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Fünfundvierzigster Brief.

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Weinfelden, Kanton Thurgau, den 20. Vendémiaire, Jahr VII (Oct. 1799).

„Heute kann ich von großen und glücklichen Erfolgen erzählen, von einem Haufen Lorbeern, von Ruhm und Siegen! Die Russen sind innerhalb zwanzig Tagen aus der Schweiz vertrieben; unsere Heere sind im Begriff, in Italien einzudringen; die Oestreicher sind auf das andere Rheinufer zurückgedrängt. Und Dein Sohn, meine gute Mutter, hat Theil an diesem Ruhme und hat in der Zeit von vierzehn Tagen drei Schlachten mitgemacht. Er trinkt, er lacht, er singt und springt drei Fuß hoch vor Freude, wenn er bedenkt, daß er Dich im künftigen Januar in Nohant umarmen, und den kleinen Lorbeerzweig, den er verdient haben könnte, in Deinem kleinen Stübchen, zu Deinen Füßen niederlegen wird.

„Ich sehe Dich erstaunt, verwirrt über diese Sprache und Du hast hundert Fragen an mich zu richten, tausend Erklärungen zu verlangen: Du willst wissen, auf welche Art ich in die Schweiz gekommen bin und warum ich Thionville verlassen habe. Ich werde dies Alles beantworten und Dir die Verhältnisse und Gründe auseinandersetzen, die meine Schritte geleitet haben. Nur die Furcht, Dich unnöthig zu beunruhigen, hat mich verhindert, Dich früher von Allem zu unterrichten.

„Ich bin nun einmal Soldat und will diese Laufbahn verfolgen. Mein guter Stern, mein Name, die Art und Weise, wie ich mich eingeführt habe, Deine Ehre und die meinige — Alles verlangt, daß ich mich gut aufführe und die Protection, die mir zu Theil wird, zu verdienen suche. Du wünschest vor Allem, daß ich nicht in der Menge verborgen bleibe, sondern Offizier werde. Nun wohl! meine gute Mutter, es ist jetzt eben so unmöglich, im französischen Heere Offizier zu werden, ohne im Kriege gewesen zu sein, als es im 15. Jahrhundert unmöglich gewesen wäre, einen Türken zum Bischof zu machen, ohne ihn zu taufen. Diese Ueberzeugung mußt Du durchaus gewinnen! Wer jetzt als Offizier zu irgend einem Corps käme, ohne das Feuer der Batterien gesehen zu haben, würde, er möchte sein, wer er wollte, zum Stichblatt und zur Zielscheibe des Spottes werden; und wenn ihn seine Kameraden aus Rücksicht auf seine Talente verschonten, würden ihn seine Soldaten, die keine Begabung als den physischen Muth zu schätzen wissen, um so mehr verhöhnen. Ueberzeugt also, daß man den Krieg mitmachen muß, einestheils um Offizier zu werden, und anderntheils um mit Ehren Offizier zu sein, sagte ich mir gleich zu Anfang, daß ich mich so bald als möglich am Feldzuge betheiligen müßte. Oder glaubtest Du etwa, ich hätte Nohant verlassen, um in den Garnisonen den Liebenswürdigen und im Hauptquartier den Beschäftigten zu spielen? Nein, ich habe sicherlich immer vom Kriege geträumt, und wenn ich Dir in dieser Beziehung etwas vorgelogen habe, so verzeihe mir, meine gute Mutter! Du selbst hast mich durch Deine zärtlichen Sorgen dazu gezwungen.

„Sobald die Feindseligkeiten wieder begannen und ehe mir der General vorschlug, ihn zu verlassen, hatte ich ihn um die Erlaubniß gebeten, mich zu dem Kriegsheere begeben zu dürfen. Zuerst nahm er diesen Vorschlag mit Freuden an; aber später hatten ihn Deine Briefe gerührt und er fürchtete, Dir zu mißfallen, indem er so die Verantwortlichkeit für mein Geschick übernähme; er ließ mich also zurückkommen und gab mir den Befehl, in's Hauptquartier zu gehen, weil Du nicht wünschtest, daß ich den Krieg mitmache. Aber als ich ihm vorstellte, daß alle Mütter in dieser Beziehung mehr oder weniger Dir ähnlich wären, und daß in diesem einzigen Falle der Ungehorsam erlaubt, ja sogar Pflicht wäre, gab er mir Recht.

„Gehen Sie in's Hauptquartier, sagte er mir; von dort aus mögen Sie sich dann dem ersten Detachement anschließen, das zur Kriegsarmee abgeht. Ihre Frau Mutter wird mir dann keine Vorwürfe zu machen haben, denn Sie werden Ihrer eignen Eingebung folgen.

„Sobald ich nach Thionville komme, ist nun meine erste Sorge, danach zu fragen: ob nicht bald ein Detachement abgeht; ich konnte meine lebhafte Ungeduld, zur Armee zu stoßen, nicht verbergen und warte in großer Angst einen Monat lang. Endlich wird ein Detachement gebildet; ich gehöre dazu und exerziere alle Tage mit demselben. Mit den ältesten Jägern spreche ich vom Kriege; sie sehen, wie sehr ich verlange, ihre Anstrengungen, ihre Arbeiten und ihren Ruhm zu theilen — und darin, meine gute Mutter, liegt vielmehr das Geheimniß ihrer Zuneigung für mich, als in dem Bewillkommnungstrunke, den ich für sie bezahlt habe. Endlich war der Tag des Abzugs bestimmt — wir hatten nur noch acht Tage zu warten. — Dir schrieb ich allerhand Possen, aber konntest Du glauben, daß ich mich für die Wartung und Fütterung der Pferde interessiren würde, wenn ich nicht die Absicht gehabt hätte, in den Krieg zu ziehen?

