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4. Der heilsgeschichtliche Umschlag von Ironie in Ernst

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Mit der Inkarnation des Gottessohns war eine Konzentration der ironischen Reden auf der Seite derer zu konstatieren, die das Heilsgeschehen nicht begriffen und den Inkarnierten verkannten. Die Exegeten beschrieben diese Ironie und zeigten auch, dass für das richtige Verständnis diese Rede- und Handlungsironie in einem höheren Ernst aufgehoben wurde: Zum Beispiel war der als König verspottete Jesus tatsächlich der Weltenkönig.

Eine hintergründige Ironie und ihre Verwandlung in Ernst sieht Rupert in seinem Spätwerk ‘De glorificatione Trinitatis’ in der Zusammenschau von Paradies- und Passionsgeschichte; er widmet diesem Thema drei Kapitel. Das Fortschreiten Gottes vom Entschluss: „Lasst uns den Menschen machen […]“ (Gen. 1,2), führt über den ironischen Satz (ironia gravissima37): „Sieh, Adam ist gleichsam einer von uns geworden mit der Erkenntnis des Guten und des Bösen“ (Gen. 3,22), zur nüchtern-harten Feststellung: „Weil du Staub bist, wirst du auch zum Staub zurückkehren“ (Gen. 3,19). Den Umschlag der Heilsgeschichte oder besser ihre Erfüllung beschreibt Rupert am Vorgang der Umkehr aus der Ironie Gottes in Ernst: „So wurde jene Ironie in Ernst verwandelt.“38 Adam, erklärt der Exeget, wurde nicht „einer von uns“, eine Person der Trinität, sondern das Gegenteil trat ein, er verlor alles. Dann setzte der Heilsplan Gottes ein, und er lässt Gott sprechen: „Es ist angemessen für uns, dass wir die Gerechtigkeit vollständig erfüllen, in der Art, dass einer von uns gleichsam Adam wird, d. h. so Mensch wird, dass er auch sterblich nach dem Fleisch wird wie Adam und eines solchen Todes stirbt, als ein Verbrecher, wie Adam es ist“,39 und in Anspielung auf den typologischen Passionstext Is. 53 unter die Sünder gerechnet wird, „für die alle Adam das negative Vorbild (exemplum) war“40. Dieses Mal trügt jedoch die Hoffnung nicht, sondern durch Gnade werden sie alle „gleichsam einer von uns“, das heißt „Brüder und Miterben des einzigen Sohnes, der einer von uns ist“.41 Es gibt keinen Zweifel nach Rupert, dass dieser Plan der Trinität durch Wort und Tat so erfüllt wurde und dass der Sohn Gottes, eine Person der Trinität, „gleichsam Adam wurde“.42 Durch Tod und Grab des Gottmenschen wurde der Mensch gottgleich, und damit ist die Katastrophe vom Beginn überwunden: „Mensch, sag ich, ist der Sohn Gottes geworden, und dieser ist der neue Adam, Vater vieler Kinder, deren Gesamtheit nun ,gleichsam einer von uns ist‘, das heißt, dem Sohn Gottes ähnlich.“43 Mit der wiedergewonnenen Gottähnlichkeit ist auch die unmittelbare Gottesschau nach 1. Jo. 3,2 neu gegeben.44 Rupert zieht damit die Linie der Heilsgeschichte von der Inkarnationsgeschichte aus bis zum Weltenende.

Andere Exegeten und Miniatoren haben diese Umkehrung der Unheilsgeschichte des Menschen in Rettung und Erlösung und das Paradox des inkarnierten Gottes als eine ironische Übertölpelung des Teufels durch Gottes Plan dargestellt. Herrad von Hohenburg gestaltet sie in ihrer heilsgeschichtlichen Enzyklopädie in einem Bild, das Gott nach Job 40,20 f. als Angler darstellt: „Kannst du den Leviathan mit der Angel ziehen und mit der Schnur seine Zunge niederdrücken? Kannst du ihm eine Binsenschnur durch die Nase ziehen und mit dem Haken seine Backe durchbohren?“ Die Angelschnur auf Herrads Bild zeigt die Reihe von sieben Patriarchen und Propheten, der Angelhaken ist das Kreuz, das aber von dem Menschen Jesus verdeckt ist.45 Der Leviathan, der Teufel als Riesenfisch, schnappt nach diesem Köder und der Haken durchbohrt das Maul. Die seit der griechischen Exegese der Patristik bekannte heilsgeschichtliche Deutung auf das Erlösungsgeschehen46 erhält nach Gregor dem Großen47 im 12. Jahrhundert erneut Aktualität, so dass Herrad ihre Bildversion, zu der der Text leider verloren ist, wahrscheinlich nach Honorius Augustodunensis, einer ihrer Hauptquellen, gestalten konnte. Das ‘Speculum ecclesiae’ deutet das Meer auf die Welt, in dem der Leviathan-Teufel die Menschenseelen verschlingt, aber beim Schnappen nach dem Köder, dem Fleisch des Erlösers, seiner humanitas, vom Haken seines Gottseins (divinitas) durchbohrt wird.48 Während die Deutung den Täuschungsgedanken stark macht, in der Tradition aber auch schon Gottes Gegenschlag gegen Adams Verführung im Paradies durch Luzifer thematisiert wurde,49 kommt die Ironie dieser Vorstellung im Bild noch deutlicher zum Ausdruck. Sie bildet damit ein Pendant zu Ruperts Reevaluierung des Sündenfalls.


Ironie im Mittelalter

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