Читать книгу SoKo Fußballfieber - Gerhard Henschel - Страница 13

11

Оглавление

Es begab sich aber zu der Zeit, daß Thomas Gsella vorsätzlich seinen Dudelsack demolierte.

Hoshyar Popal war darob sehr ungehalten. Er züchtigte Gsella mit einer Bullenpeitsche und verlangte eine Erklärung.

»Ich hab’s einfach satt!« stieß Gsella hervor und wand sich im Staub. »Der Pascha will jetzt, daß ich ›Blue Moon of Kentucky‹ spiele, aber das geht über meine Kräfte! Von dieser Mucke faulen mir die Ohren ab!«

Einen solchen Fall von Widersetzlichkeit hatte Popal in seiner ganzen langen Schergenlaufbahn noch nicht erlebt. Er packte Gsella am Schlafittchen und marschierte zu Al-Afdil Abdussalam Ikhan, der bei einer Tasse Ingwer-Zimt-Kardamom-Tee im Audienzsaal seines Harems saß und ein Bewerbungsgespräch mit einem Schlangenbeschwörer führte.

Gsella brach sich zwei Rippen, als Popal ihn zu Boden warf.

Der Hausherr, der Schlangenbeschwörer und seine Kreuzotter horchten auf.

Dies hier, sagte Popal, sei der nach Unrat und Höllenschwefel riechende Krüppel, der den Propheten dadurch beleidigt habe, daß er sich weigere, auf seinem Dudelsack »Blue Moon of Kentucky« zu spielen. Im Rückgriff auf eine alte persische Redensart gab Popal seiner Hoffnung Ausdruck, daß ein Teufel in den Bart von Gsellas Vater furzen möge.

Unter normalen Bedingungen wäre das einem Todesurteil gleichgekommen, aber Al-Afdil Abdussalam Ikhan war hochherzig gestimmt. Am Vormittag hatte er sich das kurzweilige Schattenspiel einer Künstlergruppe aus Mossul angesehen, und am Abend wollte er dreißig Bauchtänzerinnen aus Falludscha in Empfang nehmen. Deshalb ließ er Gnade vor Recht ergehen und verkaufte Gsella für einen Spottpreis an den nächsten Besucher, Seyed Mansour Esfandiari, einen Manager der iranischen Textilindustrie.

»Darf ich auch mal was sagen?« fragte Gsella und erhielt zur Strafe einen Stampftritt ins Kreuz.

Endlich ging Kommissar Gerold an sein Handy.

»Gerold!« rief Ute. »Geht’s dir gut? Hast du meine Nachricht gekriegt?«

»Meinst du die mit dem Gespräch zwischen Bärlapp und Infantino?«

»Ja, natürlich! Die wollen dich killen!«

»Wenn sie das heute in Uelzen tun wollen, hätten sie früher aufstehen müssen«, sagte Gerold. »Ich bin unterwegs nach Greetsiel, um einen kleinen Singvogel zu treffen, und danach möchte ich deinen Eltern in Boekzeteler Hoek einen Besuch abstatten. Soll ich ihnen Grüße von dir ausrichten?«

Ute schnappte nach Luft. »Hast du Petersilie in den Ohren? Aus dem Gespräch geht eindeutig hervor, daß du ermordet werden sollst! Das kannst du doch nicht auf die leichte Schulter nehmen!«

»Tu ich auch nicht. Jetzt befinde ich mich allerdings auf der A31 zwischen Emden-Ost und Emden-Wolthusen, und bis hierhin wird selbst Gianni Infantinos langer Arm nicht reichen. Ich paß schon auf mich auf! Wie geht’s dir denn selbst?«

Eine gute Frage, dachte die Fischerin. »So lala«, sagte sie. »Ich mag ja den Schietkeerl Bärlapp nich mit de Füertang anfaten. Der einzige sympathische Zug an ihm ist der, daß er sich sexuell auslebt. Aber wie er einem die Ohren vollquatscht! Du machst dir keine Vorstellung …«

»Du kannst ihm doch Kontra geben! Ist euch Frauen die Redegewalt denn nicht angeboren beziehungsweise schon im Auslieferungszustand werksseitig aufgespielt?«

»Prinzipiell vielleicht schon«, sagte Ute. »Nur leider bin ich hier nicht ich, sondern das Dummchen Verena Süß, das sich von Roderich Bärlapp herumschubsen läßt.«

»Und was ist euer nächstes Ziel?«

»Pjöngjang.«

»Du beliebst zu scherzen!«

»Nein. Wir haben ein Rendezvous mit dem neuen nordkoreanischen Sportminister Kwon Myong-hak.«

»Ach du lieber Gott von Bentheim!« rief Gerold. »Komm mir bloß lebendig zurück!«

»Das gleiche könnte ich dir sagen. Paß auf dich auf! Und grüß meine Eltern!«

Zwei Minuten lang saß Ute nach diesem Gespräch ratlos auf ihrem Bett. Dann öffnete sie die Minibar und holte ein Fläschchen Canadian Club heraus. Bitter in de Mund is vöör’t Hart gesund, dachte sie.

