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Tottäuschung

Alles über den 31. August 1939

und eine Zeit davor und danach

Kapitel 8

„Durch das feige Täuschungsmanöver einer Handvoll deutscher Faschisten, von SS-Sturmbannführer Alfred Naujocks angeführt, wurde an einem herrlichen Spätsommertag der Zweite Weltkrieg ausgelöst. Am 31. August 1939“, las Georgie mit schulmännischer Stimme vor. Er hatte ein Buch über den Zweiten Weltkrieg mitgebracht, da er die Jungs auf das bevorstehende Abenteuer einstimmen wollte.

„Willst du jetzt tatsächlich ’ne langweilige Lesestunde abhalten?“, quälte sich Ulli auf einer der Matratzen.

„Das ist aber wichtig“, entgegnete Georgie knapp, „und ich erkläre Euch auch später warum.“

„Psssssssst!“, zischte Matjes, „ich will das hören … also … bitte.“

Georgie wartete einige Sekunden, bis er fortfuhr: „Es war später Nachmittag, als ein kleiner Trupp in polnischen Uniformen den Radiosender in Gleiwitz überfiel, einen Steinwurf von der polnischen Grenze entfernt. Der Befehl zu diesem Übergriff kam vom Reichsführer-SS Heinrich Himmler und vom Chef der Sicherheitspolizei sowie des Sicherheitsdienst, von Reinhard Heydrich höchstpersönlich. Es sollte die perfekte Inszenierung darstellen. Seit dem 10. August 1939 hielt sich der kleine Trupp in unmittelbarer Nähe des Senders versteckt …“

„Das wird aber jetzt nich’ so ’n langweiliger Scheiß wie in der Schule, oder?“, stöhnte Ulli.

Georgie reagierte nicht darauf: „Gehorsam warteten sie auf den Befehl zum Losschlagen.“ Flüchtig sah er zu Ulli hinüber, während er den Zeigefinger auf die Zeile hielt, mit der er fortfahren würde: „Der Tag des Angriffs auf Polen stand fest: der 26. August 1939. Auch ein Name für das Unternehmen war schnell gefunden: der Fall Weiß. Für die Auslandspresse und die deutsche Propaganda musste lediglich noch der tatsächliche Beweis für polnische Übergriffe geschaffen werden, was zu dieser Zeit äußerst schwierig war. Offiziell steckten beide Länder in hochbrisanten Verhandlungen mit England, Frankreich und der Sowjetunion, wobei sich Deutschland schon mehrmals sehr deutlich über sein friedliches Verhalten gegenüber Polen geäußert hatte.

Am Tag vor dem 26. August herrschte in Berlin eine zum Zerbersten unerträgliche Spannung, da Hitler den genauen Tag des Angriffs festgelegt hatte und auf gar keinen Fall von diesem Zeitpunkt abkommen wollte. Bis dato hatte er nicht erreicht, Polen von England und von Frankreich zu isolieren. Er wollte seinen Krieg mit dem einzigen Ziel: „die Vernichtung Polens und die Beseitigung aller lebendigen Kraft.“ Ein rascher Blick zu Holmi verriet Georgie, wie er und auch Tommi an seinen Lippen klebten. „Als einzige Bedenken führte er lediglich an: „ich habe nur Angst, dass mir noch im letzten Moment irgendein Schweinehund einen Vermittlungsplan vorlegt!“ Um 18:30 ließ er dann aber doch die Vorbereitungen für den Angriff stoppen, nachdem er erfahren musste, dass Mussolini noch nicht in den Krieg eintreten konnte. Zu dem Zeitpunkt schien es Hitler zu riskant. Erst wollte er erreichen, dass England sich nicht einmischte, wenn er in Polen einmarschierte.“

„Aahh, jetzt baut sich Spannung auf … Wird ja auch Zeit, Mann“, Ulli hasste so etwas eigentlich, wenngleich er natürlich registrierte, wie gespannt Tommi, Holmi und Matjes zuhörten.

