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Kapitel II.9 Wolfsfarm (1)

Und so stand er nun da, allein, einzig beladen mit zwei schweren Koffern an der Bushaltestelle in Donegal Town.

Conor hatte den ersten Bus von Roundstone nach Clifden genommen. Dort war er umgestiegen und mit Bus Eirann über die N59 weiter nach Westport, von dort über die N5 Richtung Castlebar bis nach Charlestown und danach über die N17 und später die N4 nach Sligo gefahren. Hier musste er erneut umsteigen, was mit einer kurzen Pause verbunden war.

Auf die Schnelle besorgte er sich an einem in der Nähe der Bushaltestelle befindlichen Imbissstand eine Portion Fish and Chips mit Salz und Cider-Vinegar. Diese aß er im Stehen mit seinen Fingern aus der fettigen Papiertüte. Dabei musste er ständig auf seine Koffer achten, die neben der Kleidung für die ersten Tage auch alle von ihm während des Studiums erstellten Projektunterlagen enthielten. Nicht auszudenken, wenn ihm diese für die Umsetzung so wichtigen Dokumentationen abhanden kommen würden.

Es dauerte nicht lange, bis der Anschlussbus Richtung Donegal Town und Letterkenny auf dem Busbahnhof einfuhr. Conor entsorgte die restlichen Fish and Chips im Abfalleimer, putzte sich notdürftig seine fettigen Finger an seinem Taschentuch ab, schnappte seine beiden Koffer und bestieg den Bus. Mühsam arbeitete er sich in dem schmalen Gang bis zu einem leeren Sitzplatz vor. Die Koffer waren für die obere Ablage viel zu groß, so dass er sie im Mittelgang stehen lassen musste. Der Rest der Fahrt war nun nicht mehr allzu weit. Zügig ging es über die N15 entlang der Atlantikküste bis nach Donegal Town.

Der Busbahnhof grenzte direkt an dem kleinen Hafen, in dem einige Ausflugsschiffe auf Passagiere warteten, um sie auf eine zweistündige Rundfahrt durch die Donegal Bay aufzunehmen.

In Donegal Town wartete Conor auf seinen Anschlussbus, der ihn heute noch nach Glenties bringen sollte. Hier hatte er bereits vor Tagen ein B&B – Zimmer reserviert.

Er hätte zwar noch Zeit gehabt, im nicht weit entfernten Cafe am Marktplatz von Donegal Town eine Tasse Tee zu trinken, das war ihm wegen seiner beiden Koffer jedoch zu mühsam.

Also vertrieb er sich die Zeit damit, in Koffernähe auf und ab zu gehen und das Geschehen und die Aktivitäten im Hafen zu beobachten. Für ein paar Minuten ging er in das städtische Fremdenverkehrsbüro, das in einem sehr aufwendigen Gebäude direkt am Busbahnhof und dem Hafen untergebracht war. Hier stöberte er ein wenig in den Buchauslagen und den Flyern und Broschüren mit den örtlichen und regionalen Sehenswürdigkeiten. Einige kostenlose Broschüren der regionalen Highlights steckte er ein. Vielleicht fand er ja irgendwann einmal die Zeit, die landschaftlichen Reize Donegals selbst zu erkunden.

Er bestieg den nächsten Bus und nach etwa einer weiteren Stunde erreichte er Glenties.

Das von ihm reservierte B&B war nicht allzu weit von der Bushaltstelle entfernt. Und so quälte er sich fußläufig zum Rosewood B&B. Hier wurde er von der Hausbesitzerin, einer älteren weißhaarigen Dame, die die Aura und das Charisma einer englischen Lady ausstrahlte, bereits erwartet. Die distinguierte alte Dame war Conor vom ersten Moment an äußerst sympathisch.

„Hatten Sie eine gute Reise, Mr. McGinley?“, fragte sie wohl auch aus der Gewohnheit heraus.

„Ich heiße Conor, Mam, und die Fahrt war wegen der beiden schweren Koffer etwas anstrengend und mühsam. Normalerweise sind es ja überwiegend die Frauen, die mit scheren Koffern beladen die Reise antreten. Aber in diesem Fall hat es mich auch einmal getroffen.“

„Sie werden schon Ihre Gründe haben, warum Sie mit soviel Gepäck reisen. Vielleicht sind Sie ja ein wenig eitel?“

„Oh nein, Mam, das ist es nicht. Ich habe eine Menge Unterlagen, die ich beruflich benötige, in dem einen Koffer. Deshalb ist der auch so furchtbar schwer, als sei er voller Steine. Papier wiegt doch eine ganze Menge.“

„Dann nehmen Sie doch erst einmal Platz, Conor, wenn ich Sie so nennen darf.“

„Natürlich, nennen Sie mich bitte bei meinem Vornamen. Alles andere käme mir wirklich eigenartig fremd vor.

„Gut, dann mache ich Ihnen erst einmal eine schöne Tasse heißen Tee. Ich habe auch frische Scones gebacken.“

„Das ist wirklich sehr nett. Eine kleine Stärkung könnte ich echt schon vertragen. Es ist ja doch recht umständlich, mit dem Bus aus der Connemara ins nördliche Donegal zu reisen, dazu noch mit schwerem Gepäck.“

„Sie sind ja noch jung und stark, aber muten Sie das mal einer alten Dame wie mir zu. Übrigens, mein Name ist Jane Finnegan. Aber nennen Sie mich Jane, bitte, das macht nicht so alt.“

„Sehr gern, Jane. Ich bin auch kein Verfechter der gezwungenen Etikette. Das ist doch sehr antiquiert und passt meines Erachtens nicht mehr in die heutige, hektische Zeit.“

„Das mag schon sein, lieber Conor, aber auch die gute alte Zeit hatte ihre Vorzüge. Viel ist von dem weniger hektischen miteinander Umgehen der Vergangenheit verloren gegangen. Die Leute hatten oder nahmen sich noch die Zeit für ein persönliches Gespräch mit Nachbarn oder Freunden. Das hatte doch auch eine gute lange Tradition in Irland.“

„Oh, wir Iren gelten im Rest der Welt immer noch als gesprächig und neugierig. Manche bezeichnen uns auch als liebenswerte Schlitzohren, die für alles und bei allem, was sie tun, plenty of time, also jede Menge Zeit haben, nur bei einem nicht, beim Autofahren.“

„Mit dem Autofahren haben Sie schon Recht, Conor. Mein Neffe Andrew ist auch so ein Raser, für den jede Autofahrt ein Rennen ist. Er fährt mich zwar überall hin, gern steige ich jedoch nicht zu ihm in sein Auto. Ich kralle mich dann immer an den Haltegriffen fest und schließe die Augen, bis wir das Ziel erreicht haben. Aber so sind die jungen Burschen wohl, wild und leichtsinnig. Aber das ist ja seit jeher schon das Privileg der Jugend. Das müssen wir Alten einfach akzeptieren.“

„Das stimmt schon. Das ist sicher ein Teil des ungeschriebenen Generationenvertrages. Vielleicht ist man im Alter nicht mehr so schnell unterwegs, dafür aber klug und weise.“

„Nicht alle älteren Leute werden klug und weise. Viele sind auch verbittert und fühlen sich einsam. Nicht so bei mir. Ich habe immer schon mein Bed and Breakfast betrieben und habe so ständig Kontakt zu anderen Leuten, vor allem zu jüngeren. Das hält mich ebenfalls jung. Insbesondere genieße ich die Gespräche mit jungen Menschen. Ich habe viele Urlaubsgäste aus anderen Ländern, die bei mir übernachten. Es kommen Gäste aus England, Deutschland, Holland, Frankreich oder aus den skandinavischen Ländern zu mir. Einige kommen sogar schon seit einigen Jahren immer wieder. So erfahre ich dauernd, was außerhalb Donegals oder auch Irlands passiert und wie andere Menschen denken.“

„Das ist bewundernswert. Betreiben Sie das B&B eigentlich allein oder hilft Ihnen jemand dabei?“

„Grundsätzlich betreibe ich es allein. Nur ab und zu kommt meine Nachbarin und hilft mir. Vor allem, wenn ich in den Sommermonaten komplett ausgebucht bin. Im Augenblick schaffe ich das jedoch allein.“

Während des Gespräches hatte Jane den Tee aufgesetzt und die Scones mit Cream und Himbeermarmelade auf den Tisch gestellt.

Conor war ausgehungert wie ein Bär, der nach seinem langen Winterschlaf ausgemergelt den ersten großen Erkundungsgang macht und auf Nahrungssuche geht.

Etwas zu hastig verschlang er die herrlich duftenden und immer noch warmen Scones und genoss den warmen Tee.

Als er merkte, dass Jane ihn mit einem leichten Lächeln auf ihrem Gesicht dabei beobachtete, wurde er ein wenig rot auf den Wangen.

„Ich freue mich, dass es Ihnen schmeckt, Conor. Greifen Sie ruhig kräftig zu, Scones zu backen, ist meine große Leidenschaft. Zuzusehen, wie sie anderen schmecken, ist dagegen meine Lieblingsbeschäftigung und der heimliche Lohn und die Anerkennung für meine Arbeit. Ich hoffe, es stört Sie nicht.“

„Ganz und gar nicht. Ich bin gottlob in einer intakten Familie aufgewachsen. Der nachmittägliche Tee mit frisch gebackenen Scones oder je nach Jahreszeit auch ein Obstkuchen war ein fest etabliertes Ritual an jedem Sonntagnachmittag, das niemals vernachlässigt werden durfte. Das gehörte zur lex familia, dem ungeschriebenen Familiengesetz der McGinleys.“

„Nicht dass Sie mich als neugierige alte Tante abtun, aber sagen Sie mal, Conor, worin besteht denn Ihre Arbeit, für die Sie soviel Unterlagen benötigen?“

„Das ist eine komplizierte Geschichte, die ich Ihnen im Augenblick noch nicht erklären kann. Nicht, dass Sie nun glauben, dass es sich um etwas Illegales handelt. Ganz im Gegenteil. Ich arbeite gemeinsam mit der Regierung aus Dublin an einem Projekt. Und in dem Zusammenhang erwarte ich Mr. Gallagher, Jim Gallagher, und ich möchte Sie fragen, ob Sie noch ein weiteres Zimmer frei haben für eine gewisse Zeit. Den genauen Aufenthaltszeitraum von Mr. Gallagher kann ich Ihnen noch nicht sagen. Aber er wird sicherlich für etwa zwei Wochen bleiben.“

„Das ist kein Problem. Im Augenblick habe ich eh nicht alle Zimmer belegt. Ich werde aber nun, da ich es weiß, in jedem Fall ein schönes Zimmer für den Mann der Regierung frei halten. Wie hieß er doch noch gleich?“

„Gallagher, Jim Gallagher. Ich habe ihn allerdings bis heute auch noch nicht persönlich getroffen. Wir haben nur einmal miteinander telefoniert. Da machte er auf mich einen sehr sympathischen Eindruck.“

„Das hört sich ja alles sehr geheimnisvoll und spannend an. Ich bin ja nun doch ein wenig neugierig geworden, was sich hinter Ihrer Aufgabe hier verbirgt.“

„Sie werden es als erste erfahren, sobald ich mit Neuigkeiten an die Öffentlichkeit gehen kann, Jane. Das verspreche ich Ihnen.“

„Oh ja, das wird ja immer mysteriöser.“

Am kommenden Morgen servierte Jane ein komplettes irisches Frühstück, das Conor mit großem Appetit verzehrte. Nicht einen Krümel ließ er zurückgehen. Als Jane das Geschirr und das Besteck abräumte, lächelte sie vergnüglich in sich hinein. Sie war froh, einen jungen kräftigen Mann in ihrem Haus als Gast zu haben, der ihre Kochkünste offenbar zu schätzen wusste.

Nach dem Frühstück setzte Conor sich in das kleine Wohnzimmer, das auch den B&B-Gästen zur Verfügung stand. Jane hatte für sich noch ein separates privates Refugium, in das ihren Gästen der Zutritt nicht gestattet war.

In dem Wohnzimmer befanden sich ein großes Sofa und drei Einzelsessel im englischen Stil aus dunkelbraunem Rindsleder. Große braune Knöpfe pressten das Leder in gleichen Abständen an die zurückliegende Innenwand, so dass das Leder nicht glatt sondern wie dreidimensional über das Sofa gezogen wirkte. An der Stirnseite des Raumes befand sich ein offener Kamin, der mit einer schwarzen Gussplatte, die mit aus Jagdmotiven bestehenden Ornamenten verziert war, in dem Schornstein eingearbeitet worden war. Jane musste schon am frühen Morgen den Kamin angezündet haben. Zumindest empfing Conor ein wohltemperierter Raum mit einem angenehmen Ambiente und dem süßen Duft des lodernden Torffeuers.

Mittig vor dem Kamin stand ein kleiner Glastisch, auf dem eine brennende Kerze und eine Glasschüssel mit getrockneten Gewürzen und Duftpflanzen standen. Deutlich stieg Conor der intensive Duft getrockneter Rosen in die Nase.

Ein großes Fenster gab den schönen Blick frei auf die Blue Stack Mountains, die den kleinen Ort umgaben.

Die gesamte Situation bestärkte Conor in dem Eindruck, den er schon am Vortag gleich bei seiner Ankunft gehabt hatte. In diesem Haus fühlte er sich willkommen und er zollte jetzt schon dieser Jane Finnegan alle Ehre und Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme und das herzliche Ambiente der Unterkunft.

Da Conor im Augenblick der einzige Gast des Rosewood-B&B war, nahm er auf dem gemütlich wirkenden Sofa Platz und genoss einen Moment das Spiel der Flammen im Kamin. Dieser kurze Augenblick versetzte ihn unverzüglich in das heimatliche Cottage in der Connemara, in dem ihr Wohnzimmer ein ähnliches Herdfeuer zierte, vor dem sie so viele Abende beim Kartenspiel oder gemeinsamen Musizieren verbracht hatten. Ihm kam augenblicklich in den Sinn, wie schwer es seinem Vater immer gefallen war, beim Spiel zu verlieren und konnte sich ein innerliches Schmunzeln darüber nicht verkneifen.

Er bat Jane, die sich gerade über den Abwasch in der Küche hergemacht hatte, ob er mal ihr Telefon benutzen dürfe.

„Natürlich, Conor, das ist kein Problem. Nutzen Sie es, wann immer Sie möchten. Ich habe einen separaten Gebührenzähler installieren lassen, so dass wir die Gespräche haargenau ermitteln und abrechnen können. Das ist für beide Seiten doch fair, oder?“

„Das ist nicht nur fair sondern auch bequem für mich. Herzlichen Dank!“

Nachdem Conor die Nummer gewählt hatte, meldete sich nach viermaligem Klingeln Jim Gallagher in seinem Dubliner Büro.

„Hallo Mr. McGinley, von wo aus rufen Sie an?“

„Ich bin bereits im County Donegal und zwar konkret in Glenties. Das liegt zwischen Donegal Town und Letterkenny, also ziemlich zentral und ideal für unsere ersten Tätigkeiten. Ich habe ein wunderschönes B&B gefunden mit einer reizenden Wirtin, einer älteren Dame namens Jane Finnegan, die mich bereits seit gestern fürstlich bewirtet und umsorgt. Das Haus hat ebenfalls einen einladenden Charakter. Ich habe für Sie ein Zimmer reserviert. Ich hoffe, das ist Ihnen recht. Ich konnte der Eigentümerin nur noch nicht sagen, wann konkret Sie nachkommen würden.“

„Das hört sich doch sehr einladend an. Ich bin gespannt. Die Wahrheit ist, dass ich bereits auf ihren Anruf gewartet habe. Ich werde morgen früh in Dublin losfahren und Sie dann am frühen Nachmittag dort treffen. Ich werde mit unserem Dienstwagen kommen, dann sind wir in den nächsten Tagen etwas flexibler. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie mit dem Bus angereist sind? Sagen Sie mir noch bitte die Adresse des B&B!“

„Es ist das Rosewood-B&B direkt an der Strasse nach Ardara. Sie können es gar nicht verfehlen. Und ja, ich bin mit dem Bus gekommen. War ein ganz schön abenteuerlicher Trip. Aber es ist gut, wenn Sie den Dienstwagen dabei haben, der wird uns sehr von Nutzen sein und viel Zeit einsparen.“

„OK, also dann bis morgen. Ich freue mich.“

„Ich mich auch. Endlich kann es losgehen.“

Den weiteren Tag verbrachte Conor damit, das Örtchen und seine Umgebung kennen zu lernen. Glenties bestand im Wesentlichen aus einer Hauptstraße, von der nur wenige kurze Nebenstraßen abzweigten.

Hinter dem Ortseingangsschild zeigte den Besuchern voller Stolz ein übergroßes Metallschild an, dass Glenties bereits einige Male den Wettbewerb Donegals Tidiest Town gewonnen hatte, also als sauberste, ordentlichste Stadt im County Donegal ausgezeichnet worden war. Conor fragte sich, ob sich die Entscheidungskriterien nur auf die Bewertung des Ortes an sich, also die Gebäude mit ihren Vorgärten und die Straßen mit ihren Bäumen und sonstigen Bepflanzungen und Verzierungen, sozusagen der Hardware bezogen hatte oder ob auch die Ausprägung der hier wohnenden Menschen mit ihren unterschiedlichen Charakteren, gewissermaßen die Software mit in die Bewertung und Beurteilung einbezogen worden waren.

Doch er wollte kein vorschnelles Urteil fällen. Wenn er aber die ihm bisher einzig bekannte Bewohnerin von Glenties als Maßstab nehmen würde, nämlich Jane Finnegan, dann könnte sich der Preis seines Erachtens auch auf die Beurteilung der Bürgerinnen und Bürger bezogen haben.

So schlenderte er die Main Street entlang und registrierte ungewollt, dass Glenties über eine vorbildliche Anzahl gastronomischer Betriebe verfügte. Abendliche Langeweile würde hier sicher nicht aufkommen.

Ob Jim Gallagher wohl ein eher geselliger Mensch war oder einer jener typischen Beamten, die streng nach Vorschrift ihren Dienst verrichteten und sich den Vorzügen des Lebens komplett abgeneigt zeigten, zumindest wenn sie sich in der Öffentlichkeit befanden?

Der stolze Aushang am Ortseingang trog nicht. Glenties machte auch auf Conor den Eindruck eines wirklich sauberen kleinen Örtchens mit überwiegend freundlich dreinblickenden Menschen. Von allen vorbeikommenden Passanten wurde er freundlich begrüßt, entweder indem sie ihm ein liebenswürdiges Hi, how you`re doing? zuriefen oder zumindest knapp eine Hand zum Gruß hoben.