„Aber im Augenblick, als ich es am wenigsten erwartete, erhielt ich einen Brief vom General, worin er mir — in sehr freundlichen, aber doch sehr bestimmten Worten sagt — er wolle, daß ich bis auf wettern Befehl im Hauptquartier bleibe. Nun sieh, welche häßliche Rolle er mich spielen ließ! wie sollte ich dem ganzen Regimente erklären und beweisen, daß mein Zurückbleiben nicht meine Schuld war? Ich war in Verzweiflung und zeigte den unheilvollen Brief allen meinen Freunden. Die Offiziere sahen wohl meine Knechtschaft und meinen Schmerz — aber der Soldat, der nicht lesen kann und nicht viel nachdenkt, glaubte nicht daran. Hinter meinem Rücken hörte ich sagen: „„ich wußte wohl, daß er nicht mitziehen würde; die Kinder vornehmer Häuser fürchten sich und wer Protectionen hat, geht nie in den Krieg.““ Der Schweiß lief mir von der Stirn, ich betrachtete mich als entehrt; trotz der Anstrengung des Dienstes schlief ich nicht mehr; ich war zum Tode betrübt und schrieb Dir nur selten, wie Du bemerkt haben wirst. Wie sollte ich Dir dies Alles sagen? — Du hättest doch nicht daran geglaubt.

„In meiner Verzweiflung ging ich endlich zum Commandanten Dupré. Ich zeigte ihm den verdammten Brief und kündigte ihm an, daß ich entschlossen wäre, dem General ungehorsam zu sein; daß ich, wenn es nöthig wäre, vom Regiment desertiren wollte, um mich als Freiwilliger dem ersten besten Corps anzuschließen, daß ich meinen Rang als Brigadier verlieren wolle u.s.w., ich war wie verrückt. Der Kommandant umarmt mich und giebt mir Recht. Er hatte mich dem Brigadechef und mehreren Offizieren des Regimentes angekündigt und empfohlen und er sah wohl ein, daß, wenn ich nicht die Gelegenheit benutzte, mich in diesem Feldzuge auszuzeichnen, mein Fortkommen verzögert, vielleicht gestört sein würde. Er sagte mir, daß er es übernähme, mein Fortgehen beim General zu entschuldigen, und daß ich auch auf die Gefahr, seine Gunst zu verlieren — was übrigens nicht zu erwarten wäre — nicht zögern dürfte. Entzückt über diesen Beschluß, stieg ich am Morgen des Fortziehens mit dem Detachement zu Pferde; alle Offiziere umarmten mich und zur großen Verwunderung der Soldaten, begab ich mich mit ihnen auf den Weg in die Schweiz. Da ich Dir meinen Entschluß erst mittheilen wollte, wenn er durch die Bluttaufe des ersten Zusammentreffens mit dem Feinde geweiht wäre, schrieb ich Dir in Colmar, datirte den Brief jedoch aus Thionville und schickte ihn dem Virtuosen Hardy, der ihn auf die Post geben sollte. Unsere Reise dauerte zwanzig Tage, und nachdem wir den Kanton Basel durchstreift hatten, trafen wir im Kanton Glarus mit unserm Regimente zusammen. Hier sieht man jene spitzigen Berge, die von Tannenwäldern bedeckt sind, ihre Häupter tragen ewigen Schnee und ragen in die Wolken; man hört das Tosen der Waldströme, die sich von den Felsen herabstürzen und das Pfeifen des Windes in den Wäldern. Aber Hirtengesänge und Heerdengebrüll war nicht mehr zu finden. Alle Sennhütten waren schleunig verlassen — Alles war bei unserm Anblick entflohen und die Einwohner hatten sich mit ihren Heerden in's Innere des Gebirges zurückgezogen. In den Dörfern war kein lebendes Wesen, der ganze Kanton war ein Bild der Verödung; keine Frucht, kein Glas Milch war zu haben. Zehn Tage lang haben wir von dem schlechten Brote und dem noch schlechtern Fleisch gelebt, welches die Regierung liefert und die übrigen zehn Tage unseres Marsches haben wir uns von halb rohen Kartoffeln genährt — wir hatten nicht Zeit, sie gehörig zu kochen — und wenn wir's haben konnten, von etwas Branntwein.

„Am 3. Vendémiaire begannen die Feindseligkeiten; wir griffen den Feind, der sich hinter die Limmat und die Linth zurückgezogen hatte, auf allen Punkten an. Um drei Uhr Morgens wurde zum Angriff commandirt — ich hatte so viel vom Eindruck des ersten Kanonenschusses gehört! Ein Jeder spricht davon und keiner vermag die Wirkung zu beschreiben, aber ich habe mir von meinem Eindruck Rechenschaft gegeben und ich versichere Dich, daß er nichts Peinliches hatte, daß er im Gegentheil angenehm war.

