Читать книгу Die Rache der Wölfe - Gerd Albers - Страница 8
ОглавлениеKapitel II.3 Studium
Nun hieß es für Conor McGinley, die vertraute und Sicherheit gebende Welt der Familie und der Connemara zu verlassen und sich in das Abenteuer der Großstadt Dublin und in das Studium zu stürzen. Für den Anfang mietete er eine Wohnung im Trinity College selbst. Es war weniger eine Wohnung als mehr ein kleines möbliertes Zimmer mit einer bescheidenen Nasszelle. Die Möblierung bestand auch nur aus einem einfachen Tisch, den er gleichzeitig als Schreibtisch verwenden konnte, einem Stuhl, einem Klappbett, das er tagsüber als Sofa nutzte und einer spartanischen Kochgelegenheit.
In den Semesterferien mussten die meisten Studenten ihre Zimmer räumen. Damit die Räume nicht solange leer und einnahmelos dastanden, wurden sie in dieser Zeit häufig vermietet als B&B-Zimmer. Vor allem wenn in Dublin große Events stattfanden, fanden die Verwalter des Trinity College` reichlich Interessenten für die Zimmer. So spielte in einem Jahr beispielsweise die irische Superband U2 für drei Abende in Dublin. Damals hätte das College die zehnfache Anzahl an Zimmern vermieten können.
Doch das störte Conor nicht im Geringsten. Bei ihm überwog die euphorische Aufbruchstimmung in ein neues Lebenskapitel. Da machten ihm die Einschnitte in die bisher gewohnte Lebensqualität überhaupt nichts aus. Ganz im Gegenteil, er genoss die Tage und vor allem Nächte seiner erstmals gefühlten Freiheit in vollen Zügen. Schließlich hatte die Connemara einem jungen Mann und seinen Bedürfnissen nicht viel zu bieten gehabt. Und hier in Dublin pulsierte das Leben in einem Überschwang, wie Conor es sich nicht in den kühnsten Träumen vorgestellt hatte. Doch er war bodenständig genug erzogen worden, nicht den Gefahren der plötzlich gewonnen Freiheit zu erliegen. Bei allem was er tat, stand doch stets das Wichtigste im Vordergrund, das Studium. Und darauf verwendete er seine ganze Kraft. Er behielt immer im Hinterkopf, wie groß die Entbehrungen seiner Familie waren, ihm diesen Schritt erlaubt zu haben. Nicht einmal in seinen kühnsten Träumen hatte er mit dieser Möglichkeit gerechnet. Und eines hatte er sich geschworen: Er würde seine Familie nicht enttäuschen.
Während seines Studiums musizierte Conor mit zwei oder drei Studienkollegen in den unterschiedlichsten Pubs von Dublin. Dabei kristallisierten sich drei bis vier Pubs heraus, in denen sie regelmäßig auftreten konnten. Meistens waren sie in einem etwas größeren Pub namens Rosie òGrady. Hier war täglich reger Publikumsverkehr, der bereits nach Dienstschluss der meisten Behörden und Banken einsetzte und bis in den späten Abendstunden auch kaum nachließ. Auf diese Weise konnte Conor einen planbaren Nebenverdienst erwirtschaften, der nicht unwesentlich zur Finanzierung seines Studiums beitrug. Natürlich konnte er nicht vollends auf die Unterstützung durch seine Familie verzichten. Ein Großteil der Ersparnisse seines Vaters musste geopfert werden, damit sein Studium finanziert werden konnte. Aber durch seine Nebenjobs hielt sich Angus` Anteil noch in erträglichen Grenzen. Auch hatte Conor sich fest vorgenommen, seiner Familie irgendwann ihre gesamten Aufwendungen zurück zu zahlen.
Vor allem die horrenden Mietkosten trugen dazu bei, dass Conor jeden Cent dreimal umdrehen musste. Das lehrte ihn früh, mit dem zur Verfügung stehenden Budget vorsichtig und vor allem vorausschauend hauszuhalten. Diese Erfahrungen prägten ihn für den Rest seines Lebens.
