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Kapitel II.2 Kindheit

„Herzlichen Glückwunsch zur bestandenen Prüfung“, sagte Bankdirektor Arthur òToole und schüttelte dabei seinem erfolgreichen Mitarbeiter so überschwänglich die Hand, dass dieser das Gefühl hatte, dass ihm fast sein Arm ausgerissen würde.

Der Grund für die außerordentliche Gratulation war, dass Victor Vaughan einen speziellen Anlageberater-Lehrgang für vermögende Kunden mit grandiosem Erfolg als Lehrgangsbester abgeschlossen hatte. Und diesen Erfolg seines Mitarbeiters vereinnahmte, ja beanspruchte Arthur òToole auch ein wenig für sich, denn schließlich hatte er ihn ausgebildet.

Nun durfte Victor endlich auch vermögende Privatkunden kompetent und selbständig beraten. Schon immer war es sein berufliches Ziel und gleichzeitig eine Herausforderung gewesen, das große Geld seiner Kunden gewinnbringend und interessant anzulegen, zumal er in der Vergangenheit in seinem persönlichen Umfeld immer nur mit geringen Summen hantieren konnte. Seine Leidenschaft galt jedoch immer schon, den Mechanismen und Geheimnissen des Börsengeschäftes näher zu kommen. Seine Verbindungen und die Abhängigkeiten zu und von wirtschaftlichen Faktoren und den Informationen zu verstehen. Ja, er hatte sich im Laufe der Jahre intensiv mit der gesamten Komplexität des Börsengeschäftes beschäftigt. Keiner in der Filiale der Bank of Ireland in Letterkenny konnte die aktuellen Wirtschaftsnachrichten so eindeutig interpretieren und die Auswirkungen auf die Börsenkurse vorhersagen wie Victor Vaughan. Ihm selbst war es in den vergangenen Jahren trotz seines relativ überschaubaren Einkommens gelungen, ein bescheidenes Depotguthaben anzuhäufen. Nicht dass es sich um ein großes Vermögen handeln würde, aber es gab Victor schon das Gefühl einer gewissen finanziellen Unabhängigkeit und eines gewissen Stolzes, fast bei allen Geschäften die richtigen Rückschlüsse gezogen zu haben und das richtige Gespür und die richtige Nase gehabt zu haben.

Arthur òToole war ein Mann, dem man seinen stattlichen Lebenswandel durchaus ansehen konnte. Er war nun 59 Jahre alt, in drei Monaten würde er seinen 60.ten Geburtstag feiern Er hatte bereits schütteres graues Haar mit tiefen Geheimratsecken, das er nach hinten kämmte und einen beträchtlichen Bauchansatz. Dabei war er eher von kleiner und stämmiger Statur. Zu seiner äußeren Konstitution passten allerdings sein Gemüt und sein Charakter. Arthur war seinen Mitarbeitern gegenüber korrekt und fair, und dabei eher väterlicher Freund als harter Vorgesetzter. Allerdings hatte auch er die Verkaufsvorgaben seiner Dubliner Zentrale zu erfüllen. Lag er mit den Abschlusszahlen seiner Filiale im vorgegeben Soll, war Arthur der Letzte, der seine Mitarbeiter unter Druck setzte. Im Gegenteil, dann war er eher ihr humaner, ausgleichender und beratender Begleiter. Denn Harmoniebedürfnis war Arthurs wichtigste Eigenschaft, wichtiger als die Erfüllung aller Verkaufsvorgaben irgendeines Vorgesetzten.

Dass er noch bei seiner Mutter Barbara wohnte, sah Victor bisher nur als vorteilhaft an. Nicht nur, dass er die monatliche Miete einsparte, nein, seine Mutter umsorgte ihn auch mit einer vorbildlichen Leidenschaft, wusch seine Wäsche und organisierte immer noch seinen Tagesablauf vom Aufstehen bis zum Schlafengehen.

Barbara Vaughan hatte vor Jahren nach dem Tod ihrer Eltern deren kleines Haus geerbt.