Georgie ließ sich nicht ablenken: „Mit auffälliger Brutalität drang der besagte Trupp in den Senderaum ein, überwältigte die Mitarbeiter und schickte einen schier provozierenden, polnischen Aufruf durch den Äther. Ein polnisch sprechender Deutscher hielt über das Radio eine Rede. Damit die Aktion noch an Glaubhaftigkeit, Überzeugung und Niederträchtigkeit gewann, wurden die Geiseln kurzerhand erschossen, wie es kaltblütiger nicht möglich war. Zu dieser Tageszeit waren die meisten Volksempfänger erwartungsgemäß eingeschaltet. Der Überfall war von langer Hand geplant. Sie hatten einen zuvor getöteten KZ-Häftling ebenfalls in eine polnische Uniform gesteckt. Als Beweis ließen sie den Toten im Sender zurück. Man sollte glauben, dass polnische Soldaten die Grenze zu Deutschland überquert hatten. Schon im Morgengrauen des folgenden Tages, es war der 1. September, marschierten deutsche Truppen über die Ostgrenze in Polen ein. Daraufhin erklärte England und Frankreich zwei Tage später den Deutschen den Krieg, doch das nur, weil beide Länder nicht sofort den vereinbarten Entlastungsangriff vom Westen her angegangen waren. Damit kamen sie offiziell ihren Bündnisverpflichtungen gegenüber Polen nicht nach, was wiederum ganz im Sinne der deutschen Führung war, die wohlweislich derartige Reaktionen in ihre lang vorbereiteten Kriegspläne einkalkuliert hatte.

„Mann, das wusste ich gar nicht“, flüsterte Holmi ergriffen und lehnte sich zurück, „kannst mal sehen … diese verschissenen Schweine.“

„Offiziell war der Krieg demnach von zwei Seiten erklärt und die Nachricht breitete sich wie ein Lauffeuer aus, in die zusätzlich noch Brandbeschleuniger gekippt wurde. Längst hatte das Zeitalter des Rundfunks Einzug in die deutsche Stube gehalten. Der Volksempfänger war eine Pflichtanschaffung und wurde von der Regierung skrupellos ausgenutzt, um die revolutionierenden Parteien mit gezielten Propagandaparolen zu beeinflussen.

Daher hieß dieser kleine Holzkasten so treffend: Goebbelsharfe …“

„Was Besseres ist denen nich’ eingefallen?“, warf Ulli witzelnd dazwischen, „… aber passt ja.“

Sofort blitzten zwei Augenpaare auf, während Georgie gar nicht erst reagierte: „In den Schulen erfuhren die Kinder nur Gutes über den herrschenden Hitlerfaschismus. Fortan bestimmten klare Verhaltensmaßregeln den öden Lernstoff und lockerten ihn gezielt auf.“

„Ist ja heute nich’ anders, oder?“ Noch während er den Satz aussprach, warf Ulli sich auf die Matratze zurück und winkte entschuldigend ab, dass er jetzt damit aufhören würde.

„Uniformen wurden eingeführt, die die jungen „Pimpfe“ mit Stolz trugen. Ihnen wurde früh die nötige Loyalität eingetrichtert. Und somit avancierte die Hitlerjugend rasend schnell zu einem Statussymbol. So schnell wie möglich dazuzugehören, war angestrebtes Ziel.

Doch die eigentliche „Tottäuschung“ begann viel früher.

Eigentlich wurde sie durch den sogenannten „Schwarzen Freitag“ ausgelöst und das war nicht etwa ein dämonischer Freitag der 13., sondern der katastrophale Börsensturz vom 24. Oktober.