Das Studium selbst fiel ihm leicht, da es genau sein Interessengebiet traf. Er genoss jeden Tag im Hörsaal und sog die Vorträge seiner Professoren geradezu in sich hinein wie ein Junky seine Joints. Das tagsüber gelernte Wissen vervollständigte er noch durch ein Selbststudium in der universitätseigenen Bibliothek, die einen weit über Irland hinausgehenden guten Ruf für ihre Vielfalt und Qualität hatte. Star der Bibliothek war sicherlich das Book Of Kells, das Buch der Bücher in Irland, von Mönchen vor Jahrhunderten handgeschrieben und mit reichen Verzierungen versehen. Dieses Buch wurde gehütet wie ein Augapfel und unter einer Glasglocke vor Berührungen durch Besucher geschützt. Jeden Tag wurde eine Seite des Buches umgeschlagen und so nach und nach den Betrachtern die ganze Schönheit des Buches und handwerkliche Kunst der frühen Mönche demonstriert.
Als Conor wieder einmal an einem Abend im Pub musizierte, sprach ihn ein Gast an:
„Hallo, wollte dir nur sagen, dass du toll spielst. Ich bin zwar nur ein Farmer aus Rush, einige Meilen nördlich von Dublin und hatte heute hier zu tun. Zufällig kam ich dann in diesen Pub und nun genieße ich deine herrliche Musik.“
„Schön, dass sie dir gefällt“, erwiderte Conor. „Wir finanzieren damit teilweise unser Studium.“
„Darf ich fragen, was du studierst?“
„Biologie und Zoologie. Farmer bist du, sagtest du gerade? Mein Vater ist ebenfalls Farmer in der Connemara. Er betreibt eine Schafzucht dort. Ich vermisse das alles. Die Einsamkeit, die Arbeit mit den Tieren, besonders mit den Hunden.“
„Ich habe eine kleine Hundezucht. Aber nur so nebenbei. Ich züchte Hütehunde und verkaufe sie nach der Ausbildung. Deshalb bin ich auch gerade in Dublin unterwegs.“
„Das glaube ich jetzt nicht. Soviel Zufall gibt es doch gar nicht. Ich habe auch Hütehunde ausgebildet, Bordercollies. Mein Vater hatte vor Jahren einen Rüden und zwei Weibchen in Schottland gekauft. Unsere Tiere sind in der ganzen Connemara bekannt und gesuchte Arbeitstiere. Ich habe mit den Collies schon mehrere Preise bei Wettkämpfen gewonnen. Die Arbeit mit den Hunden hat mir immer am meisten Spaß gemacht auf der Farm.“
„Dann besuch` mich doch mal auf meiner Farm. Wenn du Lust hast, kannst du auch gern mithelfen bei der Ausbildung der Hunde. Ich könnte im Moment gute Hilfe gebrauchen, vor allem qualifizierte. Und wenn du wirklich so gut bist, wie du behauptest, fällt bestimmt noch etwas ab zur Mitfinanzierung des Studiums. Was hältst du von einer Zusammenarbeit auf der Basis einer Gewinnbeteiligung?“
„Das hört sich fair an, damit könnte ich mich anfreunden. Die Musik in den Pubs beginnt eh erst gegen zehn Uhr abends. Da hätte ich durchaus an einigen Nachmittagen noch freie Zeit. Und die Arbeit mit den Hunden vermisse ich schon sehr. Und du wohnst in Rush, sagtest du?“
„Genauer gesagt an der Küstenstraße zwischen Rush und Skerries. Auf halbem Weg biegt dort von der R128 nach links eine Hofeinfahrt ab, auf der zwei Steinhunde auf den Einfahrtssäulen stehen. Übrigens ich heiße Alan òReilly.“
„Angenehm, Alan, mein Name ist Conor, Conor McGinley aus Roundstone in der Connemara.“
„Wie wär` s mit einem Guinness, Conor?“
„Gern, ich habe sowieso gerade eine Pause.“
Alan bestellte zwei Pint of Guinness und zwei Gläser Malt -Whiskey mit Wasser an der Bar.
