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Das Schuldbekenntnis

Sommer 1967

Kapitel 14

Für Georgie und Kessie verlief die Zeit im Kinderhort unbeschwert. Der Hort war ihr zweites Zuhause. Mit elf ging Georgie noch immer dorthin, da seine Eltern voll berufstätig waren. Er sollte nicht zu einem Schlüsselkind heranwachsen.

Kessies Mutter teilte diese Ansicht, deshalb waren die beiden Jungs nach der Schule im Hort. Dort machten sie ihre Schularbeiten. Anschließend spielten sie mit den anderen Kindern.

Mittlerweile aber hatten sich ihre Interessen verlagert. Kessies Aufmerksamkeit galt nur noch Betty. Seitdem sie in sein Leben getreten war, schien er wie verzaubert. So oft es ging, hockten sie beisammen.

Georgie hingegen schenkte einen großen Teil seiner Aufmerksamkeit einer Person, zu der er sich auf merkwürdige Weise hingezogen fühlte. Es war Tante Irmtraut.

Fast täglich kletterten Betty und Kessie über den mannshohen Jägerzaun und zwar im hinteren Teil des Geländes, wo die Bäume dichter zusammenstanden. Dann trieben sie sich stundenlang draußen herum. Georgie war nicht immer dabei. Nicht etwa aus Furcht, erwischt zu werden, vielmehr hielt ihn eine unklare Neugier ab. Er wollte bei Tante Irmtraut sein, obwohl er sich nicht wirklich erklären konnte, warum das so war. Er ertappte sich dabei, wie er sie immer wieder ansah, wie er ihre Bewegungen beobachtete, mit Interesse ihre mächtigen Rundungen betrachtete. Ungeniert strömten aus seiner untersten Seelenpforte unklare Wünsche heraus, die ihn immer wieder erschrecken ließen, da er derartige Gedanken bislang nicht kannte. Er musste sie immer wieder betrachten, war fasziniert und abgestoßen zugleich, schwamm unbeholfen im Wechselbad intensivster Gefühle. Das machte ihn unsicher, obwohl er sich absolut nicht verunsichert fühlte.

Im Gegenzug richtete Tante Irmtraut ihre Waffen bewusst auf Georgie. Natürlich waren ihr seine Blicke nicht entgangen. Schon eine Weile teilte sie das abwegige Interesse und zwar seit dem Tag, als Betty ihr von Georgies und Kessies gruseliger Begegnung mit dem uniformierten Mann und den Hunden erzählt hatte, denn … Kessie hatte den geleisteten Schwur gebrochen. Er vertraute Betty das Geheimnis an.

Vor ihr konnte er einfach nichts verheimlichen. Damals konnte er doch nicht ahnen, dass er durch den Verrat das Schicksal herausgefordert hatte.

An jenem Tag, als die Drei wieder einmal den Hort verlassen hatten, war der Zeitpunkt zum Handeln gekommen. Tante Irmtraut musste lediglich auf die Rückkehr der drei Ausreißer warten.

Also lauerte sie ihnen auf.

Vor den Augen der anderen Kinder pflückte sie Georgie von der Birke, als dieser gerade zurück über den Zaun geklettert war. Sie tat so, als hätte sie Betty und Kessie nicht gesehen, die sich hinter einem Gebüsch jenseits des Zauns versteckt hielten.

Als die Luft rein schien, kletterten auch sie zurück.

Zuvor beobachteten sie noch, wie Georgie und Tante Irmtraut, die ihn am Ohr hinter sich herzerrte, durch die schmale Seitentür im Bauch des Barackenbaus verschwanden.

Sie bemerkten aber auch, dass sich Georgie nicht wirklich dagegen wehrte.

Anstandslos ließ er sich mitziehen.

Verwirrt mischten sich Betty und Kessie unter die spielenden Kinder.

Für Georgie kommt jetzt jede Hilfe zu spät, da ist nix mehr zu machen, mussten sie erkennen und dennoch folgten sie ihnen ins Gebäude.

„Hüten wirst du dich, das nochmal zu tun!“, herrschte Tante Irmtraut ihn an, als sie vor der Tür zum Dienstzimmer standen. Sein Ohr hatte sie losgelassen. Es schmerzte ungemein und Georgie war sich sicher, dass es längst geschwollen und ganz sicher blutrot angelaufen war.

Während sie mit der einen Hand in der Seitentasche des Kittels nach dem Schlüsselbund kramte, hielt sie ihn im festen Griff, presste ihn an sich, wobei ihm sofort der intensive Gummigeruch in die Nase kroch.

