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VERLUSTAVERSION - DIE ANGST VOR VERLUSTEN

Der Besitz macht uns nicht halb so glücklich, wie uns der Verlust unglücklich macht.

Jean Paul – Deutscher Schriftsteller

Die Angst vor potenziellen Verlustgeschäften kann man in Verhandlungen produktiv nutzen. Das dachte sich auch einmal einer meiner Verkäufer für Stahl und machte damit guten Gewinn. Er rief mich eines sonnigen Nachmittags an um mir mitzuteilen, dass er viele Anfragen und Bestellungen bekommen habe und seine Kapazitäten im nächsten Quartal ziemlich ausgelastet seien. Damit ich nicht ohne Material dastehen oder dieses zu überteuerten Preisen einkaufen musste, wollte er mir großzügig ein „Freundschaftsangebot“ machen, wie er es nannte. Er bot mir die nächste Quartalsmenge für nur 5 % höher an, als ich im letzten Quartal gezahlt hatte. Da mich das Angebot zwar nicht umhaute, ich aber auf keinen Fall ohne benötigtes Material dastehen wollte, kalkulierte ich noch während des Telefonats was ich sonst noch an Rabatt rausschlagen könnte. Dann teilte mir der Verkäufer mit, dass das Angebot zeitlich begrenzt sei. Mit jeder weiteren Stunde sinke die einmalige Chance, es noch anzunehmen, da sich viele dafür interessierten und die Kapazitäten seiner Stahlfabrik sehr begrenzt seien. In meiner Angst, das günstige Angebot zu verlieren, sagte ich sofort zu. Auf lange Sicht gesehen brachte mir das recht wenig und die Einwände des Verkäufers waren lediglich Panikmache gewesen. Hätte ich das Angebot nicht angenommen, hätte ich im Prinzip keinerlei Verlust gemacht. Aber da mein mächtiges Unterbewusstsein und nicht meine Vernunft für mich gehandelt hatte, kamen mir diese Erkenntnisse erst nach der Verhandlung. Bei mir griff die sogenannte „Verlustaversion“; ich gewichtete den Verlust viel höher als den Gewinn, weil das menschliche Unterbewusstsein Verluste und die damit einhergehenden negativen Gefühle vermeiden will. Das hat zur Folge, dass wir uns oft lieber für vermeintlich sichere, aber in Wahrheit ungünstige Optionen entscheiden, wie es in diesem Fall war.


Mit der Angst, finanzielle Verluste hinnehmen zu müssen, arbeiten auch viele Onlinehändler. Sicher kennst du verlockende Angebote wie „keine Versandkosten ab 50 Euro“, „kostenloser Expressversand ab einem Einkaufswert von…“, „im Moment schauen sich 32 Personen dieses Angebot an“, „nur noch 1 Stück auf Lager“ oder „42 andere Kunden haben dieses Produkt ebenfalls heute gekauft“. Dieser eine Satz löst in uns unterbewusst die Angst aus, eine gute Gelegenheit zu verpassen und einen Verlust zu riskieren. Nehmen wir an, eine Person möchte online einen Pullover bestellen und kann sich nicht zwischen zwei modischen Modellen entscheiden. Schließlich entscheidet sie sich doch und nimmt den für 34,99 Euro. Als sie bezahlen möchte öffnet sich ein kleines Fenster, in dem steht, dass ihr nur noch 15,01 Euro zum kostenlosen Versand fehlen, was ihr ganze 4,99 Euro sparen würde. Da der andere Pullover nur 24,99 Euro kostet, kauft sie ihn ebenfalls und spart sich damit die Versandkosten. Auf den ersten Blick kommt es der Person so vor, als wäre das Ganze eine Win-Win-Situation; sie hat zwei schöne Pullover gekauft und musste nicht einmal Versand bezahlen. Langfristig gesehen hat sie jedoch eher ein Verlustgeschäft gemacht. Schließlich wollte sie eigentlich nur einen Pullover kaufen und hätte selbst mit Versand nur 39,98 Euro bezahlt anstatt knapp 60 Euro.

