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Hinter den Kulissen mußten einige Strippen gezogen werden, bevor Kommissarin Fischer im Ausland operieren durfte. Im Wiesbadener Bundeskriminalamt erhielt sie einen Crashkurs in verdeckter Ermittlung, und man stattete sie mit Dokumenten aus, die ihre neue Identität bewiesen. Ute Fischer hieß jetzt Verena Süß und hatte sich angeblich in der renommierten Buhmann-Schule in Hannover zur Chefassistentin ausbilden lassen. In einem Arbeitszeugnis wurden ihr großes Geschick bei der Analyse von Textinhalten, exzellente Kenntnisse im Umgang mit Word, Excel und Outlook, ein strukturierter und zuverlässiger Arbeitsstil, Organisationstalent, Belastbarkeit und Eigeninitiative sowie absolute Diskretion und Loyalität bescheinigt.

»Und wie steht’s mit deinen Fußballkenntnissen?« fragte Gerold bei einem abendlichen Telefonat. »Hast du dich fortgebildet?«

»Ja. Ich lese gerade das Buch ›So werde ich Heribert Faßbender‹ von Thomas Gsella und Jürgen Roth. Mit lustigen Bildern von Heribert Lenz. Laut Untertitel ist das ein Grund- und Aufbauwortschatz für Fußballreporter. Da stehen Floskeln drin wie ›Dem Mittelfeld fehlt ein Spielgestalter‹, ›Da herrscht ein Weißwurstchaos im Schalker Strafraum‹ und ›Nürnbergs Abwehr spielte in der ersten Halbzeit wie eine Mischung aus Bratwurst und Lebkuchen‹ …«

»Das darf doch nicht wahr sein!« rief Gerold. »Du mußt Fachliteratur lesen! Studien über die Wirtschaftsweise der Fifa und nicht solchen Müll!«

»Tu ich ja außerdem noch. Sei unbesorgt. Und was treibst du selbst?«

»Ich werde mir morgen in Frankfurt den DFB-Präsidenten vornehmen.«

»Viel Spaß. Nach allem, was ich weiß, ist der Mann ein Weichei.«

»Mag sein. Ich trage übrigens gerade nur einen feinmaschigen Herrenslip mit Blütenspitze, falls es dich interessiert …«

»Aus achtzig Prozent Polyester und zwanzig Prozent Elasthan?«

»Du sagst es.«

»Kannst du mir ein Foto davon schicken?«

»Eventuell. Aber vorher mußt du mir den Kopf von Roderich Bärlapp bringen …«

Thomas Gsella hatte einen harten Sturz getan. In seinem Kreuzbein war etwas verrenkt, seine Lippen glichen abgestreiften Schlangenhäuten, und er litt unter den Schwankungen der Temperatur. In den Nächten sank sie in der Wüste Rub al-Chali bis auf den Gefrierpunkt, und tagsüber stieg sie höher, als man es für möglich hielt, wenn man aus dem Ruhrgebiet stammte.

Die Sonne sprühte mittags Funken so dick wie Gazellenhälse.

Gsella krabbelte voran, doch es fiel ihm zusehends schwerer, seine Handflächen auf die heißen Sandkörner zu stemmen. Er fühlte sich so schmerzlich verlassen und ausgestoßen wie die Amoriter, die Kanaaniter und die Jebusiter im Buch Exodus, und das wollte etwas heißen, denn von diesen Völkern hatte Gott sich unwiderruflich abgewandt.

Ein Wüstenwaran flitzte vorüber, und Gsella griff nach ihm, gierig nach Fleisch und Blut, doch der Waran war schneller und entglitt den Fingern des Satirikers.

Wenn Gsella in der islamischen Überlieferung bewandert gewesen wäre, hätte er vielleicht den Merkvers gekannt, in dem die Qualen geschildert wurden, die den Ungläubigen im Jenseits blühten:

Die Glut der Hölle ist gewaltig, ihre Tiefe unfaßbar, ihr Brennmaterial Eisenstein, ihr Getränk glühendes Wasser und Eiter, und ihre Kleider sind kurze Feuergewänder.