„Denke Dir einen Augenblick feierlicher Erwartung und dann ein plötzliches, herrliches Losbrechen. Es ist der erste Bogenstrich, nachdem wir uns andächtig gesammelt haben, um die Ouvertüre zu hören. Und welche schöne Ouvertüre ist solche regelrechte Kanonade! Dieser Kanonendonner, diese Gewehrsalven, bei Nacht und inmitten von Felsen, die das Getöse verzehnfachen (Du weißt, ich liebe das Getöse), waren von zauberischer Wirkung! Und als die Sonne den Schauplatz erleuchtete und die Rauchwolken vergoldete, war es schöner, als in allen Opern der Welt.

„Beim Tagesanbruch verließ der Feind seine Stellung zur Linken und zog seine Kräfte zur Rechten bei Uznach zusammen. Wir wendeten uns dorthin. Die Cavalerie blieb in Schlachtordnung hinter der Infanterie, welche sich anschickte, den Fluß zu überschreiten, der uns vom Feinde trennte; unter seinem Feuer wurde eine Brücke geschlagen — es waren Russen, mit denen wir zu thun hatten und diese Leute schlagen sich wahrlich gut. Als die Brücke fertig war, rückten drei Bataillone vor, um sie zu überschreiten; aber kaum warm sie auf dem andern Ufer angelangt, als der Feind mit bedeutenden, uns weit überlegenen Kräften anrückte. Die Truppen, welche die Brücke überschritten hatten, warfen sich in Unordnung darauf zurück; die Hälfte war bereits wieder an das linke Ufer gelangt, als die Brücke, die zu sehr belastet war, zerbrach. Alle, die noch auf dem rechten Ufer waren, suchten nun, als sie die Brücke zerbrochen sahen, ihr Heil in einer verzweifelten Anstrengung: sie ließen die Russen bis auf zwanzig Schritt herankommen und richteten ein fürchterliches Blutbad unter ihnen an. Ich gestehe, daß ich trotz der Bewunderung, die mir die heldenmüthige Vertheidigung unserer Bataillone einflößte, geschaudert habe, als ich so viele Männer fallen sah. Ein Zwölfpfünder, den wir auf der Anhöhe hatten, unterstützte sie mit Erfolg. Die Brücke wurde schleunig wieder hergestellt, man eilte unsern tapfern Soldaten zu Hülfe und das Treffen war entschieden. Wenn die Brücke nicht gebrochen wäre, so hätte der Feind unsere Verwirrung benutzt und die Schlacht wäre verloren gewesen. Da ein sumpfiger Boden der Cavalerie nicht vorzuschreiten erlaubte, haben wir auf dem Schlachtfelde bivouakiren müssen. Um das Feldlazareth zu erreichen, mußten die Verwundeten durch unser Lager getragen werden und die großen Feuer, die wir angezündet hatten, verbreiteten eine Tageshelle. Hier hätte ich, nur für eine Stunde, die höchsten Beherrscher der Nationen neben mir sehen mögen — diejenigen, welche Krieg und Frieden in den Händen halten und sich nicht durch heilige Beweggründe, sondern durch feige persönliche Ursache zum Kriege bestimmen lassen, sollten dies Schauspiel zu ihrer Strafe immer vor Augen haben. Es ist fürchterlich und ich habe nicht geahnt, daß es mir so schmerzlich sein würde.

„Denselben Abend hatte ich die Freude, einem Menschen das Leben zu retten. Es war ein Oestreicher — ich sah einen Körper nicht weit von unserm Feuer liegen und beobachtete ihn. Er war nur am Beine verwundet, aber von Hunger und Anstrengung so erschöpft, daß er kaum noch athmete. Durch ein Paar Tropfen Branntwein brachte ich ihn wieder zum Bewußtsein und wollte nun unsern Leuten vorschlagen, ihn mit mir in's Lazareth zu tragen. Aber sie waren Alle eingeschlafen, und da sie selbst ganz erschöpft waren, schlugen sie meine Bitte ab. Einer von ihnen schlug mir vor, dem Verwundeten den Garaus zu machen — dieser Gedanke empörte mich. Ich weiß nicht, woher ich das nahm, was ich ihnen sagte, denn ich war selbst von Hunger und Anstrengung abgemattet, aber ich erhitzte mich, ich warf ihnen mit Entrüstung, mit Zorn ihre Härte vor. Endlich erhoben sich zwei von ihnen, um mir beim Forttragen des Verwundeten zu helfen. Wir machten eine Bahre von einem Brete und zwei Karabinern. Ein dritter Jäger, den unser Beispiel mit fortriß, vereinigte sich mit uns; wir hoben unsern Kranken auf und trugen ihn eine halbe Meile weit durch Wasser und Morast, der uns zuweilen bis an's Knie ging, in das Feldlazareth. Unterwegs beklagten sie sich oft über die Last und beriethen sich, ob sie mich mit meinem Verwundeten allein lassen und mir anheimgeben sollten, mich aus der Verlegenheit zu ziehen. Dann rief ich ihnen Muth zu und suchte ihnen auf Soldatenweise die besten philosophischen Lehren beizubringen über das Erbarmen, das man dem Besiegten schuldig ist und über den Wunsch, den wir in solcher Lage für unsere Rettung haben würden. Die Menschen sind im Grunde wirklich nicht bösartig, denn die Aufgabe war hart und doch ließen sich meine armen Kameraden überzeugen. Endlich kamen wir an den Ort, wo der Verwundete Hülfe erlangen konnte; ich empfahl ihn angelegentlich und kehrte mit meinen drei Jägern zurück, hundertmal fröhlicher und im Herzen zufriedener, als käme ich vom schönsten Balle oder aus dem herrlichsten Conzerte. Als ich das Feuer wieder erreichte, legte ich mich auf meinen Mantel und schlief ruhig bis zum Tagesanbruch.