Immer schon war Victor Barbaras einziger Sonnenschein gewesen. Viel hatte das Leben ihr nicht gegeben, nur diesen Sohn, ihr einziges Kind. Und dementsprechend umsorgte sie ihn auch, er wurde von ihr geradezu in Watte eingehüllt, denn zuviel Angst hatte sie, dass ihrem kleinen Liebling etwas zustoßen könnte. In gleichem Maße wie sich die Liebe zu ihrem Ehemann verringerte, erhöhte sie die Anstrengungen um ihren Sohn. Auf ihn allein konzentrierte sich nun ihre Liebe und ihre Sorge. So wuchs Victor auf wie in einem Glaskasten. Alles wurde von ihm ferngehalten, was Barbara für bedrohend oder gar gefährlich hielt. Das betraf sowohl Krankheiten als auch und vor allem Beziehungen zu anderen Kindern. Kaum ein Nachbarkind konnte die hohen Ansprüche, die Barbara als interne Messlatte festgelegt hatte, erfüllen, als dass es in soziale Kontakte zu Victor treten durfte. Dabei übertraf sie sich in der Erfindung von plausiblen Begründungen für die Ablehnung ihren Nachbarn gegenüber. Für sie zählte nur, was aus ihrer Sicht gut war für Victor. Und sie glaubte, gut für Victor sei es eher, keine Kontakte zu haben, als minderwertige. Er sollte es doch einmal besser haben als sie, das war ihr erklärtes Lebensziel für Victor. Und für diese Bestimmung tat sie alles, was in ihren Kräften und Möglichkeiten stand. Sie wollte ihn nur gut auf das Leben vorbereiten. Schnell merkte sie beispielsweise, dass ihr Sohn alles mit der linken Hand bewerkstelligte. Das Spielen mit Bauklötzen, das Malen mit Buntstiften. Um ihm das spätere Mitkommen in der Schule zu vereinfachen, tat sie, sobald ihr das aufgefallen war, alles, damit er zumindest mit der rechten Hand schrieb. Alle anderen Tätigkeiten erlaubte sie Victor zwar weiterhin mit Links zu erledigen, nur das Schreiben sollte er mit dem „feinen Händchen“, wie Barbara die rechte Hand immer nannte, ausführen. Ebenso musste er die wenigen Gäste, die sich in ihr Haus verirrten, immer mit dem „feinen Händchen“ begrüßen. Nahm er versehentlich mal wieder seine starke linke Hand, dann bekam er einen kleinen Klaps mit dem Hinweis: „Gib der Tante nicht das fiese Händchen. Nimm das feine Händchen, das hab ich dir doch schon so oft gesagt, Victor!“

Barbaras Mann würde man landläufig wohl als Luftikus bezeichnen. Er selbst hielt sich eher für einen Lebenskünstler, einen, der alles und nichts konnte, und zwar alles, was Spaß machte und nichts, was mit dauerhafter Arbeit zu tun hatte. Kaum dass er mal eine feste Anstellung über einen längeren Zeitraum hatte.

„Dazu bin ich nicht geboren“, sagte er dann immer, wenn die Diskussion auf dieses Thema kam. „Ich bin nicht der Sklave der Herrenrasse. Ich bin mein eigener Herr und entscheide selbst, wann ich wie lange und für wen arbeite.“

Das war weniger eine Erklärung oder gar Entschuldigung gegenüber anderen als mehr die Beruhigung seines eigenen schlechten Gewissens und der Skrupel seiner Familie gegenüber, sofern ihn der Begriff und die Bedeutung des Wortes Skrupel überhaupt tangierte.

Aber die Einstellung ihres Mannes beeinträchtigte Barbara schon lange nicht mehr. Sie ging mehr und mehr in der Aufgabe auf, sich um ihr einziges Kind zu kümmern, es heranzubilden und zu disziplinieren. Und das tat sie nach ihrer Ordnung, einer aus der Tradition begründeten, erzkonservativen Grundhaltung heraus entstandenen Methode. So, wie auch sie schon von ihren Eltern erzogen worden war. Wie auch Barbara, waren schon deren Eltern Margret und Tom sehr religiös gewesen. Denn auch Victors Großeltern waren von deren Eltern traditionsbewusst und streng katholisch erzogen worden, so dass diese Denkweise bereits tief in der Familienvergangenheit verwurzelt war. Und so verstand es sich beinahe von allein, dass Margret und Tom diese Religiosität und Dienstbarkeit auch an ihre Tochter Barbara weiter gegeben hatten. Glaube an die katholische Kirche und Gehorsam oder besser Hörigkeit gegenüber den Eltern und Erwachsenen im allgemeinen und vor allem gegenüber der regierenden Obrigkeit in Person ihrer Vertreter, das waren die Attribute, nach denen irische Kinder zu der Zeit erzogen worden waren. Und welchen Grund hätten die Großeltern haben sollen, mit dieser Tradition zu brechen und Barbara gegenüber eine andere als diese bewährte Erziehungsmethode anzuwenden?

Barbara empfand ihre Erziehung auch niemals als autoritär, sie war normal. Sie übernahm ohne großartig darüber nachzudenken ihrerseits eigentlich nur diese traditionellen Werte und gab sie an Victor weiter.

Barbaras Haus betrat man durch einen kleinen Windfang, dessen Tür sich durch die Feuchtigkeit bereits verzogen hatte und inzwischen schwer zu öffnen war. Über einen kleinen Flur erreichte man links ein kleines Wohnzimmer, das Barbaras Eltern aber kaum benutzt hatten. Barbara selbst hatte es nie erlebt, dass jemals ein Feuer in dem dortigen durchaus apart aussehenden offenen Kamin gebrannt hätte. Über eine weitere Tür erreichte man den eigentlichen Wohnraum. Dieser für die Größe des Hauses großzügig geschnittene Raum diente gleichzeitig als Küche, Esszimmer und Wohnraum. So fand man hier auch alle zu diesen Zwecken notwendigen Einrichtungsgegenstände. Eine kleine Einbauküche mit Waschmaschine, ein Herd, der zum Heizen und gleichzeitig zum Kochen eingesetzt wurde, einen kleinen Esstisch mit drei Stühlen inmitten des Raumes sowie im Anschluss in der Nähe des großen Fensters eine Couch mit zwei Sesseln. Dem gegenüber stand der Fernseher, inzwischen schon ein Flachfernseher mit Satelliten -Empfangsschüssel. Die Sessel passten weder farblich noch formtechnisch zur Couch. Aber das hat hier niemals wirklich jemanden gestört. Dieser Raum war der Lebensmittelpunkt der Familie, und das seit jeher. Hier wurde gekocht, gewaschen, gegessen, geredet oder das RTE-Fernsehprogramm gesehen.

