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Ihren auberginenförmigen neuen Chef Roderich Bärlapp lernte Ute Fischer alias Verena Süß sofort von seiner unangenehmsten Seite kennen, als sie in Zürich ihren Dienst antrat.

»Morgen früh fliegen wir nach Rio, und von da geht’s weiter nach Neuseeland«, sagte er und warf ihr eine Checkliste auf den Schreibtisch. »Kümmern Sie sich darum. Und seien Sie so gnädig, Ihre Garderobe und Ihr Make-up bis morgen auf die Farbtöne der Innenverkleidung des Jets abzustimmen, mit dem wir fliegen. Blueberry, Sepiabraun und Hibiskusrot. Ich bin ein Farbenmensch. Ihre Amtsvorgängerin ist hier einmal in einem glittervioletten Longblazer erschienen und hat dazu flaschengrüne Loafer mit pastellgelben Schleifen getragen. Ist lange her, aber ich weiß es noch wie heute. ›Wollen Sie mich umbringen?‹ hab ich sie gefragt. Und sie: ›Wieso? Hab ich was falsch gemacht?‹ Und ich: ›Würden Sie sich bitte mal im Spiegel ansehen?‹ Und sie: ›Was soll das heißen?‹ Und ich: ›Das soll heißen, daß mir die glasierten Aprikosen von gestern abend hochkommen, wenn mir Ihre Schühchen und Ihr Blazer in die Augen stechen.‹ Und sie: ›Dann fragen wir doch mal die Gewerkschaft, was die dazu meint.‹ Und ich: ›Weshalb kommen Sie mir jetzt mit der Gewerkschaft? Der einzige Kritikpunkt, den ich angesprochen habe, betrifft den Kontrast zwischen der Farbe Ihres Blazers und der Ihrer Schühchen.‹ Gehören Sie auch einer Gewerkschaft an, Fräulein Süß?«

»Nein.«

»Das freut mich für Sie. But anyway – werfen Sie sich morgen in Schale. Wir haben Großes vor!«

Kommissarin Fischer verzog keine Miene, aber innerlich kochte sie. Ein schwuler Freund hatte einmal zu ihr gesagt, daß es nichts Schwulenfeindlicheres gebe als Tucken. Genau in diese Kategorie fiel Roderich Bärlapp, der auch sonst keine erfreuliche Erscheinung bot. Sein Gesicht ähnelte dem eines Blobfischs, und das Sprechen schien er im Reich der Kreuzkröten erlernt zu haben.

Während Ute im Vorzimmer die Reisevorbereitungen traf, hörte sie ihn in seinem Büro über »die Prozessualisierung von Strategiezielen« und »die Priorisierung von Fokusprojekten« dozieren. In einem Telefongespräch mit dem Präsidenten der Nigerian Football Federation drang er darauf, daß »evidenzbasiert abgeleitete Entscheidungen künftig stärker operationalisiert werden« sollten, und dem Chief Digital Officer des uruguayischen Fußballverbandes wusch er noch rabiater den Kopf: »Die verwaltungsseitige Federführerschaft muß auch in krisenmotivierten Koordinierungsprozessen konsensual von der Fifa-Zentrale festgelegt werden! Merken Sie sich das, Sie Pflaume!«

Als Bärlapp endlich auf die Toilette gegangen war, verwanzte Ute sein Büro und seinen Rechner und kam sich dabei vor wie Mata Hari.

Mehr tot als lebendig wurde Thomas Gsella in einer Karawanserei in Al Sila vom Kamel gehoben und den Kaufinteressenten präsentiert. Tahir Farralbakis Leute hatten ihn mit etwas Wasser und einer Aufbaukur aus Amphetaminen versorgt, aber er war ein Ladenhüter. Wer brauchte schon einen kraftlosen und gebrechlichen Hungerhaken mit Verbrennungen zweiten Grades, der nur durch das Zucken seiner Augenlider und sein Greinen nach Wasser bewies, daß er überhaupt noch lebte?