Ein Donnerstag und der folgenschwere Freitag, der 25. Oktober 1929 bescherten in den USA der ewig blühenden Konjunktur das ohnmächtige Ende. Das war also fast auf den Monat genau zehn Jahre früher. Unaufhaltsam breitete sich eine Weltwirtschaftskrise aus, die die schwer verschuldeten Industrienationen Europas und ganz besonders Deutschland hart trafen. Bald gab es über sechs Millionen Arbeitslose im Land. Für Hitlers Nationalsozialisten war das der saftige Nährboden, auf den er gewartet hatte, um ihre demagogischen Parolen herauszuschreien und der resignierten Bevölkerung schnelle, wirtschaftliche Besserung zu versprechen.

Ein Heer von Unzufriedenen stürmte Hitler in Scharen zu, viele ehemalige Frontsoldaten folgten seinem Aufruf, ebenso Abertausende nationalistische Kleinbürger, die längst den Glauben an die Reichsregierung verloren hatten. Immer wieder hielt Hitler große Massenveranstaltungen ab, auf denen er endlich die Faszination und die Auswirkung von Macht genoss. Hier ließ er sich feiern. Hier wuchs er über sich hinaus. Schon 1932 bildeten Hitlers Nationalsozialisten die stärkste Fraktion im deutschen Reichstag, machten sich vorübergehend die Kommunisten zum Verbündeten und verhinderten somit, dass im Parlament weiterhin konstruktiv entschieden wurde. Schlussendlich folgte am 30. Januar 1933 die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler. Der Startschuss für die nicht mehr aufzuhaltende Machtergreifung durch die Nationalsozialisten war gefallen. Hier genau verselbstständigte sich die „Tottäuschung“. Mit der anfangs noch geschickten Vorgehensweise des in Wirklichkeit hochgradig persönlichkeitsgespaltenen Fanatikers wurden die entmutigten Bürger geblendet. Tagtäglich tönte die Stimme des „Führers“ (Sei still! Der Führer spricht!) oder die seiner engsten Gefolgsleute aus den hölzernen Goebbelsharfen. Der Namensgeber Dr. Joseph Goebbels war ein hochgradig begabter Redner mit der geradezu fesselnden Stimme eines Bayreuther Theaterschauspielers. Er war Hitlers Chefpropagandist. Und er war ebenfalls beladen mit schwersten Neurosen. Aber durch diesen Status erlebte sein all die Jahre geschundenes Selbstwertgefühl zu der Zeit nicht mehr kontrollierbare Höhenflüge. Und das steckte an. Das Volk sah diesen schmächtigen, unterernährten, kleinen „Klumpfuß“ ja niemals wirklich aus der Nähe. Man hörte ihn nur.

Er war die globale Verkörperung des kleinen Mannes und er zeigte den Deutschen, dass man deshalb noch lange nicht schwach zu sein hatte. Die Propagandastrategie für den entmutigten Deutschen ging also tatsächlich auf. Und schließlich schloss sich der enge Kreis um Hitler mit dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, und dem späteren Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring. Eine verschworene Clique von ewig Verspotteten, ewig Missachteten, ewig Belächelten und gefährlich Kranken begann allmählich, Gott zu spielen. Systematisch wurden die Deutschen und zunächst die Reichswehrführung auf den geplanten Raubkrieg vorbereitet. Am 3. Februar 1933 legte Hitler seine ausgearbeiteten Pläne vor, die ausdrücklich besagten, dass er einen endgültigen Strich unter die fortwährende Sozialisierung der Wirtschaft durch die Diktatur des Proletariats, der Arbeiter und der ohne fremde Hilfe arbeitenden Bauern forderte, was die Ausrottung des Bolschewismus bedeutete. Außerdem kündigte er den Kampf gegen den Versailler Vertrag an, der besagte, dass Deutschland lediglich eine Reichswehr von 100.000 Berufssoldaten ohne Panzer, schwere Artillerie oder Flugzeuge mit einer Marine von 15.000 Mann halten durfte. Laut Friedensvertrag war der Aufbau einer Luftwaffe untersagt. Darüber hinaus forderte Hitler die strategische Eroberung von „Lebensraum“. Zugleich wurde im Volk die ideologische Bereitschaft geschürt, bedingungslos in den totalen Aggressionskrieg zu folgen. Natürlich gab es ein angestrebtes Ziel, und zwar die absolute Vorherrschaft in Europa. War das …“, Georgie schaute auf, weil sich Matjes aufrichtete. Sofort erhob sich auch Tommi.