Dieser Raum war, wie auch alle anderen Räume übersäht mit Heiligenbildern und Kreuzen. Jede freie Stelle an den Wänden wurde genutzt, irgendeinem Heiligen einen Platz zu bieten.

Vor allem fiel die große Zahl an St. Bridget- Kreuzen auf. Diese Kreuze erinnerten an die aus einigen Strohhalmen geformten Kruzifixe, wie sie die heilige St. Bridget in ihrer Arrestzelle aus dem Stroh ihrer Schlafmatratze geformt hatte. Die St. Bridget Kreuze wurden jedes Jahr am letzten Tag im Januar von den Frauen der Nachbarschaft aus frischem Binsengras nach einer komplizierten Flechttechnik erstellt und noch am gleichen Abend vom Priester geweiht.

Im hinteren Teil des Hauses befanden sich das Badezimmer und ein kleines Schlafzimmer. Zwei weitere kleine Schlafzimmer befanden sich im Dachgeschoß des Hauses.

Hinter dem Haus hatten sich schon Barbaras Eltern Margret und Tom einen kleinen Gemüsegarten angelegt, in dem sie einige Kartoffelreihen, Petersilie, Schnittlauch, Karotten und weitere Gemüse und Kräuterarten für den Eigenbedarf anbauten. Viel wuchs hier eh nicht in dieser torfhaltigen Erde. Guter Mutterboden war teuer und kaum zu bekommen. Diesen Garten hatte Barbara nach dem Tod ihrer Eltern noch ausgeweitet und um herrlich blühende Stauden und Einjahresblumen komplettiert. Ein buschartiger Apfelbaum bildete nun den Mittelpunkt des Gartens. Dadurch wirkte dieser fast wie ein britischer Bilderbuch-Vorgarten. Vor dem Haus hatte sie eine größere Fläche geteert, die sie als Parkraum nutzte. Darüber hinaus half ihr diese Maßnahme, den Vorplatz ohne großen Aufwand sauber zu halten, zumal sich ihr Mann an der Instandhaltung und Pflege des Hauses in keiner Weise beteiligte.

Barbaras Haus stand in der Nähe des kleinen Ortes Doochary. Es lag an der Strasse, die sich entlang des rechten Ufers des Gweebarra-River an dem Bergrücken schmiegte, der das Gweebarra -Tal vom angrenzenden hohen Bogland, also dem Moorgebiet, trennte. Die Strasse führte dann im weiteren Verlauf zur N56, die von Donegal Town kommend über Killybegs, Ardara und Glenties nach Dungloe führte, um dann weiter durch die Rosses, vorbei an Bloody Foreland und im weiteren Verlauf an der Nordküste entlang wieder hinunter nach Letterkenny alle wichtigen Orte Nordwestirlands miteinander zu verbinden.

An Duchoraidh, wie Doochary in irischer oder gälischer Sprache hieß, phonetisch so etwa wie Dùherie klang, und soviel wie „Furt aus schwarzer Eiche“ -früher war wohl an der Stelle der heutigen Brücke über den Gweebarra-River eine Furt aus Eiche gebaut- bedeutete, lag an der R252 von Fintown kommend Richtung Dungloe. Das R in der Straßenbezeichnung stand für Regionalstrasse, nach den M-Strassen, den Motorways oder Autobahnen und den N-Strassen, den Nationalstrassen die Strassen der dritten Ordnung. Die Qualität von Regionalstrassen ließ häufig zu Wünschen übrig. Schlechter waren nur noch die Strassen der vierten Kategorie, die L-Strassen, also die lokalen Strassen. Diese würde man landläufig eher als Wirtschaftswege bezeichnen.

Erreichte man den Ortseingang von Doochary, hatte man wenig später den Ort auch schon wieder verlassen.

Vorbei an dem einzigen Pub und dem Grocery Store, einem Tante Emma ­ Laden, der gleichzeitig als Postoffice diente, und einigen Wohnhäusern ging es über eine Rechts-Links-Kurvenkombination wieder aus dem Ort hinaus, hoch in die kahlen, mit Heide bewachsenen Berge Richtung Dungloe.

Diese von den Einheimischen corkscrew genannte Kurvenkombination bezeichnete die Straße, die sich korkenziehergleich in mehreren Serpentinen um eine gedachte Seele vom Gweebarra-Tal in das hoch gelegene Bogland schlängelte, in dem noch immer, zumindest in den wärmeren Monaten, fast täglich Torf gestochen wurde, um Häuser und Menschen in den nasskalten Wintermonaten trocken und warm zu halten. Denn Torf war in dieser Gegend immer noch das wichtigste Brennmaterial.

Vor der ersten haarnadelscharfen Linkskurve befand sich die Primary School, also die Grundschule von Doochary. In dieser Kurve zweigte eine schmale Nebenstrasse ab, die sich durch den wilden Teil des Glenveagh-Nationalparks schlängelte. Folgte man einige Meilen dieser kleinen Schotterstraße, dann führte sie kurz vor Churchhill in einer 90-Grat- Rechtskurve weiter nach Letterkenny.

