Читать книгу SoKo Fußballfieber - Gerhard Henschel - Страница 6
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Оглавление»Rolled Si enand dä großi gääli Balle schöö zue«, sagte Schwester Ophelia Läubli und deutete auf einen großen gelben Ball. In der Rehabilitationsklinik Valmont in Glion im Kanton Waadt umhegte sie Franz Beckenbauer und Uli Hoeneß, die einzigen Überlebenden des Anschlags auf das Hotel Adlon Kempinski. »Guät, Herr Hoeneß. Und jetz rolled S’ en wieder zrugg, Herr Beckebauer. Nei, da isch di falsch Richtig. Do anä, zum Herr Hoeneß! Kenned Si dä Herr Hoeneß no?«
Beckenbauer und Hoeneß waren nicht mehr dieselben, seit die Explosion sie vom Dach des Adlon Kempinski gefegt hatte, doch sie näherten sich außergewöhnlich schnell ihrer alten Form. Im Gemeinschaftsraum zogen sie andere Patienten beim Schafkopf mit gezinkten Karten über den Tisch, und obwohl ihnen für die Nachtstunden strikte Bettruhe verordnet worden war, standen sie oft noch weit nach Mitternacht auf dem Balkon und telefonierten mit ihren Vermögensberatern in Panama, Tobago und Tunesien sowie auf den Cayman Islands und den Amerikanischen Jungferninseln.
Vor dem Einschlafen betrieben Beckenbauer und Hoeneß in ihrem Doppelzimmer auf eigene Faust Gehirnjogging.
»David Luiz«, sagte Beckenbauer. »Wia hoch war de Dransfersumme, wia ea 2011 von Benfica zua Chelsea gwexelt is?«
»Zwanzig Millionen Pfund«, sagte Hoeneß. »Weiß doch jeder. Und was hat Chelsea 2008 für Nicolas Anelka gezahlt?«
»Fünfzehn Milliona Pfund.«
»Richtig. Aber weißt du auch noch, welche Ablöse den Dortmunder Borussen 2015 Kevin Kampl wert gewesen ist?«
»Ejf Milliona Euro.«
»Falsch. Es waren zwölf Millionen.«
»Stimmt. Etz foid’s mia wieda a.«
»Und wo hat er vorher gespielt?«
»Äh … Greuther Fürth … Bayer Leverkusen … VfL Osnabrück … VfR Aalen und … äh …«
»Und?«
»Red Bull Salzburg?«
»Korrekt.«
»Etz bin aber i wieda dro«, sagte Beckenbauer. »Wia hod da Schiedsrichta im Endschbui da Europameisterschoft 1976 ghoaßn, wo du den entscheidendn Ejfmeta vasemmelt hosd?«
Hoeneß biß sich auf die Zunge. Als Steuersünder kannte er die JVA Landsberg von innen, und im Knast hatte er gelernt, sich zu bezähmen, wenn er provoziert wurde, aber bei der Erinnerung an seinen Schuß in die Wolken gingen ihm die Gäule durch. In Belgrad war das gewesen. Diese Stadt hätte er gern ausradiert gesehen. Er dachte an Methusalix, der in »Asterix und der Arvernerschild« auf die Frage nach Alesia, der Stätte des Sieges der Römer über die Gallier, geantwortet hatte: »Alesia? Ich kenne kein Alesia! Ich weiß nicht, wo Alesia liegt! Niemand weiß, wo Alesia liegt!«
»I woaß ’s no«, sagte Beckenbauer. »Sergio Gonella hod ea ghoaßn.«
»Schon möglich«, hoeneßte Hoeneß zurück. »Und welcher ehemalige deutsche Rekordnationalspieler hat bei seinem eigenen Abschiedsspiel ein Eigentor geschossen?«
»I«, sagte Beckenbauer vergnügt. »Oana wia i deaf ois!«
Auf einer Sitzbank im Flughafenterminal drückte Gerold Ute an sich. Ebenso wie alle anderen Passagiere hatten sie das Inferno aus Schüssen, Tränengaswolken und Blendgranatendruckwellen lebend überstanden, und nun wollte ein Reporter von ihr wissen, was sie dem Breitbart News Network als Frau über ihre Gefühle nach der Befreiung mitteilen könne.
»Breitbart, right?«
»Sure, Breitbart!«
Auf das rechtsradikale Breitbart News Network, das nur Lügen verbreitete und Donald Trump 2016 zum Wahlsieg verholfen hatte, war Ute nicht gut zu sprechen. Obwohl ihre Hüfte schmerzte und ihr linkes Auge tränte, stand sie auf und traf genau ins Eingemachte, als sie den Reporter trat.
Rayhan, Mustafa und die verräterischen Stewardessen waren abgeführt worden. Doch wo steckten Abdul Farid al-Araschi und Thomas Gsella?