Conor erwiderte die Grüße bereitwillig und fühlte sich gleich heimischer und wohler, als er erwartet hatte. Auch die verletzten Gefühle, die die Trennung von Aoife in ihm hinterlassen hatten, verspürte er nun nicht mehr als allgegenwärtig. Es gab immer häufiger einige Momente, in denen er sein Liebesleid nur noch als Hintergrundschmerz verspürte, ähnlich einem Tinnitus, der in der Regel zwar sehr intensiv aber gelegentlich auch verhaltener und lautloser zu hören war.

Deshalb setzte er sich in der Nähe des Sportgeländes, das sich am Ortsausgang Richtung Fintown befand, auf eine Parkbank, genoss den Tag noch einmal in vollen Zügen und ließ ein wenig seine Seele baumeln. Als der Himmel noch einige Sonnenstrahlen nach Glenties schickte, merkte er erst, wie erschossen er von der gestrigen Reise war. Ungewollt schloss er für einen Moment seine Augen und schlummerte für eine kurze Weile ein. Mit einem Schrecken, so als ob ihn sein schlechtes Gewissen plagte, wachte er auf, rieb sich den Halbschlaf aus den Augen und machte sich auf den Heimweg zu seiner Unterkunft.

Dabei kam er an ein Pub vorbei, das als solches von außen auf den ersten Blick bei aller Fantasie nicht erkennbar war. Nur das im Fenster ausgehängte Schild Musicians welcome ließ erkennen, dass es sich eher nicht um ein rein wohnwirtschaftlich genutztes Gebäude handelte. Zumindest wurde in diesem Gebäude offensichtlich Musik gespielt, schloss Conor aus dem Aushang. Neugierig geworden drückte er die Türklinke hinunter und trat in einen Schankraum, dessen linke Wandseite komplett von einem langen Tresen eingenommen wurde. Der Raum war sehr eng geschnitten. An der rechten Wandseite befanden sich wie an einer Perlenkette aufgereiht einige kleine Tische mit jeweils nur zwei sich gegenüber stehenden Metallstühlen. Zwischen dem Tresen und der Tischreihe waren höchstens noch drei Fuß Platz.

Hinter dem Tresen standen zwei ältere Damen, Conor schätzte sie auf jeweils mindestens 75 Jahre, die für die Bedienung der Gäste sorgten. Sofort fielen ihm die vielen schlauen Sprüche, die die Wand hinter dem Tresen zierten, auf. Ein markanter Spruch fiel ihm sofort ins Auge, der auf das vor einigen Jahren in Irland eingeführte Rauchverbot in Gaststätten aufmerksam machte, aber diesmal auf eine besonders makabere Art: If you don`t smoke, I wont fart. Ein gewisses Schmunzeln konnte er sich nicht verkneifen, zumal er einen derart deftigen Spruch von den beiden sittsam aussehenden älteren Ladies hinterm Tresen nicht erwartet hätte.

An dem Schankraum schloss sich ein großer Wohnraum an, den die beiden Damen augenscheinlich den Pubbesuchern zusätzlich zur Verfügung stellten. Dieser war über eine breite Doppelflügeltür mit dem Schankraum verbunden. In diesem Wohnzimmer mäßigem Raum stand an der linken Innenwand ein altes Klavier, das offensichtlich den hereinkommenden Musikern, die vom Aushängeschild im Fenster angezogen worden waren, zur Verfügung stand. Neben dem Piano befand sich der Durchgang zu den Toiletten. Der Raum war ansonsten eingerichtet mit Polstermöbeln, die bereits bessere Tage gesehen hatten. Die Möbel machten zwar einen betagten nicht aber ungepflegten Eindruck. Insgesamt beurteilte Conor die Atmosphäre als gemütlich, der Raum passte zum Gesamtcharakter des alten Pubs.

Er bestellte sich ein Pint Guinness und nahm auf einem der Stühle im vorderen Schankraum Platz. Neben ihm waren zu dieser frühen Tageszeit, es war kaum fünf Uhr nachmittags, gerade mal drei weitere Gäste anwesend, die in einer lebhaften Konversation mit den beiden Pub-Betreiberinnen verwickelt waren. Offensichtlich waren die Gäste Musiker, denn die Unterhaltung rankte sich darum, ob sie am kommenden Sonnabend Lust und Zeit hätten, gemeinsam in dem Pub zu musizieren.

„Welche Art von Musik spielt ihr, wenn mal fragen darf?“, versuchte Conor ein Gespräch einzuleiten.

„Wir spielen traditionelle irische Musik. Aber wer will das wissen?“, antwortete der Conor am nächsten sitzende Musiker.

„Hallo, ich heiße Conor, Conor McGinley”.

Conor grüßte kurz in die Runde, indem er seine Hand hob.

„Wisst ihr, ich spiele nämlich auch und habe draußen das Schild gesehen Musicians welcome. Und da hab` ich mir gedacht, das gilt ja doch wohl nicht nur für samstags abends.“

„Nein, nein“, mischte sich eine der beiden Wirtinnen ein. „Gäste sind hier immer willkommen, besonders so junge gut aussehende Männer. Woher kommst Du, Conor McGinley?“.

„Geboren bin ich in Roundstone in der Connemara. Ich habe aber die letzten Jahre während meines Studiums in Dublin gelebt.“

„Und du machst ebenfalls Musik?“, übernahm der Musiker wieder das Wort.

„Ja, ich spiele Whistle, und zwar die Tin-Whistle und die Low-Whistle.“

„Wenn du Lust hast, kannst du ja am Samstag deine Flöten mitbringen und mit uns spielen.“

„Das wäre großartig. Seit Dublin habe ich nicht mehr mit anderen Musikern gemeinsam gespielt. Und allein macht es nur halb soviel Spaß.“

„So, in Dublin hattest du eine Gruppe, mit der du gespielt hast?“

„Ja, wir haben unsere gemeinsame Leidenschaft zur Musik zur Tugend gemacht. Ich habe mit einigen Mitstudenten abends in den Pubs von Dublin gespielt. Das brachte gutes Geld nebenbei. Und das konnte ich bei den Dubliner Preisen sehr gut gebrauchen. Großen Spaß gemacht hat es nebenbei auch noch.“

„Das hört sich doch sehr interessant an. Danny hier spielt die Konzertina und Akkordeon, ich, mein Name ist übrigens Mick, spiele die Gitarre und Peter dort drüben fiddelt. Also würde deine Whistle gut zu uns passen. Aber ich denke, es kommen eh noch weitere Musiker am Samstag. Wird sicher ne geile Session.“

„Hört sich gut an“, erwiderte Conor. “Ich bin dabei. Ich warte noch auf einen Bekannten, der morgen kommen wird. Ich hoffe, ich kann ihn überreden, am Samstag mit ins Pub zu kommen.“

„Tu das, Conor“, warf die Wirtin wieder ein. „Wir können jeden zusätzlichen Gast gut gebrauchen. Und Platz haben wir auch genug dort drüben in der Lounge“.

Mit der Lounge meinte die ältere Dame sicher das gemütliche Wohnzimmer, das Conor vorhin schon entdeckt hatte.

Conor genoss sein frisches Guinness und das Fachgespräch mit den drei Musikern, mit denen er sich auf Anhieb prächtig verstand. Am liebsten hätte er gleich seine Whistle geholt und musiziert, so sehr hatte er das gemeinsame Musizieren vermisst, vergleichbar mit dem Gefühl, wie sich ein Seemann nach dem weiten Meer sehnt, wenn er sich auf einem langen Landurlaub befindet. Das fiel Conor jetzt erst besonders intensiv auf, da sie übers Musizieren sprachen. Er verspürte so etwas wie Vorfreude auf den Samstag. Ja er hatte endlich wieder etwas, worauf er sich freuen konnte und was ihn befriedigen würde. Und das war ein gutes Gefühl. Ja, er konnte noch oder wieder Gefühle entwickeln und das bewirkte eine gewisse innerliche Unruhe in ihm. Diese Unruhe war jetzt nichts Negatives, ganz im Gegenteil, es war eher eine gesunde Kopflosigkeit, so wie beim Erwarten eines emotionalen Ereignisses, das man kaum noch herbeisehnen kann. Er trank sein Guinness leer und verabschiedete sich von den drei Musikern:

„Bis Samstag also.“

Und so ging er, wenn man seine Stimmung der letzten Wochen als Maßstab nahm, fast in Hochstimmung in Richtung Unterkunft.

In Moody`s Cafe nahm er noch einen Snack auf die Schnelle, da er merkte, dass er doch sehr hungrig geworden war. Auch das war ebenso ein Gefühl, das er schon lange nicht mehr verspürt hatte. Obwohl er gemessen an seiner Körpergröße nie zu schwer gewesen war, hatte er durch den Trennungsschmerz fast acht Kilogramm Gewicht verloren. Und das zeichnete sich für alle die ihn kannten erkennbar auf seinem Gesicht ab. Das war nämlich noch schmaler geworden, als es normalerweise ohnehin schon war. Seine markanten Wangenknochen traten nun so überdeutlich zu Tage, als würden aus seinen Backenwölbungen, gleichsam wie aus einem Köcher, in jedem Moment zwei gefährliche Geschosse in die gegnerische Richtung abgefeuert werden.

Nach dem Frühstück am nächsten Morgen nahm er sich noch einmal seine Projektunterlagen vor, um auf das Gespräch mit Jim Gallagher vorbereitet zu sein.

Gegen zwei Uhr am Nachmittag fuhr ein Wagen, eine schwarze Mercedes C-Klasse-Limousine, durch die Einfahrt des Rosewood-B&B. Die kleinen, gelben Steinchen knirschten unter dem Druck der Autoreifen und spritzten sich ergebend zur Seite.

Auf den ersten Blick schätzte Conor den schwungvoll aus dem Auto aussteigenden Jim Gallagher auf etwa Mitte vierzig. Ihm fiel gleich die drahtige Figur auf, die auf einen sportlichen Menschen schließen ließ. Einen Menschen, der darauf achtete, in Form zu bleiben und keine unnötigen Pfunde anzusetzen. Jim Gallagher hatte dunkle, rötlich braune, volle Haare, die in lockigen unbezähmbaren Strähnen nach hinten gekämmt waren. Er sah sich, als er ausgestiegen war, mit hellen, wachen Augen um und inspizierte mit eiligem Blick die nähere Umgebung. Jim Gallagher trug ein hellblaues Hemd mit dunkelroter Krawatte unter einem sportlichen, einreihigen Anzug. Sein Äußeres gab seinem ersten Auftritt einen unübersehbaren offiziellen Anstrich.

Der Regierungsbeamte aus Dublin hievte einen großen Reisekoffer aus dem Kofferraum und näherte sich mit elanvollen, schnellen Schritten dem Eingang des B&B.

Jane Finnegan hatte den Neuankömmling ebenfalls schon aus dem Küchenfenster gesichtet und war zur Eingangstür geeilt.

„Hallo, guten Tag und herzlich willkommen. Sie müssen Mr. Gallagher aus Dublin sein, den mein Mieter bereits angekündigt hat.“

„Ganz recht, Mrs. Finnegan. Conor McGinley hat mir schon von Ihrer Gastfreundschaft berichtet. Und wie ich sehe, hat er nicht übertrieben. Ich freue mich, Ihr Gast sein zu dürfen.“

„Die Freude ist ganz auf meiner Seite“, erwiderte Jane Finnegan. „Aber kommen Sie erst mal hinein und stellen ihren Koffer ab. Mr. McGinley erwartet Sie schon im Wohnzimmer. Kommen Sie, ich bringe Sie zu ihm.“

Jim Gallagher ließ den Koffer im Flur stehen und folgte Jane ins Wohnzimmer.

„Hi, Sie müssen Conor McGinley sein. Schön, Sie endlich auch mal persönlich kennen zu lernen.“

„Hi, Mr. Gallagher, ich freue mich auch. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Fahrt.“

„Danke der Nachfrage. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal mit dem Wagen nach Donegal gefahren bin. Und ich war ganz erstaunt, wie gut die Straßen inzwischen ausgebaut sind, der EU sei dank. Die N2 ist ja bis Dundalk nahe der Grenze zu Nordirland als Autobahn ausgebaut. Zwar ist die Strecke mautpflichtig, aber man spart enorm an Fahrtzeit. Das war sehr entspannend, allerdings auch nur bis zur Grenze. Das Teilstück durch Nordirland war nicht mehr so exzellent ausgebaut, so dass ich dort doch wider Erwarten länger gebraucht habe. Na ja, als ich bei Strabane von Nordirland wieder in die Republik Irland gekommen bin, hat sich die Straßenqualität auch nicht wirklich verbessert. Das letzte Stück war doch sehr mühsam. Das hat mich aber nicht besonders überrascht, denn die Straßen von Donegal sind in Dublin schon eine traurige und berüchtigte Berühmtheit. Es heißt wohl nicht von ungefähr, holprig wie die Straßen von Donegal.“

„Da ist etwas Wahres dran, obwohl sich die Qualität der Straßen von Donegal schon entscheidend verbessert hat. Noch vor wenigen Jahren waren sie geradezu Reifen- und Achsenkiller für alle Autos. Aber auch heute gilt noch, am besten fährt man hier mit einem Jeep“, meinte Jane Finnegan, die es ja wissen musste. Dann ergänzte sie:

„Ich werde mal Tee aufsetzen“, und verschwand in der Küche.

„Einen Geländewagen als Dienstwagen haben wir leider nicht in unserer Behörde. Aber ich denke, wir kommen mit dem Mercedes auch ganz gut klar. Ich hoffe nicht, dass wir bei unseren Exkursionen die ausgebauten Straßen verlassen müssen“.

We`ll cross the bridge, when we`ll come to it”, antwortete Conor mit einem irischen Sprichwort, was soviel bedeutete wie: Kommt Zeit kommt Rat.

„Übrigens habe ich bereits für morgen früh um zehn Uhr einen Besprechungstermin mit der Verwaltungsleitung des Glenveagh-Nationalparks vereinbart. Vorteilhaft für unsere Sache könnte sein, dass der Park im Eigentum des irischen Staates steht. Verwaltet wird er von der National Parks Wildlife Service, die dem Ministerium für Umwelt, Kulturerbe und Kommunalverwaltung untersteht. Zu denen habe ich einen guten Draht, weil unsere beiden Ministerien viele Berührungspunkte haben. Ich habe in Dublin bereits erste Kontakte geknüpft. Vielleicht hilft uns das im morgigen Gespräch mit der Parkverwaltung. Ich hoffe, Sie sind fachlich gut darauf vorbereitet. Ich kann Ihnen da in Sachen Überzeugungsarbeit leider noch keine große Hilfe sein, außer als Türöffner. Aber ich denke, je früher wir Bescheid wissen, umso besser ist es für das weitere Vorgehen. Die Zustimmung der Parkverwaltung ist die Schlüsselfrage. Davon abhängig sind alle unsere weiteren Aktivitäten.“

„Auf die inhaltlichen Dinge bin ich vorbereitet. Ich habe mir gerade heute Vormittag noch meine Unterlagen vorgenommen. Ich bin mehr als gespannt auf die Reaktion der Parkverwaltung. Weiß die Verwaltungsleitung schon, mit welchem Anliegen wir sie konfrontieren?“, wollte Conor wissen.

„Nur rudimentär, ich habe nur kurz aus meinem Gedächtnis das Hauptanliegen angesprochen. Aber wie gesagt, die Überzeugungsarbeit müssen Sie übernehmen“, wiederholte Jim Gallagher.

„OK, darauf bin ich vorbereitet“, beruhigte Conor ihn.

Jane Finnegan kam in dem Moment mit frisch aufgebrühtem Tee und einigen ihrer von Conor inzwischen heiß geliebten Scones mit Butter, Erdbeermarmelade und frisch geschlagener Sahne ins Wohnzimmer.

„So, Mr. Gallagher, jetzt gibt es zunächst mal eine kleine Stärkung für Sie. Das wird Ihnen gut tun nach der langen, beschwerlichen Fahrt.“

„Das ist äußerst nett von Ihnen, Mrs. Finnegan, da sage ich nicht nein“, war auch Jim Gallagher von der Gastfreundschaft seiner Zimmerwirtin gleich sehr angetan.

„Nennen Sie mich doch bitte auch Jane, wenn es Ihnen nichts ausmacht, das habe ich mit Conor ebenfalls so abgesprochen.“

„Gern, mein Name ist Jim. Auch ich bevorzuge eine lockere Atmosphäre. Das gilt übrigens auch für Sie, Conor, wenn Sie mögen.“

„Klar, ich bin das vom College eh` nicht anders gewohnt. An diesen hochoffiziellen Redestil muss ich mich sowieso erst noch gewöhnen“, war Conor ganz froh über Jims Angebot.

„Also, nachdem wir das geklärt hätten, genießen Sie zunächst einmal den Tee und die Scones. Ich will Sie dann auch nicht weiter stören, meine Herren“, sagte Jane mit einem Lächeln auf den Lippen.

„Du hast nicht übertrieben, Conor, was die Gastfreundschaft unserer Wirtin angeht“, sagte Jim, nachdem Jane den Raum verlassen hatte.

„Ja, sie ist ein Engel. Hier kann man sich wirklich wohl fühlen. Und die Zimmer sind wirklich hervorragend. Alle Räume sind en suite und wirklich geschmackvoll eingerichtet, sie müssen sich hinter keinem Hotelzimmer verstecken. Außerdem liebe ich diese persönliche Atmosphäre, ich hasse die Unpersönlichkeit in den Hotels. Das hier gibt mir eher das Gefühl, zuhause zu sein.“

Nachdem Jim nach dem Tee seinen Koffer auf sein Zimmer gebracht hatte, sagte er:

„Ich schlage vor, wir gehen zunächst gemeinsam zur Bank und richten ein Sonderkonto für das Projekt ein. Einen ersten Scheck habe ich von unserem Kämmerer gleich mitbekommen. Darüber hinaus wäre meine Empfehlung, dass ich einen monatlichen Festbetrag, über dessen Höhe wir noch sprechen müssen, auf dieses Konto übertrage, über den du dann frei verfügen könntest. Aufwendungen, die über den normalen Tages- respektive Monatsbedarf hinausgehen, für Sonderanschaffungen wie Zäune etwa, könntest du dann im Verlauf des Projektes bei mir separat anfordern. Da bräuchte ich dann allerdings jeweils Quittungen, um die Ausgaben meinem Kämmerer gegenüber nachweisen zu können. Wäre das eine Vorgehensweise, mit der du dich anfreunden könntest, Conor?“

„Auf jeden Fall, das ist mehr als großzügig und äußerst vertrauensvoll mir gegenüber.“

„Ohne einen gewissen Vertrauensvorschuss können wir das ganze Projekt gleich vergessen“, erwiderte Jim. “Wir werden noch genügend Hürden zu überwinden haben. Da dürfen wir beide uns nicht gegenseitig misstrauen. Denn dann wäre meines Erachtens gleich zu Anfang schon alles verloren.“

„Der Meinung bin ich auch und ich bin froh, dass du genauso denkst. Für mich ist das Projekt die Erfüllung eines Lebenstraumes. Wer bekommt schon so eine Chance und das gleich zu Beginn seines Arbeitslebens. Außerdem soll das Projekt die Basis sein für meine Promotion. Ich glaube, einen besseren Praxisbezug kann keiner in seiner Doktorarbeit bieten. Das ist einfach einmalig und unbeschreiblich, welche Chancen und Möglichkeiten mir dieses Projekt gibt.“

„Das ist schon richtig, aber ich bewundere trotzdem deinen Mut. Dieses ist mit Sicherheit ein Projekt mit Risiken und Nebenwirkungen, wie die Apotheker so gern zu sagen pflegen. Da steckt noch eine Menge Risikopotential im Verborgenen, das wir heute überhaupt noch nicht auf dem Radar haben.“

„Dessen bin ich mir durchaus bewusst, ich bin zwar ein Enthusiast, aber keineswegs ein Träumer“, erwiderte Conor, obwohl ihm absolut die Richtigkeit der Worte von Jim Gallagher bewusst war. Auch er hatte sich schon nächtelang Gedanken gemacht über die Risiken und Gefahren, die selbst auf ihn persönlich zukommen könnten.