Kurz hinter dem Ortseingang von Doochary überquerte man die denkmalgeschützte Brücke über den Gweebarra River, der an dieser Stelle noch recht schmal war. Bei Anglern war diese Stelle jedoch äußerst beliebt. Bei Gott, war doch der Gweebarra für sie hier ein echtes Angler-Eldorado. Denn zur richtigen Jahreszeit war an dieser Stelle der Fluss prallgefüllt mit Lachsen. Denn mit dem Meerwasser des Atlantiks, das bei jeder Flut in den Gweebarra gepresst wurde und das spärliche Süßwasser des Flusses zu einem salzigen Mischwasser machte, kamen auch die Lachse weit ins Landesinnere.

Auch Victors Vater angelte, sobald die Saison eröffnet war, regelmäßig im Gweebarra River. Mit den Fängen trug er zumindest ein wenig zum Lebensunterhalt seiner Familie bei. Häufig nahm er seinen Sohn mit, der dann ebenso begeistert wie sein Vater mit seiner kleinen Angel die großen Lachse zu fangen versuchte, was ihm jedoch nur selten gelang. Allerdings lehrte sein Vater ihm schon recht früh, wie man mit den großen scharfen Messern umzugehen hatte, um die Fische fachgerecht auszunehmen und zu zerlegen.

„Sei vorsichtig, wenn du die Fische ausnimmst. Die Messer sind so scharf, dass du einem Schaf mit einem Schnitt den Kopf abtrennen könntest“, hatte sein Vater ihn immer wieder darauf hingewiesen, wie nützlich aber auch wie gefährlich der Umgang mit den scharfen Messern war.

Eines Tages hatte sein Vater ihm das Geheimnis der Lachse erklärt:

„Weißt du eigentlich, Victor, warum die Lachse immer wieder aus dem Wasser springen, wenn sie in unseren Gweebarra River schwimmen?“

„Nein, Vater, aber erklär es mir bitte!“, war Victor immer lernbegierig nach Anglerweisheiten.

„Also, dass die Lachse zum Laichen in die Süßwasserflüsse kommen, das weißt du ja bereits. Aber, warum sie dabei immer aus dem Wasser springen, das hat eine besondere Ursache.“

„Erzähl schon, Dad, spann mich nicht so sehr auf die Folter. Ich möchte es jetzt wissen.“

„Wenn die Lachse aus dem Atlantik in den Gweebarra schwimmen, sind ihre gesamten Körper über und über mit Meeresläusen versehen. Das ist ganz normal. Diese Parasiten findet man an vielen Fischarten. Um ihre ebenfalls befallenen Kiemen von diesen lästigen Plagegeistern zu säubern, springen die Lachse aus dem Wasser, damit der „Fahrtwind“ sie von den Läusen reinigt.“

„Und wie lange müssen die Lachse aus dem Wasser springen, bis die Läuse endlich verschwunden sind?“, wollte Victor von seinem Vater wissen.

„Maximal bis zu 24 Stunden können diese Meeresläuse im Süßwasser überleben. Und daran kannst du sehr gut erkennen, wie lange sich die Lachse schon im Süßwasser befinden, um zu laichen. Also einen kompletten Tag nach Verlassen des Meersalzwassers schimmern die Meeresläuse noch silbrig glänzend an den Körpern der Lachse. Sobald diese nach dieser Zeitspanne abgestorben sind, leuchtet die Lachshaut dann eher gold-bräunlich glänzend. Und das ist das Zeichen für alle Angler, diese Lachse nicht mehr zu fangen, da sie bereits reif fürs Laichen sind. Und es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass nur die frisch aus dem Meer herein geschwommenen, silberfarbenen Lachse gefangen werden dürfen. Und dieses Gesetz wirst auch du immer beachten, Victor.“

„Natürlich, Vater, niemals würde ich ein Gesetz missachten.“

„Das weiß ich, mein Sohn.“

„Verhalten sich eigentlich alle Lachse auf der Welt gleich?“, wollte Victor wissen.

„Grundsätzlich ja. Alle Lachse müssen zum Laichen aus dem Meer teilweise weit in die Süßwasserflüsse hinein schwimmen. Aber es gibt da beispielsweise einen gewaltigen Unterschied zwischen den amerikanischen und europäischen Lachsen. Die amerikanischen Lachse kommen nur einmal in ihrem Leben zum Laichen in die Flüsse. Danach sterben sie. Ihre europäischen Verwandten können mehrmals in ihrem Leben zum Laichen in die Süßwasserflüsse kommen. Das heißt, einige von den Lachsen, die du hier sehen kannst, kommen schon einige Jahre in den Gweebarra.“

„Das ist eine schöne Geschichte, Dad. Stimmt sie auch?“

„Natürlich stimmt sie. Und morgen bekommst du deine eigene Angel. Aber ab sofort wirst du die von dir gefangenen Fische auch selbst ausnehmen. Ist das ein Angebot?“

„Toll, Dad, danke.“

„ Aber nun komm, für heute ist es spät genug geworden.“

Die Straße, an der Victor mit seiner Familie ihr kleines Haus bewohnten bog im rechten Winkel etwa in der Ortsmitte hinter dem Pub nach links Richtung Lettermacaward (Leitir Mhic an Bhaird) ab, das von den Einwohnern wegen der Namenslänge nur kurz Leitir (phonetisch: Letscher) genannt wurde. An ihr lag auch die einzige Kirche von Doochary. Da man sich in Irland befand, verstand es sich fast von selbst, dass es sich um eine katholische Kirche handelte.

