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Die Geliebte der Göttin

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Vergangenheit: Jahr 9 des Kaisers Polanas, Spätsommer


Orema, Mutter der Weisheit, Hohepriesterin der UNA

Sorgfältig strich Orema ihre Robe glatt. Die langen, schlanken Finger fuhren zärtlich über die kühle Seide. Prüfend sah sie in die kalte Oberfläche des Lotusspiegels und richtete die dunklen Locken, die ihr Gesicht umspielten. Mit einem Lächeln stellte die Oberin fest, dass ihr weder das Alter noch ihre leidenschaftliche Hingabe an die Erdmutter UNA und deren ungezügelte Tochter ERU mehr als ein paar Fältchen in den Augenwinkeln abgetrotzt hatten.

Zeit ihres Lebens war ihr der Zirkel des dunklen Mondes Aufgabe, Bestimmung und Leidenschaft gewesen, und seit mehr als zehn Mondjahren lenkte sie die Schwesternschaft. Als Mutter der Weisheit war sie unbestrittene Autorität und Führerin, doch nun, da die Runen die Erfüllung der Prophezeiung verkündeten, war sie unsicher, nervös und zugleich auch von Feuer und Begeisterung erfüllt.

Obwohl Orema die Schriften des Zirkels ausgiebig studierte, wusste nicht einmal sie, wie alt die Schwesternschaft tatsächlich war. Es mussten Jahrtausende sein. Alle paar Menschenleben offenbarte sich eine vage Gelegenheit, die Ankunft der Befreierinnen herbeizuführen, doch erst zweimal war es gelungen, das Schicksal bis zur Geburt der Zwillinge zu erfüllen. Beide Male waren die Mädchen frühzeitig verstorben, vermutlich ermordet worden. Nun lag es an ihr, und sie hatte ihr Leben nicht dieser Aufgabe verschrieben, um zu scheitern.

Energisch schüttelte Orema die widerstreitenden Gefühle ab. Sie legte sich den Samtumhang mit den heiligen Symbolen der Erdmutter um die Schultern und verließ ihr Gemach. Aus dem dunklen Gang, der zur Ritualhalle führte, drangen die Gesänge der versammelten Schwestern.

In der gegenüberliegenden Kammer bereitete sich ihre jüngere Schwester Sharana auf das wichtigste Ritual ihres Lebens vor. Während die Erdmutter UNA – und ihre Priesterin Orema – für Fruchtbarkeit und Mutterschaft, Ehe und Treue, Heim und Gastfreundschaft stand, verkörperte Sharana UNAs Tochter ERU mit all ihrer Verlockung, ungezügelten Leidenschaft und Freizügigkeit. So verschieden die Göttinnen waren, so sehr unterschieden sich auch die Schwestern. Orema war tatkräftig und energisch, selbstsicher und stark. Sie besaß einen sehnigen, kräftigen Körper und ein Gesicht voll klassischer Schönheit. Sharana war hingegen anschmiegsam und lieblich. Körper und Gesicht wiesen weiche Linien auf, allzeit Begehren und Verlangen auslösend.

Orema klopfte an die Tür, während sie sich gleichzeitig für ihre Ungeduld schalt. Als ihre Schwester schließlich aus der Kammer trat, war es Orema, als erschiene ihr die Göttin der Liebe selbst. Der Duft frischer Kräuter hüllte Sharana ein und ihr Gesicht war sorgfältig geschminkt. Sie trug einen blütenweißen Umhang, unter dessen Kapuze sich eine blonde Strähne hervorstahl, die ihr Gesicht umspielte. Orema wusste, dass sie unter dem fließenden Stoff nackt war, nackt, bis auf ERUs Collier und die auf die Haut gemalten Runen von Liebkosung, Verlangen und Vereinnahmung. Die Schwestern küssten sich leidenschaftlich.

Orema besann sich auf die Aufgabe, die vor ihnen lag und brach die Umarmung. Nie zuvor hatten sie es gewagt, ERU in ihrer zügellosen, weiblichen Leidenschaft, ihren Bruder PHALLON als männlich fordernde, wilde und ungestüme Seite der Sexualität und die Erdmutter UNA in ihrer ungezähmten Urkraft gemeinsam zu beschwören. Zu unberechenbar war die gleichzeitige Wirkung dieser Kräfte. Glaubte man den Legenden, konnten Sterbliche durch die Leidenschaft der beiden Liebesgötter buchstäblich zerrissen werden.