Menschen wollen unbedingt verhindern, hinterherzuhängen und Verluste zu machen. Wir handeln aus unseren Emotionen heraus, die uns sagen: „Greife schnell zu und vermeide den drohenden Verlust!“. Dadurch kann aber gerade der Verlust entstehen, vor dem wir solch eine Angst haben. Nehmen wir an, ich biete dir ein Spiel an, bei dem ich eine Münze werfe und dir bei Kopf 20 Euro gebe. Landet die Münze aber auf Zahl, verlierst du 10 Euro. Würdest du mein Spielangebot annehmen? Wahrscheinlich nicht. Damit bist du nicht der Einzige, die Mehrheit der Menschen würden sich gegen das Spiel entscheiden. Dabei wäre es doch rationaler, es anzunehmen, denn schließlich könnte man einen Gewinn von ganzen 20 Euro machen. Doch weil ein positives Gefühl 100 % und ein negatives Gefühl mehr als 200 % wiegt, hast du mehr Angst vor dem Verlust der 10 Euro als vor dem Gewinn der 20 Euro.


Der Grund für unsere große Verlustangst liegt in unserem Gehirn, genauer gesagt in der Amygdala im limbischen System. Dieser Teil des Gehirns ist für vieles verantwortlich, darunter für unsere Gefühle, unser Gedächtnis, die Verdauung, einfache logische Aufgaben wie 2+2=4 sowie unsere Kampf- und Fluchtreflexe. Es ist außerdem die Instanz in uns, die uns vor Verlusten und Risiken warnt und uns nur im Bruchteil einer Sekunde dazu bringt, das Spiel abzulehnen. Wieso ist das so? Machen wir eine kurze Zeitreise in die Steinzeit und stellen uns vor, einer unserer Vorfahren trifft bei der Jagd auf einen gefährlichen Säbelzahntiger. Wenn er sich jetzt lange überlegt, ob er kämpfen oder wegrennen soll, im Kopf vielleicht eine kleine Pro-und-Contra-Liste anfertigt, wird er wohl als Mittagessen der prähistorischen Kreatur enden.

Doch sein limbisches System entscheidet sich für ihn und rettet ihm das Leben. Wortwörtlich „ohne darüber nachzudenken“ ergreift unser schlauer Vorfahre die Flucht, weil sein Unterbewusstsein im limbischen System Gefahr wahrgenommen und eine sofortige Reflexhandlung initiiert hat. Dank dem limbischen System kannst du heute also dieses Buch lesen. Und dank ihm rechnest du potenziellem Verlust mehr Bedeutung zu als potenziellem Gewinn, denn Verlust wird als Gefahr wahrgenommen. Wir sind zwar meist rationale Wesen, doch unser Frontal-Cortex, der für rationale Entscheidungen zuständig ist, reagiert viel zu langsam. Außerdem verbraucht der Denkvorgang in diesem Teil des Gehirns eine Menge Energie, weswegen wir ihn vor allem in dringenden Situationen nicht immer benutzen. Deswegen werden mehr als 90 % unserer täglichen Entscheidungen vom limbischen System und unseren Gefühlen getroffen, und das Gefühl von Verlustangst macht uns besonders irrational.

Noch stärker wird die angeborene Verlustaversion, wenn das sogenannte Endowment bzw. der Besitztumseffekt hinzukommt. Besitzen wir etwas und verkaufen es dann, egal ob es sich um eine Vase oder um ein ganzes Haus handelt, schätzen wir den Wert des Gegenstands höher ein, nur weil wir ihn vor dem Verkauf eine Zeit lang besessen haben. Haben wir viel in eine Immobilie investiert und verkaufen sie dann, bieten wir sie wahrscheinlich zu einem viel höheren Preis an, als dem, der ihr wirklich entspricht. Weil wir Eigentum weggeben, in das wir etwas investiert haben, steigert sich die Angst vor dem Verlust enorm. Das Gleiche gilt für einen Job oder eine Beziehung; wir haben uns an die netten Kollegen oder an die (einst) geliebte Person gewöhnt, weswegen uns der Verlust viel bedeutender vorkommt als ein potenzieller Neuanfang.