„Zwei Tage später kamen wir nach Glarus, wo sich der Feind befand. Der General Molitor, der diesen Angriff befehligte, verlangte einen intelligenten Mann aus der Compagnie — ich wurde ihm zugeschickt und begleitete ihn, als er Abends die Stellung des Feindes recognoscirte. Am folgenden Tage griffen wir an und vertrieben den Feind aus der Stadt. Während des Gefechts versah ich den Dienst eines Generaladjutanten, was mich sehr amüsirte; ich überbrachte fast alle seine Befehle den verschiedenen Corps, die er kommandirte. Als sich der Feind vier Meilen weit zurückgezogen hatte, verbrannte er alle Brücken der Linth, und als er sich zwei Tage später mit aller Macht auf unsern rechten Flügel warf, schickte mich der General Molitor nach Zürich, um dem General Massena einen Brief zu überbringen, in welchem er wahrscheinlich Verstärkung begehrte. Ich reiste mit Courierpferden, und obwohl Glarus zwanzig starke Meilen von Zürich entfernt ist, legte ich den Weg in neun Stunden zurück. Am Tage nachher kam ich per Boot auf dem See zurück und landete sieben Meilen von Zürich in Richterswyl. Rathe einmal, wer die erste Person war, die ich erblickte, als ich an's Land trat? Herr von Latour d'Auvergne! der General Humbert war bei ihm. Er erkannte mich, fiel mir um den Hals und ich umarmte ihn mit Entzücken und dann stellte er mich dem General Humbert als den Enkel des Marschalls von Sachsen vor.

„Der General lud mich zum Abendessen ein und gab mir in seinem Hause Nachtquartier. Das war mir sehr nöthig, denn ich war todtmüde. Am folgenden Tage sprach Herr von Latour d'Auvergne, der im Begriff war, nach Paris zurückzukehren, lange von Dir; er lobte mich, daß ich auf Deine Zärtlichkeit und die Vorsicht des Generals Harville nicht zu viel Rücksicht genommen hätte und fügte hinzu, daß nichts leichter sein würde, als diesen Winter einen Urlaub von drei Decaden zu bekommen, um Dich zu besuchen, daß das Direktorium die Macht hätte, jährlich fünfzig Offiziere zu ernennen, und daß ich zu dieser Zahl gehören könnte. Er wird mit Beurnoville darüber sprechen; er hat sogar Einfluß auf das Direktorium und macht sich anheischig, meinen Urlaub zu erwirken. Also wirst Du es Deinem „verdammten Helden“ zu verdanken haben, wenn Du mich umarmst, liebe Mutter! Ich überlasse mich diesem Gedanken — sehe mich schon in Nohant ankommen und in Deine Arme stürzen. Beurnoville könnte mich in seinen Generalstab ausnehmen, das würde mir die Freiheit geben, Dich öfter zu sehen; das Alles wollen wir diesen Winter besprechen, liebe Mutter. Der Anfang ist schwierig, aber man muß ihn überwinden. Sei versichert, daß ich recht gehandelt habe.

„Seit vier Tagen haben wir Glarus verlassen, um uns noch Constanz zu begeben. Die Entfernung beträgt achtzehn hiesige, das heißt etwa fünfundzwanzig französische Meilen. Wir haben sie ohne Aufenthalt bei strömendem Regen zurückgelegt, und als wir ankamen, mußten wir auf überschwemmten Wiesen bivouakiren. Aber übermäßige Ermüdung läßt überall Schlaf finden. Wir kamen während des Kampfes an und Abends waren wir Herren der Stadt. Die Feindseligkeiten scheinen sich dem Ende zu nähern; noch zwanzigtägigem Bivouakiren ruhen wir jetzt in dem Dorfe, aus welchem ich Dir schreibe; dies ist der erste Ort, wo mir das möglich war.

„Das Ziel, das man sich gesteckt hatte, ist nun erfüllt, die Schweiz ist geräumt und wir werden uns jetzt erholen. Aengstige Dich nun nicht um mich, meine liebe Mutter; ich werde Dir so oft als möglich Nachricht von mir geben — und vor Allem sei nicht böse, daß ich Dich erst heute von meinen Schritten benachrichtige. Wenn ich Dir gesagt hätte, daß ich mich zur Armee begeben wollte, hättest Du nicht eingewilligt und hättest die ganze Zeit in verzehrender Unruhe gelebt. Der Krieg ist nur ein Spiel; ich weiß nicht, warum Du ein Ungeheuer daraus machst — es ist wirklich nur eine Kleinigkeit! Ich gebe Dir mein Ehrenwort, daß es mich sehr amüsirt hat, zu sehen, wie die Russen beim Angriff des Glacis die Berge erkletterten; sie bewiesen dabei eine große Leichtigkeit. Die Kopfbedeckungen ihrer Grenadiere gleichen denen der Soldaten im Stück: „die Caravane“. Ihre Reiter, unter denen sich viele Tataren befinden, tragen faltige Hosen, wie Othello, einen kleinen Dolman und eine Mütze in Mörserform; ich schicke Dir eine Skizze davon. Im Kanton Glarus befanden sich an sechstausend dieser Reiter und ihre Pferde, die größtentheils keine Hufeisen haben, sind fast alle am Wege liegen geblieben; die Anstrengung hat sie zu Grunde gerichtet.