In Gedanken rezitierte Orema die erforderlichen Bindungen: UNA, die Fruchtbare für die Frau, PHALLON, der Spender für den Mann, ERU, die Unwiderstehliche für die Überbringerin der göttlichen Gaben. Alle drei Mächte mussten in Sharana gebunden werden, damit sich die Vorhersehung erfüllen konnte.

Hand in Hand folgten die Frauen dem spärlich beleuchteten Gang. Die geringste Unsicherheit, der kleinste Fehler bei der Reihenfolge der Gebete oder in der Durchführung der Verrichtungen konnte Sharanas Verderben bedeuten, doch sie nahm das Risiko freudig auf sich. Nach einem kurzen, festen Druck der Hände trat Orema in die geweihte Grotte.

Ein dumpfer Gongschlag verkündete ihre Ankunft. Elf Augenpaare richteten sich auf sie und der melodische Gesang verstummte. Oremas Blick glitt über die Versammlungshöhle. Sharana und sie selbst eingerechnet würden dreizehn Schwestern den Ritus vollziehen. Wie so Vieles war die Erfüllung der uralten magischen Zahl keine unabdingbare Voraussetzung, sondern ein weiterer Aspekt, der den Volllzug des Rituals begünstigte.

Orema stand vor dem Altar, der seit Menschengedenken das Zentrum der Kultstätte bildete, flankiert von den überlebensgroßen Statuen der Göttinnen UNA und ERU. Im Hintergrund lag ein kleiner Teich, dessen kräuselnde Wellen die Lichter der Fackeln in unzähligen, sich ständig wandelnden Facetten an die Decke spiegelten. Am Wasser stand ein provisorischer Schrein des PHALLON, den Orema als Störung in der ausgewogenen Struktur der Anlage empfand.

Sie spürte die gespannte Aufmerksamkeit der Frauen und begann mit der rituellen Einleitung.

* * *

Salmon, Hoher Weiser des Goldzirkels

Salmon sah verwundert von den Schriften auf. Er kannte Sephra, die oberste Sterndeuterin des Goldzirkels als verlässlich und besonnen, aber nun stürmte die kleine Frau mit den kurzgeschorenen grauen Haaren unangemeldet in sein Arbeitszimmer. Ihr überfallsartiger Auftritt verstieß gegen etliche Ordensregeln. Salmon wollte sie zurechtweisen, doch ihre panische Miene ließ ihn innehalten.

„Hoher Meister, die Sterne verschieben sich“, keuchte Sephra. „Die Zeit ist im Fluss. Sie verändert sich. Die Zukunft ist wie warmes Wachs. Jeder Versuch sie zu greifen verändert sie. Ich habe so etwas noch nicht erlebt.“

Obwohl sich Sephra auf seinen Schreibtisch stützte, zitterte sie am ganzen Körper. Salmon hörte ihre Worte, weigerte sich aber, den Inhalt ihrer abgehackten Sätze zu begreifen. Die Sterne liefen in festen Bahnen, waren die einzig fixen Größen in einer veränderlichen Welt. Ein guter Sternseher konnte aus den Konstellationen der Himmelskörper zuverlässige Vorhersagen erstellen, die weit in die Zukunft reichen mochten. Mit Hilfe dieses Orakels leitete der Goldzirkel die Geschicke Arans und die Entscheidungen der Herrscher. Vollständige Geheimhaltung war die Voraussetzung für sein Wirken. Der Zirkel bestand seit Jahrtausenden, ohne dass die Mächtigen der Welt seine Existenz auch nur erahnten. So war es und so musste es bleiben.

„Gibt es ein Muster?“, fragte er Sephra.

Sie starrte ihn unverwandt an.