Das Hotel The Empire im Sultanat Brunei gefiel Dietrich zur Nedden sehr gut. Er nahm eine doppelt in junger Kokosnußschale gekochte Garnelensuppe zu sich, ein gedämpftes Heilbuttfilet und einen Käsekuchen mit Himbeer-Fruchtfleisch-Crème, schnorchelte ein bißchen, relaxte am Pool, schwang dann ein Viertelstündchen lang den Golfschläger und ärgerte sich nur darüber, daß er seine 288-Quadratmeter-Suite nicht für sich allein hatte, sondern sie mit dem Reporter Marc Terhenne-Köster von Sport-Bild teilen mußte.

Terhenne-Köster, ein noch rosiger Jungspund, redete so daher, wie ihm der Schnabel gewachsen war: »Wenn ich der Sultan wäre, würde ich ’ne Transfer-Offensive starten. Ich meine, wenn die Reise für ihn ganz nach oben gehen soll. Der muß einen Mega-Poker losbrechen. Is’ natürlich schon ’n Super-Einstand, uns hier einchecken zu lassen, aber wenn du ’ne WM abfischen willst, dann mußt du, weiß nicht, keine Ahnung – dann brauchst du Momentum! Das heißt, du mußt liefern! Dann mußt du alle übrigen Nationen wegballern! Aber dafür brauchst du Ikonen. Und das geht nicht ohne, sag ich mal, Momentum. Wie gesagt. Ohne Momentum kannste das vergessen. Ich komm ja aus Lippstadt, und der SV Lippstadt hat auch mal Momentum gehabt, und jetzt hängt er trotzdem noch in der Regionalliga West fest, weil, es geht nun mal nicht ohne Star-Power!«

Betrübt sah und hörte zur Nedden dem jungen Kollegen zu, der in der Suite in einem bunten Freizeithöschen mit der Aufschrift »Achtung! Enthält Nüsse!« herumlief und auf seinem Rücken ein Tattoo zur Schau trug, dem unter zwei feuerspeienden Drachenköpfen der Schriftzug zu entnehmen war:

TOP 5 COKE ZERO SUGAR 400 MOMENTS AT DAYTONA!

Richtig übel wurde es aber erst, als Terhenne-Köster auf Smartertravel.com die Nachricht entdeckte, daß Alkohol in Brunei verboten sei und es auch keine Bars, Kasinos, Spielhallen und Nachtclubs gebe. »Oh boy!« rief er. »Wozu sind wir denn dann überhaupt angereist? Haben die hier wenigstens Nutten?«

Prostitution sei in Brunei illegal, sagte zur Nedden.

Terhenne-Köster wurde zwar nicht gerade aschfahl, aber seine Wangen bekamen einen Stich ins Graue. Auch die Aussicht auf zwei Dutzend Freifahrten im Vergnügungspark Jerudong und einen Ausflug zu den sehenswerten Pfahlbauten in einem Wasserdorf richtete ihn nicht wieder auf. Er war einem Heulkrampf nahe. »Ich hab gedacht, hier wäre alles all inclusive!« schrie er. »So wie auf Malle und Tahiti! Und jetzt dürfen wir hier nicht mal saufen oder wie? Was soll das? Haben die keinen Schnall auf dieser Insel? Mann, ich bin noch nie so gestorben, ey!«

»An deiner Stelle würde ich mich jetzt umziehen«, sagte zur Nedden. »Der Monarch Haji Hassanal Bolkiah Mu’izzaddin Waddaulah ibni Al-Marhum Sultan Haji Omar Ali Saifuddien Sa’adul Khairi Waddien erwartet uns in seinem Hof zum Abendessen.«

»Ach, echt? Dann bestell doch diesem Obermotz von mir, daß er sich andere Lobbyisten suchen soll, wenn er hier keine Partys gibt! Für mich war’s das. Ich bin raus! Ich nehm den nächsten Flieger, und dann mach ich den Sultan zur Sau!«

Unglücklicherweise kam das Taxi, das Terhenne-Köster bestieg, um zum Flughafen zu fahren, dort nicht an. Es wurde in einen Auffahrunfall verwickelt und rein zufällig von einer Dampfwalze überrollt.

