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Unter der Aufsicht seines irakischen Musiklehrers war Thomas Gsella in der Kunst des Dudelsackspielens so weit fortgeschritten, daß er im Garten des Harems ein Medley aus schottischen Regiments- und Reitermärschen zu Gehör bringen durfte. Er war dabei aber nicht gut in Form. Das schwüle Klima setzte ihm zu, und die Bitte um zwei Hühneraugenpflaster und eine Handvoll After Sun Lotion wurde ihm abgeschlagen.

In meiner Jugend, dachte Gsella bekümmert, habe ich mich einmal mit zwei Maoisten aus der Obersekunda solidarisiert, weil sie für eine klassenlose Gesellschaft eingetreten sind, und nun stehe ich hier im Zweistromland in einem Palastgarten in der hochberühmten Kalifenstadt Bagdad und tröte einem moschusduftenden Pascha die Ohren voll …

Während Gsella seinen Dudelsack bespielte, wandelte der Haremsbesitzer Al-Afdil Abdussalam Ikhan mit zwei Jungfrauen im Arm zwischen den Blumenrabatten einher. Das Geschmeide, mit dem die Damen geschmückt waren, besaß unverkennbar einen höheren Schauwert als Gsellas Uniform, die sich aus zwei Teilen zusammensetzte: einem Glengarry-Pfeiferhut im Scottish-Highland-Stil und einem Lendenschurz aus irakischer Widderwolle.

Mit einem Palmwedel fächelte ein anderer Bediensteter dem Pascha Frischluft zu, und ein Ober trug ein Tablett mit Feigen, Myrrhe, Mandeln, Wildbret und Wachteln herbei.

Gsella, der am frühen Morgen nur mit einer winzigen, in stichige Ziegenmilch geschütteten Portion Frühstücksflocken der Marke Cap’n Crunch und ein paar Granatapfelschalen verköstigt worden war, ließ die Sackpfeife sinken, als er die Spezereien erblickte, und er spielte erst wieder auf, als ihn sein Lehrer mit einem Roundhouse-Kick zur Ordnung gerufen und ihm ins Ohr geschrien hatte: »Play fucking loud!«

Von klein auf hatte Gsella dem gewaltlosen Widerstand von Mahatma Gandhi und Martin Luther King hohen Respekt gezollt, und als orientierungsloser Zweitsemester hatte er sogar einmal daran gedacht, in Nicaragua mit der Waffe in der Hand für den Sozialismus zu sterben, aber in diesem Fall gehorchte er und intonierte auf den persönlichen Wunsch von Al-Afdil Abdussalam Ikhan die Evergreens »Auld Lang Syne«, »Amazing Grace« und »Meine Brille heißt Sibylle«.

Ich muß fliehen, dachte Gsella, als er sich abends auf seinem Reisstrohsack langmachte. Aber wohin?

In Anbetracht der vielen neuen Morde an Fußballfunktionären wäre es vernünftig gewesen, die Sonderkommission in Athen personell und finanziell besser auszustatten. Doch es kam anders. In einer konzertierten Aktion kürzten Europol und Interpol der SoKo die Mittel, von heute auf morgen wurden fast alle Ermittlergruppen in ihre Heimatstaaten zurückgepfiffen, und der Commissioner Rupert Wimmerforce fand sich nach einer Strafversetzung in Mumbai wieder, der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Maharashtra, wo er eine läppische Handtaschendiebstahlserie untersuchen sollte.

Das Ganze stinke doch zum Himmel, sagte Wimmerforce am Telefon zu Gerold. Zu erklären sei die Zerschlagung der SoKo nur mit Machenschaften der höchsten Regierungsorgane auf mehreren Kontinenten …

Gerold stimmte ihm zu und gelobte, den Mord an Jörg Herringhoff aufzuklären und danach das gesamte Wespennest auszuräuchern.