„Das ist ja echt ’n Hammer, Mann“, meinte Matjes nachdenklich, während er nach der großen Cola-Flasche griff, in der nicht nur Cola war. Er hatte hochprozentigen Rum besorgt und direkt in die Flasche gemischt, nachdem er ihr einen großen Schluck entnommen hatte, „… Los … Lies’ weiter“, während er die Flasche weiterreichte.

Georgie schaute wieder auf die Seite, suchte die Zeile und fuhr fort: „War das erst einmal erreicht, wollte man endlich die Sowjetunion vernichten. In Deutschland entstand ein irrsinniges Chaos, was bald in todesangstähnliche Einschüchterung wechselte. Der schnell wachsende Terror von Sturmabteilungen und eilig aufgestellten Schutzstaffeln, kurz SA und SS genannt, nahm beinahe über Nacht zu. Am Montag, dem 20. März wurde auf Anordnung von Heinrich Himmler das erste KZ-Lager in Dachau errichtet. Allein vom Ermessen Himmlers und seines Sicherheitsapparats hing es ab, wer in das KZ-Lager deportiert wurde. Zeitweise „politische Schutzhaft“ hieß es für politisch verdächtige Personen, um das Aufbauwerk der Hitlerregierung nicht zu gefährden.

Für die rechtliche Grundlage wurde schnell gesorgt: Eine Notverordnung wurde ausgerufen, mit der man das Grundrecht der persönlichen Freiheit aufhob. Nur knapp einen Monat später, am 23. März 1933 wurde im Reichstag das sogenannte Ermächtigungsgesetz angenommen, obwohl die Sozialdemokraten dagegen gestimmt hatten. Dieser Schachzug verschaffte Hitler und seiner verschworenen Clique letztendlich die erstrebten diktatorischen Vollmachten. Ein großer Schritt in Richtung Diktatur war getan. Kurz darauf begannen die Vollmachten Wirkung zu zeigen. In Buchläden wurden „Schwarze Listen“ mit den Namen und Titeln „undeutscher“ Schriftsteller veröffentlicht und nur einen Monat später, am 10. Mai 1933 fand auf Veranlassung von Dr. Joseph Goebbels in Berlin die große Bücherverbrennung statt. Was aber schlussendlich mit zur großen Ohnmacht im Land beitrug, geschah nur einen Monat später, um genau zu sein am 22. Juni 1933, und zwar wurden beginnend mit der SPD alle anderen Parteien verboten. In teuflischer Geschwindigkeit wurden weitere KZ-Lager aus dem Boden gestampft, die sich im Deutschen Reich wie hässliche Leberflecke ausbreiteten. Nur wenige Tage später wurde die NSDAP zur deutschen „Staatspartei“. Schnell war die SA zu einer ernstzunehmenden Armee mutiert, der die Freiwilligen in Scharen zuliefen. Ihr Stabschef Ernst Röhm trug sich längst mit der Vision, zweitmächtigster Mann im Reich zu werden, indem er aus der SA eine Volksmiliz machen wollte. Die Volksmiliz sollte ausschließlich die Landesverteidigung übernehmen. Das war ein viel zu hochgesetztes Ziel, was er schon bald feststellen musste, denn Hitler hatte bereits ganz andere Entscheidungen getroffen. Gegenüber der Reichswehr war er bereits andere Verpflichtungen eingegangen. Im weitesten Sinne fungierte die Reichswehr als Ausbildungsstätte für SS-Führer und war somit dem damaligen Präsidenten des deutschen Reichstags, Hermann Göring, sowie Himmlers SS unterstellt. Am 30. Juni1934 wurden auf Hitlers Befehl hin mehrere SA-Führer, darunter auch Erich Röhm und viele Kritiker aus den eigenen Reihen, liquidiert. Um die Morde vor der Öffentlichkeit zu vertuschen, verbreitete Propagandachef Dr. Goebbels den gescheiterten Versuch eines Putsches und somit die Verhinderung eines drohenden Bürgerkrieges, was zusätzlich noch mit einem eilig verabschiedeten Reichsgesetz unterstrichen wurde. Es war das Gesetz der „Staatsnotwehr“ …“