„In diesem Augenblicke erhalte ich zwei Briefe von Dir, vom 5. und vom 8. Fructidor. Wie viel Freude bringen sie und wie wohl thun sie mir, meine gute Mutter! Ich habe auch noch einen vom 25. Thermidor erhalten. Er kam vor sechs Tagen, als wir am Wallenstädter See bivouakirten und ich habe ihn gelesen, während ich auf einem Felsen saß, der in diesen schönen See hineinragt. Es war köstliches Wetter; ich hatte die entzückendste Aussicht vor mir, in mir das Gefühl, meine Pflicht gethan zu haben, indem ich meinem Vaterlande diente, und in meinen Händen war ein Brief von Dir — das war einer der glücklichsten Augenblicke meines Lebens!

„Was zum Teufel meint Herr von Chabrillant mit den Diensten, die ich den Gargiltese geleistet haben soll? Ich habe die Leute seit länger als einem Jahre nicht gesehen. Man erfindet doch Geschichten, in denen kein Sinn und Verstand ist.

„Du fragst nach dem Brigadechef. Er heißt Ordener und ist ein Elsasser von vierzig Jahren; er ist groß, hager, sehr ernsthaft, fürchterlich im Gefecht, ausgezeichnet als Anführer und sehr unterrichtet in seinem Fache, in Geschichte und Geographie. Beim ersten Blick erinnert er an Robert, den Räuberhauptmann; aber auf Beurnoville's Empfehlung hat er mich sehr gut aufgenommen.

„Ich habe, wie ich Dir schon sagte, die 150 Franes, die Du mir schicktest, in Thionville erhalten und vor der Abreise habe ich Alles bezahlt, bis auf die Weinrechnung von zwei Monaten, die dreißig Francs beträgt. Ich muß dies an Hardy bezahlen, der die Auslage für mich gemacht hat; Du siehst übrigens, daß meine Freigebigkeit gegen die Kameraden mich nicht zu Grunde gerichtet hat. Ich bin freilich ohne einen Sou abgereist, aber das war mir lieber, als Schulden zu hinterlassen. Auch muß ich gestehen, daß ich im Kriege keinen Reichthum erworben habe, denn seit vier Monaten ist die Löhnung nicht ausgezahlt. Aber wenn ich Dich auch bitten wollte, mir Geld zu schicken, wüßte ich nicht wohin. Doch sei ruhig; ich kann es eben so gut entbehren, wie die Andern. Wenn Du kannst, schicke mir aber die Adresse des Generals Harville, ich weiß nicht, wo er zu finden ist. Leb wohl, meine liebe Mutter!

„Dies ist hoffentlich ein langer Brief! Gott mag wissen, wann ich wieder Zeit finden werde, einen ähnlichen zu schreiben. Aber sei überzeugt, daß ich die Gelegenheit dazu nicht versäumen werde. Sorge Dich nicht! ich umarme Dich tausendmal, aus voller Seele! wie werde ich mich freuen, Dich wiederzusehen! Sage zu Deschartres, daß ich während der Kanonade an ihn gedacht habe, sowie auch an meine Bonne — die wohl in's Lager hätte kommen können, um meine Kleider zu besetzen.“

Ist es nöthig, an die Situation von Europa zu erinnern, mit welcher diese episodische Erzählung aus dem berühmten Schweizer Feldzuge in Verbindung steht? Wenige Worte werden genügen. Unsere Bevollmächtigten am Congreß von Rastatt waren heimtückischer Weise ermordet und der Krieg hatte sich neu entzündet. Masséna, der in Zürich stand, rettete Frankreich, indem er die Schweiz in vierzehn Tagen von den Russen säuberte, die sich unter Suwarow's Leitung mühsam an das andre Ufer des Rheins zurückzogen, während ein Theil ihrer Mannschaften niedergeschossen war oder zerschmettert in den Abgründen Helvetiens lag. Zu derselben Zeit landete Bonaparte, der aus Aegypten zurückkehrte, an Frankreichs Küsten; an dem Tage, als mein Vater den zuletzt mitgetheilten Brief schrieb, meldete sich Napoleon beim Direktorium in Paris und schon begannen sich die Elemente des 18. Brumaire im Geheimen zu regen.

Ich besitze unglücklicher Weise nur wenige Briefe von meiner Großmutter an ihren Sohn. Einen kann ich hier jedoch folgen lassen; er ist sehr zerrissen und sehr geschwärzt, denn er hat den übrigen Theil des Feldzuges auf der Brust des jungen Soldaten mitgemacht, der ihn endlich im Familienschatz niederlegen konnte.

Nohant, den 6. Brumaire Jahr VIII.

