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V. Ironie in mündlicher Kommunikation: Zeugnisse der Historiographie

1. Rahmenbedingungen und Spielregeln mündlicher Kommunikation im Mittelalter

Es gehört zu den fundamentalen Charakteristika mittelalterlichen Zusammenlebens in den unterschiedlichsten Gruppen und Verbänden, dass alle wesentlichen Fragen dieses Zusammenlebens in mündlich-persönlicher Beratung erörtert wurden. Konsensherstellung durch Beratung praktizierten nicht nur Herrschaftsverbände der königlichen Vasallen, alle Lehnsverbände, aber auch Verwandten- und Freundeskreise pflegten solche Formen der Willensbildung ebenso wie Gilden, Zünfte, Schwureinungen, Stadtgemeinden, Mönchskonvente oder Domkapitel. Da bei diesen Beratungen nicht selten unterschiedliche Interessen aufeinanderstießen, war eine wirkungsvolle Vertretung dieser Interessen von höchster Wichtigkeit. Von hochrangigen Personen wird hin und wieder lobend gesagt: „Er war groß und gefürchtet im Rat.“ Dies macht schlagend deutlich, dass bestimmte Personen besondere Fähigkeiten besaßen oder entwickelten, sich in dieser Situation zu behaupten und durchzusetzen. Nicht zweifelhaft kann jedenfalls sein, dass Beratung und Willensbildung im Mittelalter durchaus agonale Züge hatte, auch wenn in der Überlieferung gerne von untertänigem Bitten und gnädigem Gewähren die Rede ist.1 Inzwischen hat man in der Forschung jedoch gelernt, „organisierte Heuchelei“ und „inszenierte Freiwilligkeit“ zu bemerken, und sich nicht von Konsensfassaden täuschen zu lassen, die man im Mittelalter mit einiger Perfektion zu errichten imstande war.2

Andererseits beschränkten sensible Vorstellungen von Rang und Ehre die Möglichkeiten eines kontroversen Meinungsaustausches gewiss deutlich. Widerspruch, Provokationen und Beleidigungen verletzten die Ehre des Gegenübers und zogen Rache in Form von bewaffneten Auseinandersetzungen nach sich.3 Eine unbedachte oder bewusst provozierende Äußerung in der Beratung konnte, wie wir aus Einzelfällen wissen, schnell eine Krise oder gar einen Konflikt produzieren. Wir wüssten aber nur zu gern genauer, wie bei diesen Beratungen argumentiert wurde, die man sich wohl anders als moderne Debatten vorzustellen hat. Wenn aber selbst Bischöfe, wie wir aus Briefen wissen, nur offen miteinander reden konnten, wenn sie durch ein Freundschaftsbündnis dazu befähigt waren, dann wird deutlich, wie schwierig die beratende Kommunikation unter Fremden oder gar Gegnern gewesen sein dürfte.4

Nicht zufällig kannte und nutzte die mittelalterliche Gesellschaft denn auch Verfahren der Beratung, die den angedeuteten Gefahren des offenen Meinungsaustausches wehrten. Willensbildung geschah zunächst einmal nicht öffentlich, sondern vertraulich. Es wurden schwierige Probleme so lange ‘im kleinen Kreis’ vorgeklärt, bis sich ein Konsens abzeichnete. Solche Kreise bildeten die Personen, die bereits enge Beziehungen zueinander hatten: Verwandte, Freunde, Getreue, fideles und familiares5. Besonders wichtig und einflussreich waren in diesem ‘System’ natürlich Personen, die Zugang zu mehreren dieser Kreise hatten. Sie sorgten für den nötigen Kontakt und schufen die Möglichkeiten informellen Meinungsaustauschs.

Die Tatsache dieser Vorklärungen blieb dabei in aller Regel ebenso geheim wie die dort vorgebrachten Argumente selten in die Überlieferung gelangten. Eine Forderung nach Transparenz der Entscheidungsfindung war unbekannt. Dennoch gibt es durchaus öffentliche Beratungen, das colloquium publicum, bei dem „das ganze Volk“ zuhörte und teilweise sogar aktiv und deutlich seine Meinung zu den vorgebrachten Argumenten kundtat. Diese öffentliche Beratung ist aber gegenüber den vertraulichen Formen eindeutig in der Minderheit.