Während sie auf die Getränke warteten, sagte Conor:
„Übrigens, Alan, wusstest du, dass es eine kanadische Musikband gibt mit dem Namen Rush?“
„Nein, nie gehört. Was spielen die denn so?“
„Das ist eine Rockband, nur drei Leute, aber absolut genial. Die gibt es schon seit den 70-ger Jahren, glaube ich. Wenn ich abends in den Pubs musiziere, spiele ich natürlich traditionelle irische Musik. Damit kommt auch am meisten Stimmung beim Publikum auf. Wenn ich aber nach den Vorlesungen im College zu Hause zunächst abschalten will, leg` ich gern auch mal etwas Härteres auf. Und Rush ist dann immer eine gute Wahl, denn das ist eine meiner absoluten Lieblingsbands. Wie drei Leute so einen Sound kreieren können, ist mir rätselhaft. Es gibt eine Live-CD mit dem Titel: Show Of Hands. Und da ist der Name Programm. Neil Peart ist einer der genialsten Schlagzeuger der Szene, Geddy Lee wird von seinen Bassgitarristen-Kollegen regelmäßig zum Bassisten des Jahres gewählt und Alex Lifeson ist der kongeniale Gitarrist dazu. Man müsste den Dreien mal stecken, dass es einen irischen Ort Namens Rush gibt. Vielleicht kommen die ja mal nach Irland und geben ein Konzert wegen der Namensgleichheit. Übrigens, wenn du dir die mal anhören willst, meine Lieblings-CD ist Hold Your Fire, die könnte ich dir ja mal ausleihen. Da sind nur gute Songs drauf, aber besonders gut gefallen mir Open Secrets und Mission. Sorry, ich glaub` ich langweile dich jetzt. Aber wenn ich über Musik rede, dann gibt es kein Halten mehr.“
„Ne, ne das ist schon OK. Ich liebe ebenfalls Musik, wie wohl jeder Ire. Nur habe ich im Moment wenig Zeit dazu. Das Angebot, mir die CD mal auszuleihen, nehme ich gern an. Wer weiß, vielleicht erwischt mich ja auch noch der Rush-Bazillus.“
Inzwischen hatten sie die Whiskeys ausgetrunken. Der Barkeeper stellte ihnen die frisch gezapften Pints Guinness auf den Tresen.
„Übrigens Conor, wusstest du, dass man früher ein Guinness, bei dem eine englische Pence-Münze nicht auf dem Schaum liegenblieb und unterging, nicht bezahlen musste? Das bedeutete nämlich, dass das Bier nicht in Ruhe gezapft war und die nötige Reife besaß. Für mich gibt es nichts Besseres gegen den Durst als ein Pint Guinness.“
„Da hast du wohl Recht. Es heißt ja auch in der Werbung: Guinness is good for you. Und da steckt viel Wahrheit dahinter. So, ich glaube, ich werde mal wieder ein wenig Musik machen. Mein Kollege wartet schon auf mich. War nett, dich kennengelernt zu haben, Alan.“
„Wann hättest du Zeit, zur Farm zu kommen?“
„Ich denke, übermorgen gegen drei Uhr nachmittags, wenn es dir auskommt.“
„Das passt gut, da bin ich auf dem Hof. Du kannst die Farm nicht verfehlen. Achte nur auf die Einfahrt mit den Hunden auf den Säulen.“
„Alles klar. Wir sehen uns.“
Während Conor den nächsten Reel spielte, spürte er, wie sehr er das Gespräch genossen hatte. Offensichtlich fehlte ihm die vertraute Umgebung und vor allem die Arbeit mit den Hunden doch mehr, als er sich immer eingestehen wollte. Deshalb war er froh über das Angebot, bei der Ausbildung der Hütehunde helfen zu können. Zu sehr hatte er das schon vermisst. Und eine weitere finanzielle Spritze konnte er gut gebrauchen. Das Leben in Dublin war teuer.
Am übernächsten Tag fuhr Conor zur Farm von Alan òReilly. Er genoss die Fahrt an der irischen See entlang durch den mondänen Badeort Malahide und Portrare weiter nach Rush.
Schon am Eingang begrüßten ihn einige der Hunde und gleich freundete Conor sich mit ihnen an. Es bedurfte nicht viel Worte oder Streicheleinheiten, er verstand sich auf Anhieb mit den Hunden.
Auch Alan war gleich davon beeindruckt, wie die Hunde auf Conor reagierten.
Von da an war Conor jede freie Minute, die er neben dem Studium entbehren konnte, auf der Farm und arbeitete mit den Hunden. Den zweiten Wurf Welpen bildete er bereits komplett allein aus. Er hatte Alan voll von seinen Qualitäten überzeugt und dieser vertraute Conor. Die Hunde erreichten nahezu die Qualität wie diejenigen, die er auf der häuslichen Farm in der Connemara ausgebildet hatte. Alan bevorzugte jedoch die Kurzhaar-Collies für seine Zucht. In der Connemara hatte Conor ausschließlich mit den größeren langhaarigen Bordercollies gearbeitet.