„Kannst Du mir sagen, welche Sterne aus der Bahn geraten, welche Bereiche der Ordnung in Veränderung stehen?“

Sein eindringlicher Blick mahnte sie zur Disziplin, und sie raffte sich zu einer Antwort auf, ohne direkt auf seine Fragen einzugehen. „Es ist Anfang und Ende, Geburt und Tod, Schöpfung und Zerstörung, Schatten und Licht.“ Die Paarungen der elementaren Gegensätze kamen wie in Trance über ihre Lippen. Leidenschaftslos sprach sie aus, was er ahnte, aber nicht hören wollte: „Hoher Meister, die Ordnung selbst stürzt unter dem Ansturm des Chaos.“

Salmon fürchtete diese Worte, aber er besann sich seiner Verantwortung. Die alte Bedrohung regte sich, wollte sich erheben. Er griff zu der goldenen Maske mit dem Antlitz der Sonne, verhüllte sein Gesicht und klingelte nach seinem Sekretär. Sephra, die in ihrer Erregung auf ihre Maske vergessen hatte, wandte sich ab und verbarg ihr Gesicht. Geheimhaltung war essentiell, und die Offenheit, die zwischen ihr und Salmon bestand, war riskant genug.

„Beruf den Hohen Rat ein“, ordnete er ohne weitere Erklärungen an.

„Ja, Hoher Meister.“ Die goldene Maske des Bediensteten zeigte die spitzen Züge eines Wiesels und ließ keine Regungen erkennen.

„Schick den Schlüsselmeister zu mir. Sofort“, befahl Salmon. Wiesel verneigte sich ehrerbietig und verschwand durch die ornamentverzierte Türe.

„Sephra, lass mich allein. Achte darauf, dass Dich keiner ohne Maske sieht.“ Er sollte sie tadeln, aber er kannte ihre Loyalität und er verstand ihre Aufregung. Er musste die Prophezeiung nachlesen, um nichts zu übersehen. Er nahm den Schlüssel zur Hand und wandte sich dem in die Säule eingearbeiteten Schränkchen zu. Goldene Ornamente umspielten den Marmor und verbargen die Schlüssellöcher vor unbedarften Augen.

Endlich erschien der Schlüsselmeister. Er eilte herbei und reichte Salmon das Gegenstück seines Schlüssels. Salmon öffnete den Schrein, entnahm die Schriftrolle und wappnete seinen Geist. Erst als er bereit war, las er die Zeilen, die Hildgard Farnsetzer aus den Prophezeiungen der Janoris übersetzt und mit ihrem eigenen Blut niedergeschrieben hatte:

Die Zwei, welche kommen das Gefüge der Welt zu zerbrechen.

Die Ausgeburten, welche der Zeit das Wesen entreißen,

das Gesetz verachten und Ordnung zerstören.

Die Frauen, welche das Feuer der Alten erwecken,

als Feinde die Welt zu verbrennen und ins Dunkel zu stoßen.

Die Töchter, welche die Kinder der Göttin stürzen,

und dem Zeitalter ein finsteres Ende bereiten.

Schaudernd wandte er sich ab. Die Zeit seiner Bewährung war gekommen.

* * *

Sharana, Geliebte der ERU

Sharanas Blick ruhte auf dem dunklen Vorhang, der ihre Schwester verschluckt hatte. Dann schlüpfte sie in den schmalen Gang, der hinter die Statue der ERU führte. Dort verharrte sie pochenden Herzens. Die freudige Erregung über das Kommende durchflutete sie ebenso, wie die bange Unsicherheit.

Sie betete: „Heilige ERU, Tochter der Erde und des Mondes, erfülle mich mit Leidenschaft und Freude. Verleihe mir die Kraft, unter PHALLONs göttlichem Ansturm zu bestehen und die Stärke, meine Aufgabe zu erfüllen. Lass das helle Licht Deiner Göttlichkeit in mir leuchten, damit ich meinen Schwestern Freude und Erfüllung schenke. So es Dir gefällt, nimm meinen Körper an für heute und solange es Dein Wille ist.“

Eine schier unerträgliche Welle von Erregung und unbändiger Lust durchflutete ihren Leib, als ein winziger Teil der Göttin von ihr Besitz ergriff.

* * *

Oremas Stimme hallte klar und rein durch die Höhle, erfüllte jeden Winkel mit der heiligen Prophezeiung der Janoris, wie sie von Arandel Russfang übersetzt, und von Generation zu Generation getreulich überliefert worden war:

Die Zwei, welche kommen, das Gefüge der Welt zu öffnen.

Die Geborenen, welche das Wesen der Zeit erkennen,

das Gesetz zu verändern und die Grenzen zu weiten.

Die Frauen, welche das Feuer der Alten erwecken,

die Feinde der Welt verbrennen und das Dunkel erhellen.