„Ach! mein Kind, was hast Du gethan! Du hast ohne meine Zustimmung über Dein Geschick, über Dein Leben und das meinige verfügt und hast mir durch ein sechswöchentliches Schweigen unaussprechliche Qualen bereitet. Deine arme Mutter lebte gar nicht mehr! ich wagte nicht von Dir zu sprechen und die Posttage waren Tage der Todesangst für mich geworden; ich war fast ruhiger, wenn ich auf keine Nachricht hoffen durfte. Die Rückkehr Saint-Jean's war ein fürchterlicher Augenblick; wenn ich ihn die Thüre öffnen hörte, klopfte mein Herz mit Heftigkeit. Der arme Mensch sagte kein Wort und ich war dem Tode nah — o, mein Sohn, fühle nie, was ich gelitten habe!

„Aber gestern habe ich endlich Deinen lieben, langen Brief erhalten. Mit welcher Hast habe ich ihn ergriffen! wie lange habe ich ihn an mein Herz gedrückt, ohne ihn zu erbrechen — und als ich ihn lesen wollte, war ich so von Thränen überströmt, daß ich nichts zu sehen vermochte. Mein Gott! was hatte ich nicht Alles gefürchtet!

„Ich besorgte unter andern, daß man Dich nach Holland geschickt haben könnte — und ich verabscheue dies Land und dies Heer, ohne zu wissen, warum. Diese vielen Todten und Verwundeten erfüllten mich mit Entsetzen. Und dann sagte ich mir wieder, daß Du mir Deine Versetzung gemeldet haben würdest und war weit entfernt zu glauben, daß Du Dich bei der siegreichen Armee Masséna's befändest. Ehe ich Deinen Brief gelesen hatte, wollte ich an seine Erfolge gar nicht glauben. Aber Du warst ja bei ihm, mein Sohn, Du hast ihm Glück gebracht, seinen Ruhm verdankt er Dir. Drei Schlachten hast Du in vierzehn Tagen mitgemacht! — und Du bist frisch und gesund, Gott sei Dank! Gott sei gepriesen! Mein Gott, wenn dies die letzten Schlachten wären, wollte ich singen und lachen wie Du — aber der Frieden ist nicht abgeschlossen!

„Du sagst, daß wir im Begriff sind, in Italien einzudringen. Wenn das wäre, gäbe es kein Ende für unsre Leiden und es wäre doch wohl Zeit, auf das gegenseitige Morden zu verzichten, das uns doch nur ein Gebiet erwirbt, welches wir wieder verlieren. Ich begreife die Beweggründe, die Dich, mein Kind, zu Deiner Handlungsweise bestimmt haben. Es ist klar, daß Herr von Harville Dir nur meinetwegen zu bleiben befahl. Er hat Dich aus Berechnung zum Brigadier gemacht und wird sich darauf beschränken; Beurnoville gegenüber hat er seine Verpflichtung dadurch erfüllt, daß er Dir für den Augenblick hülfreich gewesen ist. Wir wollen ihm dafür dankbar sein, denn er war Dir nichts schuldig und er gehört nicht zu den Männern, die ihren Schutz aufrichtig gewähren oder offen versagen. Du hast ihn vollständig durchschaut. Caulaincourt hat ihn zu diesem Benehmen gebracht, das allen Hochmuth der alten Zeit und alle Strenge der neuen in sich vereinigt. Aber Herr von Latour d'Auvergne wird Dein Verhalten zur Geltung zu bringen wissen. Welch Glück, daß Du ihm begegnet bist, als Du das Boot bei Richterswyl verließest? Er kann nun erzählen, daß Du den Feldzug mitgemacht hast, daß er Dich gesehen hat — er, der nie etwas für sich begehrt, weiß Andere mit großem Eifer geltend zu machen; aber ich fürchte, daß Dein Urlaub vom General Harville abhängt und in diesem Falle würden wir ihn — trotz des Einflusses, den Du mir zuschreibst — nicht leicht erhalten. Jedenfalls will ich schnell mit meinen Erkundigungen, Bitten und Briefen beginnen. Seit einem Monate war ich todt, nun werde ich durch die Hoffnung wieder belebt. Uebrigens bin ich in Verzweiflung, Dich von Geld entblößt zu wissen und außer Stande zu sein, Dir etwas zu senden. Ich will versuchen, dem Kommandanten Dupré oder Deinem Freunde Hardy etwas zuzustellen; da sie Dir meine Briefe geschickt haben, können sie Dir vielleicht auch das Geld zugehen lassen. Inzwischen bist Du aber in einem verödeten Lande ohne einen Sou in der Tasche! Wenn Du Dir vom Regimentszahlmeister oder vom Brigadechef etwas vorschießen lassen könntest, würde ich für die Rückzahlung Sorge tragen. Deine Sorglosigkeit in dieser Beziehung peinigt mich. Kartoffeln und Branntwein, welche Nahrung nach solchen Anstrengungen, nach solchen bedeutenden Märschen — und dazu ein fürchterliches Wetter und ein Nachtlager auf überschwemmten Wiesen! Mein armes Kind, welch ein Zustand, welch ein Beruf! In Friedenszeiten werden ja Pferde und Hunde besser versorgt, als die Menschen im Kriege. Und Du widerstehst diesen Mühen! Du vergißst sie, um einem Unglücklichen, den das Schicksal in Deine Nähe geführt hat, das Leben zu retten. Deine gute That hat mich tief gerührt; Dein Mitleid, Deine Beredtsamkeit haben auch die rohen Menschen erweicht, die einem armen Verwundeten den Garaus machen wollten; Du hast ihn dann noch mit Deinen Armen, mit Deinen erschöpften Kräften unterstützt und hast darauf geschlafen, in Deinen Mantel gehüllt, mit größerer Befriedigung, als nach allen Freuden, die meine Sorgfalt Dir bereiten wollte! Nur die Tugend, mein geliebtes Kind, kann dies Entzücken gewähren. Unglücklich Jeder, der es nicht kennt! Aber Du hast es in Deinem Herzen gefunden, denn zu dieser guten Regung hat Dich weder Prahlerei, noch allgemeine Beachtung, noch Nachahmungssucht getrieben. Gott allein hat Dich gesehen! Deine Mutter allein hat Deinen Bericht empfangen und die Liebe zum Guten hat Dich geleitet. Du redest immer von Deinem guten Stern: sei versichert, daß die guten Thaten glückbringend sind, und daß bei Gott keine Wohlthat verloren geht.

