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Zurück ins Stammhaus

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Nach zwei freien Tagen nahm ich meinen Dienst im Haus II wieder auf. Mein Einsatz, hauptsächlich auf meiner Station 7, war zur reinen Routine geworden. Der Dienstplan war so gestaltet, dass sich die Dienstfolgen von einem Monat zum anderen sehr ähnlich waren. Durch häufigere Diensteinsätze sammelten sich zuweilen Gutstunden an, die dann auf Antrag als freie Tage abgegolten werden konnten. Auch ich kam in den Genuss, eine ganze Woche frei zu bekommen, denn jetzt, nach einem Jahr, gehörte ich fast schon zum Stamm. Ich hatte bisher nicht einen einzigen Tag wegen Krankheit gefehlt. Das war im Dienstbetrieb durch die Belastung im Schichtdienst nicht die Regel. Zu Weihnachten hatte ich Heiligabend frei, jedoch zu Silvester Nachtdienst. Erfahrungsgemäß war es dann im Verwahrhaus ziemlich unruhig. Es musste davon ausgegangen werden, dass sich die Gefangenen, insbesondere in den Gemeinschafszellen, „Aufgesetzten“ herstellten. Dazu wurde zumeist über mehrere Wochen Brot, Obst, zuweilen Pflaumenkompott, in Wasser angesetzt und etwas Backhefe, die in der Bäckerei gegen Tabak eingetauscht wurde, zugefügt. Dieses Gebräu konnte nach dem Gärungsprozess durchaus alkoholische Wirkung erzielen.

Es wurden in den Verwahrhäusern schon Wochen vor Jahresende immer wieder Zellenkontrollen durchgeführt, um ggf. Selbstgebrautes aufzufinden. Waren wir erfolgreich und der Gefangene zum ersten Mal ertappt wurde, forderten wir ihn auf, den für ihn wertvollen Inhalt des Gefäßes, in welchem der „Aufgesetzte" hergestellt worden war, in das Toilettenbecken zu kippen. Das war dann ganz furchtbar für den Betroffenen, waren doch die ganze Mühe und die eventuellen Kosten vergeblich gewesen. Weitere Sanktionen hatte er dann nicht zu befürchten. Einige wenige hergestellte Getränke wurden immer übersehen und das machte sich dann am Silvestertag bemerkbar. Ohne gegenwärtige Praxis beim Trinken von alkoholischen Getränken ging es relativ schnell, dass die betreffenden Gefangenen einen Schwips bekamen. Sie reagierten ganz verschieden. Einige bekamen einen sogenannten „Moralischen", weil sie unter Verschluss und fern von ihren eventuellen Frauen oder Freundinnen waren. Andere kamen so richtig in Stimmung und wollten sich durch Brüllen oder lautes Mitsingen der im Radio gesendeten Musik bemerkbar machen. Über die Lautsprecher in jeder Zelle wurden täglich Radiosendungen übertragen, normalerweise bis 22 Uhr, Silvester bis 00.30 Uhr. Jeder Lautsprecher hatte nur einen Schalter zum An- und Ausstellen. Das Radioprogramm wurde übermittelt von der Rundfunkzentrale im Hause und von Gefangenen bedient. Die Programme erstellten allgemein ebenfalls Gefangene für eine Woche im Voraus, die dann von dem Hausverwalter genehmigt werden mussten.

An diesem Jahresende hielt sich die Unruhe in Grenzen, wir hatten nur in einigen Fällen, von der geschlossenen Zellentür aus, die Störer zur Ruhe ermahnt. Das war dann ausreichend. Zu meinem Erstaunen, hatte der Schichtführer zwei Flaschen Sekt mitgebracht, den er an uns in Pappbechern verteilte. Ein anderer Kollege hatte Pfannkuchen für uns gekauft. Das fanden wir in Ordnung, denn auch die Gefangenen hatten am Nachmittag jeder zwei Pfannkuchen aus der Anstaltsbäckerei bekommen. Mein erster Silvesterabend im Gefängnis war also durchaus hinnehmbar.

So verging die Zeit und ich hatte im Sommer das Empfinden, dass ich schon viel länger als 18 Monate dem Strafvollzug angehörte. Ich war nach einem Jahr zum Aufseher ernannt worden, wodurch ich in die Vergütungsstufe BAT 8 eingestuft wurde und etwas mehr Geld erhielt.