„Was hast du dir bloß dabei gedacht? Wo wolltest du denn hin?“, wollte sie ihm glauben machen, ihn beim Hinausklettern erwischt zu haben. Er antwortete nicht. Stattdessen schaute er betreten zu Boden. Wie elektrisiert reagierte er auf den Körperkontakt und da war wieder dieses Gemisch von Faszination und Abneigung. Sein Geist geriet in einen dichten, grauen Nebel, der seinen Verstand zugleich zu lähmen begann.

Schließlich fand sie den Schlüsselbund und öffnete die Tür, die nach innen aufschwang.

Energisch zog sie ihn in den abgedunkelten Raum, stieß die Tür hinter sich zu und Georgie hörte, wie sie den Schlüssel im Schloss umdrehte.

Ein verstohlener Blick verriet ihm, dass ihr die Nachmittagshitze doch arg zu schaffen machte. Sie schien unter der weißgesteiften Haube zu glühen. Ihr kantiges Gesicht wies eine stark rosa Färbung auf und sie schwitzte.

„Da setzt du dich hin und rührst dich nicht!“, zerrte sie ihn hinüber zu dem klapprigen Bett, das linkerhand die Wand ausfüllte. Durch die schweren Vorhänge drang kaum Tageslicht in den kleinen Raum.

Schwelende Hitze staute sich und es roch muffig, obwohl Georgie auch hier überall ihr süßliches Parfum einsog. Die Luft vor seinen Augen schien zu flimmern.

Ein altmodischer Schreibtisch, auf dem eine schlichte Schreiblampe das spärliche Licht spendete, das sich ausschließlich auf die Tischplatte zentrierte, füllte den Raum halblinks. Rechts neben dem Schreibtisch registrierte er einen Aktenschrank aus dunklem Holz. Er wirkte dort wie ein widerlich schwarzer Fleck.

An einem der beiden Garderobenhaken hing ihr grauer Regenmantel.

Dort ging sie hinüber. Hastig zog sie die Strickjacke aus und schwang sie über den anderen Haken.

Den Rest an Mobiliar, den Georgie im Augenwinkel erfasste, bildeten zwei karge Amtsstühle, die vor und hinter dem Schreibtisch standen. Das Zimmer wirkte schlicht und ungemütlich.

Hier gehörte harmonische Atmosphäre nicht her, obwohl ihm ebenfalls heiß wurde, als er eingesunken auf dem Bett saß und sie beobachtete. Die Löwin in ihrer Höhle, dachte er bei sich, und ich lebe noch … Welche Strafe hat sie wohl für mich vorgesehen?

Aus dem Augenwinkel sah er neben dem Bett ein schmales, kleines Waschbecken, darüber eine Ablage und einen runden Spiegel. Daneben hing ein weißes, längliches Arzneischränkchen.

Zwei weiße, längliche Handtücher mit auffälliger, roter Blockschrift:

FREIE UND HANSESTADT HAMBURG hingen links daneben.

Sie ging zum Waschbecken, um sich die Hände zu waschen. Nein, sie ließ nur kaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen.

Das lässt das Blut abkühlen, wusste Georgie scharfsinnig zu deuten.

Über die Schulter sah sie ihn an. Jetzt spielte ein schmales Lächeln auf ihren Lippen, obwohl ihre Augen keinerlei Heiterkeit zeigten.

Es war, als wartete sie auf eine Reaktion seinerseits, auf eine Antwort oder auf eine Erklärung, vielleicht auf eine plausible Entschuldigung, warum er das Gelände verlassen wollte, und noch während er eine Antwort zusammenraffte, hörte er sich sagen: „Ich wollte nur den Ball holen.“ Er erschrak, da seine Worte zusätzlich die flirrende Stille durchbrachen, also baute er die Notlüge instinktiv aus: „Drüben habe ich einen Lederball im Gebüsch entdeckt.“ Damit konnte er nicht weit kommen, das war ihm klar. Verschämt biss er sich auf die Unterlippe.

Sie sah ihn nur an, während sie die Hände abtrocknete.

Nichts passierte. Nur das aufdringliche Wasserrauschen brach weiterhin die flirrende Stille. Dadurch kündigte sich ein schwacher Druck auf seiner Blase an, doch er ließ sich nichts anmerken.

