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Jahrhundertelang war die irakische Handelsmetropole Basra ein Zankapfel gewesen. Wer hatte dort nicht alles um die Vorherrschaft gerungen! Ibaditen, Charidschiten, Abbasiden, Umayyaden, Ilchane, Dschalairiden, Osmanen und Briten, aber davon wußte Thomas Gsella rein gar nichts, als er in Basra aus dem Faß gezogen und zusammen mit neun anderen gefesselten Leibeigenen, einem Früchtekorb, zwei Kisten Knallpatronen und einem offenen, für ein Feinkostgeschäft in der Hauptstadt bestimmten Bottich voller Torpedorochen auf einen Pritschenwagen verladen wurde.

Für Gsella war das Land eine einzige große Terra incognita. Aus dem Halbdunkel verjährter Erdkundestunden tauchte nur die Erinnerung daran auf, daß es an Euphrat und Tigris eine regulierbare künstliche Bewässerung gab.

Bewässerung, dachte Gsella. Wie lange schon hatte er nichts mehr getrunken?

Während der Pritschenwagen ins Landesinnere holperte, fiel aus dem Korb eine Feige heraus und kullerte genau in den Mund eines anderen Gefangenen.

Gsella leckte sich die Lippen, als er sah, wie geschickt dieser heißhungrige Mann die Feige schnabulierte.

Feigen, so hatte Gsella es einmal in der Apotheken Umschau gelesen, stellten einen echten Power-Snack aus Kohlehydraten, Ballaststoffen und Mineralstoffen dar, waren reich an Vitamin B1 und bestanden zu achtzig Prozent aus Wasser.

Wasser!

Gsella stak die Zungenwurzel in der Mundhöhle wie eine Knochengeschwulst. Die Temperatur war auf vierzig Grad geklettert. An den Früchtekorb kam er zwar nicht heran, aber zu dem Bottich, aus dem gelegentlich etwas Wasser schwappte, konnte er vielleicht hinüberrobben.

Die Männer, zwischen denen er sich hindurchzuschlängeln versuchte, reagierten unwirsch. Sie versuchten Gsella abzudrängen, schimpften, bäumten sich auf und brachten dabei den Bottich zu Fall.

Ein breiter Salzwasserschwall ergoß sich auf die Ladefläche. Gsella nahm davon so viel wie möglich in sich auf, bis einer der ausgeschütteten Rochen mit ihm auf Tuchfühlung ging.

Torpedorochen können lähmende elektrische Schläge von bis zu 230 Volt austeilen, und der in Gsellas linke Armbeuge geschwemmte Rochen zögerte nicht, sein Äußerstes zu geben: Er verpaßte diesem Feind den Elektroschock seines Lebens.

Eine Millisekunde lang hatte Gsella noch einmal die Vision von einem frischgezapften Pils. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.

Die Chefsekretärin der Redaktion des Sportmagazins Kicker massierte sich den Nacken. Gerade hatte ihr der Alt-Internationale Lothar Matthäus telefonisch eine halbe Stunde lang das Ohr abgekaut, um ihr klarzumachen, daß sein Vertrag mit dem Nachrichtensender Sky Sport News HD im letzten Heft falsch dargestellt worden sei, und als das Telefon von neuem klingelte, ließ sie sich eine volle Minute Zeit, bevor sie abnahm und sagte: »Guten Tag. Wer spricht?«

»Iglusch Boberaitis.«

»Bitte wer?«

»Boberaitis. Iglusch. I would like to speak to your editor.«

»Können Sie das wiederholen?«

»I would like to speak to your editor. Mister Woodshoe.«

»Meinen Sie unseren Herausgeber Rainer Holzschuh?«

»Yes.«

»Da haben Sie Glück. Der ist heute im Hause. Moment – ich verbinde …«

»Holzschuh«, sagte Holzschuh etwas mürrisch, denn auch er hatte an diesem Tag mit Lothar Matthäus telefonieren müssen.

Boberaitis stellte sich als Whistleblower vor, der etwas dazu beitragen könne, die Morde an den Funktionären der Fifa aufzuklären.

»Dann sollten Sie sich an die Kriminalpolizei wenden und nicht an uns«, sagte Holzschuh.