Meine Tochter war zwischenzeitlich in die Schule am Herrmannplatz eingeschult worden, in die ich ebenfalls in den ersten Nachkriegsjahren gegangen war.

Nach einer Urlaubsreise mit dem Auto nach Italien, kehrte ich zuversichtlich an meinen Arbeitsplatz im Haus II zurück. Mir wurde jetzt die Station 8, die oberste im B-Flügel zugeteilt. Im Haus II zählten die Stationen fortlaufend von 1 – 12, im Haus III wurde immer zuerst der Flügel und dann die Stationen von 1 – 4 genannt. Die rechte Seite der Station 8 war in meiner Abwesenheit mit einem Maschendraht versehen worden und wurde seitdem „Käfig“ genannt. Hier waren die Gefangenen, die allgemein längere Strafen hatten und wegen Flucht- oder Suizidgefahr besonders beobachtet wurden, ausschließlich in Einzelzellen untergebracht. Die Insassen waren unter anderem auch Angehörige von Banden, die der Rotlichtszene und dem Prostituiertengewerbe angehörten, dort auch tätig waren und Auseinandersetzungen mit konkurrierenden Banden, auch mittels Schusswaffen, hinter sich hatten. Sie verhielten sich allgemein ruhig und hatten auch eine Arbeitsstelle, von der sie überwiegend pünktlich zurückkehrten. Eventuelle Tauschgeschäfte hatten sie in der Regel dann schon abgewickelt. Hier lag jetzt auch der frühere Zuhälter, der mir im Vorjahr behilflich gewesen war, als ein Gefangener auf meiner damaligen Station aus der Zelle drängte.

Ich hatte noch einen anderen etwas auffälligen Gefangenen. Er wurde allgemein „Body“ genannt, weil er recht athletisch gebaut war. Außerdem war er mehrfach vorbestraft, hauptsächlich wegen schweren Diebstahls, den er mit anderen Straftätern gemeinsam begangen hatte. Die Durchführungen seiner Einbrüche waren allgemein sehr dilettantisch, so dass keine große Beute erzielt und Body regelmäßig gefasst wurde. Er hatte zurzeit wieder einmal keine Arbeit in der Anstalt, weil er fast zu nichts zu gebrauchen war, aber stets durch sein großes Mundwerk auffiel. Auch machte er mir wiederholt Schwierigkeiten, weil er nach der Freistunde des Öfteren nicht unmittelbar zur Station zurückkehrte, sondern bei ehemaligen Tatgenossen auf anderen Stationen versuchte, Tabak oder Schmöker „abzustauben". Wenn er wieder einmal nicht auffindbar war und ich das beiläufig in Gegenwart des Ex-Zuhälters erwähnte, meldete sich dieser bei mir ab und kam nach einigen Minuten mit dem laut schimpfenden Body zurück, den er vor sich her schubste. Natürlich hatte er dadurch bei mir auch gewisse Vorteile, wenn er selbst irgendwelche Erledigungen außerhalb der Station vornehmen wollte.

Etwa Ende September 1967 kam es im D-Flügel zu einem ganz schweren Zwischenfall. Es war an einem Nachmittag gegen 13 Uhr, als sich mehrere Gefangene zur Sprechstunde bei der Fürsorgerin Frau Fährmann angemeldet hatten. Sie hatte ihr Dienstzimmer auf D 3 zwischen der Zentrale und der Durchgangstür. Drei Gefangene warteten draußen, einer war gerade bei ihr im Zimmer zum Gespräch. Ich stand vor der Zentrale und sprach mit dem dort sitzenden Hauptwachtmeister. Plötzlich wurde auf D 2 die Verbindungstür aufgestoßen und der Verwaltungsbeamte Baltrusch kam die Treppe hochgerannt und rief in meine Richtung: „Mitkommen!" Ich wusste zwar nicht warum, eilte aber hinter ihm her. Er riss die Tür vom Sozialarbeiterzimmer auf und zerrte den Gefangenen Hartsch von der am Boden liegenden Fürsorgerin, die dieser mit beiden Händen am Hals würgte. Baltrusch schleuderte ihn mir regelrecht entgegen und ich nahm ihn erstmal in den Schwitzkasten, bis ein Kollege zu Hilfe kam. Dann brachten wir den sich wehrenden Gefangenen ganz nach unten in die Absonderungszelle. Diese hatte eine Außentür und dahinter eine schwere Gittertür mit Eisenstäben, in einem Abstand von etwa 15 cm. Ich schob den Gefangenen in die Zelle und wollte die Gittertür schließen. Er warf sich von innen dagegen, um zu verhindern, dass ich sie abschloss. Dabei bekam ich die schwere Tür so gegen den Kopf, dass meine Mütze zu Boden fiel. Da rastete ich aus. Ich riss die Tür noch einmal auf, ging einen Schritt zurück und versetzte dem Gefangenen einen Faustschlag gegen den Kopf, dass er zurücktaumelte und auf die eingemauerte Pritsche fiel. Sein Widerstand war restlos gebrochen.