Jeden Sonntagmorgen vollzog sich im Hause Vaughan nach dem Frühstück das gleiche Ritual:

„Bist du fertig zum Kirchgang, mein lieber Junge?“ fragte Barbara dann ihren Sohn Victor.

„Warum soll ich schon wieder zur Kirche gehen?“, dachte Victor immer häufiger in solchen Situationen. Aber niemals würde er es aussprechen, niemals würde er seiner Mutter widersprechen. Also antwortete er aus seinem Zimmer:

„Nur noch eine Sekunde Mum, ich ziehe mir noch schnell meine Jacke über“.

Danach gingen beide gemeinsam zur einzigen Sonntagsmesse, die um zehn Uhr begann. In der Kirche nahmen sie immer an derselben Stelle ihre Plätze ein, dritte Reihe rechts unmittelbar am Mittelgang des Kirchenschiffes. Niemand im Ort wäre jemals auf die Idee gekommen, diese Plätze für sich in Anspruch zu nehmen. Sie waren zwar nie fest zugeteilt worden, es hatte sich aber einfach so entwickelt, dass jeder Kirchgänger im Laufe der Zeit seinen ihm angestammten Platz einnahm. Und kein anderer Kirchenbesucher wäre jemals auf die Idee gekommen, einem anderen dessen Sitzplatz streitig zu machen. Häufig wurden diese Stammplätze sogar innerhalb einer Familie über Generationen weiter vererbt, ohne dass sich daraus ein Streitpotential entwickelte. Schließlich gab es ja genügend Sitzplätze in der Kirche, deren Proportionen bei ihrer Erbauung wohl auf einen enormen Wachstumsboom in Doochary in der näheren Zukunft ausgerichtet worden war. Leider, aus gebäudeästhetischer Sicht, hatte die Kirche keinen Glockenturm. Dieser Missstand ließ den gelb gestrichenen massigen Baukörper noch etwas plumper wirken als er eh schon war.

Nicht einmal eine Grippeerkrankung mit 39 Grad Fieber hätte Barbara als Entschuldigung dafür gelten lassen, nicht mit Victor die Messe zu besuchen. Das war einfach eine heilige Pflicht, deren Versäumnis durch nichts aber auch gar nichts entschuldbar gewesen wäre. Und das galt ebenso für sie als auch für ihren Sohn. Schließlich hatte Jesus seinen Leidensweg vor über 2000 Jahren auch durch nichts abwenden können.

In den Nachbargemeinden wurde Doochary scherzhaft, aber auch spitzfindig und ironisch als Sleeping Village bezeichnet. Und daran war mehr als nur ein Stückchen Wirklichkeit, es traf haargenau den wahren Kern. Ganz gleich zu welcher Tageszeit man durch den Ort fuhr, man traf fast nie einen Menschen auf der Straße an.

Deserted Town. Geisterstadt. Verlassen von frustrierten Einheimischen, vergessen von der Kartoffelpest, vergessen von den Auswanderungsschiffen nach Amerika und dem Rest der Welt.

Fucking Forgotten Sleeping Village!

Nicht einmal die Hauptstrasse hieß Main Street, wie sonst in allen kleinen irischen Orten. Hier brauchte es keine Straßennamen.

Barbara Vaughan, Doochary, County Donegal reichte als Anschrift auf Briefen vollkommen aus, um den Adressaten zu erreichen. Dem zuständigen Postman hätte allein schon der Name des Empfängers ohne irgendwelche ergänzenden postalischen Zusatzangaben ausgereicht, um die Post korrekt zuzustellen.

Gelegentlich ergänzten die in aller Regel gälischen Flurbezeichnungen die Anschrift des Empfängers.

Schließlich war man hier inmitten der An Ghaeltacht Area, also ebenfalls ein Teil Irlands, in dem noch Gälisch gesprochen wurde.

Auf vielen Hinweisschildern waren hier die Ortsbezeichnungen ausschließlich in gälischer Sprache ausgewiesen, was fremden Besuchern die Orientierung nicht gerade leicht machte.

Wenn man zum Beispiel nach Dungloe wollte, hätte man diesen Ortsnamen auf den Verkehrsschildern vergeblich gesucht. Hier in der An Ghaeltacht Area fand man fast ausschließlich den gälischen Namen An Clochàn Lìath vor.

Im Gegensatz zu den meisten heute verwendeten Namen waren die gälischen Bezeichnungen wesentlich ausdrucksstärker und vielsagender, man könnte sogar sagen poetischer.

An Clochàn Liath zum Beispiel stand für At the grey rocks (An den grauen Felsen) und beschrieb doch zumindest rudimentär den so bezeichneten Ort auch für jemanden, der noch niemals dort gewesen war.