Die beiden Männer gingen zur Filiale der Bank Of Ireland in Glenties und eröffneten wie besprochen das Konto, über das Conor in Zukunft würde verfügen können. Den ersten Scheck reichte Jim gleich zur Gutschrift ein, so dass für die ersten Ausgaben, die zweifelsohne in den nächsten Tagen anstehen würden, ausreichend Deckung vorhanden war.

Den Rest des Tages verbrachten Sie mit der Vorbereitung auf das Gespräch am Folgetag mit der Parkverwaltung.

Gegen sieben Uhr abends fragte Jim Gallagher:

„Conor, mein Magen meldet sich schon wieder. Muss wohl an der Luftveränderung liegen. Weißt du schon, wo man hier etwas zu Essen bekommt?“

„Du bekommst fast alles hier. Zur Auswahl stehen einige Schnellrestaurants. Über Keeneys Bar gibt es einen Chinesen, der vom Hören und Sagen ganz gut sein soll und bei dem man auch sehr gemütlich sitzen können soll. Das bekannteste Restaurant ist jedoch im Highland Hotel. Die sind allgemein geschätzt für ihre gut bürgerliche Küche.“

„Deren Hinweis Good Food Served All Day habe ich schon gleich zu Anfang des Ortes gesehen“, sagte Jim Gallagher. „Lass uns das Highland Hotel mal gleich zu Anfang testen, was meinst Du?“

„Hört sich gut an, also auf geht` s.“

Das Highland Hotel war nicht weit entfernt von ihrem B&B und beide genossen nach der theoretischen Vorbereitung auf den folgenden Tag die kurze Bewegung durch den Fußmarsch zum Restaurant. Das Hotel war das bei weitem größte und imposanteste Gebäude der Main Street von Glenties. Es lag, wenn man aus Richtung Ardara über die N56 in den Ort hinein fuhr gleich in der ersten 90 Grad Linkskurve an der linken Straßenseite direkt gegenüber dem An Clùid, den Einheimischen immer noch besser bekannt unter seinem alten Namen Paddys Bar. Es war ein langgestreckter Putzbau mit einem relativ neuen gelben Anstrich. Die Fensterrahmen waren in einem dunklen Grünton farblich geschmackvoll abgesetzt. Durch den Haupteingang erreichte man direkt die Hotelrezeption, von dort aus links trat man in das Restaurant. Das Hotel verfügte allerdings auch über eine geräumige Bar, in der Bar-Meals angeboten wurden. Diese Menüs waren nicht schlechter, als die im offiziellen Restaurant, dafür aber wesentlich preisgünstiger. Im Gegenzug hatte man allerdings das Ambiente eines Pubs in Kauf zu nehmen. Die Bar befand sich rechts von der Rezeption und war im englischen Stil eingerichtet. Mahagoniholz dominierte den gesamten Raum, was ihm, zumal er wegen der dicken dunkelroten Samtgardinen ohnehin nicht viel Tageslicht abbekam, eine zusätzliche düstere Atmosphäre verlieh. Diese empfand man hingegen eher als heimelig denn als duster im Sinne von unheimlich. Allerdings waren die niedrigen, kleinen Rundtische mit ihren vielmehr an die Einrichtung von Kindergärten erinnernden Stühlen zumindest für großgewachsene Gäste zum Essen mehr als unbequem. Das gesamte Ensemble erinnerte aus dem Blickwinkel erwachsener Menschen eher an eine holländische Puppenstube, die in liebevoller Kleinarbeit von Erwachsenen für ihre Kinder zusammengestellt worden war.

Durch die Bar, oder alternativ auch durch einen doppelflügeligen Eingang von der Hauptstrasse aus, erreichte man einen riesigen Saal, der für alle Gattungen von Festlichkeiten genutzt wurde. Hier fanden vornehmlich Hochzeiten statt, aber auch Konzerte, Tagungen und Ausstellungen aller Art.

Im ersten Obergeschoss befanden sich die Hotelzimmer, die vornehmlich dann ausgebucht waren, wenn zeitgleich im Festsaal eine Familienfeier stattfand.

Jim und Conor entschieden sich für das Bar-Meal und gingen direkt in die Hotelbar. An den Wochenenden hätten sie sicherlich dort ohne Wartezeit keinen Tisch bekommen. Da es aber ein gewöhnlicher Mittwochabend war, fanden sie gleich einen freien Tisch in Fensternähe.

Conor entschied sich für die Clamshowdersoup, eine Fischsuppe, die ihm von Jane Finnegan wärmstens empfohlen worden war. Jim orderte dagegen das Tagesmenue, ohne zu wissen, was ihn konkret damit erwartete.

Beide bestellten sich ein Pint Guinness zum Essen. Jim bestellte sich vorab einen Single Malt Whiskey mit einem Glas Wasser.

Das Tagesmenü entpuppte sich als Roastbeef, das mit einer Bratensauce übergossen war. Als Beilagen gab es Kartoffelpüree und Erbsen mit Möhren. Das war zwar nicht unbedingt sehr originell, denn alle Einheimischen wussten, dass sich das Tagesgericht schon seit Menschengedenken nicht verändert hatte, aber es war eine reichliche Mahlzeit. Und da Jim ein großes Hungergefühl verspürte, aß er mit wachsendem Genuss die komplette Portion.

Conor hingegen genoss seine wirklich wohlschmeckende Fischsuppe, zu der man ihm braunes Brot serviert hatte. Nach dem Essen schlemmten beide ihr Guinness und bestellten sich jeweils ein weiteres Pint.

„Jim, du hast ja heute Nachmittag bereits die Backkünste unserer Wirtin kennen gelernt.“

„Tatsächlich, die Scones waren ausgezeichnet. Frisch gebacken schmecken sie doch am besten.“

„Ja, aber warte erst mal das Full Irish Breakfast morgen früh ab. Danach bist du gesättigt bis zum Abendbrot. Das ist absolut einmalig, vor allem mit welcher Liebe unsere Jane das Frühstück zubereitet, das ist anerkennenswert.“

„Da machst du mich aber neugierig. Obwohl ich im Augenblick gut gesättigt bin, freue ich mich dennoch auf das morgige Frühstück. Normalerweise bevorzuge ich das kontinentale Frühstück, du weiß schon wegen der Kalorien, aber hier in dieser frischen Luft habe ich ein latentes Appetitgefühl so wie ein Winterschläfer, der für die kommenden Monate vorsorgen muss“, lächelte Jim.

„Was erwartet uns denn zum Frühstück?“

„Das komplette Programm, warte nur ab.“

„Ich war mal mit meiner Familie für eine Woche in Kerry. Dort sind wir natürlich auch den Ring Of Kerry entlang gefahren und durchs Gap Of Dunloe gewandert. Die Killarney Seen waren einmalig schön. Auf der Beara Peninsula haben wir einmal in einem B&B in Castletown Bere übernachtet. Unser Wirt war ein Fischer. Der bot uns an, alternativ zum irischen Frühstück fangfrischen Fisch, Cod und Haddok, serviert bekommen zu können. Das hörte sich zu ungewöhnlich an, also haben wir zugestimmt. Und glaube es oder nicht, ich habe niemals zuvor und niemals wieder danach einen so hervorragenden, frischen Fisch bekommen. Ja, andere Länder, andere Sitten.“

„Also, Fisch zum Frühstück hört sich auch für mich gewöhnungsbedürftig an. Aber wenn es dann so ein kulinarischer Leckerbissen ist, wie du erzählst, dann würde ich auch zugreifen. Das Ganze erinnert mich gleich an den Supertramp-Song Breakfast In America, in dem Roger Hodgson die Mummy Dear, Mummy Dear auch um Fische zum Frühstück bittet, nämlich kippers for breakfast, weil doch jeder in Texas ein Millionär ist.“

„Ja, ich erinnere mich. Supertramp war auch eine meiner Lieblingsgruppen. Even In The Quietest Moments habe ich immer noch im Ohr, oder Crises? What Crises?. Aber die Band hat sich leider auch zerschlagen, wie so viele andere gute alte Rockbands.“

„Oh, da versteht ja einer etwas von Rockmusik. Das trifft sich gut. Da haben wir immer ein schönes Gesprächsthema, wenn es mal nicht um Wölfe geht.“

Obwohl von Conor darauf vorbereitet, empfing Jim am kommenden Morgen das irische Frühstück üppiger und herzlicher zubereitet als in seinen kühnsten Träumen erwartet. Nie waren ihm die Reichhaltigkeit, der typische Geschmack und die Verwurzelung dieses Essens mit der Landschaft so bewusst geworden wie in diesem Moment, wo all die weißen und schwarzen puddings, sausages, beans, fried eggs, tomatos, mushrooms, bacon und so weiter liebevoll arrangiert vor ihm standen.

Conor und Jim genossen demzufolge das Frühstück ausgiebig und stärkten sich damit für den schweren Tag.

Nachdem Conor seine Unterlagen im Kofferraum des Mercedes verstaut hatte, machten sie sich gegen neun Uhr auf den Weg Richtung Glenveagh-Nationalpark. Sie nahmen die Westroute am Meer entlang über Dungloe und Gweedore, vorbei am Mount Errigal, dem mit fast 800 Metern höchsten Berg Donegals, der als alleinstehender Koloss majestätisch über das Poisoned Glen wachte. Weiter entlang dem Derryveagh Gebirge mit dem fast 700 Meter hohen Slieve Snaght als mächtigster Erhebung und dem Blick auf den Muckish, dem weithin sichtbaren markanten Tafelberg, bis sie nach einer knappen Stunde Fahrtzeit von der R251 durch ein großes Eisentor rechterhand den Haupteingang des Nationalparks erreichten.

Im Eingangsgebäude meldeten sie sich am Informationsschalter an. Dort wurden sie bereits von Noel Morhan erwartet. Dieser stellte sich als Sekretär des Parkverwaltungsleiters Patrick McCormick vor.

„Guten Morgen, die Herren. Ich nehme an, sie sind Mr. McGinley und Mr. Gallagher?“

„Ja, mein Name ist Jim Gallagher und das ist Conor McGinley.“

„Freut mich, sie zu sehen. Sie werden bereits von meinem Chef Patrick McCormick erwartet. Die Verwaltung ist in einem ehemaligen Wohngebäude am Anfang des Nationalparks untergebracht. Es ist allerdings nicht allzu weit, so dass Sie ihr Fahrzeug hier auf dem Parkplatz stehen lassen können. Auf dem kleinen Sparziergang zum Büro können Sie schon einen ersten optischen Eindruck vom Park gewinnen. Der Fußweg schlängelt sich schön am Lough Veagh entlang zum Verwaltungsgebäude. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.“

Der große Tisch im Besprechungsraum des Verwaltungsgebäudes war bereits gedeckt mit einigen Teetassen. Daneben standen kleine Teller mit Plätzchen und Gebäck.

„Bitte, meine Herren, nehmen Sie doch Platz“, bat Noel Morhan. „Ich informiere Mr. McCormick, dass Sie da sind.“

Nun, da es ernst wurde, wurde es Conor doch ein wenig mulmig in der Magengegend. Er bemühte sich allerdings mehr schlecht als recht, es niemanden übermäßig anmerken zu lassen. Aber dieses Gefühl kannte er schon von den mündlichen Prüfungen seines Studiums. Auch damals hatte er ein flaues Gefühl im Magen, war allerdings später, als es drauf ankam, voll konzentriert und motiviert gewesen. So vertraute er auch dieses Mal darauf, dass er sich auf seine Willensstärke und Überzeugungskraft verlassen konnte.

Mit Patrick McCormick betrat eine imposante Person von etwa sechzig Jahren den Raum. Er hätte in jeder italienischen Oper in der Mailänder Skala die Hauptrolle des Otello übernehmen können. Patrick McCormick hatte volles, schneeweißes Haar, das nach hinten gekämmt war. Vor allem fielen die üppigen Kotletten auf, die büschelartig fast seine kompletten Ohren bedeckten. Er trug eine große Hornbrille, die seinem ovalen Gesicht etwas Intellektuelles, ja Gelehrtenhaftes gab. Bekleidet war er mit einem grauen Zweireiher, der schon bessere Tage gesehen hatte. Hinter den dicken Brillengläsern lugten zwei neugierige Augen den Besuchern entgegen. Insgesamt machte er allerdings auf Conor einen freundlichen, ja sympathischen Ersteindruck.

„Guten Tag, mein Name ist Patrick McCormick. Ich bin hier der Leiter der Parkverwaltung des Glenveagh-Nationalparks. Schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben.“

„Die Freude ist ganz auf unserer Seite“, ergriff Jim Gallagher zunächst das Wort. „Mein Name ist Jim Gallagher von der Regierung in Dublin und der junge Mann neben mir ist Conor McGinley aus Roundstone in der Connemara. Schön, dass Sie uns so kurzfristig empfangen konnten.“

„Sie kommen ja auch mit einem nicht alltäglichen Wunsch zu uns, wie ich aus dem Vorgespräch entnehmen konnte. Ich bin schon sehr gespannt, was Sie uns heute präsentieren. Tee, die Herren?“

„Zu einem Tee sagen wir nicht nein, danke. Auf dem kurzen Weg vom Parkplatz zu Ihrem Bürogebäude konnten wir schon einen ersten optischen Eindruck von der Schönheit Ihres Parks bekommen. Sehr beeindruckend, ja geradezu atemberaubend. Wenn der Hinweis Breathtaking Views überhaupt einmal irgendwo gepasst hat, dann bestimmt hier.“

„Danke, Mr. Gallagher, aber die ganze Schönheit des Parks erkennen Sie erst, wenn sie ihn durchwandert haben. Ich hatte vorgesehen, dass wir uns im Anschluss an das Gespräch unter Führung eines Rangers den Park zumindest oberflächlich, im Schnelldurchgang sozusagen, ansehen. Von den exponierten Stellen haben Sie dann zumindest einen ersten Gesamteindruck über die Lage, die Ausgestaltung und das Ausmaß des Parks. Auch das Schloss mit seinen Gärten müssen Sie sich ansehen.“

„Danke für die Einladung, die wir gern annehmen. Wir sind vollkommen ohne Zeitdruck hierher gekommen und können uns somit ganz nach Ihnen und Ihren Möglichkeiten richten. Ich würde jetzt gern auf Conor McGinley überleiten, der Ihnen dieses ungewöhnliche Projekt vorstellen wird. Conor ist der Initiator dieses Projektes, das er im Trinity College gemeinsam mit seinen Professoren entwickelt hat. Er ist gleichzeitig der Projektleiter für die praktische Umsetzung vor Ort. Conor, bitte!“

„Danke, Jim. Mr. McCormick, Mr. Morhan, ich freue mich, Ihnen heute das vielleicht spektakulärste und aufsehenerregendste, gleichzeitig aber natürlichste Projekt der letzten Jahrzehnte vorstellen zu dürfen…….“

Gleich nach dem ersten Satz war Conor bereits tief in seinem Element. Er merkte gar nicht, wie flüssig ihm all` seine Worte und Argumente über die Lippen flossen. Alles ging wie von allein, wie ferngesteuert, voller Inbrunst, Leidenschaft aber auch Kompetenz und eigener Überzeugung. Seine Argumente bestachen durch Präzision, Umsetzungstauglichkeit und Durchdachtheit, was die Möglichkeiten aber auch die Risiken und Gefahren anging. Gerade die Aufzählung der Wagnis- und Gefährdungspotentiale und die Möglichkeiten ihrer Ausschaltung oder zumindest Minimierung nahm einen weiten Raum in seiner Präsentation ein. Er hatte seinen Vortrag sorgfältig vorbereitet und mit einer Powerpointstory auf seinem Laptop hinterlegt. So konnte er seinen Zuhörern neben dem verbalen auch einen visuellen Eindruck über die Komplexität des Wolfsprojektes geben. Eindrucksvolle Bilder und Fotos, die er sich aus dem Internet in den Vortrag geladen hatte, taten ihr Übriges und sorgten für kurzweilige Augenblicke und Abwechslung der sturen Theorie. Conor war sich nämlich durchaus bewusst, dass der Mensch ein Augentier war.

Nach gut eineinhalb Stunden schloss er mit der Bitte, nun doch anstehende Fragen zum Projekt zu stellen.

„Puh, das nenn` ich mal einen komplexen Vortrag, der mit ganzer Emotion, Überzeugung und voller Leidenschaft vorgetragen worden ist. Hier spürt man förmlich das Herzblut fließen, mit dem er geschrieben worden ist“, war Patrick McCormick sichtlich angetan von Conors Vorstellung.

