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ОглавлениеMit einem herzlichen Applaus wurden Kommissar Gerold und Kommissarin Fischer begrüßt, als sie mit großer Verspätung im Präsidium der Polizei von Athen eintrafen. Was sie durchgemacht hatten, war allen bekannt. Theofanis Michelakis, der Leiter der Sonderkommission, der Clint Eastwood wie aus dem Gesicht geschnitten war, überreichte ihnen einen Orchideenstrauß und eine Flasche Metaxa, und dann wurde Gerold dazu aufgefordert, die Ergebnisse der Ermittlungen zum Mord an Jörg Herringhoff darzulegen.
Ärgerlicherweise war die Klimaanlage defekt, und Gerold schwamm in einer Schweißflut, während er den Kriminalbeamten Bericht erstattete: Herringhoff habe keine Vorstrafen und keine Schulden gehabt, unauffällig gelebt, eine saubere Personalakte hinterlassen und sich anscheinend nur ein einziges Mal eine Rüge eingefangen. »Und zwar von Roderich Bärlapp, dem Schatzmeister der Fifa. Von dem ist er drei Tage vor seinem Tod per SMS scharf zurechtgewiesen worden. Er solle das Maul halten, denn sonst werde er was erleben …«
Es stellte sich heraus, daß auch die anderen Mordopfer in ihren letzten Lebenstagen von Bärlapp bedrängt worden waren. Ricardo López hatte er per E-Mail sogar mit einer »escuadrón de la muerte« gedroht, einer Todesschwadron, doch er hatte sich damit herausgeredet, daß das ein Scherz gewesen sei.
»That’s were we have to start«, rief Rupert Wimmerforce, ein Commissioner von Scotland Yard, der sich herbeibemüht hatte, weil in diesem Gremium natürlich auch das Mutterland des Fußballs vertreten sein mußte. »Let’s nail this bastard Bärlapp down!«
In natura hatten weder Ute noch Gerold jemals einen dickeren Menschen als Rupert Wimmerforce gesehen. Er benötigte eine zwei Meter breite Bank, um sitzen zu können, und sein Quadrupelkinn ging irgendwo im Brustbereich in eine Bauchkugel von der Größe des Jupiters über, aber was er sagte, klang nicht dumm. Er plädierte dafür, einen verdeckten Ermittler auf Bärlapp anzusetzen oder, besser noch, eine verdeckte Ermittlerin.
Bei diesen Worten richteten sich einhundert Augen auf die einzige Frau im Raum: die Oberkommissarin Fischer.
»Time to act«, sagte Wimmerforce. »Ready for an adventure?«
In der nächsten Kaffeepause nahm Gerold die Fischerin zur Seite. »Du kannst das«, sagte er. »Wir setzen dich diesem Schweinehund wie eine Laus in den Pelz, und dann servierst du ihn uns mitsamt seinen Hintermännern auf dem Silbertablett …«
»Muß ich dafür auch mit ihm ins Bett gehen?« fragte Ute.
»Davon hättest du nicht viel. Roderich Bärlapp ist schwul.«
»Woher weißt du das?«
»Das ist ein offenes Geheimnis.«
»Und wie kommst du darauf, daß ich für sowas verschlagen genug bin?«
Gerold legte den Kopf schief und suchte nach einer Antwort, die sie nicht verletzte, doch da kam Rupert Wimmerforce angerollt und vertraute Ute und Gerold unter dem Siegel der Verschwiegenheit an, daß der Personalchef der Fifa schon seit langem als Informant für den britischen Auslandsgeheimdienst MI6 arbeite und die Ersetzung der derzeitigen Chefassistentin Bärlapps durch die Kommissarin Fischer sofort in die Wege leiten könne.
Ute runzelte die Stirn. »Und wie kriegen Sie diese Assistentin von Ihrem Posten weg?«
»Oh, you don’t have to worry about that«, sagte Wimmerforce. »Money talks.«
Einen Sandsturm hatte Thomas Gsella zwar schon einmal in dem Spielfilm »Mission: Impossible – Ghost Protocol« gesehen, aber der war nur ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem Orkan, der ihn im saudischen Luftraum mitgerissen und fünfhundert Kilometer weit nach As Sulayyil geblasen hatte, eine kleine Gemeinde am Rande der Wüste Rub al-Chali, wo er in der Jauchegrube eines Kamelgestüts gelandet war.