Ein wenig schafsmäßig blickte er drein, jedoch hielt er ihrem Blick stand, was die vertrackte Situation zumindest etwas entkräftete.

Sie schwitzte noch immer, das war nicht zu übersehen. Ihre Stirn und die Schläfen zeigten glitzernde Schweißperlen und um den Mund herum glänzte sie feucht.

„Einen Ball also“, kam sie auf ihn zu und als sie das sagte, zuckte er zusammen, „du wolltest also nur den Ball holen?“

„Ja, das stimmt“, antwortete er schnell, wobei er verlegen die Hände im Schoß knetete.

Wie eine sich füllende Blutlache breitete sich die Stille aus und die Zeit schlich dahin, als sie plötzlich den Kopf in den Nacken warf und sagte: „Was soll ich nun bloß mit dir machen?“ Dabei hob sie die Hände, als wollte sie mit gespannter Brust eine längere Predigt beginnen. „Auf jeden Fall muss ich dich bestrafen! Du wolltest unerlaubt den Hort verlassen.“

Und während sie ihn eindringlich musterte, hingen seine geweiteten Augen auf ihren gewaltigen Rundungen. Unmerklich wuchsen weiche Züge in ihrem Gesicht. Sanfte Fältchen kamen zum Vorschein und umspielten ihre Augen, glätteten die sonst so tiefen Furchen.

In diesem Augenblick fragte er sich, wo die Brille mit den dicken, schwarzen Bügeln abgeblieben war. Wie überhaupt würde sich wohl ihre Haut anfühlen? Bestimmt weich und ganz warm … und hellweiß wird sie sein … und schweißnass!

Sofort verbannte er die Gedanken wieder, obgleich ihn der aufdringliche Gummigeruch mächtig zu schaffen machte.

Er schätzte sie im gleichen Alter wie seine Mutter und doch wirkte sie viel älter, wie sie sich jetzt so übermächtig vor ihm aufbaute.

Nein, in ihrer Nähe verspürte er kein Unbehagen und er hatte anders als die meisten anderen Kindern auch keine Angst. Nur diese gewaltigen Rundungen schreckten ihn ab.

War ihm da gerade etwas entgangen? Wie von Geisterhand waren plötzlich die oberen Knöpfe des Kittels geöffnet. Erschrocken starrte er auf die tiefe Hautspalte, während sie noch einen Schritt zum Bett machte. Jetzt stand sie unmittelbar vor ihm.

Schweigend sah sie ihn an, beide Hände auf ihre nicht vorhandene Taille gestützt.

Was soll jetzt passieren, fragte er sich. Abwechselnd schlich sein Blick von der bebenden Hautspalte hinauf zu ihrem Gesicht und wieder zurück. Das machte er ganz unbewusst, doch sie deutete seinen Blick richtig. Sie registrierte reine, aufrichtige Unschuld, doch auch die verspielte Abenteuerlust, behaftet von kindlichem Verlangen. Das war nicht gespielt, da täuschte sie sich nicht. Und … tatsächlich, er war der Junge, den sie schon so lange kannte. Da gab es keinen Zweifel mehr. Bloß, wie um Gottes Willen konnte das nur geschehen, fragte sie sich. Am liebsten hätte sie ihm alles erzählt, doch sie wusste, dass er niemals begreifen würde, was sie ihm eröffnen würde … jedenfalls jetzt noch nicht!

Schweigend sah sie ihn an, während die Erinnerung zurückkehrte.

Plötzlich herrschte sie ihn an, sich die Hände und das Gesicht zu waschen, da er draußen gespielt habe, wo man sich nur dreckig machte, und außerdem wäre er sowieso ganz verschwitzt.

Mit diesen Worten trat sie einen Schritt zurück, riss ihn unsanft aus seinen Visionen. Missmutig rutschte er vom Bett.

Er schlurfte widerwillig hinüber zum Waschbecken, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen. Niemals zuvor hatten ihn derartige Gedanken befallen und niemals zuvor befand er sich in einer derart prekären Situation. Im selben Moment, als er das Waschbecken erreichte, war sie bei ihm. Sie griff nach seinen Händen und zerrte sie ungeduldig unter den Wasserhahn, als ginge ihr das alles viel zu langsam.

Wieder stieg ihm der Gummigeruch in die Nase und attackierte seine gereizten Schleimhäute.