„Zugegebenermaßen war ich nach dem Telefonat mit Mr. Gallagher sehr skeptisch, frei laufende Wölfe in meinem Park anzusiedeln. Aber Sie haben vielleicht davon gehört, dass wir seit einiger Zeit versuchen, erstmals in Irland wieder Königsadler in freier Wildbahn anzusiedeln. Seit einiger Zeit haben wir ein Gelege oben in den Derryveagh Mountains, die ebenfalls zum Park gehören und sich bis nahezu zur Ortschaft Doochary hinziehen. Hier ist der wilde Teil des Parks, den kaum jemand kennt oder gar besichtigt. Die meisten Besucher konzentrieren sich auf den kultivierten Teil des Parks, der sich von hier bis zum Schloss mit seinen Gärten hinzieht. Aber die Ursprünglichkeit der Landschaft erkennt man nur in diesem wilden Teil, dessen Weitläufigkeit sich für ein solches Projekt wie die Wiederansiedlung der Adler einfach anbietet. Thematisch würde Ihr Projekt, Mr. McGinley, also hervorragend zu unserem Adlerprojekt passen. Meine anfängliche Skepsis ist ein wenig gewichen dadurch, dass Sie die Wölfe zunächst oder sogar auf Dauer in einem in sich abgesperrten Gehege ansiedeln wollen. Das minimiert die allgemeinen Gefahren und vor allem die potentiellen Auseinandersetzungspunkte mit den benachbarten Farmern oder unseren weiteren Parkaktivitäten. Fachleute aller Welt würden sicher neidisch auf uns schauen. Vielleicht würden wir sogar zum Wallfahrtsort für alle interessierten Ornithologen, Biologen und Zoologen. Als äußerst positiv erachte ich auch die Patenschaft durch die Regierung, durch Ihre Behörde, Mr. Gallagher. Das gäbe auch unserem Projekt vielleicht mehr Nachdruck und Verständnis in der benachbarten Bevölkerung. Denn nicht alle sind dem Vorhaben der Wiederansiedlung von Adlern wohl gesonnen. Mehrfach wurde schon versucht, das Nest ausfindig zu machen und das bestimmt nicht in gutwilliger Absicht. Da würde ich mir, wenn wir das Wolfsprojekt auf dem Gebiet unseres Parks ansiedeln würden, ebenfalls die Unterstützung der Regierung wünschen, bei der Überzeugungsarbeit gegenüber den benachbarten Farmern mitzuwirken“, bat Patrick McCormick.

„Wenn das Ihre Zustimmung erleichtern würde, würde ich diese Zusage hier und heute gern geben, wenn es sein muss schriftlich und verbindlich. Auch der Regierung, vertreten durch das Dezernat für Renaturierung und Ansiedlung ausgestorbener Tierarten, dessen Leiter ich bin, ist am Erfolg beider Projekte gelegen. Darüber hinaus gibt es kein besser geeignetes Gelände für beide Wiederansiedlungsversuche als Glenveagh. Diese Weitläufigkeit und Wildnis, die Freiheit und Ungestörtheit findet man nur noch äußerst selten. Dazu kommt, dass die gesamte Infrastruktur durch Ihren Park quasi vorhanden ist. Obwohl das gesamte Parkgelände ja im Besitz des Staates Irland ist, würden wir einen Teil des Parkgeländes für das Wolfsgehege anmieten, damit Ihnen kein Einnahmeausfall entsteht. Conor würde dann selbstständig die Ansiedlung und spätere Pflege der Wölfe übernehmen. Das weitere Vorgehen würde immer nur in enger Abstimmung mit Ihnen erfolgen. Beim Erreichen jeden Projekt-Meilensteins hätten Sie ein Mitsprache- oder Anhörungsrecht, wie weiter vorgegangen werden soll. Nichts würde gegen Ihr Veto geschehen können.“

„Das hört sich äußerst fair an. Im Gegenzug können wir sicher mit Knowhow und der wie Sie sagen vorhandenen Infrastruktur wie Stromversorgung oder erforderlichenfalls auch mit Personalressourcen in Personen unserer Ranger helfen. Was mich wirklich brennend interessieren würde, wir haben unser Adlerpärchen aus Schottland bezogen, aber sagen Sie mal, wo kommen Ihre Wölfe eigentlich her?“, war Patrick McCormick neugierig geworden.

„Das werden Sie kaum glauben. Es gibt einen absolut wolfsbesessenen Freak in Deutschland namens Markus Wiedemann. Der bekommt regelmäßig einige Tage alte Würfe aus unterschiedlichen Gehegen und zieht sie eigenhändig mit der Flasche auf. Er schläft sogar mit seinen Wölfen und wird somit zur Leitperson, quasi zum ersten Leitwolf seiner animalischen Zöglinge. Mit dem habe ich schon Kontakt aufgenommen und er war hingerissen von der Idee, in Irland Wölfe quasi in freier Natur auszusetzen. Normalerweise übergibt er seine Wölfe, wenn sie das richtige Alter erreicht haben, an zoologische Gärten. Aber da leben sie ja nicht in Freiheit. Mit unserem Anliegen ginge auch sein Herzenswunsch in Erfüllung, seine Wölfe wieder in freier Wildbahn zu sehen. Markus Wiedemann hat mir sogar einen Schneewolf in Aussicht gestellt, den er in Kürze aus einem ihm zugesagten neuen Wurf erwartet“, antwortete Conor mit einigem Enthusiasmus.

„Das hört sich wirklich interessant an. Aber wie viel Fläche würden Sie denn benötigen?“, wollte Patrick McCormick wissen.

„Wenn Sie uns um die fünfzig Acres, also zwanzig Hektar zur Verfügung stellen könnten, wäre das optimal“, formulierte Conor seine Wunschvorstellung.

„Ich habe dort ein Gelände, das noch hinter dem Glenveagh-Tal liegt, das Sie vom Schloss aus einsehen können. Das zieht sich hinunter bis zum Tal des Gweebarra River, der hier erst als kleines Rinnsal aus den Bergen mit Wasser gespeist wird. Dort steht sogar ein altes Cottage, das uns gehört und das mit dem Nötigsten ausgestattet ist. Ein Stromanschluss ist auch schon vorhanden. Allerdings gibt es keine Heizung. Beheizt wird das Cottage nur mit Brennholz und Torf. Im Essraum befindet sich ein alter Ofen, eine Range, auf dem auch gekocht werden kann. Der Wohnraum hat einen offenen Kamin. Das Cottage liegt sehr idyllisch direkt am Lough Barra. Ich könnte Ihnen die Schlüssel mitgeben und Sie können es sich gern in aller Ruhe im Anschluss oder am morgigen Tag ansehen, wenn Sie Interesse hätten. Das Cottage grenzt direkt an einer Fläche von gut zweiunddreißig Hektar hügeligem Gras- und Heideland, das durchgängig mit Felsen durchzogen ist. Diese Fläche nutzen wir bisher nicht, da es nicht direkt mit dem übrigen Parkgelände verbunden ist. Dieses Land könnte ich Ihnen praktisch ab sofort zur Verfügung stellen. Wie hört sich das für Sie an?“

„Das hört sich alles traumhaft an, fast zu schön, um es glauben zu können. Damit hätten wir die erste große Hürde bereits genommen und könnten weiter darauf aufbauen. Die Schlüssel für das Cottage nehme ich gern an mich. Wir würden es uns morgen ansehen und Sie gleich informieren, wie wir uns entschieden haben. Anschließend könnten wir die Formalien erledigen, wenn Sie einverstanden sind.“

„Einverstanden. Die Vertragsgestaltung können Sie dann auch mit meinem Sekretär Noel Morhan besprechen. Er wird die Verträge dann gemeinsam mit unserem Justitiar Bob òBrien aufsetzen.“

„Nachdem wir das geklärt haben, darf ich Sie zu einem kleinen Imbiss in unserem Schlosscafe einladen. Ich habe dort eine Kleinigkeit für uns vorbereiten lassen. Anschließend würde einer unserer Ranger Ihnen den Park zeigen.“

Noel Morhan hatte in der Zwischenzeit einen Bus zum Verwaltungsgebäude bestellt, der normalerweise Besucher vom Eingang zum Schloss und wieder zurück befördert. Dieser brachte sie zum kleinen Cafe im hinteren Bereich des Schlosses.

Nach dem Imbiss wartete schon der Ranger Matt Devine mit seinem Land Rover Freelander auf die Gäste, um ihnen den Park zu zeigen.

„Ich habe leider noch einen weiteren Termin heute Nachmittag, der sich nicht verschieben ließ. Ich hoffe, Sie entschuldigen mich. Aber Mr. Devine ist ein ausgezeichneter Führer und kennt jeden Winkel unseres Parks. Noel Morhan steht Ihnen ebenso weiterhin für Verwaltungsfragen zur Verfügung“, entschuldigte sich Patrick McCormick.

„Das verstehen wir gut“, entgegnete Jim Gallagher. „Und wir sind Ihnen mehr als dankbar Mr. McCormick. Wir freuen uns sehr auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Und lassen Sie mich wissen, wann und wodurch die Regierung Sie unterstützen kann. Ich gebe Ihnen meine Karte, da finden Sie alle Kontaktdaten von mir. Und wegen der Mietverträge verhandeln wir dann mit Mr. Morhan.“

„Ich danke Ihnen ebenfalls, Mr. Gallagher und Mr. McGinley. Sie haben sich ja viel vorgenommen. Hut ab vor soviel Mut. Wir sehen uns, also bis bald.“

Mit diesen Worten stieg Patrick McCormick in den ersten der wartenden Busse und fuhr zu seinem Office zurück.

Der Ranger Matt Devine führte Jim, Conor und Noel Morhan zunächst durch den Schlossgarten:

„Wir befinden uns hier zunächst in den Glenveagh Castle Gardens oder auf irisch Gairdìnì Chaislàin Ghleann Bheathe. Möchten Sie, dass ich Ihnen einen kurzen geschichtlichen Abriss gebe?“

„Unbedingt“, forderte Conor sofort begeistert. „Ein wenig Basiswissen kann niemals schaden.“

„Also, das Schloss wurde um 1870 vom damaligen Besitzer dieses Areals George Adair erbaut, der in ganz Donegal, ja in ganz Irland eine traurige Berühmtheit erlangt hatte als er im kalten April des Jahres 1861 etwa 244 seiner Pächter zur Räumung zwang. Viele dieser Pächter wanderten gezwungenermaßen aus, die meisten von ihnen nach Australien. Andere suchten bei Verwandten Zuflucht oder darben ihr restliches Dasein im Armenhaus. 1885 starb George Adair noch recht jung.

Etwa um diese Zeit gab seine Gattin, die übrigens als gütige und großzügige Person in Erinnerung geblieben ist und noch bis 1921 gelebt hat, den Auftrag zur Anlegung eines Gartens rund um das Schloss. Noch heute finden wir gut erhaltene schottische Pinien aus dieser Zeit.

Sie werden es nicht glauben, aber selbst die IRA hat Glenveagh Castle schon einmal besetzt. Das war im Jahr 1922. Sie mussten es allerdings kurz darauf wieder räumen, als die Free State Army, die Armee der irischen Republik anrückte, für die es in der Folge drei Jahre als Armeegarnison diente. Danach kehrte gottlob wieder die gewohnte Ruhe im Glenveagh-Tal ein. 1929 kaufte der Harvard Professor Arthur Kingsley Porter das inzwischen verwahrloste Anwesen. Er und seine Frau Lucy brachten in den frühen 1930iger Jahren eine Menge neuer Blumen nach Glenveagh. Lange hatten sie jedoch keine Freude an Glenveagh, da Arthur im Jahr 1933 auf mysteriöse Weise von Inishbofin Island verschwand.“

„Das ist ja interessant“, warf Conor ein. „Inishbofin kenne ich sehr gut. Die Insel liegt nicht weit entfernt von meinem Geburtsort Roundstone vor der Küste der Connemara im Atlantik.“

„Ja, nordwestlich von Clifden. Was für ein Zufall, dass Sie dort geboren sind. Das ist hoffentlich kein schlechtes Omen.“

„Ich denke nicht. Aber sprechen Sie ruhig weiter“, meinte Conor.

„Nachdem der Amerikaner Henry McIlhenny aus Philadelphia Glenveagh kaufte, wurde der Garten komplett umgestaltet und nach einem vorgegeben Bepflanzungsplan neu strukturiert. Er brachte auch die vielen Ornamente in den Garten. Im Jahr 1975 dann kaufte der Staat Irland die Glenveagh Ländereien. 1981 machte Mr. McIlhenny Glenveagh-Castle und die Gärten der irischen Nation zum Geschenk. Seitdem sind allerdings noch weitere Grundstücke bis zur heutigen Parkgröße von der Regierung dazu erworben worden.“

Inzwischen hatte die Gruppe den Aussichtspunkt des Höhenrundwegs erreicht und wurde belohnt durch den grandiosen Blick auf das Schloss, die Gärten und Lough Veagh mit seinen vielen kleinen Inseln, die von lila blühenden Rhododendren bewachsen waren.

„Sie sehen, “, fuhr Matt Devine fort, „das Schloss liegt auf einer vorspringenden Felsenklippe, die in den See hinausragt. Sicher können sich nur wenige Gebäude in Irland einer solch traumhaften Lage rühmen. Die Rhododendren, die Sie überall erblicken, geben zwar ein fantastisches Bild ab, werden aber inzwischen zur echten Plage. Sie überwuchern und verdrängen alle anderen Pflanzen. Wir sind bereits angefangen, sie zu entfernen und gleichzeitig die ursprünglichen Pflanzen wieder anzusiedeln. Von hier oben haben Sie auch einen hervorragenden Blick auf die Orangerie, in der wir viele exotische Pflanzen heranzüchten. So finden Sie viele außergewöhnliche, auch tropische Pflanzen und Bäume in unseren Gärten. Der vorbeiziehende Golfstrom sorgt dafür, dass wir von Winterfrösten weitestgehend verschont bleiben und die Pflanzen somit prächtig gedeihen. Wer würde schon erwarten, dass der Cercidiphyllum japonicum, ein äußerst seltener Baum, der aus Japan und China stammt, hier gedeiht. Als weitere Beispiele spezieller Pflanzen gelten die Dahlia `Matt Armour` oder die Eucryphia x nymansensis, ein Baum, der erst im Herbst seine dramatischen Blüten hervorbringt. Aber entschuldigen Sie, jetzt geht meine Gärtnerleidenschaft mit mir durch. Ich möchte Sie bestimmt nicht langweilen.“

„Ein Mann, der mit einer solchen Begeisterung über seine Arbeit spricht, kann niemals langweilig sein“, beruhigte Jim Gallagher den Ranger.

„Nebenbei bemerkt, sind hier im Park einige der verträumten Rosamunde Pilcher Filme entstanden. Obwohl ich kein Freund dieser romantischen Filme bin, oft kommen sie doch ein bisschen kitschig daher, sind die Landschaftsaufnahmen immer wieder beeindruckend. Ich werde Ihnen nun einige Bereiche des wilden Teils des Parks zeigen. Soweit es geht, werden wir mit dem Geländewagen fahren. Viele Bereiche lassen sich allerdings nur per pedes apostulorum, also zu Fuß erreichen.“

„Sehen wir auch den für unser Projekt vorgesehen Geländeabschnitt?“, wollte Conor wissen.

„Den kann ich mit dem Geländewagen von dieser Seite des Parks aus nicht erreichen. Dazu müssen wir den Park verlassen und über öffentliche Straßen am Lough Gartan vorbei von der anderen Seite in den Park hinein fahren. Das können wir im Anschluss gern machen. Eines ist noch wichtig für Ihr Wolfsprojekt. Der Nationalpark beherbergt eine der beiden größten Rotwildherden Irlands. Die Tiere leben ebenfalls in freier Wildbahn, das hingegen von einem vierzig Kilometer langen Zaun umgeben ist. Die Tiere verbringen fast den gesamten Sommer im Hochland und ziehen dann im Winter oder auch bei Unwettern im Sommer in tiefer gelegene, geschützte Regionen des Parks. Da sollten wir aus beiderseitigem Interesse ein Aufeinandertreffen mit Wölfen vermeiden.“

„Auf jeden Fall. Auch unser Gelände wird zunächst komplett eingefriedet werden. Auch die Fütterung wird in der Anfangsphase durch mich erfolgen. Dazu versorge ich mich im Wesentlichen mit Schafen, die ich auf den Märkten der Nachbargemeinden ankaufen werde. Die Tiere werden von mir persönlich geschlachtet und dann für die Fütterung verwendet. Erst viel später sollen die Wölfe daran gewöhnt werden, selbst Tiere zu reißen. Aber auch diese würden dann vorher von uns ausgesetzt werden“, versuchte Conor den Ranger zu beruhigen.

Sie hatten inzwischen den Land Rover erreicht und Matt Devine zeigte seinen Besuchern die weiter entlegenen Teile des Parks.

„Übrigens, bieten wir regelmäßig Bergwanderungen an. Die meistens Besucher begnügen sich mit der Besichtigung des Schlosses und der Gärten. Für mich persönlich liegt der größere Reiz allerdings in der unberührten Landschaft. Der weitaus größte Teil des Parks besteht aus Berglandschaften. Aber Sie sollten niemals allein in die Berge gehen. Rufen Sie mich einfach an und ich werde Sie begleiten“, bot Matt seinen Gästen an.

„Danke für das Angebot. Da werde zumindest ich mit Sicherheit drauf zurückkommen“, bedankte sich Conor für die Einladung.

Nach dem ersten faszinierenden Eindruck des Parks freute er sich darauf, die weit entlegenen Bergwinkel zu erwandern.

Wieder am Verwaltungsgebäude angekommen sagte Noel Mohan: „Ich werde Ihnen die Schlüssel zum Cottage besorgen. Matt wird Sie bis zu dem für Sie vorgesehenen Gebiet führen. Ich muss mich an dieser Stelle leider ausklinken. Ich würde Sie bitten, in den nächsten Tagen wegen der Vertragsausgestaltung und –unterzeichnung noch mal zu mir zu kommen. Ich werde mir bis dahin schon einmal Gedanken zu den Verträgen machen. Dann müssen wir nicht bei Null starten. Wir haben ja bereits mehrere Miet- und Pachtverträge abgeschlossen, die zum Teil als Vorlage dienen können. Ich denke, da werden wir uns schon einig werden.“

„Da sehe ich auch keine Schwierigkeiten“, bestätigte Jim Gallagher.

Noel Morhan verschwand im Verwaltungsgebäude und kam kurz darauf mit zwei großen Schlüsselbünden zurück.

„So, da müssten die richtigen Schlüssel dabei sein. Matt, du kannst das ja vor Ort noch einmal überprüfen und die passenden Schlüssel herausgeben. Also, viel Spaß und wir sehen uns in den nächsten Tagen. Meine Nummer haben Sie ja. Rufen Sie bitte einen Tag vorher an, damit ich genügend Zeit für Sie reserviere.“

„Ist versprochen“, sagte Jim Gallagher.

„Am besten Sie folgen mir mit Ihrem Wagen, Mr. Gallagher. Ich habe gehört, Sie übernachten in Glenties. Dann können Sie nach der Besichtigung des Geländes und des Cottages am besten durch das Gweebarra–Tal zurück fahren. Ich zeige Ihnen dort den Weg.“

„OK, wir folgen Ihnen.“

Matt Devine fuhr mit seinem Geländewagen vorweg, verließ zunächst das Parkgelände und fuhr über Churchill, wo sie rechts abbogen in den Churchill Formest. Die Bäume gaben immer wieder beeindruckende Blicke auf Lough Gartan frei.

Weiter ging es über die R254, vorbei an der Rückseite des Slieve Snaght bis zum Lough Barra, durch den der noch junge Gweebarra River seinen Wasserlauf führte. Auf dem Parkplatz vor dem See hielten sie an. Von hier aus war in der Ferne bereits das kleine Cottage zu sehen.