Der Fronvogt von As Sulayyil hatte Gsella reanimieren und reinigen lassen und ihn sodann einer Gruppe von Handlangern zugeteilt, deren Aufgabe darin bestand, von früh bis spät den Dung der Kamele in Schubkarren zu schaufeln.
Hier ist meines Bleibens nicht länger, dachte Gsella bereits an seinem ersten Arbeitstag. Mit fast allem war er unzufrieden, von der Vielzahl der Arbeitsstunden bis zur Kost, zur Unterkunft und zur nicht vorgesehenen Bezahlung, und weil es so heiß war, versuchte er, eine »Schönwetterzulage« ins Gespräch zu bringen, doch diese Flausen wurden ihm vom Schichtleiter mit Stockhieben ausgetrieben.
Nächtigen mußte Gsella mutterseelenallein in einem Holzverschlag inmitten von Braunbandschaben, Sichelwanzen, Getreidemotten und anderem Ungeziefer. Auch eine Vogelspinne hatte er gesichtet und einen Dickschwanzskorpion der stechfreudigen Gattung Androctonus crassicauda. Und sahen manche der Arbeitskollegen nicht so aus, als wären sie mit Lepra, schwarzen Blattern oder etwas noch Üblerem infiziert?
Die Tür des Verschlags war nicht verschlossen, denn der Fronvogt verließ sich auf seine Wachhunde, drei mannscharfe Staffordshire Bullterrier, die auf dem Gelände patrouillierten. Ihnen war noch nie jemand entwischt.
Gsella aber, nicht faul, stahl sich am Ende seines zweiten Arbeitstages in die Küche des Gestüts und stibitzte drei Pavianwürste, und als in der darauffolgenden Nacht der Vollmond aufgegangen war, trat er hinaus und schmiß den grollend herbeieilenden Wachhunden die Würste zum Fraß vor.
Das genügte. Die Terrier beschäftigten sich mit dem Imbiß, und Gsella hatte freien Zugang zur Vorratskammer, wo er ein Satteltaschenpaar mit einem Sack Datteln und einem Wasserschlauch füllte und schulterte. Dann weckte er mit einem sachten Fußtritt eines der Kamele.
Es erhob sich schnaubend auf die Beine.
»Ruhig, Brauner«, sagte Gsella und warf ihm die Satteltaschen über den Hals.
Das Kamel wehrte sich nicht dagegen. Es stand still und harrte der Dinge, die kommen mochten.
Schwerer als alles Vorangegangene fiel Gsella das Kunststück, das Kamel zu besteigen. Er krallte sich an das Fell und zappelte hilflos mit den Beinen. Erst das Knurren der Terrier, die ihre Würste aufgefressen hatten und sich fragten, was hier eigentlich vorging, bescherte ihm den Unternehmungsgeist, den er brauchte, um sich zwischen die Höcker zu schwingen und dem Gestüt zu entfliehen.
»Vorwärts, altes Wüstenschiff!« rief er. »Galoppi, galoppi!«
Das Kamel trabte gemächlich los. Von den belfernden Hunden ließ es sich nicht beirren, und sie blieben auch schon bald zurück, weil sie wußten, daß es keine Wiederkehr aus der Wüste Rub al-Chali gab, in die Gsella hineinritt.
Die Zerstörung der Kaaba hatte die Muslime von Dakar bis Jakarta in Aufruhr versetzt. Niemand bekannte sich zu diesem Anschlag, aber viele Millionen erboste Eiferer glaubten, daß die CIA dahinterstecke. Ein russischer Nachrichtensender nährte diesen Verdacht, und in Kairo, Mogadischu, Kuala Lumpur, Tunis und Amman wurde Feuer an die amerikanische Botschaft gelegt. In Algier brannten Demonstranten eine Pizza-Hut-Filiale nieder, und auf den Malediven verübte der gesamte Kader der Handball-Nationalmannschaft aus Protest Selbstmord durch die Inhalation von Auspuffgasen.