Schnell sprach sich bei den Schaffarmern rund um Rush und Skerries herum, dass Alan für die Ausbildung seiner Hütehunde einen kompetenten Partner hatte. So stellte sich auch der finanzielle Erfolg ein, so dass sowohl Alan als auch Conor sehr zufrieden waren mit dem Ergebnis.
Was für Conor aber noch wichtiger war als das Geld - klar, das konnte er auch gut gebrauchen – war, dass er endlich wieder mit Hunden arbeiten konnte. Wie sehr er das vermisst hatte, wurde ihm umso bewusster, je mehr Zeit er auf Alans Hof verbrachte.
Die Arbeit mit den Hunden gab ihm eine große innere Zufriedenheit und spornte ihn beim täglichen Studium zusätzlich an.
So vergingen die Semester für Conor wie im Flug. Er genoss es, sich mit seinen Professoren und Kommilitonen über die unterschiedlichsten Themen zu unterhalten und zu diskutieren. Vor allem begeisterten ihn immer wieder die Darstellungen der unterschiedlichen Denkweisen der einzelnen Diskussionsteilnehmer und deren Verteidigung durch entsprechende Argumentationen. Er sog begierig die Erkenntnisse und Erfahrungen in sich auf, die sich in solchen Gesprächen für ihn ergaben.
Oft spielten sich derartige Diskussionen während oder nach dem Mittagessen in der Mensa ab.
Wie beiläufig sprachen sie eines Tages über das Thema Einfluss der traditionellen Musik auf die aktuelle Rock- und Popmusik. Normalerweise hockte Conor fast ständig mit den vier gleichen Studienkollegen an einem Tisch. An diesen Tag hatte sich eine Bekannte seines Studienkollegen Eddie Parslow mit zu ihnen an den Mittagstisch gesellt. Sie war offensichtlich ebenfalls sehr musikinteressiert und beteiligte sich lebhaft an der aufkommenden Diskussion. Ihr Name war Eva Nealan, wie Conor im Laufe der Diskussion erfuhr. Allerdings bevorzugte Eva Nealan die gälische Schreibweise ihres Vornamens nämlich Aoife, zumal sie in einer Familie aufgewachsen war, in der noch immer gälisch gesprochen wurde. Aoife vertrat vehement den Standpunkt, dass sich alle Musikstilarten, auch und vor allem die Rock- und Popmusik Anleihen aus der traditionellen Musik zögen. Sie verteidigte ihre Auffassung mit gekonnten Argumenten und vielen nachvollziehbaren Beispielen gegen alle Versuche der männlichen Studienkollegen mit einem Eifer und einer Begeisterung, die Conor mehr und mehr imponierten. Schließlich war er der gleichen Auffassung wie Aoife Nealan. Und so unterstützte er sie eifrig in ihren Argumentationen:
„Kennt noch jemand von euch die holländische Band Ekseption? Die spielt die klassischen Stücke fast unverfälscht, nur im Rockgewand verpackt. Oder aber die großen Emerson, Lake and Palmer, die klassische Musik spielen wie Bilder einer Ausstellung von Mussorgsky in ihrem ureigenen Rockstil, daneben aber auch eigene Songs, die eindeutig klassisch geprägt sind. Fast alle großen Rockbands verarbeiten Elemente der klassischen Musik in ihren Kompositionen. Beste Beispiele sind da Pink Floyd, Deep Purple, Asia, Yes, Genesis und Dream Theater oder auch alle Rockbands, deren Stilrichtung man heute als Progressiv Rock bezeichnet wie Marillion, Arena, Gazpacho, Pallas, Pendragon und wie sie alle heißen. Sogar reine Gitarrenbands bedienen sich klassischer Elemente. Hört euch nur mal Mark Knopfler an oder Eric Clapton oder sogar die Heavy Abteilung mit Joe Satriani oder Stevie Vai. Keiner verzichtet auf Einflüsse der klassischen Musik.“
„Hallo, da spricht unser großer Musikexperte“, warf Eddie Parslow in die Runde. „Aber wenn ich mir deine Beispiele vor Augen oder besser gesagt vor Ohren führe, hast du wahrscheinlich schon Recht. Mir war das als ausschließlicher Musik-Konsument gar nicht so aufgefallen. Für mich zählt eigentlich auch nur: Gefällt mir oder gefällt mir nicht. Ganz gleich ob da Anleihen aus der Klassik verarbeitet worden sind.“
„Ja, entscheidend ist immer der Geschmack des Hörers, aber ihr kennt doch die aktuelle Diskussion über dieses ACTA-Abkommen, wo es um die gegensätzlichen Standpunkte der sogenannten Produktpiraterie und illegale Verbreitung von fremdem geistigem Eigentum geht, besonders Musikstücke versus der Freiheit im Internet. Die Verfasser von Büchern oder die Musikkomponisten beharren aus nachvollziehbaren Gründen auf ihre Rechte an ihrem geistigen Eigentum, das ist schließlich ihre Einnahmequelle. Die Gegner des Abkommens befürchten auch nachvollziehbar die Reglementierung des Internets. Meines Erachtens spielt das sogar in dieses Thema mit hinein. Eigentlich werden die Rechte der Musikideen der alten Komponisten wie Mozart, Beethoven oder Wagner und so weiter immer noch tangiert, wenn sie in heutigen Kompositionen teilweise mit verarbeitet werden. Aber meines Wissens verlieren die Komponisten nach 30 Jahren ihre Ansprüche und ihre Musik kann frei von Rechten von jedem aufgeführt und verwertet werden. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht“, konterte Aoife.