Für einen Augenblick legte Georgie das Buch zur Seite und streckte den Arm aus, um ebenfalls aus der Flasche zu trinken.

Er nahm einen kräftigen Schluck, verzog etwas die Mundwinkel, da der Rum doch sehr durchschmeckte, schüttelte sich kurz und las weiter: „Wiederum einen Monat später wurde ein weiteres Gesetz erlassen, das vorsah, künftig die Ämter des Reichspräsidenten und des Reichskanzlers zusammenzulegen – ein weiterer strategischer Schachzug und ab dem 2. August 1934 wurde die Reichswehr auf Hitler, den neuen Oberbefehlshaber, den Führer und den Reichskanzler in einer Person, vereidigt. Von nun an brauchte Hitler nicht mehr zu zögern. Er konnte agieren, mehr noch: Er konnte provozieren. Bereits am 14. Oktober 1934 trat Deutschland aus der Abrüstungskonferenz aus und nur fünf Tage später auch aus dem Völkerbund.

Entgegen seiner Erwartung musste er sich wundern, dass die Weltöffentlichkeit nur geringe Notiz davon nahm.

Nun vergingen einige Jahre, in denen heimlich aufgerüstet und nach außen Friedensverhandlungen und Vermittlungsgespräche mit den angrenzenden Staaten geführt wurden. Mit aller Macht wollte sich Hitler Polen zu Eigen machen. Deshalb begann eine Reihe von deutsch-polnischen Vertragsverhandlungen, die aber ausschließlich der Außenminister Joachim von Ribbentrop führte. Immer ging es darum, die Freie Stadt Danzig, die Hitler um jeden Preis in das Reich eingegliedert sehen wollte, zu bekommen und es ging um eine Autobahn sowie um eine Eisenbahnlinie, die dorthin gelegt werden sollte. Das sollte der „Polnische Korridor“ sein. Und eine weitere Lösung musste mit Polen verhandelt werden: die Frage nach dem Verbleib der aus Deutschland ausgewiesenen „Ostjuden“. Bislang weigerte sich Warschau, die Juden aufzunehmen, doch als sich die Zahl der Ausgewiesenen, wobei es sich nicht nur um Juden handelte, immer größer wurde, gab Polen schließlich nach. Doch die Lage spitzte sich dramatisch zu, als am 7. November 1938 der junge Herschel Grynszpan die deutsche Botschaft in Paris betrat und den Botschaftsrat Ernst vom Path erschoss. Im Grunde war dies eine Verzweiflungstat, weil seine ganze Familie aus Deutschland ausgewiesen worden war und sie somit buchstäblich alles verloren hatten.

Dr. Joseph Goebbels aber nahm diese Tat zum Anlass für eine gerechtfertigte Gegenaktion und kündigte sie wie folgt an: die spontane Reaktion des deutschen Volkes. Zwei Tage lang brannten im Reich sämtliche jüdische Synagogen. Auf brutalste Weise wurden jüdische Geschäfte geplündert, Wohnungen verwüstet. In roter Schrift hatte sich von nun an die Reichskristallnacht in die Geschichtsbücher eingetragen. Am Montag, dem 30. Januar 1939 stand Hitler mit geschwellter Brust im Reichstag und kündigte lauthals die Vernichtung der jüdische Rasse in Europa an, natürlich im Falle eines Krieges.“

Georgie ließ das Buch auf seine Knie sinken und sah besonnen in die Runde, wie ein geübter Leser es tat, er erwartete keinen Kommentar.