Es wurde ernst. Die United States Navy machte ihre Schiffe im Persischen Golf gefechtsklar, Rußland sandte zwei Atom-U-Boote mit seegestützten Interkontinentalraketen aus, die chinesische Marine mischte sich mit einem Lenkwaffenzerstörer ein, und der Oberste Führer der Demokratischen Volksrepublik Korea kündigte einen atomaren Erstschlag für den Fall an, daß man ihm kein Mitspracherecht beim Ausbruch des Dritten Weltkriegs gewähren sollte.
Für Verschwörungstheoretiker war es ein Fest. Sie wiesen den Rosenkreuzern die Schuld zu, den Freimaurern, den Zeugen Jehovas, dem Kreml, dem Pentagon, der Federal Reserve Bank, den Tempelrittern und den Weisen von Zion, und der saudi-arabische Kronprinz Mohammed bin Salman bin Abdulaziz Al Saud setzte ein Kopfgeld in Höhe von zehn Millionen Saudi-Riyal für die Ergreifung des Täters aus, was plusminus 2,3 Millionen Euro entsprach.
Er sei das alles leid, sagte Gerold, klappte seinen Laptop zu und blickte Ute an, die aus der Hotelzimmerdusche kam. »Erbitte Status-Diagramm.«
»Verstanden«, sagte Ute. »Gehe jetzt auf Suche nach dem Zielsender.«
»Gut. Schauen wir uns das auf Inrafrot an. Umschalten auf Wärmebild!«
Sie spielte mit. »Red-Crown-Kontaktdaten. Drei-null-null für dreißig.«
»Roger. Ziel ist statisch. Setzen wir den Laser ein.«
»Geh einfach auf Anschubwinkel drei null und bring uns sicher runter, ja?«
»D’accord. Wir haben Standardprozeduren für solche Fälle …«
»Countdown einleiten!« befahl Ute und zog Gerold das Hemd über den Kopf.
Fünfhunderttausend Quadratkilometer weit breitete die Wüste sich um Thomas Gsella aus, als er auf dem gestohlenen Kamel nach Osten ritt und verzweifelt Ausschau nach einem Objekt hielt, das Schatten spendete. Die Mittagssonne hatte das Thermometer auf sechzig Grad Celsius steigen lassen, und Gsella brannte das Salz seiner Schweißtropfen in den Augen. Seine Glatze hatte er mit einem Geschirrtuch aus der Küche des Gestüts bedeckt, aber auf seinen Unterarmen bildeten sich feuerrote Brandblasen, und der schaukelnde Gang des Kamels versetzte ihn in eine Trance, in der es ihm vorkam, als bräche sein Gehirn siedend aus dem Schädel hervor – als wäre er ein Kochtopf, und seine Ohren und Zähne wären feurige Kohlen, aus denen die Flammen des Höllenfeuers emporschlügen.
Hinter jeder Sanddüne wurde die Kuppe der nächsten Sanddüne sichtbar und niemals der Umriß einer Oase mit einer Palme, einem Liegestuhl und einem Kiosk, der eisgekühlte Getränke verkaufte: Licher Pilsner, Mönchshof Maibock, Alsfelder Weizen Kristall oder Pfeffer-Hell aus der Dampfbierbrauerei Zwiesel. Selbst eine Flasche Clausthaler Hefeweizen Premium Alkoholfrei oder ein Schmucker Diät-Pils hätte Gsella jetzt dankbar entgegengenommen.
Bei jedem Atemholen füllten seine Lungen sich mit beißend heißem Sauerstoff, und urplötzlich verschlechterte die Lage sich beträchtlich: Eine Sandrasselotter fuhr zischend aus dem Wüstensand auf, und das Kamel scheute, stellte sich blökend auf die Hinterbeine, schüttelte Gsella ab und rannte mit den restlichen Datteln und dem Wasserschlauch davon.