„Aber jede Zeit hat ja auch ihren musikalischen Mainstream. Das heißt, wenn eine Band mit einem Stück besonders erfolgreich in den Charts ist, versuchen weitere Bands, sich diesem Musikstil anzupassen und ihrerseits einen ähnlich klingenden Hit zu landen. Denkt mal an die Zeit der Beatles. Sie landeten mit Ihrer Ballade Yesterday von Paul McCartney einen ganz großen Hit, gleich danach konterten die Rolling Stones mit As Tears Go By. Und ähnliche Beispiele gibt es bis heute zur Genüge“, warf Conor ein.
„Genau“, erwiderte Eddie. „Geklaut oder nicht, ist mir egal, Hauptsache geile Mucke. Irgendwie war ja wahrscheinlich alles schon einmal da. Und die Plagiatsvorwürfe treffen ja sogar die bekanntesten Größen der schreibenden und musizierenden Zunft. Auch Michael Jackson war davon nicht ausgenommen.“
So ging die Diskussion weiter und Conor merkte gar nicht, dass er irgendwann nur noch allein mit Aoife am Tisch saß. Und während sie sich weiterhin über das Thema Musik im Allgemeinen unterhielten, spürte er, dass er das Gespräch am liebsten nie mehr beendet hätte. Er fühlte sich wohl in ihrer Nähe. Aoife hatte eine sympathische Stimme. Selbst in der hitzigsten Diskussion war sie ruhig und sachlich geblieben. Schon das hatte ihn schwer beeindruckt. Sie verstand es, ihren Aussagen durch ihre Sachlichkeit und Bestimmtheit den entsprechenden Nachdruck zu verleihen. Eine lauter werdende Stimme oder gar Schreien als Ausdruck von Rechthaberei hatte sie während der gesamten Diskussion nicht nötig gehabt. Sie versuchte allein durch ihre Sachkompetenz zu überzeugen. Das hatte Conor imponiert, ja begeistert. Es stellte sich heraus, dass auch Aoife musizierte. Sie spielte die Fiddle und war bis zu ihrem Studium Mitglied in einem kleinen Orchester in Cork an der Südküste Irlands gewesen. Geboren war sie in Ballycotton, einem kleinen Fischerdorf in der Nähe Corks an der Südwestküste Irlands.
Und nun saß er da, mit ihr allein und betrachtete sie erstmals aus anderen Augenwinkeln. Das erste Mal achtete er auf Äußerlichkeiten, die ihm während der Diskussion nicht aufgefallen oder besser gesagt verborgen geblieben waren. Aoife hatte ein eher langes, schmales Gesicht und lange, gelockte dunkle Haare. Sie war schlank und für eine Frau großgewachsen, so an die 1,75 Meter schätzte er. Bei ihr machte sich eher der spanische Einfluss, den ja manche Iren in ihrem Ahnenblut hatten, bemerkbar. Sie war dunkel gekleidet, die Farbtöne dunkelblau und schwarz waren bei ihren Kleidungsstücken so dominant, dass andere Farbassecoires nicht weiter auffielen. Irgendwann bemerkte Conor, dass er weniger ihren Worten lauschte als dass er sie mehr und mehr einfach nur ansah. Und sofort hatte er das Gefühl, dass irgendetwas anders war, als wenn er sich bisher mit anderen Frauen unterhalten hatte. Irgendein Gefühl in ihm war intensiver, eher im Bauch als im Kopf angesiedelt. Und der Wunsch, diese Frau wiedersehen zu wollen, war stärker als er es jemals vermutet hätte.