Allerdings hätten die Kelten für eine einigermaßen treffende Charakteristik des Ortes An Clochàn Lìath ein ganzes Buch füllen müssen, um auch nur annähernd die Schönheit, seine sie einschließende und umgebende traumhafte Meeresbucht, die in Richtung Maghery (An Màchaire) aufragenden Berge und Klippen, die steil ins Meer fallen und von oben den Augen des Betrachters atemberaubende Ausblicke (Breathtaking Views) boten, zu beschreiben.

Jeder Schriftsteller würde doch die Bezeichnung Daona Fàsta erfinden, wenn er die Fantasie dafür hätte, um das Wort Adult (Erwachsener) ersetzen zu können. Klang nicht Dhùn na nGall im Vergleich zu Donegal wie die Ouvertüre einer italienischen Oper?

In Victors Heimatdorf Doochary kannte man sich, und zwar jeder jeden. Kein Geheimnis hätte so geheim sein können, als dass es nicht in kürzester Zeit zu Allgemeinwissen mutiert wäre. Einsteins Relativitätstheorie basiert ja bekanntlich auf der Tatsache oder Annahme, dass sich nichts, aber auch gar nichts schneller ausbreitet als das Licht. Aber hier irrte der gute alte Albert Einstein. Eine Ausnahme bildeten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Neuigkeiten und Gerüchte in und um Doochary. Demzufolge müssten eigentlich alle physikalischen Gesetze neu definiert werden.

Die Formel E=mc2, die die scheinbar unendliche Energie der Sterne durch Spaltung der Atome bezeichnete, müsste ersetzt werden durch D=gn2, gleichbedeutend für:

D(Doochary) = G(Gerücht) * N(Neuigkeit)2

Aber das war Victor nie so sehr aufgefallen, zumindest hatte es ihn nicht weiter gestört. Schließlich hatte er keine Geheimnisse, insbesondere nicht gegenüber seiner Mutter. Genauer betrachtet konnte er gar keine Geheimnisse haben, oder besser ausgedrückt, seine Mutter gestand ihm keine Geheimnisse zu.

Und in diesem ach so behüteten Umfeld wuchs Victor Vaughan auf.

Aber Doochary bot durchaus auch Einrichtungen der Grundversorgung. Es gab neben der Grundschule zum Beispiel eine Arztpraxis. Nicht dass diese täglich geöffnet gewesen wäre, nein, das wäre auch gar nicht erforderlich gewesen. Probleme gab es nur damit, dass die Sprechstunden von Dr. Tanner, der die Praxis betrieb, nicht eindeutig geregelt waren. Geöffnet war, wenn es zeitlich betrachtet nach seinem Behandlungsplan möglich war. Das konnte theoretisch zu irgendwelchen Zeiten an irgendwelchen Wochentagen sein. Und damit seine potentiellen Patienten auch wussten, dass er anwesend war, hisste er die orange-weiß-grüne Nationalflagge der Republik Irlands an seinem Haus. Die Fahne konnte man von weitem erkennen und so ersparte es den Patienten unnötige Telefonkosten und Zeit. Daher konnte man dieses Beispiel als ein funktionierendes Kommunikationswesen irischer Prägung bezeichnen, ohne dazu elektrische Energie oder Übertragungskabel zu benötigen. Ein vielversprechendes Hinweisschild im Fenster seiner Praxis weckte jedoch einige Qualitäts-Erwartungen bei den Patienten: Health Center An Duchoraidh.

Victors Mutter liebte den Blick aus ihrem Wohnzimmerfenster auf die gegenüberliegende Uferseite des Gweebarra, die noch wesentlich wilder, rauer, bewaldeter und weniger bebaut war als die rechte Flussseite, an der sie mit ihrer Familie wohnte.

Barbaras Blick ruhte dann zunächst auf der glitzernden Wasserfläche des Flusses, um dann auf die dahinterliegenden hoch aufragenden Berge zu wandern. Diese Berge, deren untere seichtere Hügelketten nach dem Ankauf durch die staatliche Försterei wieder mit Kiefern, Tannen und Fichten bewachsen waren und somit mit ihrem satten Immergrün einen willkommenen Kontrast bildeten zu dem Blau des Wassers und den beigefarbenen, violetten und rostbraunen Farbtönen der Gras- und Heideflächen in direkter Ufernähe. Einige kleine Sandbänke, die der Fluss im Laufe der Zeit ausgewaschen hatte, gaben dem Gesamtbild ein fast mediterranes Aussehen. Nur die Wassertemperaturen luden nicht unbedingt zum Baden ein.

Kein Bild in den Museen dieser Welt ging so verschwenderisch mit den Farben um wie die Natur es an dieser Stelle tat. Allein die Menge der Grünfarbtöne war unzählbar. Manche behaupteten, dass es in Irlands Natur über eintausend Grünfarbtöne gäbe.

Auf dieser linken Uferseite führte ein schmaler Weg etwas oberhalb des Ufers entlang an einigen einsamen Häusern und Cottages vorbei. Dieser Weg verzweigte sich im weiteren Verlauf nach rechts in die Berge und danach weiter zum offenen Atlantik, und zur anderen Seite links über die R250 in Richtung Glenties.