Die Polizei, erklärte Boberaitis, stecke in diesem Komplott leider tief mit drin – in Deutschland, in Südkorea, in Argentinien, in Griechenland und vermutlich auch in allen anderen Ländern der Welt. Er müsse jetzt auflegen, aber er sei zu einem Treffen bereit, in genau zehn Tagen um acht Uhr abends hinterm Steinhaus in dem Dorf Greetsiel im Landkreis Aurich. »No police! And you have to come alone!«

Boberaitis legte auf, und Holzschuh schmunzelte. Wie ist die Welt doch wunderlich beschaffen, dachte er.

Dann klingelte es wieder.

Holzschuh nahm ab.

»Herr Holzschuh? Hier Stefan Effenberg. Raten Sie mal, wer mich gerade angerufen hat. Nein, das raten Sie nicht! Der König von Bahrain! Weil er mich als neuen Trainer der Nationalmannschaft verpflichten will! Und wenn Sie jetzt ’n Häufchen Asche rüberwachsen lassen, sag ich Ihnen auch, wie hoch das Angebot ist, das er mir gemacht hat. Deal?«

In Mekka, Medina, Lahore, Kunduz und Ghom wurden US-amerikanische Flaggen verbrannt, in Faisalabad machten extremistische Salafisten Kleinholz aus einem Kruzifix vor dem Büro der römisch-katholischen Diözese, der UN-Sicherheitsrat tagte, und auf dem ganzen Erdball wurde nach dem Hurensohn gesucht, der den Anschlag auf die Kaaba in Auftrag gegeben hatte, während Kommissarin Fischer aka Verena Süß mit ihrem Chef Roderich Bärlapp in einer Stretchlimousine in Rio unterwegs war.

Er führte zwei Geldkoffer mit sich und entlohnte in unterschiedlichen Hinterzimmern nacheinander zwei Herren von der Confederação Brasileira de Futebol, einen Abgesandten des brasilianischen Rekordmeisters Palmeiras São Paulo, zwei für die Campeonato Brasileiro de Futebol tätige Schiedsrichter, ein halbes Dutzend Nationalspieler und drei Anwälte des Vereins Corinthians São Paulo sowie den brasilianischen Wirtschaftsminister und ließ dann von einem Vertreter der Bank Caixa Econômica Federal die Koffer wieder auffüllen.

Der Fischerin fiel dabei nur die Aufgabe zu, eine gute Figur zu machen.

»Durch Sie werden meine Geschäfte ästhetischer«, sagte Bärlapp. »Wer Ihre Kurven sieht, der denkt nicht mehr in erster Linie an den schnöden Mammon …«

In den Stadtteilen Gávea, Glória und Barra da Tijuca verteilte Bärlapp weitere Geldbündel an Herren mit Goldcolliers und bläulichen Bartschatten, und nachdem er das lange genug getan hatte, wollte er es in dem Nightclub Cais da Imperatriz krachen lassen.

Pflichtbewußt ging Kommissarin Fischer mit. Sie genehmigte sich einen Cuba Libre und beobachtete Bärlapp ein Weilchen dabei, wie er sich von strammen jungen Männern in Latex-Tangas umgarnen ließ.

Schon eigenartig, dachte sie. Er geniert sich für nichts, und er scheint zu glauben, daß ich viel zu einfältig bin, um seine Geldbotendienste verdächtig zu finden. Sehe ich denn so gehirnblond aus?

»Sie machen ja ’n Gesicht wie sieben Tage Regenwald!« rief Bärlapp ihr von seiner Loungecouch aus zu. »Nun lachen Sie doch mal, Fräulein Süß! Wir sind hier nicht auf ’ner Beerdigung, sondern im Garten Eden! Hoch die Tassen!«

Dann gab er sich wieder dem Geschnäbel mit den Brasilianern hin, und Ute trank aus. Ihr Tagessoll war noch nicht erfüllt. Sie empfahl sich, nahm ein Taxi zum Hotel und knackte Bärlapps Zimmertür.

Zum siebzehnten Mal rief der taz-Redakteur Michael Ringel im deutschen Außenministerium an, um sich nach dem Verbleib des freien Mitarbeiters Thomas Gsella zu erkundigen, aber auch diesmal wurde er abgebügelt: »Wir wissen leider nichts über den Aufenthaltsort Ihres Herrn Kollegen …«

»Dann geben Sie mir jetzt gefälligst den Außenminister«, sagte Ringel.

