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Zauber und Stab

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Jahr 26 des Kaisers Polanas, Winter


Lothran, Novize an der Akademie des Kampfes zu Bethan

„Wie kämpfen Magier?“, lautete Magistra Feuerstaubs Frage.

Mit Magie natürlich, war Lothrans erster Gedanke, aber diese Antwort war natürlich viel zu einfach. Sein Blick wanderte von Nikki über die hoch aufgeschossene Sylva zur blonden Satina. Selbst Farin, der Streber, hielt sich im Hintergrund. Die meisten von ihnen besuchten die Bethaner Akademie seit mehr als zehn Jahren, doch nun drohten sie an einer trivialen Frage zu scheitern.

Wie kämpfen Magier? Die einfache Antwort? Warum nicht? „Mit Magie“, durchbrach Lothran das peinliche Schweigen. Nikki und Farin verdrehten die Augen.

„Richtig Lothran, mit Magie“, stimmte Magistra Feuerstaub unerwartet zu. „Doch wie setzen wir sie effektiv ein?“

„Zur Verteidigung?“, meinte Sarina zögerlich.

„Das ist eine Möglichkeit“, erläuterte die rothaarige Kampfmagierin. „Defensive Magie kostet weniger Kraft als aktive Angriffsschläge. Wenn Ihr eine Folge offensiver Zauber abwehren könnt, verschiebt sich das Kräfteverhältnis zu Euren Gunsten. Welche Taktik würdet Ihr also wählen?“

„Die Verteidigung“, bekräftigte Sarina zuversichtlich und Lothran nickte. Auch die übrigen schlossen sich der Meinung an.

Nur Sylva schüttelte den Kopf. Die Magistra sah sie herausfordernd an. „Du bist anderer Meinung?“

„Angriff“, sagte die Novizin bestimmt. „Ich wähle den Angriff.“

Farin verzog den Mund und verlieh damit seinem Missfallen über ihre Borniertheit Ausdruck.

„Kannst Du uns erklären, warum Du den Angriff vorziehst?“, hakte die Feuerstaub nach.

„Ihr sagtet, das Kräfteverhältnis neigt sich nach einer Folge von Angriffen. Bis es so weit kommt, habe ich also mehrere Chancen den Kampf zu entscheiden, während sich der Verteidiger keinen einzigen Fehler erlauben darf. Ich siege durch einen Angriffsschlag, bevor meine Magie zur Neige geht.“

„Möchte jemand etwas hinzufügen?“, forderte die Magistra auf.

Stille senkte sich über die kleine Gruppe. Lothran überlegte. Er mochte Sylvas unkomplizierte Art, aber in theoretischen Fragen war sie eine der Schwächsten. Andererseits gefiel ihm ihre Argumentation, während Farin offensichtlich gegenteiliger Meinung war.

„Ich denke, Sylva hat recht“, meinte Lothran zögerlich. „So gesehen sollte man angreifen.“

„Und genau deshalb befasst sich Eure Ausbildung primär mit offensiver Magie“, löste Esperia Feuerstaub auf. „Ihr werdet lernen, feindliche Magier mit einer raschen Folge von Angriffszaubern auszuschalten, ehe er Euch durch eine Defensive aus der Reserve locken kann. Euer Gegenüber wird sich allerdings nicht auf die Abwehr beschränken. Seid also auf der Hut vor Gegenschlägen.“

„Was entscheidet ein Duell zwischen Kampfmagiern, wenn beide angreifen?“, wollte Sarina wissen.

„Hauptsächlich die Geschwindigkeit“, antwortete die Magistra. „Oder man blockt ersten Schlag ab und geht zum Gegenangriff über. Es ist nicht viel anders, als bei einem Schwertkampf zwischen guten Fechtern. Angriffszauber unterschiedlicher Natur erschweren die Abwehr. Letztlich liegt es an Euch, wie rasch ihr Euch auf Situationen einstellt, und wie schnell Ihr Eure Taktik an die Eures Gegners anpasst.“

Magistra Feuerstaub gab ihnen Zeit, ehe sie fortfuhr: „Wofür sind Artefakte im Kampf nützlich? Farin?“