»That’s the old fighting spirit!« rief Wimmerforce beglückt. »Go and get these bastards!«

Nach dieser Unterredung legte Gerold sich in die Badewanne, träufelte ein wenig Kneipp-Öl namens »Rückenwohl« ins Wasser, trank einen großen Schluck Einbecker Brauherren-Pils aus der Flasche und studierte den neuesten Kicker. Die ungelösten Mordfälle fanden darin nur in einer Glosse des Herausgebers Rainer Holzschuh Erwähnung:

Auch nach fünfzig Jahren im Sportjournalismus habe ich das Staunen nicht verlernt. Kürzlich hörte ich von dem Gerücht, der saudi-arabische Erstligist Al-Nassr habe zehn Milliarden Euro für Lionel Messi geboten, und am selben Tag rief hier ein selbsternannter Whistleblower an, der sich als Iglusch Boberaitis vorstellte und sein Geheimwissen über die Morde an Funktionären der FIFA »leaken« wollte, wie man auf Neudeutsch sagt. Wo ist sie hin, die gute alte Zeit, in der der Rasensport einfach nur die schönste Nebensache der Welt war? Hat König Fußball die Bodenhaftung verloren?

Iglusch Boberaitis! dachte Gerold. Von dem soll doch Jörg Herringhoff gesprochen haben!

Schon vierzig Sekunden später lief er nackt und nur unzulänglich abgetrocknet im Flur seiner Wohnung auf und ab und redete auf die störrische Kicker-Chefsekretärin ein: »Wenn Sie mir nicht glauben, daß ich von der Polizei bin, werde ich Mittel und Wege finden, Sie davon zu überzeugen! Sie haben die Wahl. Entweder geben Sie mir jetzt sofort die Mobilnummer von Herrn Holzschuh, oder meine Kollegen in Nürnberg werden Ihr Haus vom Dach bis zur Kellersohle durchkämmen!«

Das wirkte.

Gerold notierte die Nummer, bedankte sich höflich, rief Holzschuh an und leierte alles aus ihm heraus, was Iglusch Boberaitis gesagt hatte.

»Halten Sie diesen Mann denn für glaubwürdig?« fragte Holzschuh.

»Das weiß ich noch nicht. Aber ich danke Ihnen. Ach, und da ich Sie gerade am Apparat habe: Wissen Sie vielleicht, wohin Beckenbauer und Hoeneß sich abgesetzt haben? In den Medien wird wild darüber spekuliert …«

»Das entzieht sich meiner Kenntnis. Warum fragen Sie? Sehen Sie da einen Zusammenhang mit diesem Iglusch Boberaitis?«

»Nein. Ich wundere mich nur.«

»Da sind Sie nicht der erste, Herr Kommissar«, sagte Holzschuh und lachte verhalten. »Über Beckenbauer und Hoeneß habe ich mich schon vor einem halben Jahrhundert bei meinen Besuchen in der Kabine der Bayern gewundert …«

Gerold verabschiedete sich und blieb stehen. Jetzt muß ich nach Greetsiel und Boberaitis treffen, dachte er. Und ich brauche einen Wischroboter!

In Wellington fand Roderich Bärlapp nur wenig Verwendung für seine Sekretärin. In ihrer Rolle als Verena Süß war Kommissarin Fischer wegen ihrer »nicen Optik«, wie Bärlapp es nannte, zu einem nichtsnutzigen Foto-Shooting in die Spielstätte des Wellington Phoenix FC mitgenommen worden und hatte anschließend frei.

»Machen Sie sich eine schöne Zeit«, sagte Bärlapp. »Erkunden Sie die Stadt! Es gibt hier ein faszinierendes Nightlife!«

Ute zwinkerte Bärlapp zu und trippelte davon. Auf der Damentoilette eines Starbucks-Cafés öffnete sie ihren Tornister und holte alles heraus, was sie brauchte, um Bärlapp beschatten zu können – eine verspiegelte Sonnenbrille, eine goldblonde Langhaarperücke und einen häßlichen grauen Regenponcho –, und in dieser Verkleidung kehrte sie zum Stadion zurück.

Bärlapp trat gerade auf die Straße. Er wandte sich nach rechts und ging pfeifend den Jervois Quay hinunter. Zielstrebig, wie es schien.

Für die geschichtsträchtige Hafenpromenade, die viktorianischen Bauwerke und den Mount Victoria hatte die Fischerin kein Auge. Sie blieb Bärlapp auf den Fersen.