Den Hungerstreik brach Michael Ringel ab. Ihm war etwas Effektiveres eingefallen. Er bat den taz-Zeichner Thomas Körner alias TOM darum, aus Pappmaché eine Thomas-Gsella-Maske anzufertigen und ihr einen bohrenden oder nach Möglichkeit sogar stechenden Blick zu verleihen. Von dieser Maske stellte Ringel mit einem 3D-Drucker zehntausend Exemplare her und verschenkte sie an taz-Leser, die gewillt waren, sich als Gsella zu maskieren und dem Staatssekretär Jens-Jasper Flipsen auf Schritt und Tritt zu folgen.

So kam es, daß Flipsen bei seinem nächsten Gang vom Auswärtigen Amt zum Bundestag einen Riesenschwarm Gsellas hinter sich herzog. Auch bei Flipsens Pressekonferenzen häuften sich nun Gsellas, die ihn durch ihre Anwesenheit stumm anklagten, und wenn er ein Restaurant besuchte, konnte er sich darauf verlassen, daß an vielen anderen Tischen Gsellas saßen und ihn unverwandt anstarrten.

Bevor er entführt worden war, hatte Gsella zumeist ein gutmütiges Mienenspiel gezeigt. Die Maske aber ließ ihn aussehen wie einen Haifisch auf Beutesuche, und das zerrte an Flipsens Nerven. Selbst beim morgendlichen Walking an der Krummen Lanke liefen die kiebig dreinschauenden Gsellas zu Hunderten hinter ihm her.

»So kann das nicht weitergehen«, sagte er in einer kurzfristig anberaumten Krisensitzung zum Außenminister Lukas Mampe. »Diese Leute machen mich zum Gespött! Ich denke, daß wir jetzt doch eine Task Force bilden sollten, die nach diesem Herrn Gsella sucht …«

Der Außenminister betrachtete die Lage jedoch aus einer etwas höheren Warte. Er wünschte sich keine weiteren Irritationen im Mittleren Osten, und nach seinem Kenntnisstand hatte die Armee der Maskierten sich ohnehin allein auf Flipsen eingeschossen. Daher war es an der Zeit, ihn in der Versenkung verschwinden zu lassen. »Der Causa Gsella gilt natürlich unser volles Augenmerk«, sagte Mampe. »Und was Sie selbst betrifft, habe ich Ihre Versetzung ins Generalkonsulat Mumbai veranlaßt. Ab dem nächsten Ersten werden Sie dort die Visastelle betreuen. Dazu können Sie sich gratulieren. In Mumbai werden Sie internationale Erfahrungen sammeln!«

»Und was wäre die Alternative?« fragte Flipsen.

»Die Alternative wozu?«

»Zu meiner Versetzung nach Mumbai.«

»Ja, wollen Sie denn da nicht hin?«

»Nein.«

»Aber Herr Flipsen! Im gehobenen Auswärtigen Dienst erhöht sich Ihr Bruttoinlandsgehalt um einen steuerfreien Auslandszuschlag!«

»Ich will aber nicht nach Indien.«

Das Gesicht des Ministers versteinerte sich. »In Deutschland«, sagte er, »sind Sie politisch nicht mehr tragbar, und das wissen Sie, Herr Flipsen. Wir müssen Sie aus der Schußlinie nehmen. Wenn Sie Ihrer Versetzung nach Mumbai nicht zustimmen, werde ich Sie mit der Überwachung von Eiskernbohrungen in der Antarktis beauftragen. Wäre Ihnen das lieber?«

Wir sprechen uns noch, dachte Flipsen und sann auf Rache.

Der Legende nach war das denkmalgeschützte Steinhaus in dem Fischerdorf Greetsiel einst von einem ostfriesischen Häuptlingsgeschlecht bewohnt worden. Der jetzige Eigentümer, hatte Kommissar Gerold auf Wikipedia gelesen, habe das Haus zurückbauen lassen: »Im Zuge der Arbeiten ließ er Renaissancefenster einsetzen und Entlastungsbögen mit Diamantquadern, Schmuckanker sowie die ursprüngliche Bedachung mit glasierten Hohlpfannen wiederherstellen.«

Dieses Wissen nützte Gerold aber nichts, als er an der Rückseite des Steinhauses stand und auf Iglusch Boberaitis wartete, den großen Unbekannten, der den Ermittlungen eine neue Wendung geben sollte.

Gerold sah auf die Uhr. Fünf nach acht. Für acht Uhr abends hatte Boberaitis sein Erscheinen angekündigt.

Über Greetsiel ballten sich Haufenwolken, die in einer wohlgeordneten Prozession nach Norden zogen, während Gerolds Gedanken bei Ute weilten. Wie würde es ihr in Pjöngjang ergehen?

Ein Radfahrer näherte sich. Er hatte asiatische Gesichtszüge.

