Читать книгу Von Mäusen und Morden - Gerd Reinhold - Страница 12

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7.

»Wir gehen vorläufig noch von einem Raubmord aus«, meinte die Kriminalhauptkommissarin Helene Bosch, während sie sich noch ein Stückchen von dem köstlichen Brot abbrach, um es sorgfältig mit der leckeren Creme zu bestreichen.

Sie und Hieronymus saßen am Abend bei ihrem Italiener beim Essen. Die brennende Kerze auf dem Tisch, ja die gesamte Atmosphäre des Lokals, passte eigentlich nicht zum Thema ihres Gesprächs, aber deswegen ging man ja eigentlich nahezu jeden Abend essen, immer abwechselnd in ein anderes Lokal der näheren Umgebung, um sich ungestört von irgendwelchen eigenen Tätigkeiten wenigstens einmal am Tag miteinander in Ruhe unterhalten zu können. Heute war man bei Carlo im »Bella Firenze« und wie meist sprach man über die Arbeit und das, was es am jeweiligen Tag Neues gab. Es war Hieronymus, der das Thema »Mausmann« auf den Tisch gebracht hatte, denn er wollte endlich mehr erfahren von seiner fachkundigen Quelle, und außerdem verband sich mit diesem Thema ja alles: Seine Arbeit, ihre Arbeit, und das interessanteste Neue des Tages war es auch.

»Wieso ›vorläufig‹?«, fragte er zurück und nahm sich ebenfalls noch ein Stück von dem köstlichen Brot, das Carlo zusammen mit wechselnder Creme immer so großzügig gratis als Vorspeise servierte.

Am Anfang des Gesprächs über Mausmann hatte Helene natürlich wissen wollen, ob Hieronymus das Opfer kannte, wenn ja, wie gut und wie er den Mann einschätzte. Hieronymus hatte darauf seiner Frau von seinen Erfahrungen mit Mausmann berichtet und ihr versichert, dass er nicht glaube, dass der viele Freunde gehabt haben könne.

»Na ja, einerseits spricht einiges für Raubüberfall mit Todesfolge - er hatte nichts Wertvolles mehr bei sich, keine Brieftasche, keine Geldbörse, keine Uhr und kein Handy«, nahm Helene den Gesprächsfaden nach einer kleinen Weile, die sie gebraucht hatte, um ihren letzten Bissen hinunter zu

schlucken, wieder auf und fuhr dann fort: »Andererseits stand sein teurer Wagen noch an Ort und Stelle ...«

»Vielleicht war der dem Räuber einfach zu auffällig nach der Tat oder er kennt sich mit dem Verticken von teuren Autos nicht so aus, weil das nicht sein Spezialgebiet ist«, gab Hieronymus zu bedenken.

»Richtig, aber da ist noch mehr. Mindestens der erste Schuss traf ihn wahrscheinlich von hinten ...«

«Das heißt, er wurde nicht erschossen, weil er sich gegen den Überfall gewehrt hat?«

»Ja, genau, aber nicht nur das. Der Täter hat wohl das ganze Magazin seiner Waffe auf ihn abgefeuert - das sieht doch eher wie eine Hinrichtung aus als wie ein aus dem Ruder gelaufener Überfall.«

Helene sah sich bei diesen Worten im Lokal um, ob ihr Essen nicht bald käme. Der Appetit verging den beiden bei dem Thema und den genannten Details trotzdem genauso wenig, als hätte Hieronymus gerade erzählt, wie viele Schüler in den Pausen sich mit gewürzten Trockennudeln aus der Tüte und kaltem, süßem Früchtetee aus der Pappschachtel abfüllten.

»Hinzu kommt, dass man nicht so einfach `reinkommt in die Tiefgarage, denn für die Eingangstür brauchst du einen Zugangscode«, fuhr Helene fort, und Hieronymus warf ein: »Ja, es sei denn, man schlüpft an einem hinaus fahrenden Auto durch die Ausfahrt hinein.«

»Dann musst du aber an dem `rausfahrenden Auto direkt vorbei, bevor sich das Garagentor wieder schließt, und kannst gesehen werden,« gab Helene wiederum zu bedenken.

»Gibt´s da in dieser sicher teuren Behausung keine Videoüberwachung?«

»Doch, eigentlich schon,« sagte Helene. »Aber die nützt nichts, weil jemand die Kameraaugen mit Farbe zugesprüht hat.«

Sie hörte sich jetzt ziemlich resigniert an.