„Übrigens spiele ich heute Abend im Rosie òGradys Pub. Hättest du nicht Lust zu kommen?“, fragte er Aoife spontan, ohne darauf zu achten, dass es vielleicht total aus dem Zusammenhang gerissen und der Zeitpunkt vielleicht vollkommen ungünstig war.
„Könnte ich meine Geige mitbringen? Ich habe solange nicht mehr gemeinsam mit anderen musiziert. Das habe ich schon sehr vermisst. Vielleicht ergibt sich ja heute Abend die Gelegenheit dazu.“
„Das wäre großartig. Wir spielen eine Menge bekannter irischer Musikstücke, die du bestimmt auch kennst. Und eine Fiddle könnten wir gut gebrauchen“, war Conor gleich begeistert,
„Soll ich dich vielleicht von zuhause abholen?“
„Nein, nein, ich weiß, wo Rosie òGrady ist. Wie spät soll es denn losgehen?“, wollte Aoife wissen.
„Wir starten gegen zehn Uhr. Aber die richtige Stimmung kommt erst später, so gegen Mitternacht auf. Du kannst dazukommen, wann immer du willst. Ich werde die anderen Musiker informieren.“
„Also, zunächst wollte ich noch einige Dinge aus der Uni nacharbeiten. Ich wäre vielleicht so gegen elf Uhr im Pub.“
„Das klingt gut. Ich freue mich auf dich“, konnte Conor eine gewisse Euphorie und eine leichte Röte in seinem Gesicht nicht verbergen.
In den darauffolgenden Tagen verbrachten sie immer mehr Zeit miteinander. Häufig trafen sie sich zu zweit und musizierten gemeinsam. Immer häufiger aber ging Aoife mit zu Conors Auftritten in den verschiedenen Pubs. Und da Aoife neben einem brillanten Geigenspiel auch eine ausgezeichnete Gesangsstimme hatte, bereicherte ihre Teilnahme auch enorm das Repertoire der Band.
Gelegentlich sang sie eines der alten gälischen Lieder a capella. Das gesamte Publikum war in solchen Augenblicken mucksmäuschenstill und Conor genoss diese Momente der Sentimentalität und Mystik besonders. Für ihn waren das immer die Höhepunkte des Abends.
Immer mehr Zeit verbrachten sie nun miteinander. Sah Conor Aoife mal einen Tag gar nicht, vermisste er sie und ihre gemeinsamen Gespräche schon. Ohne es zu merken, entstand so eine enge Verbindung, die sich langsam zu einer echten Beziehung entwickelte. Auch Aoife fühlte sich mehr und mehr zu Conor hingezogen. Ihre vorherigen Kontakte brachen so nach und nach in sich zusammen, um die knappe Zeit, die ihr neben dem Studium blieb, ganz für das Zusammensein mit Conor zur Verfügung zu haben.
Eines Samstagabends, nachdem sie wieder gemeinsam im Pub musiziert hatten, fragte Conor:
„Aoife, hättest du Lust, morgen mit mir ein Picknick zu machen? Wir könnten in die Wicklow Mountains fahren und gemeinsam ein paar Meilen wandern. Dort gibt es zwei wunderschöne Seen, an denen wir rasten könnten.“
„Das hört sich fantastisch an. Ich bereite alles vor und wir könnten gegen zehn Uhr losfahren.“
„Ich habe einen besseren Vorschlag: Du könntest heute bei mir übernachten und morgen früh bereiten wir das Picknick gemeinsam vor. So verlieren wir keine Zeit und jeder kann das vorbereiten, worauf er besonderen Appetit hat. Eine Flasche Bordeaux-Wein habe ich übrigens auch noch im Schrank.“
Es war das erste Mal, dass Conor Aoife gebeten hatte, bei ihm zu übernachten. Bisher hatte sich nie eine Gelegenheit ergeben und beide wollten ihre Beziehung nicht aufs Spiel setzen durch eine voreilige Entscheidung.