Die Töchter der Göttinnen Kinder,

welche das finstere Zeitalter beenden.“

Die Mutter der Weisheit hielt einen Moment inne, ehe sie fortfuhr: „Schwestern, die Erfüllung der Prophezeiung ist nah. Die Ankunft der Zwillinge wurde offenbart. Die Zeit ist gekommen, die Kraft der Erdmutter UNA zu erflehen, in uns aufzunehmen und den auserkorenen Eltern zu überbringen.“

Sharana hörte Oremas Stimme wie durch einen Nebel, während sie sich haltsuchend an den kühlen Stein schmiegte.

„Schwestern begrüßt ERUs Botschafterin, Tochter von Erde und Mond, heißt sie willkommen in ihrer Kraft und Weiblichkeit.“

Mit weichen Knien, aber entschlossen trat Sharana aus dem Schatten der Statue. Von göttlicher Kraft erfüllt schritt sie durch die Frauen bis vor den Altar. Die Kühle des heiligen Steins drang durch den Samt des Umhangs und vereinte sich mit ihrer lodernden Wärme. Die Blicke der versammelten Schwestern brannten erwartungsvoll, begehrlich und lustvoll auf ihrer Haut. Als sich ihre Sinne öffneten, glaubte sie unter dem Ansturm der Gefühle zu verbrennen.

„Begrüßt PHALLONs Abgesandten, Sohn von Erde und Sonne, Träger des göttlichen Segens. Heißt ihn willkommen in seiner Kraft und Männlichkeit.“

Zwei Schwestern führten einen jungen, kräftig gebauten Mann in den Kreis. Er war in ein Stierfell gehüllt, an den Händen gefesselt und trug eine Augenbinde. Ansonsten war er nackt. Ein namenloser Hafenarbeiter vielleicht oder ein entlaufener Knecht, aber, so wie er vor ihnen stand, frisch gewaschen und von der Macht eines Gottes erfüllt, von beeindruckender Erscheinung.

Er sah sich irritiert um, als ihm die Augenbinde abgenommen wurde. Sharana stieg auf den Altar und ließ ihren Umhang von den Schultern gleiten. Seine Unsicherheit wich einem aufdringlichen Grinsen. Eines Gottes nicht würdig, befand Sharana. Sie senkte ihren Blick und sah an seinen Lenden ein Versprechen erstehen, das sie erschauern ließ. Doch eines Gottes würdig, korrigierte sie sich.

Der Gong hallte durch die Kaverne und die Schwestern ließen ihre Roben fallen. Sie begannen Sharana zu streicheln, während sie auf die Platte des Altars niedersank. Tausendfache Berührungen und Liebkosungen unzähliger Hände entfachten einen Sturm der Lust und Wellen der Leidenschaft rasten durch ihren Körper. Sie spürte das erregte Lachen der Göttin, fühlte ihren Funken, schenkte ERU eine Hingabe, die der Liebesgöttin würdig war. Durch ihre flackernden Augenlieder sah sie, wie sich der Jüngling im Griff der Schwestern wand, bis er sich losriss und mit einem heiseren Schrei auf sie stürzte.

Wild und fordernd drang er ein, hart, ohne jede Zärtlichkeit. Die Frau in ihr hätte sich seinem Ansturm gerne entzogen, doch ERU war in ihr, peitschte ihn auf, verlangte nach seinen heftigen Stößen, forderte mehr von PHALLON, der auf ihr lag, ignorierte die Schmerzen, die von ihrer Leidenschaft hinweggespült wurden. Göttin, gib mir Kraft das zu ertragen, betete der kleine Teil von ihr, der noch Sharana war. Plötzlich brüllte der Mann wie ein Stier und der göttliche Segen schoss aus ihm, in sie, auf sie, um sie herum, immer wieder, immer weiter, mehr als ein Sterblicher zu geben vermochte.

Eine Welle des Bedauerns durchflutete Sharana. Sie wusste, was das Ritual für den namenlosen Jüngling bedeutete. Sollte er die Nacht überleben, und sie bezweifelte, dass sie ihm das wünschte, würde er als stammelnder Greis erwachen, ohne jede Erinnerung daran wer er war, oder was ihm widerfahren war.

