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2. Zum Forschungsstand

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Die großen geisteswissenschaftlichen Handbücher, die in der Regel Spiegel der Forschungsgeschichte und ihres je aktuellen Standes sind, geben in ihren Ironieartikeln für das Mittelalter ein dürftiges, ungenaues Bild, wenn sie diese Epoche überhaupt berücksichtigen. Das ‘Lexikon des Mittelalters’ hat keinen Ironieartikel, aber wenigstens einen kurzen Artikel zur lateinischen Satire,11 einer im Mittelalter für den Ironiegebrauch einschlägigen Gattung. Der immer noch lesenswerte Artikel ‘Ironie’ im ‘Historischen Wörterbuch der Philosophie’ von Harald Weinrich überspringt das Mittelalter; nach Griechenland und antikem Rom geht er unmittelbar zur Neuzeit über.12 Der neuere Ironieartikel im sonst sehr brauchbaren ‘Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft’ von Wolfgang G. Müller versteigt sich zu der Feststellung: „Während das Mittelalter zwar die Sache, aber nicht den Begriffsnamen der Ironie kennt (dazu Green, J. D. Knox), greifen Autoren seit der Renaissance in der Regel auf die latinisierte Form des griechischen Terminus zurück: ,Ironia […] allegoria est […]‘.“13 Eine intensive Erforschung der Ironie in neuzeitlicher und vor allem moderner Literatur in den letzten 50 Jahren mit dem Beginn in der Antike bei sokratischer, dramatischer und rhetorischer Ironie14 und weiteren Schwerpunkten in der ironischen Erzählliteratur der Frühen Neuzeit von Cervantes über Sterne, Diderot bis Wieland, in der romantischen Ironie als einem sehr komplexen Phänomen von Philosophie (Friedrich Schlegel) und romantischer Poesie hat das Verständnis der Ironie in der Forschungsliteratur entscheidend geprägt. Kritik und modifizierte Ironiekonzepte wurden bei Hegel, Kierkegaard und Nietzsche analysiert. Als literarische Ironiker des 20. Jahrhunderts sind vor allem Thomas Mann und Robert Musil berühmt; in der Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts sind es der New Criticism und der Poststrukturalismus, die Ironiekonzepte ihrem Gesamtverständnis des Literarischen zugrunde legten (Cleanth Brooks, Paul de Man); eine Distanzierung von diesem generellen Ironieverständnis wurde für die Postmoderne beobachtet.15 Die Ironiekompetenz des Mittelalters haben spät englische Forscher, getreu ihrem Ruf als Ironiker, erörtert oder nachgewiesen: Dennis Green für den deutschen Artusroman sowie Norman und Dilwyn Knox für die rhetorischen Traditionen des Mittelalters und der Renaissance.16 Aus der gründlichen Arbeit von Dilwyn Knox erhielt auch der Ironieartikel von Ernst Behler Anregungen zur Einfügung eines Mittelalterteils, dessen Elemente freilich noch disparat stehen bleiben und in ihrer Gewichtung problematisch sind.

In den mediävistischen Literaturwissenschaften, besonders der Romanistik und Germanistik, wurden seit etwa vier Jahrzehnten in loser Folge Beiträge zur Ironieforschung geleistet, die sich schwerpunktmäßig den großen fiktiven Erzählgattungen und der Lyrik zuwandten: Artusromanen, Tristan-Dichtungen, dem Roman de la Rose, weiteren Großerzählungen, den Troubadours und dem Minnesang, wo Autorhaltung, Intertextualitätsstrukturen und -techniken, Zitationsstrategien, Mythosverarbeitungen mit ironischer Distanzierung interessierten. Erst in jüngster Zeit erfolgt hier eine Revision des Geleisteten, in der die Forschungssituation als ‘Baustelle’ („chantier“) begriffen wird, auf der einerseits kritische Bilanz gezogen wird, andererseits durchaus vielversprechend Neues entstehen kann; die mittellateinische Philologie war an dieser Forschungsdiskussion bisher so gut wie nicht beteiligt.17 Weiterhin besteht also für die Literatur des Mittelalters, lateinische wie volkssprachige, noch ein deutliches Desiderat.

Im übrigen wird in der gegenwärtigen Ironieforschung ein Spannungsfeld markiert zwischen einem engen Anschluss an die Begriffsgeschichte der Rhetorik und an die Linguistik einerseits und einer weiten Anwendungsgeschichte in der Literatur (und Philosophie) verschiedener Epochen und Autoren andererseits. Diese Situation resultiert aus der Forschungsgeschichte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts; denn nach der Inanspruchnahme der Ironie für philosophische und literarische Gesamtkonzeptionen seit der Romantik – bei gleichzeitiger Abwertung der Rhetorik und damit auch der rhetorischen Ironie – wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem anderen Wissenschaftszweig, der Linguistik, gleichsam an den rhetorischen Ironiedefinitionen weitergearbeitet.18 Im Rahmen von Sprechakttheorie und linguistischer Pragmatik sind Ironiemodelle entworfen worden, die ihre Merkmale präzisieren konnten, ohne jedoch schon abschließende Beschreibungen anzubieten. Auf der Grundlage der Konversationsregeln von Paul Grice, insbesondere seiner Aufrichtigkeitsregel, wurde Ironie als eine Simulation von Unaufrichtigkeit oder als transparente Unaufrichtigkeit beschrieben; diese werde entweder im sog. propositionalen Gehalt, das heißt der inhaltlichen Aussage selbst, oder im Illokutionstyp, also der Sprech-Intention, oder in beiden zugleich realisiert.19

Die Untersuchungen dieses Buchs sind nicht auf eine dieser Richtungen beschränkt; sie nehmen die Rhetorik als für das Mittelalter grundlegende literarische Doktrin ernst, verstehen sie darüber hinaus aber als weiten Rahmen für die Vielfalt literarischer Vertextungsstrategien, die in den Quellen manifest werden und die auch neue literarische Konfigurationen über die zum Teil lakonischen Lehrbuchregeln hinaus generieren können. Sie begreifen damit vor allem Gattungsfragen, Autorpositionen, die Diversität ironischer Mittel (Intertextualitätsstrategien, ironische Zitattechniken u. a.) und Fragen zu situativen wie weiteren kontextuellen Bezügen ein, und zwar insbesondere in historischen Quellen und mittellateinischer Dichtung.

Ironie im Mittelalter

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