»Der Herr Außenminister befindet sich auf einer Auslandsreise.«

»Na und? Ist er da telefonisch nicht erreichbar?«

»Grundsätzlich schon. Wenn Sie wollen, leite ich Ihre Anfrage weiter.«

»Sie haben bereits mehr als zwanzig meiner Anfragen weitergeleitet!« rief Ringel. »Ist der Stellvertreter des Außenministers zu sprechen?«

»Nein.«

»Und der Stellvertreter des Stellvertreters?«

»Nein, der auch nicht, aber wenn Sie wollen, kann ich Sie mit dem Staatssekretär Jens-Jasper Flipsen verbinden.«

»Ja, tun Sie das, in Gottes Namen …«

Flipsen war noch nicht lange im Geschäft. Er hatte sich an der Universität Passau mit einer Abschlußarbeit über die Haushaltspolitik des bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber einen Bachelor of Arts in Governance and Public Policy gesichert und war danach von einem Schwager seiner Kusine als Quereinsteiger ins Bundesaußenministerium beordert worden.

»Flipsen hier«, sagte Flipsen. »Sie wünschen?«

»Ich wünsche mir Thomas Gsella zurück«, sagte Ringel.

»Bitte wen?«

»Thomas Gsella. Wissen Sie noch? Die Geschichte mit dem Airbus, der in den Jemen entführt worden ist. Alle Geiseln sind befreit worden, nur Gsella nicht. Der ist verschollen.«

»Ja, richtig«, sagte Flipsen. »Ich erinnere mich. In dieser Sache haben wir massivst beim jemenitischen Botschafter interveniert und auch in der Uno darauf gedrängt, die Suche nach Herrn Gsella zu intensivieren.«

»Gedrungen«, sagte Ringel.

»Wie bitte?«

»Es heißt nicht ›darauf gedrängt‹, sondern ›darauf gedrungen‹.«

»Wollen Sie mir hier Deutschunterricht erteilen?«

»Nein. Ich will wissen, wo Gsella ist!«

»Wie gesagt – wir haben massivst interveniert und rechnen zeitnah mit einer positiven Antwort der jemenitischen Regierung …«

Ringel straffte sich und sagte: »Ich gebe Ihnen achtundvierzig Stunden, Herr Flipsen. Wenn Sie mir bis dahin kein Lebenszeichen von Gsella geliefert haben, werde ich mich vor der Botschaft der Republik Jemen in Berlin anketten und der Weltöffentlichkeit mitteilen, daß Sie ein Komplize von Gsellas Kidnappern sind!«

»Das steht ganz in Ihrem Ermessen«, sagte Flipsen. Alles nur heiße Luft, dachte er, aber neun seiner Blutgefäße verengten sich, fünfzehn Haare fielen ihm aus, und sein Puls stieg auf 220 Schläge in der Minute.

Zu diesem Zeitpunkt stand Thomas Gsella in Bagdad in einem schmucklosen Kellerraum eines Harems im vornehmen Stadtviertel Zayouna einem starkbehaarten Zeremonienmeister namens Hoshyar Popal gegenüber, der ihm einen Dudelsack hinwarf und sagte: »Play.«

Gsella fing das Musikinstrument auf. Eine halbe Stunde zuvor hatte man ihn von dem Pritschenwagen in das Kellerzimmer geschleift, und jetzt sollte er sich als Musikus betätigen …

»Play!« kommandierte Popal und wackelte mit einer SIG Sauer P228. »Or I’ll shoot you.«

Gsella wußte nicht, bei welcher der vielen Pfeifen er ansetzen sollte. Als Vorschulkind hatte er ohne großen Erfolg eine Blockflöte traktiert, und im Jugendzentrum an der Essener Papestraße war ihm an einem feuchtfröhlichen Abend im Jahre 1977 einmal eine Mundorgel ausgeliehen worden, aber einen Dudelsack hatte er bis dato noch nie bedient.

»Haben Sie nicht auch ein Klavier?« fragte er. »Als Pianist bin ich ganz brauchbar …«

»Play«, sagte Popal. »Or you’ll die.«

Ein Quäklaut entrang sich dem Dudelsack, als Gsella in eine der Pfeifen blies.