Glenties war der nächste größere Ort in Richtung Ardara und wurde als wesentlich „englischer“ als die Orte der An Ghaeltacht Area bezeichnet. Die Aussprache der Einwohner von Glenties konnte man im Vergleich zu der englischen Aussprache der Menschen in und um Doochary fast schon als Oxford-Englisch bezeichnen. Zu sehr verwachsen und ineinander übergegangen waren im irischsprachigen Teil des Landes die gälischen und englischen Begriffe, Wörter und Wortphrasen. Erschwerend kam für Fremde hinzu, dass von den hier lebenden Menschen viele Silben einfach verschluckt oder unterdrückt wurden. Sie wurden für den Sinn des Ganzen nicht benötigt und waren somit überflüssig und demzufolge deren Artikulation Zeit verschwendend.

Vor allem liebte Barbara es, wenn die Sonne den Gweebarra in eine glitzernde Spiegelfläche verwandelte, so dass es beinahe weh an den Augen tat, ihn länger anzuschauen. In diesem überdimensionalen Spiegel sah sie dann die gesamte Böschung noch einmal in gleicher Stärke und Farbkraft wie eine spiegelverkehrte duale Welt.

Oft wurde der Regen, aufgewirbelt durch die Stürme des atlantischen Ozeans, nur als sprühende, nebelartige Gischt in die Gweebarra-Bucht hinein geblasen, so als würde eine komplette Kompanie an Autowäschern mit hunderten von überdimensionalen Hochdruckreinigern das Wasser in den sich in Richtung Doochary immer weiter verengenden Fjord hinein pressen. Dieses Wasserschauspiel glich dann eher einer undurchsichtigen Nebelwand aus Trilliarden einzelner verstäubter Miniwassertröpfchen als einem gewöhnlichen kontinentalen Regenschauer. Nicht selten wechselten sich diese Ereignisse in der nächsten Sekunde mit Auflockerungen und Sonnenschein ab. In solchen Situationen umspannte der kompletteste, strahlend schönste und farbenfrohste Regenbogen, den je ein Mensch gesehen hatte, den Gweebarra, so als hätte Picasso mit den schönsten Farben, die sich auf seiner Farbpalette befanden eines seiner monumentalen Bilder auf einer überdimensionalen transparenten Leinwand festgehalten.

Dieser Anblick versetzte Barbara regelmäßig in eine dermaßen sentimentale Stimmung, dass sie häufig an ihre ach so behütete Kindheit in diesem Haus zurück dachte und ihre Augen sich vor Rührung mit Tränen füllten.

Der eigentliche Fluss hatte in seinem komfortablen Bett im Grunde eine bescheidene Strombreite. Er schlängelte sich als ein anfänglich aus den Bergen der Derryveagh-Mountains im Glenveagh-Nationalpark kommender kleiner Rinnsal weiter durch Doochary, gleichsam einer riesengroßen Boa Constrictor, in endlosen Schleifen Richtung Meer, ihr Hals geschmückt mit einer überdimensionalen Perlenkette in Form der unzähligen filigranen Brückenbögen der unteren Gweebarra- Bridge, bis sich ihr Kopf mit der endlos aus dem Schlund herauslugenden, schmachtende Zunge kilometerweit in den unendlichen atlantischen Ozean hinaus streckte.

Nun gab es hier im Mündungsbereich des Gweebarra vom Atlantik bis einige Meilen stromaufwärts eine Besonderheit. Bei jeder Flut drückte der atlantische Ozean mit einer unglaublichen Macht und unfassbaren Geschwindigkeit seine Wassermassen in die Gweebarra-Bay, so dass das unspektakuläre Flussbett zu einem bis zu fünfhundert Meter breiten Fjord anwuchs. Majestätisch, wie ein großer Binnensee lag dann der Gweebarra da zwischen seinen beiden ihn umgebenden weitgestreckten Bergketten. Und so kam es, dass der Gweebarra auf seinen letzten Meilen, bis ihn die Ebbe mit ihrem unersättlich einnehmenden Wesen wieder in den Atlantik zurück beorderte, ein Gemisch aus Süßwasser, das der Fluss aus den Bergen und moorigen Heidelandschaften seiner ihn eingrenzenden Ufergebiete eingesammelt hatte, und salzigem Meerwasser mit sich führte. Diese Besonderheit wiederum trug zu einer einzigartigen Flora und Fauna bei.

Barbara kam es so vor, als wenn alle sechs Stunden der schier unendliche Atlantik seine nasse, nach Süßwasser lechzende Zunge mehrere Meilen in das Landesinnere ausstreckte und bei wieder einsetzender Ebbe mit seinem gierigen Schlund das süßliche, wohlschmeckende bräunlich gefärbte Torfwasser des Gweebarra-River in seinen nimmersatten Salzwasserwanst aufsaugte.

Von ihrer Terrasse konnte Barbara dann auch den schmalen Weg sehen, der sich auf der gegenüberliegenden Flussseite etwas oberhalb des Flussbettes quasi im Gleichlauf mit dem Gweebarra Richtung Meer schlängelte.

Auf den sieben Meilen dieses linken Uferweges verloren sich nicht mehr als 2 bis 3 alte Cottages. Einige seit Jahrzehnten zerfallene Häuser und Ställe verstärkten den Eindruck von Einsamkeit und Verlassenheit dieses Landstriches.