„Hier!“, herrschte sie ihn an, „Mit Seife natürlich!“

Ganz dicht spürte er sie im Nacken, während er sein Gesicht wusch. Das Wasser kühlte sein erhitztes Blut. Es tat gut, doch unglücklicherweise schwemmte ihm Seife in die Augen. Sofort attackierte ihn ein brennender Schmerz. Reflexartig drückte er die Handballen in die Augenhöhlen, um den Schmerz zu lindern, aber es brannte dadurch nur noch mehr. Sein Nacken verkrampfte sich und er stöhnte verhalten auf, während die Handballen noch stärker die Augenhöhlen rieben.

Der Wasserhahn wurde zugedreht.

Sie drückte ihm ein Handtuch an den Kopf, nach dem er wie ein Ertrinkender griff und es an die schmerzenden Augen presste. Dann erst trocknete er sich ab.

Er hörte sie schnell und tief atmen, spürte den Luftzug im Nacken. Doch seine Augen weigerten sich, auch nur einen winzigen Spalt nachzugeben, damit er wieder sehen konnte. Sie tränten und brannten entsetzlich. Ihm war, als würden ihn sämtliche Gesichtsnerven zu einer entsetzlichen Fratze verwandeln, und noch immer hielt er den Kopf über das Wachbecken, als müsste er sich jeden Augenblick übergeben.

„Bist du fertig?“ Natürlich bemerkte er den ungeduldigen Unterton in ihrer Stimme. Langsam richtete er sich auf und drehte sich um.

Er blinzelte wie durch einen dicken, nebligen Schleier. Er konnte nichts erkennen, nicht einmal ihre Umrisse. Dennoch konnte er sie ganz dicht vor sich spüren, sog den intensiven Gummigeruch ein, der ihn mehr und mehr verwirrte.

Er spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss.

„Na, jetzt hast du auch noch Seife in die Augen bekommen“, lag jetzt ein angenehmer Klang in ihrer Stimme, während er den Kopf hängen ließ. Plötzlich spürte er ihre Hand am Hinterkopf.

Diese Berührung jagte einen groben Schauer über seinen schweißnassen Rücken und verteilte sekundenschnell schartige Gänsehaut. Ihre andere Hand umfasste seinen rechten Arm und zog ihn dicht zu sich heran. „Warte, das Brennen ist gleich verschwunden“, sagte sie sanft. „Komm’, sieh’ mich an.“

Georgie hob den Kopf.

Behutsam umfasste sie seinen Hinterkopf und dann drückte sie sein Gesicht wie in Zeitlupe an ihren mächtigen Busen.

Sofort blieb ihm die Luft weg. Instinktiv öffnete er den Mund.

„Du hättest mich fragen sollen“, hörte er sie wie aus einem Nebenzimmer, „Über Zäune klettern und nach Bällen suchen … so etwas tun unsere Jungs nicht. Und du willst doch ein braver Junge sein, Georg?“

Ihre Worte drangen nicht mehr zu ihm durch. Er tauchte in weiche, feuchte Haut, rang zunehmend nach Luft, wollte aber um gar keinen Preis auftauchen. In dieser pulsierenden Hautspalte war es angenehm warm und diese Wärme wollte sein Gesicht zum Glühen bringen. Es war ein unbeschreiblich schönes, aber auch befremdliches Gefühl, das ihn mit tollster Wucht traf. Mit schlaff herabhängenden Armen ergab er sich kampflos, während der Druck an seinem Hinterkopf nicht nach ließ. Tante Irmtraut erlebte alle Erinnerungen auf einmal und begann schwer zu atmen.

Es ärgerte ihn, dass er jetzt so dringend Luft benötigte.

Sie hatte die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken fallen lassen. Das Brennen in seinen Augen war verflogen, jedenfalls lenkte ihn kein Schmerz mehr ab, im Gegenteil, sein ganzes Gesicht glühte.

Leicht bewegte er den Kopf hin und her.

In diesem Augenblick stand für ihn fest, dass er gerade sein größtes Geheimnis vergraben hatte, und ihm war klar, dass er nicht mal seinem besten Freund Kessie davon erzählen würde.

Und Tante Irmtraut redete und redete.

Einige Wortfetzen drangen zu ihm durch, aber er konnte sie in keinen Zusammenhang bringen …Leihmutter, ihre Babys, Waisenkammer … das Käfterchen … die Babys stillen … Gasschleuse! Ebling … und die Hunde …

Plötzlich stieß sie ihn weg. Doch sofort packte sie ihn an den Armen.