»Schon seit einer ganzen Weile, wie der Hausmeister behauptet. Seiner Meinung nach könnte ein anderer Hausbewohner dahinterstecken. Der soll als Grüner Mitglied der Hamburger Bürgerschaft sein und besonders sensibel bezüglich Überwachung und Datenschutz.«

Da nun ein wie immer gut gelaunter Carlo mit ihrem Essen kam, unterbrachen die beiden das anregende Gespräch, um sich möglichst ganz der Ernährung widmen zu können. Es fielen nur einige wenige Zwischenbemerkungen, die allesamt nichts mit dem Fall Mausmann zu tun hatten, sondern eher praktischen Dingen des Lebens galten. So wollte Hieronymus beispielsweise von seiner Frau wissen, was sie denn nun von seiner kürzlich geäußerten Idee halte, den in den Sommerferien anstehenden Urlaub in einem dänischen Ferienhaus zu verbringen. Obwohl es alles andere als selbstverständlich war, war es Helene in diesem Jahr gelungen, ihren Jahresurlaub in den Sommerferien zu bekommen, so dass sie nach einigen Jahren wieder einmal gemeinsam Urlaub machen konnten. Hieronymus hatte zu diesem Zweck vorgeschlagen, ein Ferienhaus im Süden der dänischen Insel Fünen zu buchen. Man hätte keinen so weiten Anfahrtsweg und könnte dort vor allem unerreichbar bleiben und »chillen«, wie es heutzutage hieß, aber auch gut Ausflüge in die nähere oder weitere Umgebung unternehmen, zum Beispiel nach Odense, der Stadt von Hans Christian Andersen, oder man könnte in Svendborg auf den Spuren von Bertolt Brecht wandeln.

»Eigentlich `ne gute Idee, aber dann müssten wir wohl mit deinem Auto fahren, oder?«, fragte Helene in einer Tonlage, der Hieronymus unschwer entnahm, dass ihr der Gedanke, mehrere Stunden in einem fahrenden Lada Niva zu sitzen, wieder einmal überhaupt nicht gefiel.

»Na ja, wir müssten schon so Einiges mitnehmen, und ich bezweifle, dass wir das alles in dein Auto kriegen«, gab Hieronymus zu bedenken, ahnte aber schon, kaum, dass er den Satz ausgesprochen hatte, die Steilvorlage, die er damit seiner Frau gegeben hatte.

»Doch, würden wir!«, kam dann auch prompt zurück. »Wenn du nicht mitfährst, kann man noch die Beifahrerseite vollpacken.«

Mit der »Beifahrerseite« war die in Helenes Auto gemeint, einem ziemlich kleinen knallroten Italiener. Der verfügte nun tatsächlich nicht über einen üppig bemessenen Kofferraum, was in seinem normalen Gebrauch ja auch auch kein Problem darstellte. Im Gegenteil konnte Helene damit überall in der Stadt schnell hinkommen, und ein Parkplatz fand sich für die kleine Kiste auch immer recht einfach. Der Abarth 595 competizione war ihr ideales Fahrzeug für den Dienst, aber eben keins für das Reisen. Das Thema der Sommerreise war für Hieronymus damit erst einmal festgefahren, und er merkte auch, dass es Helene damit ähnlich ging. Eine grundsätzliche Zustimmung von ihr hatte er aber immerhin bekommen, nur die Frage der Logistik musste künftig noch geklärt werden. Erst einmal konnte man ja nach einem passenden Häuschen im Süden von Fünen auf die Suche gehen.

Nachdem man nach dem Essen beim Espresso (er) beziehungsweise beim Cappuccino (sie) angelangt war, kamen die beiden wieder auf den jüngsten Mord zurück. Hieronymus erkundigte sich nun endlich bei Helene auch danach, wie es der Ehefrau Mausmanns, Annemarie Mausmann-Heerenthal, ginge, die er ja wegen ihres Sohnes Max in seiner Klasse ganz gut zu kennen meinte. Zu seiner Verblüffung erfuhr er:

»Die ist weg, nicht da, nicht zu sprechen.«

Wahrscheinlich sah Hieronymus etwas hilflos aus, denn Helene klärte ihn gleich weiter auf.