Nun aber kam Aoife der Vorschlag von Conor überhaupt nicht zweideutig vor. Inzwischen kannten sie sich so gut, dass sie ihm vollkommen vertraute. Außerdem wollte sie es auch. Sie wollte ihn genauso wie er sie wollte. Sie hatten so lange gewartet. Beide hatten das Gefühl, dass die Zeit reif war für den nächsten Schritt.
Als sie nach dem Auftritt in Conors Studentenwohnung fuhren, überkam beide ein Gefühl der Nervosität. Oder war es eher ein Gefühl der unbekannten Erwartung? Beide waren ungewohnt angespannt, als sie in seine Bude traten.
„Wie wär` s noch mit einem Glas Wein zum Abschluss?“, fragte er.
„Gern“, antwortete Aoife und war froh, dass erst einmal ein Stück Normalität in ihre Unterhaltung einzog.
Conor öffnete eine Flasche französischen Rotwein und schenkte ihn in zwei Wassergläser ein.
„Sorry, Aoife, mit Rotweingläsern kann ich leider noch nicht dienen. Ich hoffe, du verzeihst mir diesen Stilbruch.“
„Ist doch romantisch, wenn nicht alles perfekt ist. Entscheidender ist doch, wo und mit wem ich den Wein trinke, findest du nicht?“, entgegnete sie, ohne groß darüber nachzudenken. Die Worte kamen eher automatisch aus ihrem Mund. Allmählich kam es ihr wie selbstverständlich vor, sich mit Conor in seiner Studentenbude aufzuhalten.
„Das finde ich gut, dass du auch so denkst. Was gibt es Wünschenswerteres als mit dir guten Wein aus Wassergläsern auf einem kleinen Bettsofa in einer noch kleineren Studentenbude zu trinken?“
„Im Augenblick kann ich mir keinen schöneren Ort auf der Welt vorstellen, an dem ich sein möchte“, erwiderte Aoife. Conor nahm Aoife fest in den Arm und wollte sie fast erdrücken. Das erste Mal im Leben liebte er in dieser Nacht eine Frau.
Am nächsten Morgen wachten sie gemeinsam auf. Er hielt sie immer noch in seinen Armen fest als wollte er ihr damit demonstrieren, sie nie wieder loslassen zu wollen.
Glücklich und ohne das Gefühl irgendetwas bereuen zu müssen, standen sie auf. Draußen regnete es in Strömen. Es war ein so typischer irischer Regenguss, der in ein paar Minuten alle Straßengräben und Abflüsse überquellen ließ. Die Straßen von Dublin waren in kurzer Zeit überflutet und zeitweise sah es aus, als wenn kein Meer der Welt diese Fluten noch hätte aufnehmen können. Doch plötzlich, so wie der Regen eingesetzt hatte, klarte der Himmel auch wieder auf und zeigte sich in dem intensivsten Azurblau, das Conor jemals gesehen hatte. Zumindest kam es ihm an diesen speziellen Morgen so vor.
„Haisy sunshine“ sagte er zu Aoife.
„Was bedeutet das?“, wollte Aoife wissen.
„So nennen die Leute in der Connemara das Wetter, wenn es wie aus Eimern gießt und die Sonne mal nicht zu sehen ist.“
Berauscht von der gemeinsamen Nacht mit Aoife machte sich Conor daran, das Frühstück vorzubereiten. Sie duschte derweil und ertappte sich plötzlich dabei, lauter als sonst vor sich hin zu summen und zu singen. Mit einem Lächeln auf dem Gesicht stieg sie aus der Dusche und trocknete sich ab.
Conor war noch schnell zum Supermarkt in der nahegelegenen Tankstelle gefahren und hatte Eier, Frühstücksspeck, Bohnen in Tomatensauce, Pilze, Tomaten, ein wenig Obst wie Äpfel und Bananen und eine Flasche roten Sekt besorgt.
Nach dem Frühstück bereiteten beide das Picknick vor, das vor allem aus einem deftigen irischen Frühstück bestand. Sie machten Rühreier, brieten den Speck und ein paar Würstchen, wärmten die Bohnen auf, schnitten die Tomaten in große Stücke und brieten sie mit Pilzen und Zwiebeln in der Pfanne. Sie bereiteten ein paar Scheiben Toast vor und packten alles in einen Warmhaltebehälter. Conor verstaute das Essen und die Flasche Sekt in seinem Rucksack, und sie gingen gemeinsam zur Bushaltestelle ganz in der Nähe seiner bescheidenen Unterkunft.