„Am einfachsten ist es, von hier aus zum Cottage zu laufen“, schlug der Ranger Matt Devine vor.

Während des Fußmarsches erläuterte Matt:

„Das Gelände zur Linken einschließlich des hohen Berges wird Moylenanav genannt, das ist die alte irische Flurbezeichnung, und gehört nicht zum Nationalpark. Aber ab dem Cottage in einer Ausdehnung von etwa zehn Kilometern von Südwesten nach Nordosten und zwischen zwei und sechs Kilometern von Südosten nach Nordwesten erstrecken sich die über dreißig Hektar Parkgebiet, die für Sie vorgesehen sind. Mit dem Lough Muck gehört ebenfalls ein schön gelegener See zum einsamen Gelände. Soweit ich das beurteilen kann, finden Sie hier ideale Bedingungen für Ihren Plan vor.“

„Ich bin beeindruckt und sprachlos“, gab Conor zu. „Kann alles noch gar nicht fassen und schon keinesfalls glauben. Ich bin überwältigt von der Rauheit und Schönheit der Landschaft. Ich habe ja schon viel gehört in Liedern über die Hills Of Donegal, aber so imponierend hatte ich sie mir nicht vorgestellt“, schwärmte Conor und meinte weiter:

„Sie kommen mir vor wie das nördliche Dach Irlands und sehen mit den auf Ihnen liegenden Wolken aus, als würden sie ihre Gipfel quasi als Sperrspitzen bis in den Himmel stoßen.“

„Nicht so euphorisch, junger Mann“, warnte Matt Devine. „Die Berge können ganz schön tückisch sein. Auch das Wetter ist gewöhnungsbedürftig. Wenn Sie die Bewohner Donegals fragen, definieren sie den Unterschied zwischen Sommer und Winter so: Im Sommer ist der Regen etwas wärmer. Das ist zwar übertrieben, aber ein bisschen Wahrheit steckt schon hinter diesem Sarkasmus. Zugegeben kommt man ohne ein gewisses Maß an Ironie hier nicht durch das harte Leben. Ich bin mir sicher, Sie werden sehr schnell selbst Ihre Erfahrungen mit den Leuten machen. Grundsätzlich sind die Donegaler jedoch äußerst freundlich und hilfsbereit aber immerhin geprägt von dieser schroffen Landschaft und dem rauen Klima. Ein über das andere Tief schickt der Atlantik in unaufhaltsamen Schüben in dieses karge Gebiet. Ich sage Ihnen, dieses Land ist nichts für Weicheier.“

„Oh, da machen Sie sich mal keine Sorgen, Matt. Ich bin auf einer Schafsfarm in der Connemara aufgewachsen und bin sowohl das Arbeiten als auch den Umgang mit den unterschiedlichsten Charakteren gewohnt. Das haben mir meine Eltern als wichtigste Grundlage schon im Kindesalter beigebracht. Und was das raue Klima angeht, auch in der Connemara scheint nicht immer die Sonne. Auch da verschont uns der Atlantik nicht mit seinen Wassergeschenken in Form von Regenwolken. Aber wie könnte Irland die grüne Insel sein, wenn es niemals regnen würde. Alles hat eben seinen Preis. Und wenn der Regen dieser Preis für unsere wunderschöne Insel ist, dann bin ich gern bereit, ihn zu zahlen. Sie wissen doch, es gibt kein schlechtes Wetter, nur unpassende Kleidung.“

„Da haben Sie wohl Recht, das spüre ich tagtäglich bei meiner Arbeit. Ich bin vor einigen Jahren aus Neuschottland in Ost-Kanada hierher gezogen, in das Land meiner Vorfahren. Und nun liebe ich diese Insel. Sie ist für mich das schönste und einzige Fleckchen Erde, auf dem ich leben möchte und wohl auch sterben werde.“

Das Cottage erreicht, versuchte Matt mehrere Schlüssel seiner Bünde aus, bis einer passte.

Die Tür ließ sich zunächst nur schwer öffnen. Zu lange war sie nicht mehr benutzt worden. Erste Spinnwebnester und abgestandene, feuchte Luft kamen den Eintretenden entgegen.

„Es war wohl schon lange keiner mehr hier“, bemerkte der Parkranger lakonisch.

„In diesem Teil des Nationalparks halten wir Ranger uns nur ganz selten auf. Hier wird alles weitestgehend der Natur überlassen. Zudem fehlt eine direkte Anbindung an den Hauptteil des Parks. Vielleicht gelingt es der Regierung ja, noch weitere Flächen dazu zu erwerben, so dass dadurch eine Vereinigung der Gebiete gelingt. Aber dazu gehören immer zwei Parteien, eine die kauft und eine die anbietet.“

„Für uns ist das ideal so“, sagte Conor. „Dann kommen wir Ihrem Wildgehege auch nicht zu nahe.“

Die Fenster des Cottages, dessen ehemals weißer Kalkanstrich kaum noch erkennbar war, waren ziemlich zugewuchert mit dem alles überwiegenden Irish Broom, so dass es beim ersten Eintreten doch recht dunkel war. Diese Stachelginster fanden hier offensichtlich ideale Wachstumsbedingungen vor. Bei diesem Anblick sah Conor doch einiges an Arbeit auf sich zukommen.

Im Cottage selbst sah es überraschenderweise nicht so schlecht aus, wie er vermutet hatte. Es bestand im Wesentlichen aus drei Haupträumen, die er zum einen als Esszimmer mit eingebauter Küche, den größten Raum zur Rechten als Wohnraum und das dritte Zimmer als Schlafraum würde nutzen können. In einem kleinen Anbau fand Conor das Bad vor, bestehend aus einer vom Torfwasser braun angelaufenen Wanne, einem Waschbecken und einem WC. Allerdings fiel ihm gleich wohlwollend der Durchlauferhitzer auf, der das Wasser der Dusche auf Temperatur bringen sollte. Neben dem Bad befand sich ein weiteres kleines Zimmer, das er sich vorstellen konnte als Raum für Waschmaschine und Trockner zu nutzen. Darüber hinaus würde in diesem Zimmer noch Platz bleiben für ein Gästebett, falls seine Schwester Deirdre oder jemand anderes zu Besuch kommen sollte. Wie Patrick McCormick bereits angesprochen hatte, befand sich im Esszimmer eine Range, ein kombinierter Koch- und Heizofen, den er wahlweise mit Holz oder Torf würde betreiben können. Im Wohnzimmer fand er tatsächlich einen aus hiesigen Granitsteinen erstellten offenen Kamin vor. Dieser gab dem Raum einen gemütlichen, rustikalen Charakter. Im Geiste richtete Conor sich bereits ein und kam zu dem Schluss, dass er durchaus etwas Wohnliches aus dem alten Haus würde machen können.

„Ist zwar mit viel Arbeit verbunden, aber ich denke, da kann man was draus machen“, brach Conor als erster das eingetretene Schweigen. Die beiden Begleiter hatten offensichtlich auf seine Reaktion gewartet.

„Das werden Sie nicht alles allein machen müssen“, beruhigte ihn Jim Gallagher. „Bis alles gebrauchsfertig ist, werde ich Ihnen Helfer zur Verfügung stellen. Entweder kann ich eine Vereinbarung mit der Parkverwaltung treffen, wenn das nicht möglich ist, rekrutieren wir Helfer aus der Nachbarschaft. Da sehe ich keine Schwierigkeiten. Vor allem für die Einfriedung des Geländes benötigen wir eine Fachfirma, die das komplette Areal in einer adäquaten Zeit mit einem Zaun versieht. Da werden wir uns als nächstes drum kümmern müssen.“

„Ist der Stromanschluss eigentlich noch aktiv?“, wollte Conor wissen.

„Soweit mir bekannt ist, ja. Ich denke, dass die Hauptsicherung ausgeschaltet worden ist, um keinen Kurzschluss zu produzieren. Ich sehe mal nach.“

Der Sicherungskasten befand sich direkt über dem Hauseingang. Scheinbar war allerdings doch der Hauptanschluss abgemeldet worden, denn trotz Einschalten der Hauptsicherung war kein Strom da.

„Ich werde mich gleich morgen darum kümmern, dass der Anschluss wieder aktiviert wird. Ich kenne den zuständigen Typen von ESB Networks ganz gut. Gleichzeitig werde ich unseren parkeigenen Elektriker herschicken, dass er die gesamte Installation gründlich durchcheckt. Ich denke, in ein paar Tagen wird alles wieder funktionieren“, bot Matt Devine an.

„Das ist prima, können wir trotzdem schon einen Schlüssel vom Cottage haben?“, bat Conor.

„Kein Problem, ich habe mehrere Schlüssel. Bis auf einen kann ich Ihnen die restlichen übergeben. Darüber hinaus habe ich hier noch einen Plan des Parkgeländes für Sie. Den lasse ich Ihnen ebenfalls da, damit Sie einen vermassten Grundriss über das Gelände haben. Unsere Grenzen sind jedoch im Gelände auch jeweils markiert, so dass es kein Problem sein sollte, den Zaun an der richtigen Stelle zu platzieren.“

„Matt, Sie wollten uns noch den Rückweg erklären.“

„Nichts einfacher als das. Vom Parkplatz aus fahren Sie links ab in Richtung Doochary. Dort ist Glenties bereits ausgeschildert. Sie können sich nicht vertun.“

Matt Devine verabschiedete sich, setzte sich in seinen Land Rover und fuhr in die andere Richtung wieder zum Haupteingang des Nationalparks.

Conor McGinley und Jim Gallagher blieben noch eine Weile im Cottage und notierten die Tätigkeiten, die am notwendigsten gemacht werden mussten, um das Haus wieder bewohnbar zu machen.

„Die Liste werden wir heute Abend ergänzen um Kostenschätzungen und Namen von Handwerkern, die das in Ordnung bringen können. Dabei wird uns Jane sicherlich behilflich sein“, übernahm Jim die Initiative.

Der Anblick des alten Cottages hatte Conors ursprüngliche Euphorie zwar ein wenig gedämpft, insgesamt war er allerdings immer noch gleichsam berauscht von den Ereignissen des Tages und von der Tatsache, wie relativ unproblematisch alles über die Bühne gegangen war.

„Ja, Conor, da haben uns wohl alle Engel des Himmels zur Seite gestanden, oder hast du immer so gute Connection zu dem da oben?“

„War mir bisher nicht aufgefallen, ich werde in Zukunft besser drauf achten. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll, Jim. Ich glaube, ohne deine Dubliner Verbindungen zu dem Ministerium für Umwelt wäre das nicht so unbürokratisch vonstatten gegangen. Wie wär` s, ich lade dich auf ein Guinness ein, bevor wir nach Glenties zum Abendessen fahren. Auf der Karte habe ich gesehen, hinter Doochary liegt Fintown. Da gibt es bestimmt ein gemütliches Pub.“

„Einverstanden, ich denke, das haben wir uns auch verdient.“

Jim startete den Mercedes und eine halbe Stunde später standen sie am Tresen des Railway Inn in Fintown.

Conor orderte zwei Guinness und er und Jim nahmen direkt am Tresen Platz.

„Na, Ihr kommt wohl nicht aus dieser Gegend?“, versuchte der Gastwirt die beiden Fremden gleich in ein Gespräch zu verwickeln.

„Nein wir kommen aus Dublin und aus Roundstone in der Connemara. Aber sagen Sie mal, woher kommt der Name Railway Inn für Ihr Pub? Wir haben in Fintown keinen Bahnhof gesehen“, wollte Jim Gallagher wissen.

„Das ist einfach und historisch begründet. Ihr habt Glück. Wenn Ihr kurz mit nach draußen kommt, könnt ihr es mit eigenen Augen sehen.“

Sie folgten mit dem Guinness in der Hand dem vorauseilenden Wirt bis auf die gegenüberliegende Straßenseite. Hier war tatsächlich ein kleiner Bahnhof zu sehen. Na ja, als Bahnhof im eigentlichen Sinn konnte man das nicht bezeichnen, eher als eine Anlegestelle für kleine Lokomotiven.

„Schaut Euch mal diese liebevoll restaurierte alte Lok und die alten auf Hochglanz gebrachten Personenwaggons an. Diese Heritage Railway gab meinem Pub den Namen. Am Ufer des Lough Finn, der hier in seiner ganzen Schönheit vor Euch liegt, haben diese enthusiastischen Männer eine mehrere Meilen lange Bahnstrecke gebaut. In den Sommermonaten jeden Jahres werden die Lokomotive und die bunten Eisenbahnwagen auf Hochglanz gebracht. Der Heizer füllt dann den Brennraum der Dampfeisenbahn und erhitzt mit dem Feuer den Dampfkessel. Hoch bläst dann die Lokomotive den Qualm nach Baile Nà Finne, wie unser Fintown in der irischen Sprache genannt wird, so dass man denken könnte, der Atlantik schickt wieder seine undurchsichtigen Regenschwaden in unser Tal. Die Hupe verrät sofort jedem im Ort, dass die Lok sich gleich in Bewegung setzen wird. Viele Besucher aus nah und fern nutzen die Gelegenheit, dieses kurze Schienenstück entlang des Lough Finn zu befahren und in Nostalgie zu schwelgen. Augen zu und es heißt: Einmal mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Wladiwostok“, kam der Wirt kaum noch aus dem Schwärmen heraus.

„Ich merke, auch Sie sind ganz begeistert von der Bahn“, sagte Conor zu ihm.

„Kein Wunder, ich gehöre zu den Männern, die sie restauriert haben. Jede freie Minute haben wir geopfert, wobei geopfert das falsche Wort ist, investiert ist passender ausgedrückt. Viele Freunde haben ihr Herzblut an dieser Lok verloren und es macht immer wieder Spaß zu sehen, wie sie sich mit den begeisterten Besuchern in Bewegung setzt.“

Conor und Jim beobachteten das Treiben rund um die Lok und wie einer nach dem anderen Gast einstieg.

Direkt hinter dem See erhob sich die schroffe Gebirgskette mit den hoch aufragenden Bergen Scraigs, Min und Aghia, die sich im kristallklaren Wasser widerspiegelten, womit sich die imposante Bergwelt für den Betrachter duplizierte, so wie es bei einem Foto das Positiv und das Negativ gibt, hingegen hier in tausend leuchtenden Grün- und Brauntönen, deren Intensität nicht mehr zu übertreffen war.

Zurück im Pub überraschte Jim Gallagher Conor mit einer unerwarteten Feststellung:

„Übrigens, da haben dir deine Eltern mit Conor ja genau den passenden Namen gegeben. Oder war das alles schon bei der Geburt so geplant?“

„Wie meinst du das mit dem passenden Namen, Jim?“

„Für mich gilt immer noch das alte Sprichwort: Nomen est Omen. Und deshalb recherchiere ich im Vorfeld einer ersten Begegnung mit einem neuen Geschäftspartner über dessen Namen, wobei sich die Recherche in der Regel auf den Vornamen beschränkt. Na ja, und über den Namen Conor habe ich erfahren, dass er aus dem Altirischen stammt. Im keltischen Sprachschatz hieß Conor Conchobhar. Dabei steht das Con für Wolf oder Wolfshund und chobhar für Hilfe. Also würde ich die Bedeutung von Conor aus dem keltischen Ursprung als Helfender Wolf auslegen. Ich habe aber auch noch eine weitere Interpretation gefunden: Der Wolf mit dem starken Willen. Wie dem auch sei, die Verbindung mit Wölfen scheint dir mit deiner Namensgebung ja doch schon bei der Geburt vorausbestimmt gewesen zu sein. Ich sag` s ja: Nomen est Omen.“

„Das ist ja äußerst interessant und war mir vollkommen unbekannt. Ich gebe zu, ich habe mir bisher auch keinerlei Gedanken über die Bedeutung meines Vornamens gemacht. Aber ab jetzt werde ich es nicht mehr vergessen.“

„Schreibst du deinen Vornamen Conor eigentlich mit einem oder zwei `n`?“

„Mit einem `n`, also Conor.“

„ Ich frage nur deshalb, die Engländer schreiben den Namen mit Doppel-N, also Connor. Aber die Engländer waren ja schon immer großzügiger mit allem, was kein Geld kostet. Oder soll man gar verschwenderischer als ihre Nachbarn sagen, selbst wenn es nur um so banale Dinge wie die Verwendung von Buchstaben geht. Dass der Big Ben in London zur Mittagszeit zwölf Mal läutet, ist ja wohl klar. Aber wusstest Du, dass die Schotten auf Edinburgh Castle zur gleichen Zeit nur einen Schuss aus ihrer alten Kanone abfeuern? Sie behaupten, das sei vollkommen ausreichend. Jeder in der Stadt wisse doch dann, dass es Mittagszeit sei. Demnach wäre jeder weitere Schuss nach ihrer Auffassung reine Verschwendung von Zeit- und Pulverressourcen. Oder kommt da doch der berüchtigte Geiz der Schotten durch? Schottland beschränkt sich in seinem Wappen ja auch auf nur einen Löwen, bei den Engländern, wen wundert` s, müssen es wiederum deren drei sein. Da steckt doch System dahinter, oder was meinst Du?“

„Ich weiß nicht, da habe ich mir absolut noch keine Gedanken zu gemacht.“

„Sorry, Conor, ich war einfach nur etwas von unserem Thema abgedriftet. Aber die Namensdeutung ist mein kleines Steckenpferd und dann geht es schon mal mit mir durch“, entschuldigte sich Jim.

„Nein, nein, das geht mir genauso, wenn man auf Musik zu sprechen kommt, dann bin ich nicht mehr zu bremsen. Das mit der Bedeutung meines Namens fand ich äußerst interessant. Damit habe ich mich bisher nie beschäftigt, obwohl man seit vielen Jahren von allen Menschen so gerufen wird. Ist schon merkwürdig, dass man seinen Namen so als gegeben hinnimmt und sich wenig oder keine Gedanken über seine Herkunft und seine Bedeutung macht. Aber ich werde in Zukunft mehr als bisher darauf achten, ob die Namen der Menschen auch Zeichen sind.“

Nach zwei Pints Guinness verließen sie das Pub und fuhren den direkten Weg nach Glenties. Die Heritage-Lok ratterte immer noch lautstark über ihre alten Schienen am Lough Finn entlang, während der See ihr weiterhin den eitlen Spiegel vorhielt. Sie blies ihren Dunst, der nun wie Rauchzeichen am Himmel aussah, weit sichtbar in die langsam dämmernde Abendluft von Fintown. Bald würde sich der Dampf mit den tief hängenden Wolken vereinigen und zu einer weiß-grauen Masse verschmelzen.

Da es schon spät geworden war, aßen die beiden Männer in Glenties auf die Schnelle jeweils eine Portion Fish and Chips in Jim`s Restaurant, einem Fastfood Laden an der Main Street.