„Jedenfalls von Wert sind Fokusierungsartefakte, oft in Form personifizierter Ridiks“, rezitierte er aus dem Lehrbuch. „Sie können die Wirkung von Zaubern verstärken, verlängern oder den Kraftaufwand verringern. Damit verschaffen sie ihrem Besitzer einen klaren Vorteil. Spruchartefakte hingegen speichern einen Zauber, der rasch abgerufen werden kann und sind nach dessen Gebrauch wertlos, bis sie neu aufgeladen werden. Im Kampf sind Fokusierungsartefakte daher vorzuziehen.“

„Welches Artefakt würdest Du, neben Deinem Zauberstab, für ein Duell gegen einen Kampfmagier von unserer eigenen Schule auswählen?“

Farin antwortete umgehend: „Der Stab wirkt verstärkend. Das zweite Artefakt müsste also einen kraftsparenden Fokus bilden.“

Lothran nickte zustimmend. Das ergab Sinn, da man gegen einen gleich starken Kontrahenten auf Dauer die Oberhand gewann. Nur Sylva war schon wieder anderer Meinung.

„Was würdest Du wählen?“, fragte die Magistra.

„Gegen einen Kampfmagier würde ich ein Spruchartefakt wählen.“, antwortete die schwarzhaarige Novizin bestimmt.

„Welche Aufladung?“, hakte die Lehrkraft nach.

„Universaler Defensivzauber. Kurze, aber sehr starke Absorbtionswirkung.“

Farin stöhnte missbilligend. Seine Abneigung gegen Sylva war bekannt, aber diesmal schüttelte auch Lothran den Kopf. Der Gedanke, vor tödlichen Angriffszaubern geschützt zu sein, war verlockend, doch was nutzten ein paar Augenblicke trügerischer Sicherheit?

„Kannst Du Deine Entscheidung begründen?“

Lothran horchte auf. Magistra Feuerstaub, die jeden unsinnigen Ansatz sofort abkanzelte, ging auf Sylva ein.

„Ich warte, bis der Gegner seinen ersten Schadenszauber ansetzt. Anstelle der Abwehr greife ich mit voller Kraft an. Das müsste ihn überrumpeln und, sofern er nicht anderweitig geschützt ist, entscheidend treffen, während mein Artefakt seine Attacke blockt: Ich habe gewonnen.“

Zumindest gegen mich, gestand sich Lothran erschrocken ein und rieb sich das Kinn.

Magistra Feuerstaub ließ sie das Für und Wider der unterschiedlichen Taktiken diskutieren.

„Wie ich sehe, kommt Ihr zu keinem eindeutigen Ergebnis“, fasste sie schließlich zusammen. „Das entspricht auch den Anforderungen in der Welt da draußen: Eine richtige Taktik an sich gibt es nicht. Ihr werdet Euren Gegner also überraschen müssen. Klar soweit?“

Lothran nickte und Andere murmelten zustimmend.

„Gut“, fuhr die Magistra fort. „Dann könnt Ihr all das gleich wieder vergessen.“

Wie bitte? Lothran hatte gerade seine Angriffstaktik verworfen und über Alternativen gegrübelt.

„Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr einem feindlich gesonnen Magier Auge in Auge gegenübersteht ist gering“, erläuterte die Kampfmagierin. „Überwiegend werdet ihr mit Banden von Wegelagerern, Räubern oder Piraten zu tun haben. Solche Konflikte werden meist durch Eure bloße Präsenz entschieden. Ein einfacher Kältezauber, falls möglich auf den Anführer des Haufens, genügt zur Einschüchterung und die Gardisten können die Schurken einsammeln. Obwohl unsere Zauber zerstörerisch wirken, dienen sie so der Vermeidung von unsinnigem Blutvergießen und aufreibenden Nahkämpfen.“

„Was, wenn wir der Räuberbande alleine gegenübertreten müssen?“, wollte Lothran wissen.

„Erstens: Vermeidet das. Zweitens: Lauft weg, wenn Ihr könnt. Drittens: Setzt auf Einschüchterung. Zuerst ein Kälteschock als Warnung, falls das nicht genügt, ein Feuerzauber, der einen Gegner tötet oder mehrere verletzt. Haltet Euch nicht zurück. Ihr bekommt keine zweite Chance.“

„Und wenn sich die Schurken nicht abschrecken lassen?“, hakte Farin nach. „Tötet so viele, wie Ihr könnt, kämpft ohne Eurer Akademie Schande zu machen und sterbt in Würde“, lautete die unverbrämte Antwort.