Gegen elf Uhr nahmen sie den Bus, der sie über Dun Laoghaire, Bray und Ashford über die Autobahn-mäßig ausgebaute N11 nach Wicklow fuhr. Dort stiegen sie in einen kleineren Bus, der sie weiter bis nach Laragh in die Wicklow Berge brachte. Von dort aus wanderten sie los Richtung Glendalough, einem sehr mystischen Ort in den Bergen. Sie besichtigten den Roundtower, die alte Kirche und den magischen Friedhof. Hier konnte man förmlich die Geschichte einatmen und sich den vor Jahrhunderten ausgefochtenen Kampf der Mönche gegen ihre Angreifer bildlich vorstellen. Nach einer Weile wanderten die beiden weiter, vorbei am Lower Lake zum Upper Lake. Das Ende des Wanderweges mündete in einer großen schluchtähnlichen Verengung der Gebirgsketten. Hier waren sie ganz allein. Auf einer kleinen Erhebung nahmen sie Platz und genossen das mitgebrachte Irish Breakfast. Conor öffnete im Anschluss daran die Flasche Sekt, die sie beide mit großer Freude und Lust tranken. Die Wanderung hatte hungrig und durstig gemacht.
Nach dem Picknick nahm Conor Aoife bei der Hand und sie gingen ein Stück weiter in die Schlucht hinein. Dort entdeckten sie die Mauerreste eines fast vollkommen zerfallenen Cottage` aus handbehauenen Granitblöcken. Sie gingen in die Ruine und setzten sich auf ein paar herumliegende Granitsteinbrocken, die ursprünglich zum Mauerwerk gehört haben mussten.
Conor zog Aoife ganz nah an sich heran, griff in seine Jackentasche und holte zwei Ringe hervor. Es handelte sich um Claddagh-Ringe, in denen die Embleme Krone, Hände und Herz eingearbeitet waren. Die Krone für Gehorsam, die Hände für gegenseitiges Vertrauen und das Herz für die Liebe. Er steckte Aoife den Ring so an, dass die Herzspitze des Ringes zu ihrem Herzen zeigte, was jedem zeigen sollte, dass sie ab nun nicht mehr frei war.
Mit Tränen in den Augen nahm auch Aoife den Ring, der für Conor bestimmt war und steckte ihm diesen auf die gleiche Weise auf dessen Finger. Sie küssten sich leidenschaftlich und liebten sich auf dem steinigen Boden des alten Cottages. Sie sprachen es zwar nie aus, doch wussten beide, dass dies ihre heimliche Verlobungszeremonie gewesen war. Das Versprechen, immer für den anderen da sein zu wollen.
Danach legten sie sich auf eine leuchtend grüne Grasfläche vor der Ruine und schauten in den blausten Himmel, den sie in Irland je gesehen hatten. Zumindest kam es beiden so vor. Auch die Sonne schien an diesem Tag noch ein wenig heller zu scheinen als sonst um diese Jahreszeit. So dauerte es auch nicht lange, bis beide eingeschlafen waren. Die etwas zu kurze Nacht und die Wanderung durch die Wicklow-Mountains übten scheinbar auf die beiden Liebenden die gleiche Wirkung aus.
Nach einer ganzen Weile erwachte Conor mit einem leichten Schrecken und weckte Aoife. Sie mussten sich nun etwas beeilen, den Bus zurück nach Wicklow und weiter nach Dublin zu erreichen. Ein wenig erschöpft, aber glücklich, erreichten Sie die Haltestelle und ließen sich händchenhaltend Richtung Dublin fahren.
Ab diesem Tag und dieser Nacht waren Conor und Aoife auch für alle Außenstehenden sichtlich erkennbar ein richtiges Paar. Sie verbrachten jede freie Minute zusammen sowohl auf dem Campus als auch abends.
So versuchten sie sowohl die Nachbereitungen der Vorlesungen gemeinsam zu erledigen wie auch die abendlichen Auftritte in den Pubs zusammen zu gestalten. Das erste Mal im Leben hatte Conor richtige Schmetterlinge in seinem Bauch. Jede Sekunde ohne Aoife wurde ihm zur Ewigkeit und kam ihm sinnlos und vergeudet vor. Zum ersten Mal in seinem Leben begriff er, was die wirklichen Werte des Lebens ausmachten.
Niemals sollte sich daran etwas ändern.