Im Rosewood-B&B angekommen, wurden sie bereits von Jane mit einer Tasse frisch aufgebrühten Tee empfangen, den sich die beiden gemeinsam mit der Hausbesitzerin genüsslich gönnten. Erst als sie jetzt nach und nach zur Ruhe kamen, merkten sie, wie erschöpft sie doch waren. Gleichzeitig überkam sie aber auch ein seltsames Glücksgefühl ob der Ergebnisse und Erfolge dieses langen Tages.

„Ich denke, dass wir unsere Todo-Liste nicht mehr heute Abend, sondern morgen nach dem Frühstück zusammen stellen“, schlug Jim Gallagher vor. „Heute würden wir nur noch unzureichend die kommenden Aufgaben und Kontaktadressen erstellen können. Zumindest gilt das für mich.“

„Einverstanden, der Tag hat doch ganz schön geschlaucht. Konzentrieren mag ich mich auch nicht mehr.“

Und so verplauderten sie den Abend mit belanglosen Dingen und gingen früh ins Bett.

Nach dem opulenten Frühstück am nächsten Morgen waren sie wieder voller Tatendrang und erstellten eine Liste von Aufgaben, die nun zu erledigen waren. Jane Finnegan gab ihren Input in Form von Handwerkeradressen.

Zunächst wollten sie für Conor einen passenden Wagen anschaffen. Es sollte schon ein vierradgetriebener Geländewagen sein, am besten ein Landrover Defender, den hielten sie nach den Eindrücken des vorangegangenen Tages für am besten geeignet.

Also besorgten sie sich im Kiosk neben Moods-Cafe zunächst zwei Zeitschriften, einmal die neueste Ausgabe The Dealer, einer Zeitschrift in der Anbieter aus der Region kostenlos ihre Angebote inserieren konnten und den Auto Trader, eine spezielle Zeitschrift für Autoangebote in der Republik Irland und Nordirland.

Leider gab es in Glenties kein Internet Cafe um dort nach einem Defender recherchieren zu können. Aber die Kiosk-Verkäuferin erzählte ihnen, dass es in Dungloe in der alten Kirche ein Internet-Cafe gäbe.

Sie setzten sich mit den Zeitschriften an einen Tisch in Moods-Cafe, bestellten sich je einen Capuccino und blätterten gezielt in der Rubrik Four Wheel Drive. Um das Budget nicht überzustrapazieren, hatte Jim zehntausend Euro als Obergrenze vorgegeben, mehr sollte und durfte der Geländewagen keinesfalls kosten. Aber nach kurzem Studium der Angebote war ihnen klar, dass sie dafür in jedem Fall einen passenden Wagen jüngeren Baujahrs, in einem guten Zustand und mit NCT, also mit gültigem TÜV finden würden. Beide markierten die infrage kommenden Angebote mit einem Stift und tauschten danach zur Gegenprobe die Zeitschriften gegeneinander aus.

„Ist dir aufgefallen, Conor, dass die kommerziellen Fahrzeuge in Nordirland durchweg günstiger zu haben sind als hier bei uns?“, stellte Jím fest.

„Das ist mir auch aufgefallen. Aber weißt Du, was da an Steuern auf uns zukäme und wie das mit dem TÜV ist?“

„Nein, wir werden auch hier einen Defender finden. Mir war das nur aufgefallen. Ich habe zwei interessante Angebote gekennzeichnet. Um sicher zu gehen, sollten wir aber dennoch im Internet nachsehen, wie die Defender im Allgemeinen gehandelt werden“, schlug Jim vor.

„Da wäre mir auch wohler“, war Conor sofort einverstanden. „Also, lass uns zur Kirche nach Dungloe fahren.“

Eine halbe Stunde später parkten sie ihren Wagen auf dem Kundenparkplatz von The Cope, die Kaufhauskette, die in Dungloe ihren Ursprung genommen hatte. Zum Andenken an den Gründer, Paddy „The Cope“ Gallagher, stand eine lebensgroße Bronzestatue in der nach ihm benannten Seitenstraße Cope-Road , an der auch die verschiedenen Cope-Läden lagen, ein großer Lebensmittelladen mit Cafe, ein mehrgeschossiges Bekleidungsgeschäft mit einer Haushaltswarenabteilung im hinteren Bereich, ein Zweiradladen mit Fahrradverleih, dahinter ein Laden für Fußbodenbeläge und im weiteren Verlauf der Cope-Road ein gut sortiertes Sportartikelgeschäft. Ein großer Cope-Baumarkt war im kleinen Industriegebiet in einer Seitenstraße Richtung The Rosses, wie das zerklüftete Gebiet der Halbinsel zwischen Dungloe und Gweedore genannt wurde, angesiedelt.

Der Firmenname The Cope statt Co-op war übrigens dadurch entstanden, dass Paddy Gallaghers alter Nachbar aus Cleendra, einem Kaff etwas außerhalb von Dungloe, ein gewisser Mr. Wright, der Überlieferung nach das Wort Co-operative wohl nicht richtig aussprechen konnte. Seine Zunge vermochte diese schwierige Buchstabenkombination offenbar aus anatomischen Gründen nicht zu artikulieren. Stattdessen kam wohl ein von Paddy Gallagher phonetisch als Cope interpretiertes Kauderwelsch aus seinem Kehlkopf. So war die Legende des heute in ganz Irland bekannten Firmennamens geboren.

Jim und Conor gingen vorbei am unteren Teil des Friedhofes, auf dem sie unter anderem das Grab von Paddy The Cope Gallagher entdeckten auf die Kirche zu. Ein übergroßes Display wies darauf hin, dass das im Foyer der Kirche untergebrachte kommunale Cafe geöffnet war. Im ehemaligen Hauptschiff der Kirche war die öffentliche Bücherei untergebracht, im rechten Seitenarm das Internet Cafe.

Sie meldeten sich bei der freundlichen Bedienung an und surften gezielt in verschiedenen Onlinebörsen nach gebrauchten Landrover Defender.

Von den interessantesten Angeboten machten sie sich Ausdrucke und gingen damit in das Cafe. Sie bestellten sich einen Kaffee Americano und einen Capuccino und verglichen die Internet-Ausdrucke mit den Angeboten, die sie am Vormittag in den Zeitschriften gekennzeichnet hatten.

Schließlich konzentrierte sich ihr Interesse auf zwei Angebote, eines in Letterkenny und das zweite in Ballybofey. Sie riefen bei beiden Händlern an und vereinbarten Besichtigungstermine für den nächsten Vormittag.

Den Rest des Tages nutzten sie dazu, sich Gedanken zu machen über die Parameter der abzuschließenden Mietverträge wie Mietdauer, Mietkonditionen et cetera pp.

Nachdem sie sich am folgenden Vormittag beide Fahrzeuge angesehen hatten, entschieden sie sich für den Defender aus Ballybofey. Der Händler sagte ihnen zu, den Geländewagen bis zum folgenden Wochenende abholbereit und angemeldet fertig zu haben. Sie gingen zu einem Versicherungsbroker und schlossen die erforderliche Versicherung ab.

Auf dem Rückweg von Ballybofey nach Glenties schlug Conor vor:

„Lass uns die Zeit nutzen und noch einmal kurz am Cottage vorbeifahren. Zum einen kann ein zweiter Blick auf das Objekt nur gut sein, des Weiteren können wir unsere Todo-Liste nochmals mit der Realität abgleichen und gegebenenfalls vervollständigen.“

„Das ist ein guter Vorschlag, Conor. Von Fintown können wir über Doochary zum Parkgelände fahren. Die Strecke durchs Gebirge gefiel mir auch landschaftlich sehr gut.“

Am Cottage fielen ihnen gleich einige Punkte auf, um die sie die Aktivitätenliste noch erweitern mussten. Aber insgesamt machte das Cottage schon gar nicht mehr so einen schlechten Eindruck wie noch beim ersten Mal. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie mit einigem Abstand zum ersten Besuch und im Vertrauen darauf, dass Jane Finnegan ihnen tüchtige Handwerker genannt hatte, die Wiederherstellung inzwischen als durchaus zu bewältigende Aufgabe ansahen.

Auf der Heimfahrt machten sie im nahegelegenen Doochary halt. Die offene Tür zum einzigen Pub Teach Gleann Ceo, dessen Name Das Haus im nebligen Tal bedeutete, lud sie zu einer kurzen Pause ein. Außerdem wollten sie sowieso mal Luft schnuppern in Doochary und so einen ersten Kontakt zu der Bevölkerung aufnehmen. Lange konnten sie ohnedies nicht mehr verheimlichen, was der Grund ihrer Aktivitäten war.

Vorm Tresen standen vier ältere Männer. Einer von ihnen hatte offensichtlich bereits den ganzen Tag in der Bar verbracht. Mit lautem Mundwerk und wild gestikulierend mit seinen weit umher schwingenden Armen unterhielt er die anderen Gäste im Lokal. Wie sich später herausstellte, gehörte dieser Mann gewissermaßen zur Einrichtung, denn er verbrachte alle seine Tage dort. Das Pub war sein eigentlicher Wohnzimmerersatz.

Conor und Jim nahmen an einem kleinen Tisch, der seitlich vom offenen Kamin, in dem auf kleiner Flamme ein Torffeuer vor sich hinzüngelte, Platz und orderten zwei frische Pints Guinness. Auch in diesem Pub erinnerten die Stühle und Tische an die Einrichtung von Schneewittchens sieben Zwergen.

Es dauerte kaum eine halbe Minute, bis der Wortführer auf ihren Tisch zugeschossen kam und Jim und Conor in ein Gespräch zu verwickeln hoffte. Aber weder Conor noch Jim gelang es, aus dem aus irischen und englischen Wortfetzen zusammengesetzten Gelalle etwas akustisch zu verstehen, geschweige denn, einen Sinn aus dem betrunkenen Kauderwelsch zu erkennen. So waren beide erleichtert, als der Wirt mit den zwei Stouts kam und den Mann wieder zu seinen Freunden an die Theke geleitete.

„Entschuldigung“, sagte der Wirt. „Aber der Typ ist eigentlich ganz harmlos. Übrigens ich heiße Martin, Martin Kinahan. Sie sind wohl nicht von hier?“, schob er dann die irische Standardfrage gleich hinterher.

„Nein, aber zumindest ich werde mich nicht weit von hier ansiedeln“, antwortete Conor.

„Hier in Doochary? Das hat es ja Jahrzehnte nicht gegeben“, hakte der Wirt nach.

„Nicht direkt, aber nicht weit von hier Richtung Nationalpark. In dem alten Cottage am Ufer des Lough Barra. Kennen Sie das?“

„Klar, das kennt hier jeder. Aber ist das nicht total zerfallen?“

„Nein, die Substanz ist eigentlich sehr gut. Das werden wir schnell wieder bewohnbar gemacht haben.“

„Liegt das nicht auf dem Gebiet des Nationalparks?“

„Ja, dahinter liegt eine Fläche von über 30 Hektar, die ebenfalls zum Park gehört. Auch dieses Land werden wir pachten.“

„Sind Sie etwa ein Parkranger?“

„Eigentlich nicht, wir verfolgen dort ein eigenständiges und ehrgeiziges Projekt im Auftrag der Regierung“, versuchte Conor gleich den offiziellen Charakter in den Vordergrund zu stellen.

„Doch nicht das mit den Wölfen?“

„Woher haben Sie denn davon gehört?“, mischte sich Jim Gallagher nun in das Gespräch ein.

„Wissen Sie, hier in Doochary gibt es keine Geheimnisse. Und nichts breitet sich schneller aus als Gerüchte, vor allem, wenn sie sich so unglaublich interessant anhören. Also stimmt das doch, was man so erzählt?“

„Was erzählt man denn so?“, wollte Conor wissen.

„Ja, dass neben den Adlern, die ja bereits im Park angesiedelt worden sind, nun auch noch Wölfe ausgesetzt werden sollen.“

„Das stimmt nur bedingt. Wir werden das komplette Gelände ausbruchssicher einfrieden und versuchen, junge Wölfe dort kontrolliert, aber im Wesentlichen auf sich allein gestellt, auszuwildern.“

„Das werden die Schaffarmer der Gegend nicht gerade gern hören. Die haben schon Probleme genug mit den Adlern. Und nun noch Wölfe. Da werden Sie mit Widerstand rechnen müssen.“

„Ich sagte ja, es besteht überhaupt keine Gefahr. Das Gelände wird sicher gegenüber den Nachbarn eingefriedet. Außerdem bin ich immer vor Ort und achte darauf, dass nichts Unbeabsichtigtes passiert. Darüber hinaus werde ich vielleicht sogar ein guter Kunde der Schäfer. Schließlich brauchen die Wölfe ihr Fressen und das werde ich bei den Schäfern direkt oder auf den Schafsmärkten der Gegend einzukaufen versuchen. Also hoffe ich doch, dass sie sich nicht allzu abweisend verhalten.“

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, blieb der Wirt eher skeptisch.

„Aber dann ist doch mal endlich was los im Dorf“, witzelte Jim Gallagher, um der Diskussion die Skepsis zu nehmen und das Misstrauen zu beseitigen. „Und in der Presse wird sicherlich häufiger von dem Wolfsprojekt berichtet werden. Eine positive und interessante Presse kann dem Ort und dem hiesigen Gewerbe, einschließlich ihrer Gaststätte, doch nur gut tun.“

„Oh sagen Sie nicht, dass hier nie etwas los ist. Vor einigen Jahren beispielsweise ging eine grausige Geschichte durch die Medien, die sich hier zugetragen hat. Kennen Sie die schmale Nebenstrecke nach Glenties? Das ist der kleine Wirtschaftsweg hinter der Brücke, der sich am Gweebarra-River entlang durch die Berge und einsamen Moorgebiete zieht. Jeder hier kennt den schmalen Pfad als The Lane. An diesem Weg stehen nur wenige Häuser, auf den zehn Meilen vielleicht zwei oder drei. Eines der Cottages liegt rechterhand in einer kleinen Senke nahe dem Weg etwa sechs oder sieben Meilen von hier entfernt in einer scharfen Rechtskurve. Es gibt nur zwei Häuser, die an der rechten Wegseite liegen, ist also gar nicht zu verfehlen. In diesem Cottage wohnte bis vor einigen Jahren ein gewisser Mr. Robinson. Der verhielt sich nach Meinung aller Einwohner hier in Doochary immer schon etwas seltsam. Meistens machte das Cottage einen einsamen und verlassenen Eindruck. Aber ab und an bekam der ein oder andere von uns diesen Mr. Robinson doch zu Gesicht. Gegrüßt hat er dann immer recht freundlich, verhielt sich allerdings immer ein wenig reserviert gegenüber den Vorbeifahrenden. Und das hatte, wie sich wenig später herausstellte, auch seine Gründe. Er wurde nämlich eines Tages erschossen, mitten in seinem Cottage aufgefunden. Dieser Mord ist nie richtig aufgeklärt worden. Gerüchten zufolge soll Mr. Robinson sein Leben lang für die IRA, die Irisch-Republikanische-Armee, gearbeitet haben. Die Grenze zu Nordirland ist ja von hier nicht weit. Und dann soll er eines Tages aus Geldnot auch für die englische Gegenseite angeworben worden war. Danach wurde unser Mr. Robinson natürlich von den Häschern der IRA, also seinen alten Kameraden und Mitkämpfern für die Freiheit und Wiedervereinigung Irlands, überall gesucht. Zeitungsberichten zufolge waren diese Späher als Jogger getarnt wochen- und monatelang unterwegs gewesen auf der Suche nach dem Verräter. Bis die IRA-Guys ihn dann hier in den Highlands von Donegal aufgespürt haben.“

„Und dieser Mr. Robinson ist erschossen worden, nachdem die alten Kameraden ihn gefunden hatten?“, wollte Conor gespannt wissen.

„Ja, dem Gerede nach schossen ihm seine Kampfgefährten zunächst die rechte Hand ab, mit der er den Verräter-Kontrakt mit den verhassten Engländern unterschrieben hatte. Danach schossen sie ihm in den Kopf, right between the eyes sozusagen, so dass sich die Überreste seines Gehirns und Teile seines Gesichtes im gesamten Cottage verteilten. Das Cottage ist daraufhin von der Police-Garda versiegelt und alle Fenster verriegelt worden. Bis heute steht es leer und unbewohnt da, gewissermaßen als steinernes Zeugnis für die Konsequenzen aus Falschspiel und Verrat. Andere sagen, das Opfer habe nur im Reflex die Hand schützend vor sein Gesicht gehalten, als seine Killer ihn in den Kopf schossen. Wie dem auch sei, die Geschichte zeigt mir auf jeden Fall, für zwei Seiten zu arbeiten kann gefährlich sein, in manchen Jobs sogar lebensgefährlich. Bei der IRA gibt es sehr schnell eine Kugel für einen Judaskuss. Also sagen Sie nicht, hier passiert nichts“, plauderte der Wirt und versuchte alle Spannung und Leidenschaft in seine Erzählung zu legen.

„Das hört sich ja an wie ein kriminalistischer Bestseller. Und die Täter wurden nie gefasst?“

„Nein, bis heute nicht. Und wissen Sie was, manche behaupten, man wolle sie auch gar nicht fassen. Und nun kommen Sie noch mit Ihren Wölfen.“

„Solche Schlagzeilen werden wir hoffentlich nie schreiben, aber dessen bin ich mir absolut sicher“, erwiderte Conor.

Inzwischen lauschten die anderen Gäste, bis auf unseren angetrunkenen Freund, der seine eigenen Wortbeiträge immer noch am wichtigsten fand, interessiert dem Gespräch des Wirtes mit den beiden Fremden. Conor und Jim waren sich einig, dass ihr Wolfsprojekt spätestens am Abend in Doochary in aller Munde sein würde.

„Hoffentlich behalten Sie recht mit Ihrer Prognose. Ansonsten werden die Schafzüchter wünschen, dass Sie von den Midges aufgefressen werden, die Ihnen da oben zu Hauff das Leben schwer machen werden. Und keiner würde Ihnen eine Träne nachweinen“, meinte einer der Gäste.

„Von den Midges habe ich schon mal gehört. Sind die wirklich so schlimm wie man erzählt?“, wollte Conor wissen.

„Die sind noch schlimmer. Warten Sie mal den Sommer ab. Je nach Wetterlage schwirren hier Milliarden von den Viechern herum. Und machen kann man nichts dagegen. Viele haben schon alle möglichen Cremes und Lotions in allen Geruchsvarianten probiert. Die helfen aber genauso wenig wie Duftsprays. Das Einzige was die Quälgeister fernhält ist der Wind. Bei ausreichendem Wind bleiben sie am Boden und verkriechen sich in den lockeren Torfböden. Aber sobald der Wind nachlässt, ist sie wieder da, die Irish Airforce“, lachte ein weiterer Gast.