Der Verwaltungsbeamte Baltrusch hatte sich um die Fürsorgerin gekümmert und ärztliche Hilfe angefordert. Es dauerte lange, bis sie sich etwas erholte und wieder Luft bekam. Sie hatte am Hals deutliche Würgemale. Wie wir später erfuhren, hatte sie in höchster Not mit den Füßen auf den Fußboden getrommelt, als der Gefangene sie würgte und sie über keine Abwehrmöglichkeit mehr verfügte. Das hatte der Verwaltungsbeamte gehört, der sein Dienstzimmer unter dem der Frau hatte. Gott sei Dank war er anwesend. Er hatte folgerichtig und unverzüglich reagiert. Ich denke, er hatte der Frau Fährmann damit das Leben gerettet.

Der Gefangene Hartsch verbüßte damals eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren wegen Totschlags an einer Prostituierten. Das Gericht hatte nicht auf niedere Beweggründe erkannt, was zu einer Verurteilung wegen Mordes geführt hätte. In dem Fall der Fürsorgerin Fährmann erkannte das Gericht jedoch auf versuchten Mord und verurteilte ihn zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Ich hatte das Gefühl, die Richter hatten so etwas wie Nachholbedarf.

Als ich 1984 meinen Dienst im Haus III in Tegel aufnahm, saß Hartsch noch immer dort ein. Er hatte nun insgesamt fast 18 Jahre verbüßt. Er erkannte mich sofort und kam mir auf der Station, wo ich Gruppenleiter war, entgegen. Er sagte: „Na, kennen Sie mich noch?" Dabei tippte er sich gegen seine Wange. Ich wollte nicht mit ihm sprechen und meinte nur, er solle auf seine Station gehen. Hartsch bekam 1984 schon mehrfach Ausgänge, um ihn auf die Entlassung vorzubereiten. Er wurde als Altenpfleger angelernt, um ihm ein Einkommen nach der Entlassung zu ermöglichen. Ein Jahr vor der vollen Verbüßung der insgesamt 20 Jahre Freiheitsentzug wurde er auf Bewährung entlassen.

Etwa zwei Jahre danach erwürgte er zwei alte Frauen, zu deren Betreuung er sich in ihrer Wohnung aufgehalten hatte. Nun wurde er zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt, wobei auf besondere Schwere der Schuld erkannt wurde. Nach etwa 17 Jahren wurde er dann entlassen, weil er unheilbar an Krebs erkrankt war. Dem Vernehmen nach verstarb er acht Monate später. Die etwa zwei Jahre in Freiheit abgezogen, dürfte er ungefähr 38 Jahre Freiheitsstrafe verbüßt haben. Für drei vollendete und eine versuchte Tötung war der Freiheitsentzug auch in dieser Länge aus meiner Sicht nicht zu hoch.

Zum Ende des Jahres 1967 hin wurde das Gerücht verbreitet, dass im Februar oder März des nächsten Jahres wieder ein Beamtenlehrgang eingerichtet werde, an dem dann Angestellte aus dem gesamten Vollzug teilnehmen würden. Bei vielen Aufsehern kam natürlich Hoffnung auf, dass man sie berücksichtigen würde. Natürlich auch bei mir, weil ich dann schon über zwei Jahre im Dienst war, mit „befriedigend, zum Teil besser" beurteilt wurde und keine Fehlzeiten aufzuweisen hatte.

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