Lothran schluckte. Er sah, wie Farin die Farbe verlor, während sich Sarina verunsichert umsah. Nikki hingegen reckte das Kinn vor, als wollte sie die imaginäre Räuberbande gleich und sofort in die Flucht schlagen. Nur Sylvas Miene zeigte keinerlei Regung. War ihr der Tod gleichgültig? Brächte ihr diese Kühle gar Vorteile im Kampf? Lothran erstarrte, als sie seinen forschenden Blick erwiderte. Ehe sie sich abwandte, öffneten sich ihre Lippen zu einem Lächeln, dem jegliche Wärme fehlte. Um nichts auf der Welt würde er gegen sie antreten wollen, nicht in einem Duell auf Leben und Tod.

Magistra Feuerstaubs weitere Ausführungen drangen wie aus einem Nebel zu ihm durch. Sie unterstrich nochmals die abschreckende Wirkung eines Kampfmagiers, die selbst in militärischen Konflikten mehr zählte, als das tatsächliche Zerstörungspotential. Schaudernd fiel Lothran Sylvas kalter Blick ein und verstand, was die Lehrerin meinte.

* * *

Nikki, Novizin an der Akademie des Kampfes zu Bethan

Widerwillig zog Nikki das steife Lederzeug über. Neben ihr legte Farin seinen Übungsanzug an. Auch Lothran und Sylva machten sich kampfbereit. Die uralten Kleidungsstücke schützten im Nahkampf vor Verletzungen. Die Artefakte mochten selten und wertvoll sein, doch die Novizin hasste sie. Als Ansporn, die Übungskämpfe ernst zu nehmen, hatte man dem Schutzzauber eine magische Schmerzauslösung beigefügt. Nikki fürchtete die nervenzerfetzenden Stiche, die durch den Körper fuhren, sobald man getroffen wurde. Schon der Gedanke daran störte ihre Konzentration auf den eigentlichen Kampf.

Heute war es halb so schlimm. Sie durfte gegen Farin kämpfen, und der hielt vom Kampf Mann gegen Mann noch viel weniger als sie. „Ich werde nicht Magier, um mich zu prügeln“, pflegte er zu sagen, wenn Reimer nicht in der Nähe war. Falls sie ihn nicht in die Enge trieb, brächten sie den Kampf hinter sich, ohne sich weh zu tun. Scheu sah sie zu Sylva, die sich aufwärmte. Die Schwarzhaarige nahm die Kämpfe sehr ernst. Sie wolle damit ihr Versagen in den theoretischen Fächern kompensieren, behauptete die Südfahrer, wenn sie sich über Sylvas Ungestüm aufgeregte. Armer Lothran, dachte Nikki. Ich weiß nicht, warum Reimer gerade ihn so oft gegen Sylva antreten lässt.

* * *

Sie trat in den Übungskreis und nickte Farin zu. Der hob grüßend seinen Stab.

„Bis zum ersten Schmerzensschrei“, befahl Reimer. Er klatschte in die Hände und Nikkis Griff um ihren Stab festigte sich.

Schlagen. Abwehren. Schlagen.

Farin sprang zurück und entging ihrem Angriff um Haaresbreite.

Abwehren. Ausweichen. Abwehren. Heute will er es wissen. Wie kann ich ihn überrumpeln?

Sie stolperte. Farins Stab traf ihr Bein und ein flammender Stich schoss durch ihren Oberschenkel. Sie könnte die Zähne zusammenbeißen, doch was hätte sie davon? Also brüllte sie ihren Schmerz hinaus. Der Kampf war vorüber und den blöden Anzug konnte sie auch wieder loswerden.

„So geht das nicht!“, schimpfte Reimer. Nikki konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal so verärgert geklungen hatte. „Glaubt Ihr, wir machen das hier zum Spaß?! Zweimal hin und her stochern und sich dann schreiend auf den Boden legen?! Denkt Ihr, das genügt, um eine Schlacht zu überleben?!“ Der sonst so besonnene Lehrmeister beruhigte sich nur langsam, und Nikki schlich mit eingezogenen Schultern aus dem Kreis.