„Da es nun einmal so sein muß, glaube ich, daß Du das beste Theil erwählt hast; und die ungehofften Siege beweisen es mir — Du willst dienen; es ist Dein Wunsch, Deine Bestimmung und ich weiß, daß Du unter dieser Regierung schneller vorwärts kommen kannst, als Du früher zu hoffen gehabt hättest. Die Machthaber von heute werden sich freuen, den letzten Blutsverwandten eines Helden der öffentlichen Sache dienstbar zu machen. Vom Adel ist hier nicht die Rede, sondern von der öffentlichen Dankbarkeit; ich bin nicht ungerecht, ich weiß sehr wohl, daß die sogenannten „geringen Leute“ dieser Dankbarkeit weit fähiger sind, als es die Hochgestellten früher waren. Ich habe das im Laufe meines Lebens beständig erfahren. Die Erstern hatten in dem Verkehr mit mir nur die Erinnerung eines großen Mannes vor Augen, dessen Verdienste um das Vaterland sie schätzten. Die Andern, die auch jede besondere Wohlthat leicht vergessen, hätten aus Neid oder Undankbarkeit seinen Ruhm verlöschen mögen. Sie sahen, daß ich arm war, ohne Einfluß, ohne Verwandte und waren nicht davon gerührt. Die Kronprinzessin sogar, die ihre Heirath meinem Vater verdankte, war unzufrieden, daß ich seinen Namen trug und hätte mich hindern mögen, ihn zu führen — so ungerecht und undankbar macht uns die Eitelkeit!

„Aber Du, mein Sohn, kannst einen Weg verfolgen, auf welchem Dir solche Hindernisse nicht begegnen. Du besitzest Energie, Muth und Tugend; Du hast nichts wieder auszugleichen, Du hast keine verdächtige Verwandtschaft. Deine ersten Schritte sind dem öffentlichen Leben geweiht und der Weg ist Dir vorgezeichnet. So magst Du ihn denn durchlaufen, mein Sohn, ernte die Lorbeern, bringe sie nach Nohant; ich werde sie an mein Herz legen und mit Thränen benetzen — und diese Thränen werden nicht so bitter sein, als die ich seit vierzehn Tagen geweint habe.

„Du sagst, daß ich Dich im Januar an mein Herz drücken werde. O Gott! das ist in zwei Monaten! ich kann es noch nicht glauben, aber ich will den einzigen Gegenstand meiner Sorge daraus machen. Ich habe ein Recht darauf! — drei Schlachten! wie laut werde ich davon sprechen. Alle Welt soll es erfahren, daß Du den Feind gesehen, und daß Du Ihn besiegt hast. In la Châtre wird man Dich vergöttern. Meine Betrübniß fand allgemeine Theilnahme, und all Deine Sendung ankam, war es für Alle eine Freude; Saint-Jean trug Deinen Brief im Triumph durch die Straßen und wurde bei jedem Schritte angehalten. Du überwogst Bonaparte ... in la Châtre!

„Meinen Brief hast Du also am Ufer eines Schweizer-Sees gelesen und er hat, wie Du sagst, den Glanz Deines schönsten Tages vervollständigt? Liebenswürdiges Kind! wie dankbar ist Dir mein Herz für das innige Gefühl! Wie lieb bist Du mir und wie beneide ich den Augenblick der Seligkeit, den ich nicht mit Dir theilen konnte. Wie glücklich hätte es mich gemacht, Dich so zu sehen, wie Du Dich ganz Deinen süßen Erinnerungen hingabst, ganz Deiner Mutter gehörtest. Wie wohl habe ich gethan, daß ich alles Glück, alle Freude meines Lebens, alle Liebe meiner Seele in Dir vereinigt habe. All' mein Gefühl wird nicht genügen, um Dich willkommen zu heißen, Dich zu umarmen, Dich an mein Herz zu drücken — — ich werde sterben vor Freude.

„Benachrichtige mich doch schnell, wohin ich Dir Geld schicken kann. Es ist wohl nicht möglich, es Dir in das Dorf Weinfelden zu senden, denn Du wirst dort nicht bleiben. Wenn Dein Regiment sich irgendwo festsetzte, würde ich Dir mit jedem Courier zuschicken, was Du verlangtest. Inzwischen erhältst Du hoffentlich die vierzig Thaler, die ich heute an Herrn Dupré abgehen lasse. Es wäre fatal, wenn sie verloren gingen; das Geld ist jetzt so rar, daß sechs Louisd'or ein wahrer Schatz sind. Wo Herr von Harville sich aufhält, weiß ich nicht; ich will ihm aber schleunig schreiben, um seine Güte für Dich in Anspruch zu nehmen und werde meinen Brief nach Paris, rue neuve-des-Capucins, Nr. 531 adressiren.