Verluste falsch einzuschätzen und uns selbst gedanklich zu rahmen kann im Business von Vorteil sein, wie mein Stahlverkäufer bewies. Aber auch du als Einkäufer kannst von der menschlichen Irrationalität profitieren. Gib deinem Geschäftspartner früh in der Verhandlung das Gefühl etwas zu verlieren, wenn er den Deal mit dir nicht durchbekommt. Angenommen du teilst einem bestehenden Lieferanten während der Verhandlung mit, dass du derzeit die aktuellen Marktpreise vergleichst. Du erwartest drei Angebote von weiteren Lieferanten und wirst nach deren Analyse den besten Anbieter auswählen. Dein aktueller Lieferant erfährt ein hohes Verlustgefühl, er möchte den Gewinn mit dir nicht verlieren und wird dir entgegenkommen. Die potenziellen neuen Lieferanten können nur gewinnen und neigen dazu, direkt ihr bestes Angebot zu machen. Ganz nach dem Motto: „Besser ein niedriger Gewinn von viel Umsatz als ein hoher Gewinn bei keinem Umsatz.“ Erhöhe außerdem den Aufwand, den er in die Verhandlung stecken muss, indem du ihn oft zu dir einlädst, um neue Angebote bittest oder ihn in die Entwicklung von Rahmenverträgen miteinbeziehst. Je mehr in die Verhandlung investiert wird, desto schwerer wiegt der potenzielle Verlust des Zuschlags. Auf diesen Punkt werde ich im Kapitel über den Effekt versunkener Kosten noch näher eingehen.

Ein paar Monate nach dem Deal, von dem ich eben berichtet habe, bekam ich erneut ein Angebot, diesmal von einem anderen Verkäufer. Er bestand ebenfalls auf die zeitlichen Begrenzung des Angebots und erklärte mir, dass schon einige andere Einkäufer darauf zugegriffen hätten. Im ersten Moment kam ich natürlich sehr ins Schwitzen, schließlich wollte ich der Konkurrenz nicht hinterherhinken. Dann erinnerte ich mich jedoch an meinen letzten Fauxpas mit einem reizvollen Angebot und ließ mir die Sache noch einmal gut durch den Kopf gehen. Von den reduzierten Produkten hatten wir eigentlich noch genug und aufgrund der großen Bestellmenge, die ich sonst in Anspruch nahm, kam gut etwas an Rabatt zusammen. Der nun angebotene Rabatt machte da nicht viel aus und so kam ich zu dem Schluss, dass sich das Angebot langfristig nicht lohnen würde. Das Geld war an anderer Stelle besser investiert.

Seitdem achte ich darauf, mein erstes Panikgefühl im Angesicht einer eventuell verpassten Chance zu ignorieren und auch nicht auf die aufkommende Euphorie zu achten, die mir mein Gehirn vorspielt, wenn ich ein Angebot angenommen habe. Stattdessen ignoriere ich meine Emotionen für kurze Zeit und gehe so objektiv wie möglich an die Sache heran. Ich bin mit Zahlen und Exponentialfunktionen vorsichtig und rechne alles mehrmals nach, bevor ich mich für irgendetwas entscheide. Ich versuche, die drei wahrscheinlichsten Eventualitäten durchzuspielen. Was lohnt sich langfristig wirklich? Sollte ich das Angebot annehmen, weil die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Preise für ein Produkt in nächster Zeit steigen? Oder ist das Angebot nur eine Falle vom Verkäufer, der schnell überschüssige Produkte loswerden und dabei noch Gewinn machen will? Lasse deine Angst vor einem finanziellen Verlust nicht größer sein als die Möglichkeit zu gewinnen! Ein Gewinn kann auch bedeuten, ein unnötiges Angebot abzulehnen und so auf lange Sicht keine unnötigen Kosten zu haben.

WIE KANN DIE VERLUSTAVERSION GENUTZT WERDEN?

1. Überlege dir vor der Verhandlung, welche Konstellation bei deinem Geschäftspartner eine Verlustaversion erzeugen kann. Am effektivsten sind hier die Erschaffung einer Wettbewerbssituation, eine Angebots- oder eine zeitliche Verknappung.

2. Wettbewerb gehört zum höchsten Motivator. Teilst du deinem Gegenüber mit, dass du einen Auftrag neu ausschreibst und sich bereits mehrere Lieferanten beworben haben, wird die Verlustangst sofort angesprochen und du bekommst bessere Ergebnisse.

3. Reduziere dein Angebot, indem du vorher allen Beteiligten klar machst, dass die Ausschreibung für die nächsten drei oder fünf Jahre gemacht wird, und in der Zwischenzeit keine weitere Ausschreibung stattfindet.

4. Um zu verstehen, welcher Punkt die Verlustaversion am besten hervortreten lässt, musst du dich in deinen Verhandlungspartner hineinversetzen. Was zählt, ist nicht, wie du über die Situation denkst, sondern wie der andere sie einschätzt.

5. Erkläre deinem Gegenüber, was er durch eine Nicht-Zusammenarbeit mit dir verlieren wird, statt ihm von den Vorteilen der Zusammenarbeit zu berichten.

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