„Du bleibst!“

Sie zuckte zusammen und blieb stehen.

„Sylva! In den Kreis!“, befahl Reimer.

Oh nein, dachte Nikki resignierend, als sie den entschlossenen Gesichtsausdruck ihrer Gegnerin sah. Es würde wehtun, aber nicht lange dauern. Halbherzig konterte sie Sylvas ersten Angriff, und schon traf sie ein harter Schlag am Brustbein. Mit einem erstickten Schrei fiel sie hintüber und blieb wimmernd liegen.

„Bleib im Kreis!“, herrschte Reimer sie an. „Glaubt Ihr, jemand gibt Euch Pardon, nur weil ihr am Boden liegt? Wenige Augenblicke reichen für einen tödlichen Zauber. Euer Gegner weiß das und wird Euch töten, sobald Ihr ihm die Gelegenheit gebt. Du kämpfst gegen Sylva, bis Du einen Treffer landest. Dunkelheit!“

Nikki keuchte erschrocken auf, als sie so plötzlich gar nichts mehr sah. Wie waren die Regeln für den Kampf im Finsteren? Leise sein? Nach dem Gegner horchen?

„Auh!“

Nikki schrie auf, als Sylva ihre Schulter traf und hätte fast auch noch den Stab fallen lassen. Ach ja! Standortwechsel, sobald der Gegner weiß, wo Du stehst.

Leise schlich sie zur Seite und begann sich zu konzentrieren. Sie wollte nicht verprügelt werden wie ein Hund. Vor ihr, in der Schwärze, musste Sylva stecken. Zögernd stieß sie ihren Stab vor, ohne Widerstand zu treffen. Die Hilflosigkeit machte Nikki wütend. Da ertönte ein schabendes Geräusch. Sylvas Stab hatte den Boden gestreift. Nikki schlug mit aller Kraft ins Leere – und begriff, dass sie in die Falle gegangen war. Die Wucht des Treffers trieb ihr die Luft aus der Lunge und Tränen in die Augen. Sie unterdrückte ihren Schmerz und kämpfte darum, auf den Beinen zu bleiben.

Sylva war besser, aber das war kein Grund, es ihr leicht zu machen. Rasch änderte sie ihre Position und duckte sich. Keinen Augenblick zu früh, schoss es ihr durch den Kopf, als sie einen Luftzug spürte. Verdammt, sie muss doch atmen, dachte sie, während sie in die Dunkelheit lauschte.

Sylva atmete nicht. Sie stieß einen lauten Kampfschrei aus, der Nikki überrumpelte und zu einem überhasteten Ausweichschritt verleitete.

„Auh!“ Wieder wurde sie getroffen. Wütend griff sie an. Einmal, zweimal prallten die Kampfstäbe gegeneinander. Noch ein Treffer, und wieder raubte ihr der Schmerz den Atem.

Egal. Nikki schlug zu und traf etwas Weiches. „Ah!“, vernahm sie Sylvas Stimme mit einiger Verzögerung, als wollte sie ihr einen Gefallen tun.

„Schluss jetzt!“, befahl Magister Reimer. Nikki kniff die Augen zu, als es plötzlich hell wurde. Sylva stand keine anderthalb Schritt vor ihr und streckte ihr die Hand entgegen. Nikki stampfte auf, pfefferte den Kampfstab auf den Boden und stapfte davon. Es war ihr egal, ob der Unterricht weiter ging, und es war ihr egal, was Reimer und die Anderen von ihr hielten.

„Nikki!“ Das war Reimer. Sie senkte den Kopf und ging weiter. Sollte er sie doch bestrafen. Schlimmer als Heute konnte es kaum werden.

„Nikki, ich glaube, jetzt hast Du’s!“

Was war das? Er klang nicht böse, eher zufrieden, vielleicht sogar stolz. Stolz auf mich? Trotzig ging sie weiter, aber sie gestattete sich ein leises Grinsen. Sylva würde mit ihr üben, falls sie darum bat.

In ihrer Kammer schälte sie sich Stück für Stück aus dem steifen Lederzeug und schmiss jedes einzelne Teil gegen die Wand. Als sie fertig war, warf sie sich auf ihre Pritsche. Sie weinte und lachte, bis sie nicht mehr konnte.

* * *

Schatten und Licht

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