„Lebe wohl, mein Kind, schone Dein Leben — das meinige hängt damit zusammen. Schlafe nicht mehr im Wasser! — ach, ich fühle jede Mühseligkeit, die Du erduldest. Dich hat der erste Kanonenschuß nicht erschüttert? Mein Gott, mir zerreißt er das Herz! Ich bin überzeugt, daß er seine Bedeutung den Müttern verdankt. Aber Du hast gelacht, als Du die armen Russen in die Berge flüchten sahest; das Getöse des Kampfes hat Dich erfreut, wie Dich schon als Kind der Lärm erfreute. Doch was hast Du Abends beim Scheine der großen Feuer gesehen? Wenn Du Dich auch bemühst, einen Schleier über diese Schrecknisse zu werfen, meine Einbildungskraft erhebt ihn wieder und ich schaudre so wie Du.

„Jetzt wirst Du Dich ausruhen? Ach, wie ich das wünsche! Aber auf jeden Fall versäume nicht, mir das einzige Wort zu schreiben: ich lebe. Das ist Alles, was Deine arme Mutter verlangt. Meine freudige Trunkenheit über den Band, den Du mir geschickt hast, wird sich — ich weiß es — nur zu bald in neuen Sorgen verlieren und wenn ich wieder sechs Wochen verleben soll, ohne von Dir zu hören, werden meine Qualen auf's Neue beginnen. Ich schließe meinen Brief mit den Worten des Deinigen: Wie glücklich werde ich sein, wenn ich Dich diesen Winter wiedersehe!

„Wenn ich Dich sehe, in meiner Stube, an meinem Feuer — bei allen Leckereien, die wir zubereiten, sage ich nur beständig, daß sie für Dich sind. Auch Deine alte Wärterin sagt: „Das ist für Moritz, ich weiß, was er gern hat.“ Deschartres macht schlechten Wein, den er für ausgezeichnet hält und er behauptet, Du würdest ihn gut finden; er weint, wenn er von Dir redet. Als ich zu Saint-Jean sagte, daß Du in drei Schlachten gewesen wärest, schrie er laut auf und rief: „Ach! ist der nicht tapfer, der!“ Mit einem Worte, der Gedanke an Dein Kommen erweckt hier eine allgemeine Trunkenheit. Ich umarme Dich, mein Kind, ich liebe Dich mehr, als mein Leben. Meine Gesundheit bleibt sich immer gleich; ich trinke den Brunnen von Vichy, der mir zuweilen Erleichterung gewährt. Bis zu Deiner Rückkehr möchte ich hergestellt sein, denn wenn Du bei mir bist, will ich über nichts zu klagen haben. In den Generalstab mußt Du jedenfalls eingereiht werden; ich will es durchaus! Unsere arme Freundin in der rue de l'Arcade ist furchtbar unglücklich. Ihr ältester Sohn ist noch immer in Ketten und Banden; der andere bleibt verschwunden; sie erliegt ihrem Kummer und ich wage nicht, ihr von Dir zu erzählen. Der dicke Pfarrer Gallepin ist gestorben; ein Koffer, der von einem Wagen auf ihn fiel, hat ihn erschlagen. Er kam zum vierten Male in unsere Gegend, wurde immer durch Huissiers verfolgt und hatte überall Schulden hinterlassen.

„Das „kleine Haus“ befindet sich wohl. Er ist ungeheuer groß und hat ein reizendes Lächeln. Ich bekümmere mich täglich um ihn und er kennt mich genau. Du wirft ihn sehen. Lebe wohl, lebe wohl! mein Brief ist der zweite Theil des Deinigen. Aber ich kann nicht mehr sehen ... Reitest Du das Pferd, das Du in ... geholt hast? ist es gut und schön? Jetzt wird man mir noch mein Füllen nehmen, und bald werde ich auf meinen Esel beschränkt sein ... Eben wird mir Licht gebracht und so kann ich noch einige Worte hinzufügen. Ich werde genöthigt sein gewissen Leuten die Hast zu verstecken, mit welcher Du Dich in diesen Kampf gestürzt hast, denn Du hättest Pontgibault, Andrezel, Termont und Anderen gegenüberstehen und gezwungen sein können, sie zu bekämpfen. Meine Aufgabe wird nun sein zu sagen, daß Du zum Marschiren gezwungen warst; man wird nämlich finden, daß Du in Deinem Stande nicht so großen Eifer zeigen durftest, der Republik zu dienen. Meine Lage ist ziemlich peinlich, denn bei den Einen muß ich so viel als möglich bemerklich machen und zur Geltung bringen, was ich den Andern verschweige. Du willst alle diese Schwierigkeiten mit Deinem Schwerte zerhauen — aber die Zukunft bietet uns durchaus keine Sicherheit. Du betrachtest es als Pflicht Deinem Vaterlande gegen die fremden Mächte zu dienen, ohne Dich um die Folgen zu kümmern, und ich denke nur an Deine Zukunft, an Deine Interessen. Aber ich sehe, daß ich nichts bestimmen kann, und daß wir es dem Geschick anheimgeben müssen.“

Geschichte meines Lebens

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