Die traurige, aber wahre Antwort auf diese Frage lautete, daß Araschi es fertiggebracht hatte, das Krummschwert aus der Leiche seiner Geliebten Evelyn herauszuziehen, es Gsella an die Gurgel zu pressen und im Pulverdampf mit ihm zu entkommen. Der eine oder andere Soldat der jemenitischen Eingreiftruppe schien dabei mitgeholfen zu haben. Anders ließ es sich jedenfalls nicht erklären, daß Gsella jetzt im Kofferraum eines Gebrauchtwagens lag und von Al Hazm zur Grenzstadt Harad befördert wurde.
Mit Gsella hatte Araschi Großes vor: Dieser Christenhund sollte als Selbstmordattentäter in den Feindstaat Saudi-Arabien ausgeflogen und dort über der Grabstätte des Propheten Mohammed in der Stadt Medina abgeworfen werden, um den Heiligen Krieg zu befeuern.
Gsella hing unterdessen seinen eigenen Gedanken nach. 2004 hatte man ihm den Joachim-Ringelnatz-Preis verliehen und 2011 den Robert-Gernhardt-Preis, und das mochte ja auch lobenswert sein, aber er wollte noch mehr vom Leben. Zum Beispiel den Ernst-Jandl-Preis, den Georg-Trakl-Preis, den Leonce-und-Lena-Preis und nicht zuletzt den mit 5000 Euro dotierten Hubert-Burda-Preis für junge osteuropäische Lyrik. Dafür hätte Gsella sogar seine Geburtsurkunde gefälscht. Wie aber sollte er das tun, solange er sich im Gewahrsam der al-Dschaufischen Volksfront befand?
In Harad öffnete Araschi den Kofferraum und versicherte Gsella, daß er in Medina als Märtyrer in die Geschichte eingehen werde.
»Und wenn ich nicht will?« fragte Gsella.
»That’s out of the question.«
»Aber als lebender Mensch könnte ich ihnen viel nützlicher sein! Ihr Anliegen, mein werter Sahib, ist es doch, die Agenda Ihrer Volksfront weithin bekanntzumachen. Und ich bin jemand, dessen Stimme in Mitteleuropa großes Gewicht besitzt. Schätzen Sie mal, wie oft sich allein mein Gedichtband ›Kille kuckuck dideldei‹ verkauft hat! Na? Da kommen Sie nicht drauf! Da wär ich nicht mal selbst drauf gekommen …«
Leider verfing diese Taktik nicht. Zwei Helfershelfer des Terrorchefs nahmen sich des Dichters an, knebelten ihn, zwängten ihn in eine Sprengstoffweste, fesselten ihn und verfrachteten ihn in einen Learjet, den Araschi eigenhändig nach Medina fliegen wollte.
Am Steuerknüppel sang Araschi einen alten Hit mit, der im Bordradio lief.
See the pyramids along the Nile
Watch the sun rise on a tropic isle
Just remember, darling, all the while
You belong to me …
Gsella, der nicht daran zweifelte, daß Araschi es ernst meinte, knibbelte mit den Zähnen an dem Knoten des Seils, mit dem seine Hände umschlungen waren. Als junger Mann hatte er in einer Ausgabe der Micky Maus einmal etwas über die Selbstbefreiung aus Fesseln gelesen, und darauf besann er sich, während Araschi die zweite Strophe anstimmte:
See the marketplace in old Algiers
Send me photographs and souvenirs
Just remember when a dream appears
You belong to me …
Gsella fragte sich, wie weit es noch sein mochte bis Medina, und verdoppelte seine Anstrengungen. Eine Schlaufe hatte er bereits gelockert.
»I’ll be so alone without you«, sang Araschi. »Maybe you’ll be lonesome too …«
Und da löste sich der Knoten. Voller Freude streifte Gsella das Seil von seinen Handgelenken ab und suchte nach einer Waffe, mit der er Araschi bezwingen konnte.
Ein Korkenzieher aus der Bordbar schien sich dafür zu eignen.
Araschi witterte keinen Verdacht. Er freute sich darauf, seinen Gefangenen über Medina in die Tiefe zu kicken, und sang weiter lustig mit.
Doch Araschi hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Gsella schlich sich von hinten heran, stieß ihm den Korkenzieher in den Hals und sprang mit einem Fallschirm ab, den er an Bord gefunden hatte.
Der Learjet mit dem sterbenden Luftkapitän Araschi verlor rasch an Höhe, trudelte bodenwärts und krachte in der Stadt Mekka auf die Kaaba, das zentrale Heiligtum des Islams.
Sie zersprang in tausend Stücke.
Und weil nun das Wetter verrückt spielte, geriet der Fallschirmspringer Gsella in einen Sandsturm, der ihn weit nach Osten wehte.