»Go on«, sagte Popal und hielt ihm die Pistole an die Schläfe. »Play Leopold Mozart’s Sinfonia in D major.«

Das gehe nicht ohne den Klavierauszug, behauptete Gsella.

»Okay«, sagte Popal. »Then play ›Mull of Kintyre‹ instead. Do you know ›Mull of Kintyre‹?«

»Well, yes«, erwiderte Gsella. »This song is really great! It’s from Paul McCartney. A former member of the Beatles. Do you know the Beatles? I like them very much. My favourite albums are ›Please Please Me‹ and ›Revolver‹ …«

Diesem Gelaber bereitete Popal ein jähes Ende. Er versetzte Gsella einen unter Karatekämpfern als Sukui-Uke bekannten Schaufelblockschlag und stellte klar, daß der Eigentümer des Harems vor kurzem einen schottischen Fußballverein gekauft habe und in seinem Wohngemach deshalb in spätestens drei Tagen ein hochklassiges Dudelsackkonzert erwarte.

»Aber wieso denn von mir?« fragte Gsella unter Tränen.

Eine Antwort wurde ihm nicht zuteil.

»Auf Bärlapps Laptop hab ich ein Video entdeckt, das einen Berater des Präsidenten der Asociación Paraguaya de Fútbol beim Sex mit einer Gießkanne zeigt«, sagte Ute.

»Entschuldige«, sagte Gerold, »die Verbindung schwächelt. Hast du gerade gesagt, daß du auf Bärlapps Laptop ein Video entdeckt hast, das einen Berater des Präsidenten der Asociación Paraguaya de Fútbol beim Sex mit einer Gießkanne zeigt?«

»Ja. Leider.«

»Und wie hat man sich das vorzustellen?«

»Frag mich lieber nicht. In dem Video kommt auch ein Harnröhrendehner mit Silikonschlauch und Doppelfunktionsvorderteil vor …«

»Du arbeitest ja wirklich an der Front!«

Da spreche er ein wahres Wort gelassen aus, sagte die Fischerin. »Und was hast du so rausgefunden?«

»Nicht viel. Ich stecke fest und hab hier lauter Kleinkram an den Hacken. In Himbergen ist eine Beregnungsmaschine gestohlen worden und in Suderburg ein Rübenreinigungslader. Was ist dagegen schon eine globale Mordserie?«

»Dann hoffe ich, daß du trotzdem an mich denkst, wenn ich morgen mit Meister Bärlapp nach Wellington fliege.«

»O Gott! Wie lange seid ihr denn da unterwegs?« fragte Gerold und schenkte sich einen Weinbrand ein.

»Gut neunzehn Stunden. Mit Umsteigen in Santiago de Chile und Auckland. Das sind mehr als dreizehntausend Kilometer.«

»Upps. Habt ihr da wenigstens ein gutes Bordkinoprogramm?«

»Das wird sich zeigen«, sagte Ute. »Vielleicht läuft ja ›Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug‹ … oder ›Katastrophenflug 232‹ …«

»Würdest du nicht lieber ›Love Story‹ sehen?«

»Um schlafende Hunde zu wecken? Nein, mein Lieber. Ich vergehe ja auch so schon fast vor Sehnsucht nach dir.«

Gerold wurde rot. »Bald haben wir uns wieder«, sagte er feierlich. »Und ich trinke jetzt auf dein Wohl!«

»Sehr aufmerksam. Apropos – gestern abend hab ich einem überforderten Hotelpagen dabei helfen müssen, den besoffenen Bärlapp von der Fahrstuhltür zu seinem Bett zu wuchten. Rat mal, was er dabei angehabt hat …«

»Der Page?«

»Nein, Bärlapp!«

»Weiß nicht. Ein Trikot von Hertha BSC?«

»Schön wär’s gewesen! Transparente Boxershorts hat er getragen und obenrum so eine Art Gothic-Leder-Fetischgürtel …«

»Und sonst gar nichts?«

»Nein. Den Rest seiner Kleidung muß er in irgendeinem Schwulenclub liegengelassen haben.«

»Ute, ich beneide dich«, log Gerold. »Was du alles erlebst!«

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