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Idiopathischer Autismus

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Bei 75 % bis 90 % aller diagnostizierten Autist*innen haben wir es mit einem ideopathischen Autismus zu tun, bei dem die genauen genetischen Ursachen noch unklar sind bzw. keine unmittelbare Ursache festgestellt werden kann. Auf jeden Fall ist ein genetischer Hintergrund in Bezug auf die Entstehung von Autismus bedeutsam. Das schimmert bereits bei den Erstbeschreibungen über Autismus durch. Im Hinblick auf genetische Einflüsse wird auf Familien- und Zwillingsstudien verwiesen. So finden sich z. B. Hinweise für eine familiäre Häufung von Autismus oder autistischer Verhaltensweisen. Familienstudien zufolge weisen viele Verwandte ersten Grades Verhaltensweisen auf, die in sozialer und kommunikativer Hinsicht autistisch wirken, aber nicht dem „Vollbild“ des Autismus-Spektrums entsprechen. Die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung autistischen Verhaltens ist bei Geschwistern eines autistischen Geschwisterkindes um etwa 60 % höher als in der Allgemeinbevölkerung. Zwillingsstudien weisen mit etwa 77 % eine hohe Autismus-Konkordanzrate (Übereinstimmung) bei männlichen eineiigen Zwillingen auf. Insofern entwickelt nicht jeder eineiige Zwilling ein autistisches Verhalten. Ferner scheint der Ausprägungsgrad der Behinderung bei eineiigen Geschwistern aus dem Autismus-Spektrum erheblich zu variieren. Das bedeutet, dass nicht von einer eindeutigen genetischen Verursachung von Autismus ausgegangen werden kann. Vielmehr spielt das Zusammenwirken von Genmutationen oder einer Vielfalt an Risikogenen mit Umweltfaktoren im Hinblick auf die Entstehung von Autismus bzw. die Expression autistischer Merkmale die entscheidende Rolle. Genaue Zusammenhänge sind jedoch bis heute unklar.

Neuere Studien gehen davon aus, dass epigenetische Prozesse das Zusammenspiel zwischen genetischen Faktoren mit Umweltkomponenten hintergründig beeinflussen. Bezüglich der externen Faktoren ist festgestellt worden, dass demografische Aspekte (hohes Alter der Mütter oder Väter)7, mütterliche Erkrankungen (Infektionen, Vergiftungen, schwere psychische Störungen) oder Medikamenteneinnahme (Valproat, Barbiturate) während der Schwangerschaft, prä- und perinataler Stress, ein überdurchschnittlich hoher intrauteriner Testosteronspiegel8, Geburtskomplikationen oder kurzer Geburtsabstand (zweitgeborenes Kind unter einem Jahr nach Geburt des zuvor geborenen Geschwisterkindes) einen Autismus begünstigen können.

Vor diesem Hintergrund dürfen wir annehmen, dass dem Autismus-Spektrum eine „genetische Vulnerabilität9 (Grabrucker & Schmeißer 2015) zugrunde liegt.

Diese nimmt auf der Grundlage des Zusammenwirkens genetischer und externer Faktoren Einfluss auf die Hirnentwicklung, die bei einem als autistisch diagnostizierten Menschen in der Regel atypisch verläuft. Hierzu gibt es bemerkenswerte neurobiologische Befunde, die zwar kein einheitliches Bild aufzeigen, sich im Hinblick auf Autist*innen“ mit komplexen Beeinträchtigungen „oft widersprechen“ (Jack & Pelphrey 2017, 20) oder z. T. miteinander konkurrieren, aber auch Tendenzen erkennen lassen, die von einer wachsenden Zahl an Forschungsstudien gestützt werden (vgl. Lai, Lombardi & Baron-Cohen 2014). Da wir bereits an anderer Stelle bedeutsame Untersuchungsergebnisse, Erklärungsmodelle und Theorien dokumentiert haben (vgl. Theunissen 2020; 2021a; Theunissen u. a. 2015), möchten wir im Folgenden nur eine kurze Zusammenschau der derzeit wichtigsten Erkenntnisse und Annahmen skizzieren.

Basiswissen Autismus und komplexe Beeinträchtigungen

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