Viele Häupter beugten sich über diesen Verkaufsgegenstand, der auf dem Rücken lag, an Holzstreben gekettet, aber niemand schenkte Gsella ein Lächeln. Was er über sich sah, waren die Fratzen der verrufensten Gestalten aus der arabischen Unterwelt. Man sah ihnen an, daß sie zahlreiche Messerkämpfe und Schießereien überlebt hatten und nicht viel Wert auf ihr Äußeres legten. Dem einen Herrn fehlte ein Ohr, dem anderen ein Auge, dem dritten die Nase und dem vierten der Unterkiefer, und fast alle trugen lange Bärte vor sich her.

Während der Verhandlungen schabten die nadelspitzen Enden der harten Barthaare über Gsellas Brust und zerschnitten seine gerötete Haut wie Topfschrubber aus Stahldraht und Polyesterzwirn. Der Sonnenbrand, den der Dichterling aus der Wüste mitgebracht hatte, forderte seinen Preis.

Das höchste Gebot für Gsella belief sich auf sechs Saudi-Riyal, was knapp anderthalb Euro gleichkam.

Dann werde er den Mann lieber als Fischköder im Roten Meer verwenden, rief Farralbaki aus und ließ sich von einem seiner Gefolgsmänner ein Ausweidemesser reichen.

Gsella begriff, daß es hier um sein Leben ging. Er hätte gern mitgeboten und die Handelspartner darauf aufmerksam gemacht, daß sich in dem Portemonnaie in seiner hinteren rechten Hosentasche mehr als dreißig Euro befanden, doch er konnte sich nur ein Krächzen abquälen.

Um den Preis hochzutreiben, verwies Farralbaki auf den tadellosen Zustand von Gsellas Gebiß und entblößte mit dem Knauf des Ausweidemessers oben und unten das Zahnfleisch.

Die meisten Hehler blieben skeptisch, aber ein irakischer Menschenhändler bot volle dreizehn Riyal.

Farralbaki schlug ein, und wenig später fand Gsella sich zwischen fünfzig anderen Männern gefesselt in einem Container an Bord eines Frachters wieder, dessen Ziel der Wasserweg Schatt al-Arab war.

Das werde ich der Heinrich-Böll-Stiftung erzählen, dachte Gsella.

Im Datenmüll auf Jörg Herringhoffs Festplatte waren die Fahnder auf eine Goldader gestoßen: die Korrespondenz mit Dietrich zur Nedden, einem Journalisten aus Hannover, mit dem Herringhoff sich in den letzten Tagen seines Lebens über einige dunkle Punkte in der jüngeren Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes und der Fifa ausgetauscht hatte.

»Mir stehen die Haare zu Berge«, hieß es in einer E-Mail von Herringhoff. »Wenn Sie den DFB und die Fifa für einen Schweinestall halten, liegen Sie schief. Es ist viel schlimmer. Über Kanäle aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wird gerade unglaublich viel Geld hereingepumpt und nach einem Gießkannenprinzip, das ich noch nicht durchblickt habe, an Bundesliga-Schiedsrichter verteilt. Und ich höre auch schon manches Dubiose über die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2034 munkeln.«

Zur Nedden an Herringhoff: »Sie sollten mir solche brisanten Informationen nicht mailen. Können wir uns treffen?«

Herringhoff an zur Nedden: »Ginge es am Freitag in Hannover?«

Zur Nedden an Herringhoff: »Gern. Wie wäre es im Ristorante da Lello an der Marienstraße um 19 Uhr?«

Herringhoff an zur Nedden: »Perfetto.«

Kommissar Gerold sah auf den Kalender. Dieses Treffen mußte am Vorabend von Herringhoffs Tod stattgefunden haben.

Laut Internet war zur Nedden als freier Autor tätig und hatte unter anderem die Bücher »Das Freiburg-Fieber«, »Strafplanet Erde« und »Pfeifen! Vom Wesen des Fußballschiedsrichters« geschrieben.

Gerold rief zur Nedden an, stellte sich kurz vor und fragte ihn, ob er ihn heute noch in Hannover treffen könne, um ihm einige Fragen zu Jörg Herringhoff stellen zu können.

»Gern«, sagte zur Nedden. »Wie wäre es im Ristorante da Lello an der Marienstraße?«

»Paßt es Ihnen um neunzehn Uhr?« fragte Gerold und nahm sich vor, eine Zeitlang einen Bogen um den Hundertwasser-Bahnhof in Uelzen zu machen.