Er sah die Jungs prüfend an. Dann nickte er, hob das Buch wieder an und las weiter: „Unterdessen wurde in geheimen, hermetisch abgeschirmten Fabriken mit Hochdruck und auch unter Tage aufgerüstet. In entlegenen Werfthallen und ummauerten Werksgeländen wurde emsig in Schichten rund um die Uhr gearbeitet, was das bedingungslose Vertrauen an die NS-Regierung zur Pflicht machte, aber das fiel den Familien überhaupt nicht schwer, da selbst Mütter wieder Arbeit hatten, während Väter verantwortungsvolle Aufgaben zugeteilt bekamen.“ Georgie sah noch einmal auf und hob eine Augenbraue.

„Auf Deutschlands Küchentische kam wieder gesundes Essen und so manche Familie konnte sich zum ersten Mal, nach so vielen Jahren der Entmutigung, einen Urlaub an der Ostsee leisten. Wer hätte da an Krieg gedacht?“

„Fragst du uns das jetzt etwa?“, feixte Ulli, obwohl ihn die Geschichte längst gepackt hatte. Und da Georgie das erkannte, reagierte er gar nicht erst auf die Frage, sondern fuhr fort: „Doch jedem sollte noch früh genug die nackte Wahrheit ins Gesicht springen. Hierfür brauchte es keine Goebbelsharfen und keine tönende Wochenschau.

Nun wurde jedem klar, warum die breiten Autobahnen gebaut, die unzähligen Fabriken umfunktioniert und die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt wurde. Zu einem besseren Zeitpunkt konnte das alles gar nicht geschehen als gerade, wo das Land sein vereintes Selbstvertrauen zurückgewonnen hatte, man sich in die Zeit des Aufschwungs eingebracht hatte und die allgemeine Entspannung genoss. Zu dieser Zeit wäre niemandem der große Krieg in den Sinn gekommen und erst recht nicht den Siegermächten des Ersten Weltkrieges.

Zuerst musste die NS-Regierung dafür sorgen, dass alle Gegner, die sich ihnen in den Weg stellten, mit blutigem Terror vernichtet wurden. Massiv verfolgte man Kommunisten und Antifaschisten, aber auch jeglichen Verdacht, der auf politische Gegner gerichtet war. Im Schnellverfahren wurde aus SA- und SS-Horden eine Hilfspolizei aufgestellt, die uneingeschränkte Schießfreiheit erhielt und deshalb auch eigenmächtig unter Heinrich Himmler handelte. Hieraus entwickelte sich wenig später die geheime Staatspolizei, kurz GESTAPO genannt. Unweigerlich gab dieser Schachzug die Jagd frei auf jeden, der als politischer Gegner unter Verdacht geriet.

Etwaige Querulanten waren jetzt vogelfrei.

Ohnehin war Europa in Kriegsbereitschaft, obwohl man nach außen an Friedensverhandlungen festhielt, erst recht nach dem plötzlichen Austritt der Deutschen aus dem Völkerbund. Doch so richtig schien niemand auf die offenliegenden Signale zu reagieren. Nur ein paar verhaltene Proteste flackerten auf, doch loderten sie jenseits der Grenzen. Die Franzosen und die Briten gaben sich ein wenig empört über die deutsche Truppenstärke und meldeten öffentlich Bedenken an. Sogar die Tagespresse und der Hörfunk wurden genutzt, doch man überging derartige Schlagzeilen.