Nach einem Kilometer bog er in die Tory Street ab und suchte dort ein Etablissement namens Checkmate auf.

Kommissarin Fischer entnahm ihrem Smartphone die Information, daß es sich um eine Schwulensauna handele: »Wellington’s premier gay sauna, located in the heart of the city. Checkmate features a dry sauna, steam room, jacuzzi, private rooms, play zone, glory holes, video rooms and a discreet entrance.«

Es dauerte drei Stunden, bis Bärlapp das Checkmate wieder verließ. Er sah etwas abgekämpft aus, schien aber guter Dinge zu sein.

Über die Wakefield Street und die Cable Street folgte Ute ihm zum Waitangi Park.

Bärlapp setzte sich auf eine Bank, und zwei Minuten später nahm ein Glatzkopf neben ihm Platz, der Ute bekannt vorkam. War das nicht Gianni Infantino, der weltgewandte und polyglotte Präsident der Fifa?

Kein Zweifel: Er war es.

Im Schutz eines Gebüschs pirschte Ute sich so nah an die beiden Herren heran, wie sie konnte, legte sich flach auf den Bauch und zeichnete mit ihrer Voice-Recorder-App jedes Wort auf, das sie sagten.

Infantino: »Roderico, mio caro! Wie kommen wir voran?«

Bärlapp: »Molto bene, mio Presidente. Wir haben in unseren Reihen schon gründlich aufgeräumt, und die Sonderkommission ist gekillt.«

Infantino: »But what about – was ist mit Rupert Wimmerforce? Er lebt noch! Perché non è morto?«

Bärlapp: »Um den brauchen wir uns keine Sorgen zu machen. Den haben wir auf einem Abstellgleis in Indien geparkt …«

Infantino: »That’s for sure?«

Bärlapp: »Tausend pro.«

Infantino: »Très bien. Um wie viele Neinsager müssen wir uns noch kümmern?«

Bärlapp: »Maximal vierzig, würde ich schätzen. Eher weniger.«

Infantino: »Congratulazioni. Mais alors, by the way – haben Sie auch diesen Bodenwühler aus Deutschland im Griff? Den Kommissar Gerold Gerold?«

Bärlapp: »Wir arbeiten daran.«

Infantino: »Das glaube ich erst, wenn ich seinen Totenschein sehe. Capito?«

Bärlapp: »Gewiß, Maestro, gewiß.«

Infantino: »Well, then … buona fortuna, mein Gutester! À bientôt!«

Ute blieb still im Gebüsch liegen, während die Herren auseinandergingen, und dann schickte sie Gerold das Sprachmemo zu.

Mit einer Geländelimousine, die sie auf dem Parkplatz der Raiffeisenbank in der Gemeinde Jaun entwendet hatten, waren Beckenbauer und Hoeneß nach Zürich geflohen. Der gewitzte Hoeneß wußte, daß der Zeugwart der Grasshoppers Zürich den Zweitschlüssel für das Vereinsheim unter einem Sonnenschirmfuß neben der Eingangstür zu verstecken pflegte, und so fiel es den beiden Schelmen nicht schwer, sich in dem Heim zu verschanzen.

Die Speisekammer gab zwar nur Sesam-Bretzeli, Goldfischli, Puffreis und eine Tüte Knabbersticks mit Rüebli-Aroma her, aber im Putzmittelschrank stöberte Beckenbauer eine Kiste Wädenswiler Ur-Weizen und eine Flasche Appenzeller Alpenbitter auf. Damit war der Abend gerettet.

Während des Festgelages kontaktierte Hoeneß telefonisch den Präsidenten des Sportvereins Al-Sadd in Doha, Scheich Mohammed bin Hamad Al Thani, einen alten Spezi, mit dem er viele Geschäftsgeheimnisse teilte. »Zounds!« und »Donnerlittchen!« rief Hoeneß dabei aus, und er beendete das Gespräch mit den Worten: »You’re a hell of a guy! See you soon!«

»Guade Nochrichdn?« fragte Beckenbauer.

»Die besten, Franz«, sagte Hoeneß und ließ sich einen Knabberstick schmecken. »Noch heute nacht werden wir im Diplomatengepäck nach Katar jetten!«

SoKo Fußballfieber

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