Zehn Meter vor Gerold hielt er an und rief: »Are you Mister Woodshoe?«

»Yes«, log Gerold. »Come … äh … come nearer, please!«

Der Radfahrer glaubte ihm nicht. »You do not look like the photos in your magazine«, rief er. »You’re from the police! And you’re here to kill me!«

»No, no, no!« rief Gerold, aber der Radfahrer machte kehrt und sauste davon, so schnell er konnte.

Einem kleinen Jungen, der in diesem Augenblick des Weges kam, entriß Kommissar Gerold kurzentschlossen dessen Fahrrad und setzte Boberaitis darauf nach. Mit den Knien stieß er sich dabei so oft ans Kinn, daß ihm zwei Zahnplomben ausfielen, doch er hielt Kurs.

Boberaitis täuschte einen Schlenker in Richtung Kalvarienweg an, bog dann aber scharf in den Pastorenpadd ab und schwenkte in die Straße Am Bollwerk ein, wo Gerold aufholte, weil er nicht nur fünfzigtausend Kilometer auf einem Speedbike hinter sich hatte, sondern auch schon einmal durch die Pyrenäen geradelt war.

Über den Aantenpadd und die Straße Zur Hauener Hooge kurvte Boberaitis in den Kalvarienweg zurück. Ein Anwohner hielt mit der Handykamera fest, was dann geschah: Boberaitis raste auf das Steinhaus zu, prallte auf dessen Ostwand und explodierte.

Teheran! Perle des Morgenlandes! Wiege des Pfauenthrons! Heimat der lieblichsten Rosen unter allen Blumen der Frauenzelte!

Auf den Basaren wurden Leinwände von blauem und rotem Purpur und Scharlach feilgeboten, heisere Muezzins riefen die Gläubigen zum Gebet auf, die grün-weißen Streifenwagen der Religionspolizei belebten das Stadtbild, in den Knästen verfaulten die politischen Gefangenen zu Tausenden, und in der Tuchfabrik des Unternehmers Seyed Mansour Esfandiari wurde Thomas Gsella in der Kunst des Webens von Gebetsteppichen unterwiesen.

Holy smokes, dachte er. Schon wieder Zwangsarbeit!

Er mußte Florgarn um einen in den Webstuhl gespannten Kettfaden knoten, mit Schlaufen und Fransen hantieren und auf viele andere Dinge achten, die er nicht begriff. Das erste Werkstück, das er verfertigte, hätte nicht einmal als Sabberlätzchen dienen können, geschweige denn als Gebetsteppich.

Der grantige Vorarbeiter besaß leider keinerlei pädagogisches Gespür. Anstatt den Lehrling Gsella behutsam und von der Pike auf auszubilden, vergalt er ihm jeden Mißgriff am Webstuhl mit den Hieben einer Neunschwänzigen Katze.

Um sich eine Atempause zu verschaffen, simulierte Gsella einen Kreislaufkollaps, sackte auf seinem Schemel zusammen und stellte sich tot.

Der Vorarbeiter verständigte den Wachdienst, und dann zogen zwei Knechte Gsella an den Armen in eine Zelle und sperrten ihn dort ein.

Das war ihm recht. Er hatte Blut verloren, seine gebrochenen Rippen schmerzten, und er litt Durst, doch fürs erste war er dem Frondienst entronnen.

Auf dem Zellenboden fand er eine Druckschrift, mit der er sich die Zeit vertreiben konnte: eine deutsche Ausgabe des Islamischen Totenbuchs. Wie mochte sie dort hingekommen sein?

Diese Frage ließ Gsella auf sich beruhen. Er schlug das Totenbuch auf und las nach, was den Feinden Gottes bevorstehe, wenn sie in das Feuer der Hölle getrieben würden:

Ihr Angesicht wird schwarz, die Augen werden graublau, und ihrem Mund wird ein Siegel aufgedrückt. Wenn sie zu ihrem Höllenhof gelangen, kommen ihnen die Höllengeister mit Halseisen und Ketten entgegen. Eine solche Kette wird in den Mund des Menschen gesteckt und aus seinem Hintern wieder hervorgezogen. Seine linke Hand wird an seinen Hals gefesselt, seine rechte ans Innere des Herzens gedrängt und dann zwischen den Schultern herausgezogen. Er wird nun mit Ketten gefesselt, und zwar so, daß immer ein Mensch mit einem Satan an einer Kette zusammengekoppelt ist. Später wird er mit dem Gesicht auf den Boden geschleift, und die Engel schlagen ihn mit eisernen Keulen. Sooft aber die Menschen in ihrer Angst aus der Hölle ausbrechen wollen, werden sie wieder hineingestoßen, und man ruft ihnen zu: »Kostet nun die Strafe!«

Prost Mahlzeit, dachte Gsella, und das war sein einziger Gedanke. Einen weiteren konnte er nicht fassen, weil er mit harter Hand zurück an den Webstuhl versetzt wurde.

SoKo Fußballfieber

Подняться наверх