Mit tiefer Befriedigung betrachtete sie ihn, da sein Gesicht schweißgetränkt und gerötet war. Sie nickte still und erhaben, während Georgie heftig frische Luft einsog und dabei mehrmals schluckte.

An den intensiven Gummigeruch hatte er sich längst gewöhnt und er sah, woher er kam. Unter dem Kittel trug sie ein hautfarbenes Mieder und einen BH, der sich zusammen mit dem Mieder vorne öffnen ließ.

„Bis dich deine Mutter abholt, bleibst du hier“, hörte er sie sagen, „und legst dich in das Bett hier.“ Sie bugsierte ihn zu dem alten Krankenbett hinüber und drückte ihn energisch nieder. Georgie ließ sich willenlos fallen. Knirschend stöhnte das Eisengestell auf.

„Zieh’ den Pulli und deine Hose aus“, befahl sie und Georgie tat auch das, ohne die geringste Gegenwehr.

Rasch zog sie die gefaltete Bettdecke zurück und er glitt hinein, während das Bett unter ihm bedrohlich knarrte. Vergebens kämpfte er mit seinen wachen Verstand und er war auf dem besten Weg, auch diesen Kampf kläglich zu verlieren. Urplötzlich begann sein ganzer Körper zu zittern, wobei das Zentrum in der Nierengegend lag.

Tante Irmtraut ging zurück zum Waschbecken. Sie sah in den Spiegel und betrachtete sich, drehte sich ein wenig. Mal nach links und mal nach rechts.

Georgie sog jede Bewegungen tief ein und obwohl ihn die Schreibtischlampe blendete, entging ihm nicht, dass sie das Handtuch nahm und sich die vielen Schweißperlen von der Stirn und vom Halsansatz abtupfte.

Automatisch blinzelte er, um besser zu ihr durchzudringen.

„Natürlich … ich könnte dir eine Geschichte erzählen“, sagte sie auf einmal, ohne sich vom Spiegel abzuwenden. Ihre Hände glitten an den breiten Hüften hinauf. Dann drehte sie sich um.

Mit dem Handtuch kam sie ans Bett. Automatisch drückte sich Georgie tiefer in die durchgelegene Matratze, als versuchte er, seinem Schicksal irgendwie entrinnen zu können.

Noch immer glühte sein Gesicht.

„Ich bleibe hier und erzähle dir etwas, das du wissen musst“, riss sie ihn aus seinen Gedanken.

Langsam krochen seine Augen an ihr hoch. Ihre Blicke trafen sich sekundenlang, dann glitten sie wieder an ihr hinab.

Sie setzte sich seitwärts auf das Bett.

Sie lächelte und ein liebevoller Blick betrachtete ihn eindringlich. Wortlos nahm sie seine Hand und reichte ihm das Handtuch.

Dann begann sie, eine Geschichte zu erzählen, die sehr weit zurückzureichen schien, mit der Georgie aber überhaupt nichts anfangen konnte. Sie sprach leise, legte den Kopf schräg.

Sie sah ihn an, doch ihre Worte drangen nicht wirklich zu ihm durch: „Vor langer Zeit wurde ich schwanger … Sie haben mir mein Baby weg genommen … Mein Mädchen. Ich gab ihr den Namen Marie … Habe mein Baby nie gesehen.“ Sie stützte sich neben ihm ab, sodass sie sich ein Stück vorbeugte. Georgie fühlte ihre Hitze, als würde er selbst auf einmal unglaublich schwitzen. Dabei redete sie weiter, als würde das alles ganz woanders geschehen: „Auch den Kindsvater habe ich nie wieder gesehen … nur das eine Mal.“ Unterstreichend sank ihr Blick zu ihm hinab.

Sie atmete tief ein: „Er hatte einen ähnlichen Vornamen wie du: „Georgie.“

Sie sprach den Namen so weich und sanft aus, dass Georgie wie auf Kommando das Handtuch fallen ließ. Erschrocken schoss sein Blick an ihr hoch!

… daß du mir gleich einem Bruder wärest, der meiner

Mutter Brüste gesogen! Fände ich dich draußen, so wollte

ich dich küssen … Ich bin eine Mauer und meine Brüste

sind wie Türme. Da bin ich geworden vor seinen Augen,

als die Frieden findet. Flieh, mein Freund, und sei gleich

einem Reh oder jungen Hirsche auf den Würzbergen!

Das Hohelied Salomos – Altes Testament – Kapitel 8.

„Die Treue der für immer Vereinten“ Vers.1/10 und 14.

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