Niemandem war entgangen, dass die deutsche Wehrmacht deutlich die vom Versailler Vertrag vorgeschriebene Truppenstärke überschritten hatte. Durch trügerische Versprechungen und ablenkende Schlichtungsverträge gelang es Hitler, die Vernebelung des deutschen Volkes aufrechtzuerhalten. Doch sein wirklicher Erfolg zeigte sich in den Reaktionen der Siegermächte. Auch sie ließen sich täuschen“, Georgie hob langsam den Blick. Er machte eine winzige Pause, bis er: „Eine Tottäuschung“, dranhängte, „für den 26. August 1939 war also der Überfall auf Polen geplant und es hatte lange Monate an unglaublich viel Täuschung gekostet, diesen Überfall vorzubereiten, ohne dass England, Frankreich oder sogar die Sowjetunion und natürlich Polen selbst etwas geahnt hätten. Hitler höchstpersönlich richtete ein Telegramm an Stalin, in dem er nochmals die Abmachungen mit der Sowjetunion akzeptierte, jedoch die Haltung Polens verurteilte und daher unbedingt für den 22. August oder aller spätestens für den 23. August 1939 um ein Treffen im Kreml mit von Ribbentrop bat. Zur selben Zeit wurde in Berlin ein Kreditabkommen mit Deutschland und der Sowjetunion unterzeichnet, mit Datum vom 19. August 1939, das Hitler erst die wirtschaftliche Grundlage für einen Krieg ermöglichte. Zuvor ließ ihn seine Weitsicht erahnen, dass ihm eine britische Seeblockade ins Haus stehen würde, wenn er nicht mit England zu einer Einigung kommen würde, was er eigentlich auch gar nicht vorhatte. Nun ermöglichte er dem Deutschen Reich den sicheren Bezug an wichtigen Rohstoffen und Lebensmitteln auf dem Weg über die UDSSR. Allerdings wurden die folgenden Tage für Hitler nervenzerreißend, da die Zeit drängte. Ein Brief vom britischen Premierminister Chamberlain traf bei ihm am 22. August 1939 ein. In diesem versicherte er noch einmal ausdrücklich, dass sich durch das angekündigte deutsch-sowjetische Abkommen an der Verpflichtung Englands gegenüber Polen nichts ändern würde. Eine deutsche Aktion gegenüber Polen würde unweigerlich den europäischen Krieg zur Folge haben, erwiderte Hitler später, er wünsche zwar keinen Krieg, aber er würde nicht vor ihm zurückschrecken! Am 23. August sagte er: Deutschland hat nichts zu verlieren, England dagegen viel.“ Trotzdem wollte es sich Hitler mit Großbritannien nicht verderben, obwohl er mittlerweile einen Zweifrontenkrieg nicht mehr fürchtete.“

Ruhig klappte Georgie das Buch zu. Er legte es beiseite und sah auf. Langsam schaute er sich um. Die letzten Minuten hatten Ulli und auch Holmi und Tommi aufmerksam zugehört, als hätte Georgie gerade aus der Offenbarung von Johannes vorgelesen. Matjes fand das Thema ohnehin höchst interessant, da es um Kriege und Strategien ging. Gerade hatte er wieder die Cola-Flasche angesetzt und einen langen Schluck genommen. Er rülpste kurz.

„Na, ich sage Euch“, wollte Ulli die Stimmung lockern, „das ist ’n ganz schön starker Tobak, was? … Oder nich’?“, und als hätte man ihn umgehauen, lehnte er sich zurück.

Und ich sah ein anderes Tier aufsteigen aus der

Erde; das hatte zwei Hörner gleich wie ein Lamm

und redete wie ein Drache.

… und verführt die auf Erden wohnen, um der

Zeichen willen, die ihm gegeben sind zu tun vor

dem Tier; und es macht, dass die Kleinen und Großen,

die Reichen und Armen, die Freien und Knechte,

allesamt sich ein Malzeichen geben an ihre rechte

Hand oder an ihre Stirn, dass niemand kaufen oder

verkaufen kann, er habe denn das Malzeichen,

nämlich den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens.

Hier ist Weisheit! Wer Verstand hat, der überlege

die Zahl des Tieres; denn es ist eines Menschen

Zahl, und seine Zahl ist

sechshundertundsechsundsechzig.

Die Offenbarung des Johannes -

„Die beiden Tiere“

Kapitel 13/Vers 11/14/16/17/18

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