Neben den wenigen Humaneinwohnern Doochary´s gab es auch viele animalische Bewohner. Und zwar Milliarden von Einwohnern. Klein aber lästig, und bissig. Denn traurige Berühmtheit erreichte Doochary durch die sogenannten Midges.

Hierbei handelte es sich um eine kleine Mückenart, die vorwiegend in den feuchten Heide- und Sumpfgebieten Irlands, Schottlands und auch Skandinaviens vorkam. Sie waren keinesfalls zu vergleichen mit den kontinental-europäischen Mückenarten. Diese waren dagegen vollkommen harmlos. Diese Midges hackten sich in alles, was ihnen zwischen ihre Beißer kam. Vor allem bei feucht-warmem und windstillem Wetter waren sie in den Sommermonaten eine echte Plage. Dann schwirrten sie zu Millionen und Milliarden durch die Luft, immer auf der Suche nach Nahrung. Und ihre Nahrung war Blut, vorzugsweise Menschenblut. Aber auch dünn behaarte Tiere waren vor ihnen nicht sicher. Wenn für diese Mücken ideale Wetterbedingungen herrschten, war draußen für Menschen kein Leben möglich, schon gar nicht ungeschützt. Aber es gab nicht wirklich einen funktionierenden Schutz gegen diese Insekten. Keine Creme dieser Welt hielt sie von einem blutsaugerischen Biss ab, ganz gleich welcher Körperteil ihnen schutzlos ausgesetzt wurde. Lediglich eine kleinmaschige Gesichtsmaske bot einen gewissen partiellen Schutz.

Der Volksmund bezeichnete diese Plagegeister auch scherzhaft als Irish Airforce.

Doch Doochary hatte durchaus auch kulturell etwas zu bieten. Dieses spielte sich vorwiegend im einzigen Pub des Ortes Teach Gleann Ceo, was in der gälischen Sprache so viel wie House in the foggy Valley (Haus im nebligen Tal) bedeutet, ab.

Hier war der kommunikative Lebensmittelpunkt von Doochary. Vor allem sonntags abends war das Pub randvoll mit Gästen, die den Abschluss des Wochenendes mit Livemusik und einem guten Gespräch genossen. Einige verharrten schon seit dem Frühstück dort, wie man dann unschwer an ihrem Zustand ablesen konnte.

Barbara und Victor sah man hingegen niemals in diesem Pub. Barbara hasste es, wenn Männer ihre Contenance verloren, je mehr Guinness und Malt-Whiskey sie in sich hinein schütteten. Dann wurde bei vielen Zechern nicht nur die Zunge lockerer, sondern auch die allgemeine Zurückhaltung ad acta gelegt. Das ekelte Barbara an und brachte sie einfach nur in Rage.

Der absolute kulturelle Höhepunkt eines jeden Jahres war jedoch das Doochary-Festival, das jeden Sommer stattfand. Dieses Ereignis sorgte sogar dafür, dass der Ort in der regionalen Zeitung erwähnt wurde, was darüber hinaus nur äußerst selten der Fall war. Immer in der Festivalwoche erwachte Doochary aus seinem ein Jahr andauernden Dornröschenschlaf und erstrahlte in vollem Glanz. Eine Woche lang jagte ein Event das nächste: Traktorrennen, Autoshows, Kinder-Malwettbewerbe, Tanz-Wettbewerbe, Radrennen, Karaoke- und Musikveranstaltungen reihten sich wie eine Perlenkette aus Höhepunkten aneinander. Eine Verschwendung von Topereignissen, die ein ganzes Jahr auf ihre Erweckung gewartet hatten. Jung und Alt waren dann auf den Beinen. Keine Veranstaltung wurde ausgelassen. Jedem Event wurde ausgehungert entgegen geschmachtet. Das Geld, das ein Jahr keinen Verwendungszweck gefunden hatte, wurde in dieser Woche mit vollen Händen unter die Leute verteilt. Vor allem das Guinness floss in Strömen bei den abendlichen Musikaufführungen im Pub.

Der jährliche Höhepunkt des Festivals war die Wahl der Miss Doochary. Selbst junge Mädchen aus den Nachbarorten bewarben sich um diese Schönheitskrone.

Die Bewerberinnen holten dann die schönsten Kleider aus den verstaubten Schränken und stellten sich dem despotischen Urteil der Jury.

Die Gewinnerin war alsdann für ein Jahr die offizielle Vertreterin Doochary´s bei Veranstaltungen in der näheren Umgebung.

Das Festival hatte zwar nicht die Bedeutung wie das in ganz Irland bekannte Großereignis der Nachbargemeinde Mary from Dungloe. Doch die Schönheit ihrer Miss Doocharys stand denen der Marys from Dungloe in nichts nach.

Behütet in der Geborgenheit der Dorfgemeinschaft, die sich erfolgreich der Aufgabe zur Erhaltung der alten Traditionen verschrieben hatte und der landschaftlichen Idylle der Gweebarra- Bay fühlte sich die Familie Vaughan unter den gegeben Umständen vorderhand auch sehr wohl und bestens aufgehoben.

Doch manchmal konnte eine derartige Idylle auch trügerisch sein.

Die Rache der Wölfe

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