„Fragen Sie doch mal die Ranger im Park. Die habe ich schon häufiger mit Masken aus leichtem Gitterstoff gesehen, die die Stechmücken zumindest aus dem Gesicht fernhalten sollen. Ansonsten könnten die Ranger und Gärtner im Sommer überhaupt nicht im Park arbeiten. Im Winter verkriechen sich die Plagegeister dann wieder in der Erde und rüsten sich da für das nächste Jahr. Ich glaube, wir brauchen mal einen typisch russischen Winter mit Temperaturen bis dreißig Grad minus, das würden die Quälgeister bestimmt nicht überleben und wir wären sie ein für allemal los“, wusste ein weiterer Gast hinzuzufügen.

Und sein Nachbar ergänzte:

„Oben in der Nähe von Portnoo und Narin betreibt ein Mann einen Pitch `n Putt. Der hat auf seinem Golfplatz in Abständen von jeweils circa fünfhundert Metern Midges -Maschinen aufgestellt. Das sind Gasflaschen mit aufgesetzten Fangnetzen, aus denen permanent ein Gas ausströmt, das dem menschlichen Atem gleicht. Darauf stehen die Stechviecher und werden so zu Millionen in den Netzen gefangen. Aber wahrscheinlich werden in der gleichen Zeit doppelt so viele geboren. Nur vom Prinzip her funktioniert die Methode.“

„Dann brauchen wir doch nur ganz Irland mit diesen Midges-Maschinen auszustatten, und das Problem wäre erledigt“, glaubte nun auch der dritte Gast etwas zu dem Thema beitragen zu müssen.

„Was aber die Ansiedlung der Wölfe angeht, das war ja vorhin nicht zu überhören, wenn ich die Verantwortung tragen müsste, da wäre ich meines Lebens nicht mehr sicher. Die Farmer machen schon Ärger genug wegen der Adler im Park. Diese Greifvögel haben auch schon ein paar Schafe gerissen, zumindest behaupten die Farmer das. Wenn jetzt noch Wölfe dazu kommen sollen, dann gute Nacht. Da werden die Schäfer eher zu wilden Tieren als die jungen Wölfe.“

„Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Sicherheit steht bei uns an oberster Stelle, das könnt ihr uns glauben. Wir wollen ein friedliches Nebeneinander mit den Nachbarn erreichen und keine Konfrontation“, versuchte Conor nochmals zu beruhigen.

„Viel Glück dabei, aber ich bin da skeptisch. Ich kenne die Pappenheimer, mit denen ihr zu tun bekommt.“

Zur allgemeinen Beruhigung der Gemüter orderte Conor ein Guinness für jeden anwesenden Gast und prostete ihnen zu.

„Ich denke, wir haben für heute genügend Informationen gestreut, Conor“, meinte Jim Gallagher. „Wir sollten heimfahren nach Glenties, meine ich.“

„Ich denke auch, es wird noch genug Gelegenheiten geben, weitere Einzelheiten zu verkünden.“

Nachdem sie ausgetrunken hatten, machten sie sich auf den Weg nach Glenties. Diesmal nahmen sie die kürzere Nebenstrecke The Lane am Gweebarra entlang, um einen Blick auf das Cottage von Mr. Robinson zu werfen. Die Geschichte hatte sie doch ein wenig neugierig gemacht und wider Erwarten auch fasziniert.

Da sie doch beide weit weg wohnten von der Grenze, hatten sie diese Auswirkungen des Nordirland–Konfliktes nie so hautnah miterlebt. Allenfalls das, was man in den Nachrichten so verbreitete. Und das klang immer so unpersönlich, so, als sei das alles unglaublich weit weg, fast auf der anderen Seite der Erde. Jetzt spürten sie erst, dass sie sich direkt an der jahrzehntelang als kritisch geltenden Grenze aufhielten. Aber nun registrierte man die Grenze kaum noch, allenfalls durch die Veränderung der Entfernungsangaben auf den Verkehrsschildern. Diese wurden in Nordirland weiterhin in Meilen und Yards angegeben, wobei die Republik Irland bereits vor Jahren auf das im übrigen Europa geltende metrische System umgeschwenkt war. Allerdings war der Linksverkehr auch in der Republik Irland erhalten geblieben, anderenfalls wäre ein Fiasko auf den Straßen beim grenzüberschreitenden Verkehr wohl kaum vermeidbar gewesen. Darüber hinaus wäre zwangsläufig wohl der Autohandel wegen der Rechts- und Linkslenkerproblematik zwischen beiden Teilen Irlands zum Erliegen gekommen.

In Glenties angekommen, machten beide sich zunächst frisch und nahmen ihre Abendmahlzeit erneut im Highland-Hotel ein.

Nebenbei machten sich Conor und Jim endgültige Gedanken und Notizen zu den abzuschließenden Miet- und Pachtverträgen mit der Parkverwaltung. Für den nächsten Morgen hatten sie einen Termin mit Noel Morhan vereinbart, um die Verträge unter Dach und Fach zu bringen.

Nach dem gewohnt reichhaltigen Frühstück am kommenden Morgen fuhren sie zunächst zur Glenveagh-Parkverwaltung. Da man sich über die entscheidenden Eckpunkte bereits im Vorfeld geeinigt hatte, waren die Verträge schnell unterschriftsreif. Jede Partei erhielt ein unterzeichnetes Original. Nach einer Tasse Tee machten sich Conor und Jim auf den Weg nach Ballybofey. Der Autohändler hatte unüblicherweise tatsächlich Wort gehalten, und der Landrover Defender wartete abholbereit und vollgetankt auf seinen neuen Besitzer.

Nachdem die restlichen Formalitäten erledigt waren, fuhr Conor seinen neuen Dienstwagen Richtung Glenties, Jim Gallagher folgte ihm in seinem Mercedes.

Zurück in ihrem B&B besprachen sie nochmals im Detail die Aufgaben, die in den kommenden Tagen zu erledigen waren.

„Ich hatte vorhin auf dem Rückweg aus Ballybofey einen Anruf von meinem Büro in Dublin“, wurde Conor von Jim informiert.

„Es gibt Probleme mit einem anderen Projekt in den Wicklow Mountains, für das ich ebenfalls verantwortlich bin. Ein Farmer stellt, obwohl wir uns vor drei Wochen bereits endgültig geeinigt zu haben schienen, neue Anforderungen an die Verpachtung einiger Acres seines Landes. Da ich seinerzeit die Gespräche geführt habe, kommt mein Kollege im Moment nicht weiter. Das bedeutet, dass ich heute Abend noch zurück fahren muss, um mich morgen mit dem Farmer zu treffen. Aber ich denke, du kommst nun zunächst allein zurecht, zumal wir die Todo-Liste für die kommenden Tage und Wochen schon erstellt haben.“

„Da mach` dir keine Sorgen. Ich muss ja auch in Zukunft hier allein klar kommen. Ich danke dir aber jetzt schon ganz herzlich für die Unterstützung der vergangenen Tage. Nun habe ich einen klaren Fahrplan und eine genaue Vorstellung über das weitere Vorgehen. Ich werde dich, wie vereinbart, am Freitag jeder Woche über den aktuellen Stand informieren. Sobald als möglich werde ich auch das Cottage im Park beziehen, um einerseits Mietkosten zu sparen aber andererseits hautnah am Geschehen zu sein und einen besseren Überblick über alle Aktivitäten zu bekommen“, beruhigte Conor ihn.

In den Tagen darauf achtete Conor darauf, dass vornehmlich die Arbeiten an dem Cottage vorangetrieben wurden. Wider Erwarten hielten alle Handwerker Wort, und das Haus war vier Wochen später bewohnbar. Sogar seine Schwester Deirdre war für eine Woche aus der Connemara nach Donegal gekommen und hatte ihm beim Anstrich geholfen. Conor hatte sie mit seinem neuen Dienstwagen vom Busbahnhof in Donegal Town abgeholt.

Dabei konnte er den Anflug eines gewissen Stolzes nicht ganz vermeiden, was seiner Schwester natürlich nicht entging. Deirdre hatte ihm noch einige Kleidungsstücke und Küchenutensilien mitgebracht, die seine Mutter für unerlässlich gehalten hatte.

Sobald das Cottage fertig gestellt war, gab Conor seine ihm lieb gewordene Unterkunft in Glenties auf und bezog sein neues Heim. Deirdre unterstützte ihn beim Umzug und bei der Einrichtung der Räume fleißig. Vor allem bei der Installation der Küche und der Auswahl der Küchengeräte war Conor dankbar für ihre fachkundige Hilfe.

Zum Ausgleich und Abschluss der Arbeiten am Cottage gingen er und Deirdre am Samstagabend in das alte Pub in Glenties, setzten sich mit ihren Instrumenten zu den befreundeten Musikern und beteiligten sich aktiv an der Traditional Irish Music-Session (seisiuns). Nach den Strapazen der Woche genossen sie den in jedem Winkel des Pubs spürbaren Charakter der Unbeschwertheit und Lebensfreude.

Als Conor am folgenden Tag seine Schwester zum Busbahnhof nach Donegal Town brachte und sie in den Bus Richtung Sligo einstieg, verspürte er doch einen großen Abschiedschmerz. Die Sehnsucht nach seiner Familie und der geliebten Connemara versetzten ihm einige Herzschmerzen. Gleichzeitig aber durchströmte ihn auch das flammende Gefühl von Dankbarkeit, Deirdre für eine Woche wieder in seiner Nähe und damit den unmittelbaren Kontakt zu seiner Familie gehabt zu haben.

Als Deirdre in den Bus einstieg, versprach sie ihrem Bruder mit Abschiedstränen in den Augen, ihn so oft es ihr möglich sein sollte zu besuchen und zu unterstützen. Conor versprach seiner Schwester im Gegenzug, sie als erste zu informieren, sobald die ersten Wölfe eingetroffen sein sollten.

Als Conor McGinley dann schließlich mutterseelenallein in seinen neuen vier Wänden saß, überfielen ihn das in dieser intensiven Form niemals erlebte aufregende Gefühl maßlosen Stolzes auf das bisher Geleistete und das nachdrückliche innere Empfinden eines unbändigen Tatendranges.

Alle körperlichen und mentalen Anstrengungen der vergangenen Wochen forderten allerdings, ohne dass er es wahrhaben wollte, auch ihren Tribut und zerrten an der Substanz seines Körpers. Glücklich und erschöpft schlief er auf seiner neuen Couch ein und wachte erst wieder auf, als die Morgensonne durch das kleine Fenster, das Richtung Osten ausgerichtet war, seine Augen blendete und die Wärme sich wohltuend auf seinem Gesicht ausbreitete.

Eine warme Dusche und ein ausgiebiges Frühstück weckten seine Lebensgeister schnell wieder auf, und er fühlte sich frisch und stark für die Aufgaben, die an diesem Tag auf ihn warteten.

Jetzt galt es nämlich, zügig die Umzäunung des zukünftigen Wolfsreviers in Angriff zu nehmen. Gemeinsam mit Jim hatte er eine Ausschreibung der Arbeiten vorbereitet und Angebote von drei Fachfirmen erhalten. Das günstigste Angebot hatte die Metallbaufirma McAndrew & Sons aus Dunfanaghy, einem nahegelegenen kleinen Ort an der Nordküste Donegals in der Nähe von Horn Head, unterbreitet.

Nachdem sich Conor kurz telefonisch mit Jim über die Vergabe abgestimmt hatte, rief er den Firmeninhaber Stephen McAndrew an und vereinbarte mit ihm einen Termin für den folgenden Morgen, um die Details der zu erledigenden Arbeiten zu besprechen.

Am kommenden Vormittag kam Stephen McAndrew wie vereinbart zu Conors neuem Heim, das inzwischen in Doochary und Umgebung von den Einheimischen nur noch Wolve`s Cottage genannt wurde.

Zunächst sollten die Zwinger erstellt und ein erster kleinerer Auslaufbereich umzäunt werden, um so schnell wie möglich die ersten Wolfswelpen unterbringen zu können. Parallel sollte die Umzäunung des kompletten Geländes angegangen werden. Diese Aufgabe würde naturgemäß einige Zeit in Anspruch nehmen, da das Gelände sehr weitläufig war. Erschwerend kam hinzu, dass das gesamte künftige Wolfsgebiet äußerst hügelig, darüber hinaus mit unzähligen Granitblöcken durchzogen und an der nördlichen Abgrenzung im Bereich des Lough Muck nur sehr schwer zugänglich war.

Glücklicherweise sagte Stephen McAndrew zu, gleich mit den Arbeiten beginnen zu wollen, denn lukrative Aufträge dieser Größenordnung bekam er auch nicht jeden Tag.

So konnte Conor sich der Aufgabe widmen, passende Jungwölfe für das Gehege zu finden. Dazu musste er für einige Tage nach Deutschland reisen, um sich mit dem Wolfzüchter Markus Wiedemann, mit dem er die gesamte Zeit telefonischen Kontakt aufrechterhalten hatte, zu treffen.

Da er in seinem Cottage weder einen Festnetz- noch einen Internetanschluss besaß, die Telefongesellschaft Eircom hatte zumindest die Installation des Telefonanschlusses für den Verlauf der nächsten zwei Wochen zugesagt, rief er Markus Wiedemann über sein Handy an und kündigte seinen Besuch für den folgenden Tag an.

Glücklicherweise gab es ganz in der Nähe von Annagary in den Rosses einen kleinen Flugplatz, von dem aus die Fluggesellschaft AerAerrann zweimal täglich den Dubliner Flughafen anflog. Also packte Conor die notwendigsten Dinge zusammen und fuhr, nachdem er sich über die Abflugzeiten informiert hatte, mit seinem Wagen zum Donegal Airport. Seinen Defender konnte er problemlos für einige Tage auf dem großzügigen Parkplatz direkt vor der Abflughalle abstellen. Das kleine Propellerflugzeug, das etwa fünfzehn Personen Platz bot, landete in etwas mehr als einer Stunde später sicher auf der Rollbahn des Dubliner Flughafens. Von dort hatte er einen zeitlich passenden Anschlussflug mit Ryanair nach Frankfurt- Hahn, einem ehemaligen Militärflughafen im Hunsrück gebucht. Dort sollte Conor von Markus Wiedemann, der sein Gehege in einem menschenleeren Tal unweit des Flughafens Hahn unterhielt, abgeholt werden. Einige seiner Wölfe hatte Markus Wiedemann in der Vergangenheit im nahen Wildpark Rheinböllen untergebracht.

Gleich auf den ersten Blick erkannten Conor und Markus, wie konnte es auch anders sein, dass die Chemie zwischen ihnen stimmte. Sie spürten auf Anhieb, dass ihre Interessen vollkommen deckungsgleich waren und beiden das Wohl, die Gesundheit und die artgerechte Haltung der jungen Wölfe über jeglichen kommerziellen Ansatz hinweg am Herzen lagen.

Markus Wiedemann hatte die letzten Wochen mit der Aufzucht der jungen Wölfe zugebracht. Dazu war er Tag und Nacht mit den Tieren zusammen gewesen. Er hatte die Wolfswelpen mit der Flasche groß gezogen, hatte dazu eigens ihre Verhaltensweisen angenommen, mit ihnen gespielt und geschlafen. Markus Wiedemann war einer von ihnen geworden, ein Teil des jungen Rudels. Und wie selbstverständlich akzeptierten ihn die Jungwölfe als ihren Leitwolf.

Conor war bezaubert und verzückt, als er die jungen Tiere das erste Mal sah, wie sie ihn mit ihren grünen Augen fixierten und mit tief gesenktem Kopf nervös im Gehege hin und her liefen. Besonders hatte Conor es der hellhäutige Schneewolf angetan. Tatsächlich hatte Markus einen dieser besonderen Tiere von außergewöhnlicher Schönheit beschaffen können. Insgesamt handelte es sich um einen Rüden und vier weibliche Tiere, die für die Aussiedlung im Nordwesten Irlands bestimmt waren.

Conor konnte sich gar nicht satt sehen und erst recht nicht genug bekommen von dem Gedanken, dass diese Prachtexemplare bald seine Tiere sein sollten. Sollte sein so lange gehegter Traum wirklich in Erfüllung gehen? Zu Beginn, als er sich das erste Mal ernsthaft mit dem Gedanken einer Wiederansiedlung der Wölfe in Irland beschäftigt hatte, hatte er das kaum zu hoffen gewagt. Nun bekam die theoretische Herausforderung einen realistischen Hintergrund in Form der vor ihm hin und her streifenden lebendigen jungen Wölfe. Ein Gefühl von Dankbarkeit, aber auch eine trügerische innere Unruhe ob der perspektivischen Verantwortung und Herausforderung überkamen ihn. Letztendlich überwog allerdings das Glücksgefühl auf die kommende Zeit, die er mit diesen in seinen Augen atemberaubend schönen, wilden Tieren würde verbringen können.

Markus spürte, wie Conor versuchte, sogleich einen ersten Kontakt zu den Tieren aufzubauen.

Die nächsten Tage nutzten sie, um Conor mit den Tieren und ihren Gewohnheiten vertraut zu machen. Das Wolfsblut lernte die Tagesabläufe, die Essenszeiten und –gewohnheiten kennen und machte sich bekannt mit den individuellen, unterschiedlichen Charakteren der Jungtiere. Dabei entstanden automatisch die ersten vertrauten Bande zwischen Conor und den Wölfen. Denn ein gewisses Maß an Vertrauen wollte er schon in den ersten Tagen aufbauen, um es dann in Donegal einfacher zu haben.

Conor und Markus einigten sich schnell auf die Übernahmemodalitäten der Wölfe, schließlich waren die Eckdaten bereits im Vorfeld abgestimmt worden.

Markus selbst würde den Transport der Tiere nach Irland überwachen. Er würde den Transporter persönlich begleiten und die ersten Tage nach Aussetzung seiner Wolfskinder in ihrem neuen Gehege gemeinsam mit Conor in Irland verbringen.

Beruhigt, diese weitere Hürde erfolgreich genommen zu haben, flog Conor wieder nach Donegal, um sich um die Fertigstellung des Geheges zu kümmern.

Erfreut stellte er fest, dass Stephen McAndrew mit seinem Team schon ganze Arbeit geleistet hatte. Die Fundamente und Böden der Zwinger waren bereits in Beton gegossen. Die ersten Zaunelemente der Boxen waren sogar bereits aufgestellt. Parallel hatte ein zweites Team mit den Fundamenten für die Einfriedung begonnen. Auch hier lagen die ersten Zaunelemente längst bereit und warteten auf das Aushärten des Betons und ihre anschließende Montage. Es würde nicht mehr lange dauern, bis die Zwinger und der erste Auslaufbereich fertig gestellt sein würden. Der Übergabe der Wölfe in einigen Tagen stand tatsächlich nichts mehr im Wege.

Nachdem er sich den Überblick über den Stand der Arbeiten gemacht hatte, machte sich Conor auf den Weg nach Dungloe, um wie versprochen Jim Gallagher über den aktuellen Stand zu informieren. Da ihm immer noch kein Festnetzanschluss und Internetbreitband im Cottage zur Verfügung standen, schrieb er die E-Mail im Internetcafe in der alten Kirche. Da man ihn inzwischen dort kannte, wurde er von der Angestellten auf das herzlichste begrüßt.

