätten ändern müssen. Dazu kam, dass es generell zu wenig Chips gab, die Kundenbedarfe waren deswegen alle zu hoch und es mussten sowieso viele Kunden der betroffenen Montagestandorte vertröstet werden.

Der nächste Vorschlag für die Verteilung richtete sich an der Historie der Standorte und ihrer Produkte aus. Am ehesten ließen sich diese vertrösten, die erst neu mit dem Produkt gestartet waren und deren Kunden noch nicht auf das knappe Produkt umgestellt waren. Vorrang hätten dieser Sichtweise nach Unternehmen, die bereits seit mehreren Jahren Produkte mit diesen Chips verkauften. War das nun endgültig fair?

Eigentlich nicht, denn man könnte gegenargumentieren, dass ja gerade Werke mit neuen Produkten auf die Chips angewiesen sind, um am Markt erfolgreich teilnehmen zu können.

Die Situation spitzte sich tatsächlich noch weiter zu. Einer unserer Lieferanten trat schließlich an uns heran und beschwerte sich über deutliche Mehrkosten, die entstanden, weil am Spotmarkt die begehrten Chips zu teilweise zehnfachen Preisen verkauft wurden. Eine kleine Menge an Chips für einen sehr hohen Preis tat der Marge einen ganz schönen Abbruch.

Der Lieferant fragte, ob wir die teuren Chips trotzdem kaufen sollten und wer welche Kosten übernehmen würde. Er setzte einen Anker und leitete die Kosten natürlich zu 100 % an uns weiter, die Verknappung sei ja nicht seine Schuld. Wir hingegen argumentierten, dass wir ihm die vorhergesagte Menge bereitgestellt hatten und nichts weiter bezahlen würden, weil es sein Job gewesen war, diese Menge sicherzustellen. Wir würden uns lediglich an den Kosten der Menge beteiligen, die darüber liegt, da er dann auch mehr Gewinn machen würde.

Als nächstes erklärte der Lieferant, er habe seinen Forecast an seinen Unterlieferanten weitergeleitet. Er könne nichts dafür, wenn dieser ihm zu wenig liefert. Wir einigten uns deswegen darauf die Kosten zu dritt aufzuteilen, der Lieferant, sein Unterlieferant und wir würden jeweils ein Drittel übernehmen.

Du siehst – eine Menge von „dafür kann ich doch nichts“ und „das wäre nicht fair“. Für jede der Vorgehensweisen, die ich eben aufgezeigt habe, könnte mit Fairness argumentiert werden. Es wäre auf eine Art fair gewesen, hätten wir die gesamten Mehrkosten übernommen. Es wäre auch fair gewesen, hätte sich der Lieferant beteiligt. Womöglich wäre es aber auch am fairsten gewesen, wenn allein der Unterlieferant alle Kosten getragen hätte, ein Großteil der Schuld an der Situation ging ja auf sein Konto.

Jede Verteilung hat ihre Vor- und Nachteile, wichtig aber bleibt, dass du dich auf jeden Fall auch in Verhandlungen wie diesen für deine eigene Gerechtigkeit einsetzt. Den Unterschied kannst du erkennen – wir zahlten ein Drittel der Kosten für die Chips anstatt die vollen 100 %, ein riesiger Unterschied.

Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Fairness für jeden etwas anderes bedeutet. Schließlich blickt jeder auf eine Situation aus einer anderen Perspektive. Es handelt sich bei Gerechtigkeit nicht um einen festen Wert, mit dem man rechnen kann, sondern um eine subjektive Wahrnehmung, die sich beeinflussen lässt. In einer Verhandlung solltest du stets für einen fairen Umgang miteinander plädieren und dich dafür einsetzen, dass sich beide Parteien entgegenkommen. Fairness ist zwar schwer zu definieren, trotzdem aber auch ein gutes Argument, denn wir möchten unterbewusst verhindern, dass sich jemand benachteiligt und unfair behandelt fühlt. Ansonsten kommt die Angst auf, dass wir selbst ebenfalls ungerecht behandelt werden könnten.

WAS SOLLTEST DU AUS DIESEM KAPITEL MITNEHMEN?

1. Fairness bedeutet für jeden etwas anderes. Was dem einen ein Vorteil ist, ist dem anderen ein Nachteil. Das musst du beim Verhandeln im Hinterkopf behalten.

2. Bei der Debatte um Verteilungsgerechtigkeit können vier Prinzipien in Erwägung gezogen werden: Die Verteilung nach dem Gleichheitsprinzip, nach der Leistungsgerechtigkeit, nach Macht und nach den Bedürfnissen der Beteiligten.

3. Einige dich mit deinem Verhandlungspartner schon zu Beginn des Gesprächs auf ein faires Miteinander. Argumentiere für dein eigenes Fairness-Empfinden, gehe aber auch auf die Ansicht deines Gegenübers ein.

VERHANDLUNG MACHT ERFOLGREICH

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