Dies alles lernte er nun bereits im Diesseits kennen. Ausgehungert und dehydriert schleppte er sich Meter um Meter nach vorn, und da erahnte er im Flimmern und im Dunst der Wüste mit einemmal die Aschaffenburger Brauereigaststätte Schlappeseppel, eine seiner Stammkneipen, in der er im Laufe seines Lebens Tausende von Euro versenkt hatte.

»Ein Pils bitte«, ächzte Gsella. »Mit herber Hopfenblume …«

Die Zunge hing ihm bis zum Schlüsselbein heraus, und es dürstete ihn sehr, aber dann verflüchtigte sich die Fata Morgana, und an ihre Stelle trat wieder der reine, schwere Sonnenglast, der hier schon so manchen Pilger das Leben gekostet hatte.

In Gsellas Wahrnehmung verdichteten sich die Dünen und das brodelnde Dotter der Sonne zu einer einzigen Trockenbrühe, die ihn zu ersticken drohte, doch er gab nicht auf, obwohl seine Nackenhaut schon brenzlig roch und fünf aasfressende Greifvögel über ihm kreisten.

»Kein Gruß, kein Herz, kein Kuß, kein Scherz«, ging es ihm durch den Kopf. »So schön, schön war die Zeit …«

Dann fingen Gsellas Ohren Feuer. Er patschte es aus und erlitt dabei einen leichten Herzinfarkt, bevor er das Bewußtsein verlor und bäuchlings in den qualmenden Wüstenstaub fiel.

Die Weltuntergangsuhr der Zeitschrift Bulletin of the American Scientists war auf dreißig Sekunden vor zwölf vorgestellt worden, aber trotz der angespannten Situation hatte sich im Persischen Golf noch kein Schuß gelöst, und es war auch noch immer ungewiß, wer hinter dem Anschlag auf die Kaaba steckte. Klar war nur, daß der Schuldige den Zorn von mehr als anderthalb Milliarden Muslimen auf sich gezogen hatte. Ihr Unmut kannte keine Grenzen. Der saudische Mufti Abd-al Aziz el-Hashim, der ein hohes Amt in der nationalen Religionspolizei bekleidete, und der iranische Rechtsgelehrte Roshan Dschalal al-Afghani reichten einander über den Graben ihrer Erbfeindschaft hinweg die Hände und erließen gemeinsam eine Fatwa, in der sie für sachdienliche Hinweise auf den Täter eine Hundertschaft korallenäugiger Paradiesjungfrauen auslobten, und in Isfahan zündeten zwei Gotteskrieger vor einer Kathedrale sicherheitshalber schon mal eine Autobombe.

»Wir haben unsere Karten offen auf den Tisch gelegt«, erklärte Sven Glattschnigg, der DFB-Präsident, der sein Amt drei Monate zuvor angetreten hatte, nachdem sein Vorgänger wegen Steuerhinterziehung hinter schwedischen Gardinen gelandet war. »Ich weiß wirklich nicht, was Sie noch von uns wollen!«

»Jörg Herringhoffs Rechner«, sagte Kommissar Gerold.

»Der ist bei einer Inventur nach Herrn Herringhoffs Tod ordnungsgemäß verschrottet worden. Steht alles in Ihren Papieren.«

»Nein, hier steht nur, daß Sie Herrn Herringhoffs Büro leergeräumt und es chemisch gereinigt haben. Was daran ›ordnungsgemäß‹ gewesen sein soll, ist bis heute Ihr süßes Geheimnis. Und deshalb frage ich Sie abermals: Wo ist Herringhoffs Rechner?«

Sie maßen sich mit kühlen Blicken. Glattschnigg betrachtete Gerold als einen voreingenommenen, selbstgerechten, branchenfremden und lästigen Schnüffler, während Gerold in Glattschnigg einen öligen und doppelzüngigen Windhund mit Anzugknöpfen aus Schweizer Uhrenstahl sah, dem jede Lüge glatt über die Lippen ging.