Der nutzlose Gedanke wurde hinweggespült, ausgelöscht durch Wogen der Erregung und erneut aufflammender Lust. Dutzende Frauenhände verrieben den reichlichen Segen des Gottes zärtlich auf ihrer Haut und ihr Geist verlor sich.

Ziellos trieb sie dahin. Farben formten Bilder, die sie nicht fassen konnte. Töne berührten und verloren sie. Erinnerungen blitzten auf, eigene und fremde, und verblassten wieder. Wohlige Wärme durchströmte sie, gestört von ungreifbarer Disharmonie. Frau und Mann von göttlicher Anmut, Schönheit und Stärke kämpften um sie, um ihren Körper. Sharana wusste, dass die Frau siegen musste, doch was hatte das mit ihr zu tun? Wieder trieben Bilder vorbei: Zwei Mädchen, eine blond, die andere mit pechschwarzem Haar.

Ich muss zurück. Zurück? Wohin?

Jemand rief nach ERU, verzweifelt, weit entfernt. Ich komme ja, dachte sie.

Ein harter Untergrund weckte Erinnerungen an vergangene Leidenschaft. Etwas zerrte an ihrem Arm. Warum darf ich nicht schlafen?, wehrte sie sich, doch endlich hob sie ihre Lider und sah das vertraute Gesicht ihrer Schwester, die sie aus verweinten Augen anstarrte.

„Wo warst Du?“, stammelte Orema mit versagender Stimme. „Du warst tot! Vier Stunden lang warst Du tot! Ich dachte, ich hätte Dich verloren.“ Tränen strömten über ihre Wangen. Sie küsste Sharana immer und immer wieder.

„Freue Dich Schwester. Ich habe die Zwillinge gesehen.“ Sharana schloss die Augen und fiel in einen tiefen heilsamen Schlaf.

* * *

Sara, Gesellschafterin im Haus DaCalva

Die junge Gesellschafterin liebte die Aussicht von der Terrasse. Sie lebte seit vier Monate im Haus DaCalva und genoss den Blick über den Goldhügel an jedem einzelnen Tag. Das noble Viertel abseits des geschäftigen Hafens war der schönste Teil von Rand, geprägt von gepflegten Gärten, deren Grün mit dem tiefblauen Wasser des westlichen Ozeans und dem satten Blau des Himmels um die Wette strahlte.

Die Sommerabende, die sie mit ihrer Dienstherrin auf der weitläufigen Terrasse verbrachte, erfüllten Sara mit Freude. Baronin Rhiannon DaCalva strahlte Ruhe und Gelassenheit aus. Trotz ihrer fast vierzig Sonnenläufe war sie noch eine attraktive Frau. Seit zwölf Jahren war sie mit dem deutlich älteren Horatio, Baron DaCalva vermählt, doch UNAs Segen war dem Paar verwehrt geblieben. Wenn die Sonne im westlichen Meer versank, schienen die Gedanken der Baronin um den unerfüllten Kinderwunsch zu kreisen.

Sara sog das Panorama in sich auf. Sie wollte sich den Anblick einprägen, solange sie die Gelegenheit dazu hatte. Sie stand nicht zufällig in Baronin Rhiannons Dienst, und noch heute vollzöge ERUs Gesandte den Willen der heiligen Mutter. Sie, die junge Tempeldienerin, durfte daran Anteil haben.

Beschwingte Schritte trugen sie ins Innere des Palazzos. Sie lief die breite Marmortreppe hinab ins Erdgeschoss, wo sich die Wirtschaftsräume befanden und stürmte in die Küche. „Das Bad für die Baronin richten!“ Sara lächelte den Mägden zu und wandte sich an den Majordomus. „Dominus, die Herrin wünscht Euch zu sehen.“

Dienstbeflissen erhob sich der ältliche Vorsteher. Die nachmittägliche Hitze hielt ihn nicht davon ab, seine goldbetresste Jacke überzuziehen. „Danke Sara“, rief er und machte sich auf den Weg ins Obergeschoss.

Der Weg ist frei, dachte sie. Ich hoffe, die Herrin ist bereit. Sie huschte zum Tor, schob den schweren Flügel einen Spalt breit auf und eine schlanke Gestalt schlüpfte ins Haus. Sara wies auf eine Nische unter der Treppe und die Fremde verschmolz mit dem Halbdunkel der Schatten.

