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IV. Ironien der Heilsgeschichte
ОглавлениеWie gezeigt wurde, haben schon in der Frühzeit der christlichen Bibelauslegung die Autoren ironische Aussagen in der Heiligen Schrift ausgemacht und kommentiert. Danach reden nicht nur der Teufel und die Juden als Verweigerer des durch Christus gebrachten Heils ironisch, sondern auch Gott und Christus selbst bedienen sich des Mittels der Ironie. Erst die Exegeten des 12. Jahrhunderts haben jedoch diese Beobachtungen zu einer komplexen historischen Konstruktion zusammengefasst, die als Ironie der Heilsgeschichte verstanden werden kann. Nicht von ungefähr war es der fruchtbarste Bibelexeget des 12. Jahrhunderts, Rupert von Deutz, der diesen Schritt ganz bewusst getan hat, da er erkannt hatte, dass die Bibel zahlreiche Fälle bitterster Ironie enthält: Sunt enim in Scriptura sacra ironiae gravissimae.1 In seinen heilsgeschichtlichen Analysen hat Rupert diese Erkenntnis dahin erweitert, dass er nach Korrespondenzen zwischen diesen ironischen Aussagen fragte, wie er auch sonst heilsgeschichtliche Zusammenhänge zwischen Altem und Neuem Bund aufspürte und dadurch bis dahin nicht gesehene Kongruenzen entdeckte oder herstellte. Mit dem Verfahren, biblische Intertextualität als typologisches System zu erkennen und zu explizieren, das schon die Exegeten der Spätantike nutzten, wurden immer wieder Bezüge innerhalb der Testamente und mehr noch zwischen ihnen hergestellt, in denen Ironien gefunden wurden, auch durch die Konfrontation von figürlicher und eigentlicher Redeweise. Rupert ist ein Meister in der Auffindung solcher Bezüge.
Für Rupert, aber nicht allein für ihn, wird die Heilsgeschichte an ihren kardinalen Wendepunkten zu einer Geschichte der Ironien. Immer dort, wo Antagonismen sich stark ausprägen, werden die Texte hintergründig, die Aussagen der Protagonisten doppelsinnig. Der Kampf zwischen Gott und Satan in der Welt manifestiert sich immer neu in bitteren Ironien. Der Sturz des höchsten Engels Luzifer, der Sündenfall des Menschen, die Passion Christi und die apokalyptische Szenerie vor dem Weltende erschließen sich vollends erst in der Reflexion über ihre ironische Qualität. Dies ist eine erstaunliche Beobachtung, kann doch das Mittelalter nach überwiegender Forschungsmeinung mit Ironie außer mit ihrer rhetorischen Bestimmung eigentlich nichts anfangen. Das wird hier gründlich widerlegt.