Weil ihm das Essen in der Reha-Kantine zum Halse heraushing, hatte Uli Hoeneß sich aus seiner Nürnberger Wurstwarenfabrik zwei Kilogramm Kümmelfleisch kommen lassen.

»Unwiderstehlich crunchy!« rief Franz Beckenbauer, als er an der Zwischenmahlzeit teilnahm. »I deaf gar ned mehr dro denga, mid wos fia an Saufraß mia im Drainingsloga Malente obgspeist woadn san …«

Er spielte damit auf die Kost an, die der deutschen Nationalmannschaft während der WM 1974 von dem DFB-Chefkoch Hans-Georg Damker gereicht worden war.

»Da hat uns die Welt noch zu Füßen gelegen«, sagte Hoeneß und biß herzhaft zu, während eine Träne das Gerstenkorn in seinem linken Auge umflorte.

»Und da Maier Sepp und du«, sagte Beckenbauer, »ihr seids amoi in da Nacht abghaut und habts in Hamburg rumgschnackselt …«

»Du warst aber auch kein Kind von Traurigkeit, mein lieber Franz«, versetzte Hoeneß. Der alte Schalk blitzte in seinen Augen auf.

In ihrer Jugend hatten es die beiden Weltmeister faustdick hinter den Ohren gehabt, doch hier und jetzt platzte Schwester Ophelia ins Zimmer, ohne anzuklopfen.

»Füürobed«, sagte sie und klatschte in die Hände. »Si söted scho lang i dä Fäderä liggä, si beidi! Hopp, hopp, undere jetz! Aber zerscht no d’ Zäähli putzä, gäll! Und händ Sie Ihri Medizin scho gnoo?«

Das war der Tropfen, der das sprichwörtliche Faß zum Überlaufen brachte. In dieser Nacht rissen Beckenbauer und Hoeneß ihre Bettlaken in Streifen, knoteten sie zusammen, seilten sich vom Balkon im zweiten Stock in die Freiheit ab und schlugen sich in die Büsche.

»Freedom’s just another word for nothin’ left to lose!« schrie Hoeneß in den Sternenhimmel.

Beckenbauer wollte einstimmen, aber da er nicht wußte, wie das Lied weiterging, behalf er sich mit der einzigen Songzeile, die er auswendig kannte: »Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand!«

Thomas Gsella fühlte sich nicht wohl. Die Temperatur in dem Container war stark angestiegen, seit der Frachter abgelegt hatte, und die Ausdünstungen der Mitgefangenen spotteten jeder Beschreibung.

Schwächere Männer hätten sich in einer derartigen Zwangslage in ihr Schicksal ergeben. Gsella hingegen dachte zurück an das, was er als Unterprimaner in den Büchern von Ernst Bloch gelesen hatte, dem Autor der Klassiker »Geist der Utopie« und »Das Prinzip Hoffnung«, und er dachte an Blochs prophetische Worte: »Man ist mit sich allein. Mit den anderen zusammen sind es die meisten auch ohne sich. Aus beidem muß man heraus.«

Das war das Stichwort, aus dem Gsella die Willensstärke empfing, mit der er sich in stundenlanger, zäher Kleinarbeit seiner Fesseln entledigte und seine Brüder für einen Aufstand gegen ihre Entführer zu gewinnen trachtete. »Laßt die Glocken von den Hügeln von New Hampshire läuten!« rief er. »Es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein niemals versiegender Bach!«

Doch niemand schloß sich Gsella an. Zwei Gefangene verpfiffen ihn mit Klopfzeichen an die Wachmannschaft, und den Rest der Seereise verbrachte er geknebelt und verschnürt in einem Deckelfaß aus Polyethylen.

Im Ristorante da Lello trank Kommissar Gerold einen Ramazzotti.