Dies hat zur Folge, dass wir über Formen und Verfahren der Beratung und Willensbildung, mehr noch aber über die Möglichkeiten und Grenzen verbaler Äußerungen in diesem Kontext nur sehr unzureichend informiert sind. Man kann zwar allgemein davon ausgehen, dass eine ranggeordnete und ehrbewusste Gesellschaft, so wie sie für die nonverbalen Interaktionen strikte Regeln kannte6, auch für die verbale Kommunikation Gewohnheiten ausgebildet haben dürfte, die durch einen hohen Geltungsanspruch ausgezeichnet waren. Es ist jedoch einigermaßen schwierig, sie aus der erhaltenen Überlieferung abzuleiten. So bringt uns etwa die Frage bereits in Verlegenheit, welche Formen bei der Beratung mit dem König zu beachten waren. Durfte man nur mit seiner Erlaubnis reden? Musste man den Gegenstand und die Tendenz eines Rats vorweg ankündigen? Galt das für jeden, oder gab es Ausnahmen? Einzelbeispiele in der Überlieferung scheinen Antworten auf solche Fragen zu geben. Sie weisen aus, wie begehrt es etwa war, jederzeit die Möglichkeit des Zugangs zum König zu haben und allein mit ihm alle anstehenden Fragen besprechen zu können.7 Ob sie aber repräsentativ sind, ist schwierig zu entscheiden. Und wenn wir einmal detaillierter informiert werden, wenn Redebeiträge in solchen Beratungen unter Umständen sogar in wörtlicher Rede berichtet werden, dann ist der Verdacht unabweisbar, dass hier der betreffende Informant sich die Freiheit genommen hat, die Reden zu stilisieren und rhetorisch zu perfektionieren.

All dies hat beträchtliche Konsequenzen für die Frage, ob wir in solchen mündlichen Beratungen mit dem Einsatz des Mittels der Ironie rechnen können. Selbst wenn wir, wie im Folgenden doch in einiger Breite gezeigt werden kann, Ironie in den berichteten einschlägigen Sprechakten nachweisen, ist damit noch nicht ausgeschlossen, dass dies erst das Ergebnis der Arbeit des betreffenden Autors ist. Andererseits sollte man sich in diesem Zusammenhang auch vor Hyperkritik hüten. Wenn unterschiedliche Autoren bei ihrem Bericht über Einzelheiten von Beratungen immer wieder den Beratenden ironische Äußerungen in den Mund legen, dürfte es plausibel sein, dass sie dies deshalb taten, weil sie um die Tatsache wussten, dass Ironie ein geeignetes und häufig genutztes Mittel war, seine Meinung wirkungsvoll zum Ausdruck zu bringen. Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass Gesellschaften, die Rang und Ehre hochhalten, der Ironie einen ausgezeichneten Nährboden bieten, weil diese ja das Ranggefüge und die Ehrvorstellungen nicht offen attackiert, sondern sie durch die in der ironischen Aussage liegende Verstellung zunächst scheinbar akzeptiert, um dann ihre subversive Kraft umso wirkungsvoller zu entfalten.

Auch wenn also bei keinem der in den folgenden Kapiteln gesammelten Beispiele gesichert werden kann, dass sie in einer konkreten Situation so oder ähnlich gesprochen worden sind, werden sie dadurch nicht wertlos. Sie erlauben nämlich zumindest den Schluss, dass Ironie ein auch in der Realität eingesetztes und wirkungsvolles Mittel war. Gerade die historiographischen Autoren schrieben ja unter dem Anspruch, Wirklichkeit zu vermitteln, und sie wollten ihre Berichte je nach Darstellungsabsicht zu wirkungsvollen Argumenten für bestimmte Positionen und Interessen machen. Das konnten sie aber nur, wenn sie ihre Akteure so sprechen und handeln ließen, wie es in der Zeit denkbar und wahrscheinlich war. Deshalb darf man bei keinem der im Folgenden gebotenen Beispiele davon ausgehen, dass die Formulierungen wirklich so benutzt worden sind wie berichtet. In ihrer Gesamtheit bezeugen sie aber doch in einiger Eindringlichkeit, dass die Fähigkeit zur ironischen Rede hoch geschätzt war und eingesetzt wurde. Es war auch in einer rang- und ehrbewussten Gesellschaft eine wirksame Waffe, Ironie einzusetzen, allerdings scheint sie mit einigem Risiko verbunden gewesen zu sein, wenn man sie gegen Mächtige und Höherrangige zur Anwendung brachte.

Ironie im Mittelalter

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