Da Glattschnigg schwieg, setzte Gerold den Hebel woanders an und sagte, daß es gewisse Machenschaften gebe, die der Öffentlichkeit bislang verborgen geblieben seien. »Ich meine damit Ihre Verwicklung in die Finanzskandale des SV Meppen.«

Glattschnigg wich das Blut aus dem Gesicht.

»Wir sind im Bilde über das System Ihrer Vetternwirtschaft bei der Vergabe der Aufträge für den Ausbau des Stadions in Meppen«, sagte Gerold. »Und wir wissen auch, daß Sie vor fünf Jahren versucht haben, einen Schiedsrichter der Dritten Liga mit Freifahrtscheinen für das Hamburger Bordell Paradise Point of Sex zu bestechen. Ich will das aber gar nicht an die große Glocke hängen. Ich möchte nur, daß Sie mir mitteilen, wo der Rechner von Herrn Herringhoff geblieben ist. Wenn Sie das tun, werde ich mir im Hinblick auf Ihre Person unter Umständen zwei oder drei Gedächtnislücken erlauben.«

»Und da ist er eingeknickt?« fragte Ute Gerold abends am Telefon.

»So kann man’s sagen.«

»Und woher kennst du die Leichen, die Glattschnigg im Keller hat?«

»No comment. Quellenschutz.«

»Hast du denn jetzt den verdammten Rechner?«

»Ja. Der wird zur Stunde von irgendwelchen Cybertechnologen geflöht.«

»Und trägst du wieder deinen feinmaschigen Herrenslip?«

»Nein. Ich sitze im Bademantel vor einem Fertiggericht.«

»Hoffentlich nicht vor Insektenpasta mit Mehlwurmmehl.«

»Irrtum. Es handelt sich, um der Wahrheit die Ehre zu geben, um drei Quarkkeulchen aus der Thüringer Kloßmanufaktur. Und wie ist bei dir die Lage?«

Die Fischerin schloß die Augen, zog die Bettdecke ans Kinn und faßte zusammen, was man ihr inzwischen alles beigebracht hatte: »Ich kann jetzt Stalkerware auf Smartphones installieren, Virenschutzprogramme als Wanzen einsetzen, Verfolger ins Leere laufen lassen und auf Kurzwelle Geheimbotschaften übermitteln. Und ich hab Stenographie lernen müssen. Stell dir das vor! Stenographie! Weil Roderich Bärlapp darauf besteht, daß seine Sekretärin Steno beherrscht. Im einundzwanzigsten Jahrhundert!«

»Wann soll’s denn losgehen?«

»Morgen ist mein erster Arbeitstag.«

»Aufregend, oder?«

»Wie man’s nimmt. Ich kann mir was Schöneres vorstellen …«

Eine große und glänzende Kamelreiterschar umringte Thomas Gsellas Leib. Angeführt wurde sie von Tahir Farralbaki, einem Beduinen, der den Beinamen »Vater der Schakale« trug und unter seinem Burnus eine Glock 44 und einen mit Zink legierten und mit Blattsilber verzierten Dolch aus Edelstahl verwahrte. Farralbaki war mit seiner Karawane unterwegs zu der Hafenstadt Al Sila, um dort Ziegenhäute zu verkaufen, die er im Sultanat Oman aus dem Verkehr gezogen hatte. Der menschliche Beifang Gsella eignete sich in Farralbakis Augen gut für den Verkauf auf dem Sklavenschwarzmarkt.

Zwei Bandenmitglieder hoben Gsella hoch und zurrten ihn auf einem der Transportkamele fest.

SoKo Fußballfieber

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