Froh gelaunt über den erfolgreichen Verlauf des Projektes, informierte er Jim Gallagher über die erfreulichen Neuigkeiten.

Danach fuhr er zunächst nach Doochary und reservierte beim Wirt des Teach Gleann Ceo für den kommenden Freitag den großen Festsaal. Nachdem das Projekt nun in die aktive Phase gehen sollte, wollte er die Bewohner des kleinen Ortes und vor allem die Farmer der näheren Umgebung seines Wolfsgeheges über das Gesamtvorhaben informieren. Er war der festen Überzeugung, dass ein potentieller Widerstand gegen das ambitionierte Projekt nur entstehen würde aus Mangel an Informationen aus erster Hand und der aus dem Halbwissen heraus resultierenden Gerüchteküche. Das wollte er gezielt vermeiden und im Sinne der reinen Organisationslehre die Betroffenen zu Beteiligten machen, in dem er sie beispielsweise mit Aufträgen versorgte oder er sich bei ihnen mit der notwendigen Nahrung für die Wölfe versorgte.

Er brachte am Eingang des Pubs und an einigen Strommasten Hinweise auf die Informationsveranstaltung an und gab eine Annonce in der örtlichen Presse in Auftrag.

Bis zum Freitag würde er seine Powerpointstory soweit modifizieren, dass sie die aktuellen Geschehnisse beinhaltete und dass sie gezielt auf die Interessen und sensiblen Berührungspunkte mit der Bevölkerung und hier vor allem den benachbarten Farmern einging. Er wollte bewusst mit keinen wichtigen Informationen hinter dem Berg halten. Sorgfältig bereitete er sich vor und versuchte bereits im Vorfeld auf alle möglichen oder zu erwartenden Einwände eine plausible Gegenargumentation zu finden.

Bestmöglich präpariert ging er in die Präsentation am Freitagabend im prallgefülltem Saal des Pubs.

Hunderte von neugierigen aber auch argwöhnischen, misstrauischen, skeptischen, kritischen oder gar feindlichen Augenpaaren erwarteten ihn. In einigen Gesichtern glaubte er sogar so etwas wie Hass in ihren Augenlichtern aufblitzen zu sehen, so als würden sie in der Lage sein, ihn allein mit der Kraft ihrer Blicke zum Aufgeben zu bewegen, obwohl er diesen Menschen das erste Mal überhaupt gegenüber stand.

Jedoch vermied Conor bewusst, diese Eindrücke an sich heran kommen zu lassen. Er hatte sich gut vorbereitet, und das gab ihm ein sicheres Gefühl. Selbstbewusst ging er an die Präsentation seines Vortrages.

Dia duit, is mise Conor McGinley. Cad è mar atà sibh?”, begrüßte Conor die Gäste bewusst in gälischer Sprache, fuhr dann aber in englischer Sprache fort, weil er wusste, dass nicht alle Anwesenden gälisch verstanden:

„Noch einmal, mein Name ist Conor McGinley, ich bin geboren in Roundstone in der Connemara, also in einem Gebiet, in dem ebenso wie hier irisch noch die tägliche Umgangssprache ist.“

Nachdem er sich persönlich vorgestellt hatte und einige Rahmendaten über Beteiligte, Förderer und Verantwortliche genannte hatte, stellte er die Intention des Projektes in allen Einzelheiten vor. Dabei benutzte er soviel Bildmaterial wie möglich, um seine Worte visuell zu unterstützen und seiner Präsentation eine gewisse Spannung und Attraktivität zu geben. Bei den meisten Besuchern spürte er schnell eine bestimmte Entspanntheit und die Neugier auf das, was sie und damit der gesamte kleine Ort zu erwarten hatten. Bei Vielen glaubte er sogar einen untrüglichen Stolzesvorschub zu erkennen, in dem ihr bis dato verschlafenes, unbekanntes Nest eine weltweit beachtete Berühmtheit erlangen könnte.

Dass Doochary als Irlands oder gar Westeuropas Metropole freilebender Wölfe und renaturierter Königsadler geschätzt und geachtet werden könnte und nicht mehr mit dem Attribut des Sleeping Village zum Gespött und Hohn aller Nachbargemeinden verachtet zu werden, das war für viele Bewohner doch mal eine aufbauende Perspektive im Vergleich zum bisherigen eintönigen Alltag des unscheinbaren Dörfchens an den Ufern des Gweebarra River.

Doch die Bedenken und Einwände sollten noch kommen.

Als Rädelsführer kristallisierten sich schnell die beiden dem Gehege benachbarten Farmer Sèamus McGeough und Danny Grealy heraus. Nachdem Conor seinen Vortrag beendet hatte, bat er die Anwesenden, ihre aufgekommenen Fragen zu stellen.

„Wir würden dir zu deiner eigenen Sicherheit empfehlen, am besten noch morgen diese Gegend zu verlassen. Anderenfalls können wir für Nichts garantieren. Unser Augenmerk gilt einzig und allein dem Schutz unserer Schafbestände. Diese Tiere sind unsere Existenz und die Grundlage des Lebens unserer Familien. Wir werden alles Erdenkliche tun, unsere Schafherden zu schützen und das auch mit prophylaktischen Maßnahmen. Und glaube mir, Conor McGinley, deine kühnste Vorstellungskraft reicht nicht aus, dir die Methoden auszumalen, die wir dazu anzuwenden bereit sind“, kam statt einer erwarteten Frage gleich eine aggressive Drohung aus dem Munde des Farmers.

Und sein Nachbar Danny Grealy fügte noch hinzu:

„So wie wir mit den Adlern fertig werden, so wird auch kein Wolf jemals eines unserer Schafe reißen. Also, sei auf der Hut bei allem was du tust, Wolfsblut.“

Conor bemühte sich zwar, die schon in seinem Vortrag dargestellten Sicherheitsvorkehrungen zu wiederholen. Davon wollten die beiden Widersacher jedoch schon nichts mehr wissen. Demonstrativ standen sie auf und verließen mit wuterfüllten Augen den Saal, als müssten sie mit dieser Geste die Ernsthaftigkeit ihrer Worte und die physische Stärke dieser Gegenphalanx noch unterstreichen. Dabei war keinem der Abwesenden entgangen, dass die beiden Farmer den Fehdehandschuh öffentlich in den Ring geworfen hatten.

Damit war die Atmosphäre für einen weiteren harmonischen Verlauf der Veranstaltung fast vergiftet. Die wenigen Fragen, die noch gestellt wurden, zum Beispiel nach der Herkunft der Wölfe oder deren Alter, Lebensgewohnheiten und Charaktereigenschaften, beantwortete Conor in sachlicher und distanzierter Manier. Zu sehr hatten ihn die Drohungen der beiden Farmer mitgenommen. Dabei hatte er genau registriert, dass die Androhungen nicht allein dem Projekt gegolten hatten, sondern auch ihm persönlich. Das hatte er in dieser massiven Form im Vorfeld nicht erwartet. Vielleicht war bisher auch alles zu glatt verlaufen, als dass nicht so langsam die erwarteten realen Schwierigkeiten die ersten Schatten auf sein Lebenswerk werfen sollten.

Im Anschluss an seine Präsentation setzte sich die kontroverse Diskussion der Besucher im Pub fort. Dabei ließ sich nicht erkennen, ob jetzt die Befürworter oder die Gegner des Wolfsprojektes in der Überzahl waren. Oft gab es ja in vergleichbaren Situationen durchaus eine schweigende Mehrheit für eine kritische Sachlage, die sich erst äußerte, wenn sie dazu aufgefordert wurde. Und diese Tatsache verfälschte dann häufig für einen Außenstehenden den entstandenen Eindruck der mehrheitlichen Ablehnung eines anstehenden Dekrets oder wie in diesem Fall der Umsetzung eines zugegebenermaßen sensiblen Projektes.

Nachdem Conor seine Präsentationsmedien in seinem Wagen verstaut hatte, mischte er sich noch unter die verbliebenen Gäste im Pub, versuchte in bilateralen Gesprächen die immer noch schwelenden Ängste und Befürchtungen zu zerstreuen und mit plausiblen Argumenten zu entkräften.

Als Conor sich etwa zwei Stunden später auf den Heimweg zu seinem Cottage machen wollte, merkte er, dass jemand alle Reifen seines Defenders durchstochen hatte. Schneller als er erwartet hatte, war die Umsetzung der aggressiven verbalen Drohungen in die reale Praxis erfolgt. Um diese Zeit würde er kein Taxi mehr erreichen können. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich zu Fuß auf den etwa acht Meilen langen Weg zu seinem Cottage zu machen. Bei dem Gedanken, allein und ungeschützt diesen langen einsamen und dunklen Pfad dorthin zurücklegen zu müssen, überkam ihn erstmals in seinem Leben das zerschmetternde Gefühl nackter Angst, in wie viele präparierte Hinterhalte er sich wohl völlig schutzlos hineinbegeben könnte. Zu eindeutig waren die Androhungen der beiden Farmer gewesen. Diese hatten ja wahrlich keinen Zweifel offen gelassen, was sie alles zu tun bereit wären. Er würde sich zu seiner eigenen Sicherheit wirksame Schutzmechanismen wie Elektroschocker, Pfefferspray oder Ähnliches überlegen müssen, obwohl er das Tragen von Waffen im Allgemeinen hasste.

Zu seiner Freude trat noch rechtzeitig Martin Kinahan, der Wirt des Teach Gleann Ceo vor die Tür, um eine Zigarette zu rauchen. In irischen Pubs galt seit langem Rauchverbot, das allen Unkenrufen zum Trotz von fast allen Pubbesuchern beachtet wurde, was wiederum unter Betrachtung der relevanten irischen Charaktere im Vorfeld durchaus nicht zu erwarten gewesen war. Als Martin die zerstochenen Reifen sah, bot er Conor an, ihn mit seinem Wagen nach Hause zu fahren. Dankbar und erleichtert nahm dieser das Angebot an.

„Mache dir nicht zu große Sorgen, Conor. Wie sagt man so treffend: Bellende Hunde beißen nicht. Ich kenne die beiden Farmer ganz gut. Die benehmen sich immer so, vor allem, wenn es um die Sicherheit ihrer Schafe geht. Das mit den Reifen würde ich nicht so ernst nehmen oder überbewerten. Damit wollen sie ihre Aggressionen abreagieren. Aber glaube mir, morgen schon werden sie sich selbst darüber ärgern. Übrigens fand ich deinen Vortrag sehr informativ und überzeugend. Und ich glaube die meisten Bewohner sehen das Projekt nicht mehr so kritisch wie vielleicht noch zuvor. Ganz im Gegenteil, viele sehen inzwischen darin eher eine große Chance denn ein Risiko für unseren kleinen Ort.“

„Danke, deine Worte geben mir doch wieder Mut zum Weitermachen. Bei der Demonstration offener Feindschaft der beiden Schaffarmer mir gegenüber hatte ich schon erhebliche Bedenken.“

„Das kann ich gut verstehen. Die beiden können einem schon Angst machen. Ich werde mich morgen früh um die Reparatur deines Geländewagens kümmern. Ein paar Meilen vor deinem Cottage unterhält Thomas òSullivan eine Reparaturwerkstatt für größere Maschinen wie Traktoren und Bagger. Der repariert aber sicher auch deinen Jeep, wenn ich ihn darum bitte. Ich hoffe, wir sehen uns trotz der unschönen Szenen von heute Abend doch noch öfter. Übrigens ist an jedem Sonntagabend bei mir im Pub Livemusik. Das ist immer sehr gesellig und du kannst viele Leute aus dem Ort kennen lernen, denen du bei der Gelegenheit dein Projekt in Einzelgesprächen näher bringen kannst.“

„Das hört sich gut an. Ich spiele nämlich auch für mein Leben gern traditionelle irische Musik.“

„Was spielst du für ein Instrument?“

„Eigentlich fast alle Flöten, von der Tin-Whistle angefangen bis zur Low-Whistle und Querflöte.“

„Wenn du Lust hast zu spielen, bringst du deine Flöten einfach mit in das Pub. Die Musiker freuen sich immer, wenn sie Verstärkung bekommen.“

„Auf das Angebot komme ich gern zurück. Danke für alles, Martin.“

„De nada, wie der Spanier sagt, dafür nicht. Ich rufe dich morgen an, wann dein Wagen fertig ist.“

„Ich bin dir wirklich sehr dankbar, Martin.“

Obwohl sich Conor etwas beruhigt hatte, fiel es ihm schwer, in dieser Nacht den notwendigen Schlaf zu finden. Zu oberflächlich waren seine Ruhephasen und es gelang ihm nicht, in einen erholsamen Tiefschlaf zu fallen. Gerade in Nächten wie dieser traf ihn immer wieder der Trennungsschmerz von Aoife mit besonders großer Intensität und Wucht. In diesen Momenten konnte er nicht aufhören, an seine große Liebe zu denken und er fragte sich, was sie jetzt wohl machte. Und dann sehnte er sich danach, in ihren Armen zu liegen und alle Probleme, die er sich ja, wie er sich persönlich gegenüber eingestehen musste, weitestgehend selbst eingebrockt hatte, hinter sich zu lassen.

Aber er fasste auch einen Entschluss in dieser schlaflosen Nacht: Er würde sich zu seiner eigenen Beruhigung und zu seinem Schutz als erstes einen Wachhund anschaffen. Schon am nächsten Tag würde er sich darum kümmern. Das war für ihn die erste zwangsläufige Konsequenz aus den Ereignissen des Vorabends. Und es würde ein Bordercollie sein, dazu gab es für ihn keine Alternative.

Schon um die Mittagszeit des nächsten Tages brachte ihm Thomas òSullivan den reparierten Landrover zum Cottage.

„Martin hat mir von gestern Abend berichtet. Trotzdem gut geschlafen?“, wollte Thomas wissen.

„Eigentlich nicht, ich werde mir wohl einen Wachhund anschaffen müssen, um beruhigt schlafen zu können. Ich werde mich nach einem Collie umsehen, die habe ich selber schon gezüchtet und weiß, was ich an ihnen habe.“

„Da musst du nur im The Dealer nachsehen. Da wird alles Mögliche und Unmögliche angeboten. Die Leute würden ja ihre eigene Oma verkaufen, wenn jemand etwas dafür bieten würde. Da werden sicherlich auch Collies inseriert sein. Dürfte nicht so schwer werden, einen passenden Hund zu finden. Viele Schaffarmer züchten Hütehunde schon aus Eigenbedarf.“

„Danke für den Tipp, Thomas, und für die prompte Reparatur. Ohne Auto wäre ich hier in der Einsamkeit vollkommen aufgeschmissen und hilflos.“

„Keine Ursache. Und wenn du mal wieder Hilfe brauchst, wende dich an mich. Ich bin wahrscheinlich dein nächster Nachbar, der kein Schaffarmer ist“, bot Thomas seine Hilfe an.

„Gut zu wissen, dass hier trotz allem auch Menschen wohnen, die mir offensichtlich wohl gesonnen sind. Übrigens, Thomas, trifft man dich auch sonntags im Teach Gleann Ceo an, wenn die Musik spielt?“

„Eher selten. Ich bin allerdings fast regelmäßig wöchentlich in Elliotts Bar in Lettermacaward. Da ist jeden Freitagabend traditionelle irische Musiksession mit richtig guter Stimmung und vollem Haus. Solltest du mal ausprobieren.“

„Mach ich bestimmt. Hört sich gut an.“

Conor fuhr nach Dungloe und besorgte sich im Cope-Laden das ihm schon bei der Autosuche behilfliche Free-ADS-Paper The Dealer. Er nahm im Supermarkt-Cafe Platz, nachdem er sich einen Capuccino besorgt hatte, und durchstöberte den Anzeiger sogleich nach Angeboten von Bordercollie-Hunden. Unter der Rubrik Working Dogs fand er dann auch gleich mehrere Angebote über Sheepdogs im Allgemeinen und Collies im Speziellen, die von Farmern aus der Gegend angeboten wurden. Da es sich ausschließlich um Wortanzeigen handelte und Fotos der Hunde fehlten, rief er einige der angegebenen Telefonnummern an. So verbrachte er den Nachmittag damit, sich die in Frage kommenden Tiere und deren Züchter und Herkunftsstätten anzusehen. Noch am gleichen Abend wurde er fündig. Bei einem Züchter in Mountcharles fand er seinen Traum-Bordercollie in der von ihm so geliebten Langhaar-Version. Er entschied sich für ein starkes Weibchen, von dem er wusste, dass es sich auch unterordnen konnte. Das war für ihn wichtig im Hinblick auf das künftige Zusammenleben mit den jungen Wölfen. Genau dieses Tier hatte er gesucht. Ihr Fell war im Großen und Ganzen pechschwarz, das nur einige weiße Stellen aufwies, wie die markante weiße Schwanzspitze, die Nase und ein paar Flecken am Hals. Darüber hinaus zierte sie im rechten oberen Rückenbereich eine kleine weiße Stelle in ihrem Fell, das ihr ein Wenig das Aussehen einer Punkerin verlieh, die sich eine einzelne leuchtend weiße Strähne in ihrem ansonsten kohlschwarzen Haar hatte färben lassen.

Glücklich brachte er den drei Monate alten Welpen in sein neues Heim. Und gleich vom ersten Moment fühlte sich Conor nicht mehr ganz so allein und einsam in seiner selbst gewählten Isolation. Das Wolve`s Cottage hatte einen ersten Mitbewohner.

Seine neue Freundin, die er fortan Hollie nannte, sorgte ab dem ersten Tag für Kurzweil und gute Laune. Jetzt realisierte er erst, was ihm die ganze Zeit so sehr gefehlt hatte. Endlich konnte er sich wieder der Erziehung und Ausbildung eines Colliehundes widmen. Das band ihn einerseits zeitlich aber, was noch viel wichtiger war, sorgte die Ablenkung dafür, dass er die neuerlichen Anfeindungen der benachbarten Farmer zumindest zeitweise aus seinem Kopf verdrängte.

Außerdem lenkte ihn das Musizieren vor seinem Kamin, das er sich fortan zur allabendlichen Gewohnheit machte, von den Problemen mit den benachbarten Farmern ab. Fast regelmäßig ging auch er nun freitagabends in die Elliots Bar, um mit den Musikern zu spielen und für einige Stunden in lockerer Atmosphäre seine Sorgen zu vergessen.

Meistens schlief er in solchen Nächten erst, wenn es bereits wieder dämmerte mit seinen letzten Gedanken an seine verlorene Liebe Aoife und der Vorstellung, wie wunderschön es gemeinsam mit ihr hätte sein können, in seinem einsamen Cottage ein.

Die Rache der Wölfe

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