»Als wir bei denen zuhause im Harvestehuder Weg geklingelt haben, machte niemand auf. Wir haben uns von der Hausverwaltung die Wohnung erst öffnen lassen müssen, aber es war wirklich niemand zuhause. Wir haben dann in der Garderobe einen Zettel mit allen möglichen Namen, Adressen und Telefonnummern gefunden. Als wir dann auf gut Glück deren Familienanwalt, einen gewissen Dr. Ralph Eduard Stieglitz, angerufen haben, hat der uns dann aufgeklärt. Frau Mausmann-Heerenberg halte sich bereits seit dem 4. April im Ferienhaus der Familie im Taunus auf und sei dort nicht zu sprechen. Was wir natürlich so erstmal nicht akzeptiert haben, aber er hat uns dann nach kurzer Zeit eine Mail mit einem ärztlichen Attest von dem Hausarzt der Familie im Anhang geschickt, immerhin niemand Geringeres als Professor Dr. Hellmuth Marckandt, welches besagt, dass Frau Mausmann-Heerenthal wegen ›nervöser Störungen‹ ruhebedürftig und unbedingt bis auf Weiteres in Ruhe zu lassen sei.«

Alle diese Namen konnte Helene aus dem Kopf nennen, ohne sich dabei auf irgendwelche Notizen stützen zu müssen. »Was sagt die KTU?«, wollte Hieronymus nun wissen, womit er sich auf die möglichen Erkenntnisse von Helenes Kollegen Holger E. März von der Kriminaltechnischen Untersuchung bezog.

Niemand, auch Helene nicht, wusste, wofür das »E.« in dessen Namen stand, ob für Emil, Eduard, Emanuel oder sonstwas, aber jeder kannte Holger E. März als jemanden, der seinem Nachnamen insofern alle Ehre machte, als Holger ein Berufsjugendlicher im Alter von vierunddreißig Jahren war, dessen Erster Frühling vorbei war, denn er war insofern erfolgreich verheiratet, als er zwei noch kleine Kinder hatte. Offenbar wartete Holger aber dennoch oder gerade deswegen auf seinen Zweiten Frühling, denn wenn Rockträgerinnen in seine Nähe gerieten und nicht so schnell wie möglich auf irgendwelche Bäume flohen, wurden sie unweigerlich von Holger angecharmt.

»Die schweigt sich noch aus«, gab Helene zur Antwort und fügte hinzu: »Er arbeitet noch dran - hoffe ich zumindest.« »Und Ulrike, was sagt die bisher?«, wollte Hieronymus jetzt wissen und bezog sich dabei auf Dr. Ulrike Müller, welche als Rechtsmedizinerin am UKE, dem Universitätskrankenhaus Eppendorf, tätig war. Sie, wie eigentlich fast alle Fachleute, die mit den Mordfällen in Hamburg befasst waren, waren Hieronymus schon seit Jahren bekannt oder sogar vertraut. Zum einen über seine Frau, die Kriminalhauptkommissarin der Mordkommission, aber zum anderen teilweise auch durch eigenen Umgang mit ihnen im Rahmen von früheren Verbrechen, in deren Aufklärung sich Hieronymus aus Interesse eingemischt hatte, sofern ihm das möglich gewesen war.

»Die schweigt sich erst recht aus«, beantwortete Helene die Frage und ergänzte: »Bis auf den vermutlich ersten Schuss in den Rücken, von dem ich dir ja vorhin schon erzählt habe.« Insgesamt befand Hieronymus die ganze Sachlage als sehr wenig zufriedenstellend; einerseits vielleicht Raub mit Todesfolge, andererseits vielleicht auch eher eine Art von Hinrichtung. Nichts Genaues wusste man wieder einmal nicht, und das bedeutete, dass die Nachforschungen und Ermittlungen, egal ob von der Polizei oder wieder einmal von ihm selbst, denn der Fall interessierte ihn mehr und mehr, vielleicht gerade, weil er so dubios erschien, in zwei völlig verschiedene Richtungen zu gehen hatten. Was die Motivlage, die Gelegenheit und natürlich die mögliche Art von Täter betraf.

»Ach ja, bevor ich es vergesse, Holger hat doch schon `was Wichtiges gefunden. Es gibt einen ziemlich guten Fußabdruck in der Blutlache, die das Opfer umgab, den er fotografiert und gesichert hat. Sportsohle, Größe achtunddreißig.«

Mit dieser wichtigen Information stoppte Helene abrupt den Gedankengang von Hieronymus. Das bedeutet ja, dass da jemand ziemlich kleine Füße hat, dachte der. Ein Kind als Raubmörder? Mit dieser Frage im Hirn begann Hieronymus sich umzusehen, ob er Carlo irgendwo entdecken könnte, damit sie zahlen und heimgehen könnten.

Von Mäusen und Morden

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