»Sind Sie denn nicht im Dienst?« fragte Dietrich zur Nedden. »Ich dachte, dann wäre Alkohol tabu für Bullen. Verzeihung. Für Polizisten, meine ich.«

»Träumen Sie ruhig weiter«, sagte Gerold. »Aber bitte erst, wenn Sie mir alles mitgeteilt haben, was Sie über Jörg Herringhoff wissen. Wie sind Sie mit dem überhaupt in Kontakt gekommen?«

Zur Nedden, ein gutaussehender, von manchen Wettern gegerbter Endfünfziger, holte weit aus. Mit Herringhoff hatte er 1993 Bekanntschaft geschlossen. »Ich hab damals als Pressesprecher für den SC Freiburg gearbeitet, der gerade in die Bundesliga aufgestiegen war, und da ist Jörg Herringhoff noch ein ganz kleines Licht gewesen. Hat mich für irgend’n Hochschulmagazin interviewt und mir dann im Vertrauen gesteckt, daß er vorhabe, den DFB zu unterwandern. Wollte sich da einschleichen, um das System von innen zu zersetzen, und eines Tages dann ein Enthüllungsbuch schreiben. Ich hab mir nicht viel dabei gedacht, aber er hat diese Nummer tatsächlich durchgezogen, ganz konsequent, und vor einem Monat ist er wieder an mich herangetreten …«

»Persönlich?«

»Nein, telefonisch. Hat sich ein Treffen gewünscht. Unter freiem Himmel.«

»Und wo haben Sie sich getroffen?«

»Hier in Hannover. Im Zoo.«

»Ist der nicht phantastisch?« rief Gerold aus. »Ich war da vor zehn Jahren mal mit meinem Sohn. Der herrlichste Zoo, den ich kenne. Am besten hat mir das Giraffengehege gefallen … Aber zurück zum Thema. Hat Herringhoff Ihnen Näheres über die Vergabe der Fußball-WM 2034 erzählt?«

»Er hat nur Andeutungen gemacht«, sagte zur Nedden. »Da sei was im Busch, hat er gemeint. Irgendwas Oberfaules. Und er hat mir den Namen einer Kontaktperson aufgeschrieben, an die ich mich wenden soll: Iglusch Boberaitis.«

»Bitte wie? Was soll denn das für ’n Landsmann sein?«

»Hat Herringhoff mir nicht verraten. Nur den Namen: Iglusch Boberaitis.«

»Und? Gibt’s den?«

»Weiß ich nicht. Im Internet hab ich ihn nicht gefunden.«

»Und das ist alles?«

»Ja. So leid’s mir tut.«

»Er hat Ihnen nur diesen Namen genannt und ist dann abgedackelt?«

»Ja.«

Kommissar Gerold stöhnte auf, aber dann kam das Essen, und bei Penne arrabbiata, Gamberoni alla griglia und Faßbier unterhielt er sich mit Dietrich zur Nedden noch bis zwei Uhr morgens angeregt über die Erfolgsbilanz des SC Freiburg in der Ära des Trainers Volker Finke.

In Rio de Janeiro stieg Roderich Bärlapp mit seiner Entourage im Hotel Emiliano an der strandnahen Avenida Atlantica ab. »In Ihrem Badezimmer erwartet Sie eine japanische High-Tech-Toilette, die Ihre Urinwerte und Ihren Blutdruck mißt, meine Guteste«, sagte er zu seiner neuen Assistentin Verena Süß, bevor er sich in seine eigene Suite zurückzog. »Wir sehen uns dann um halb neun im Restaurant Oro. Wenn Sie schon eher dort eintreffen sollten, dann bestellen Sie für mich doch bitte eine Kürbissuppe mit Flußkrebsen und Tapioka, eine Portion Schweinerippchen mit Mandioquinha-Baroa-Kartoffeln und zum Nachtisch grüne Papaya mit fermentiertem Honig, ja?«

Kommissarin Fischer nickte. Während des Flugs nach Brasilien hatte Bärlapp rund fünfhundert schriftliche Autogrammwünsche erfüllt. Ihr blieben zwei Stunden Zeit, um alle Autogrammkarten in Umschläge zu stecken, jeden Umschlag mit der richtigen Adresse zu versehen und zu frankieren und sich anschließend ein erholsames Vollbad zu gönnen.

Für das Bad blieben zu guter Letzt nur fünf Minuten übrig.

Sie atmete durch, während die Toilette die Raumtemperatur maß.

Ein Klo, das sich als Hausarzt ausgibt, dachte Ute. Ob es wohl auch meine Fruchtbarkeit untersucht?

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