Von oben hörte sie die Schritte des Majordomus. Sie setzte ein Lächeln auf und eilte die Treppe empor. Dominus kam ihr schwitzend entgegen und hob anklagend die Rechte: „Was fällt Dir ein, närrisches Ding. Die Baronin braucht nichts. Deinetwegen habe ich ihre Mittagsruhe gestört.“ Er machte kein Hehl aus seiner Missbilligung, aber Sara lächelte unverbindlich, zuckte bedauernd die Achseln und war schon vorüber.

Als der Flur wieder frei war, schlich sie zurück, pfiff leise durch die Zähne und winkte die Besucherin nach oben. „Versteckt Euch im Ankleidezimmer des Herrn bis Alles fertig ist.“

Eine feingliedrige Hand legte sich auf Saras Arm. „Ich danke Dir. Du hast es gut getan.“

Die junge Frau erschauerte unter der Berührung und die Erinnerungen an die letzte Nacht überwältigten sie. „Geliebte der Göttin, ich gehöre ganz Euch.“ Sie warf sich vor ihr auf die Knie und küsste ihre Hände. Heißes, von ERU selbst entfachtes Verlangen mischte sich in ihre Zuneigung und Bewunderung für ihre höchste Dienerin.

Sharana lächelte. „Geh jetzt.“ In ihren schlichten Worten lag Wärme, Liebe und eindringliche Mahnung an ihre Pflicht.

Sara richtete das Bad mit Sorgfalt. Die vertrauten Handgriffe, mit denen sie die weichen Badetücher bereit legte, halfen ihr, ihre Unrast im Zaum zu halten. Dennoch zitterten ihre Hände, da so viel auf dem Spiel stand. Sorgsam veredelte sie das heiße Wasser mit Rosenöl, Gewürznelken und Thymian. Einen flüchtigen Gedanken verschwendete sie an das Geld, das die Kerzen gekostet haben mussten, bevor sie mehrere Dutzend davon aufstellte und entzündete.

Als Sara mit den Vorbereitungen zufrieden war, eilte sie zur Garderobe und klopfte leise. „Ich bin soweit.“

„Danke. Hol die Baronin.“

Sharanas melodische Stimme ließ Saras Herz schneller schlagen. Sie huschte zu Rhiannons Salon, klopfte und betrat den weitläufigen, im Halbdunkel liegenden Raum. „Baronin, Euer Bad ist gerichtet.“

Anstatt sich diskret zurückzuziehen, griff sie nach dem seidigen Hauskleid und half Rhiannon hinein. Die Baronin zögerte, nahm die unerwartete Handreichung aber mit einem unverbindlichen Lächeln entgegen. Ihre langen schwarzen Haare strichen weich über Saras Hand.

Die junge Frau öffnete die Türe zum Bad. Rhiannon stutzte, sah sie fragend an, und Sara meinte, im fragenden Blick ihrer Augen zu vergehen. ERU hilf, dachte sie verzweifelt, doch mehr als ein gehauchtes „Baronin, bitte“, brachte sie nicht hervor. Jetzt wirft sie mich raus, schoss es ihr durch den Kopf, doch Rhiannon betrat den verheißungsvoll duftenden Baderaum.

Behutsam schloss Sara die Türe und half ihrer Herrin aus dem Kleid. Wie schön sie ist, dachte sie, als die Ältere im sanften Licht der Kerzen nackt und verletzlich vor ihr stand. Und nun?, schien die Miene der Baronin zu fragen. Offene Neugier stand in ihrem ebenmäßigen Gesicht.

„Ich wasche Euch, wenn Ihr erlaubt.“

Der heikle Moment war überstanden. Während Rhiannon in das warme Wasser glitt, schlüpfte Sara aus ihrem Kleid. Rhiannons Blicke prickelten auf ihrer Haut, während auch sie ins Becken stieg. Sie nahm einen der weichen Badeschwämme und wusch den Rücken ihrer Herrin.

Langsam entspannte sich die Baronin. Sara spürte ein Begehren, ihren geschmeidigen Körper zu umfassen und zu liebkosen. Ihre Arme glitten unter Rhiannons Achseln durch und umfingen sie zärtlich.

Der Kopf der Baronin ruckte herum, als ein feiner Luftzug das Öffnen der Türe begeleitete. Als sie Sharana sah, versteifte sie sich augenblicklich. Enttäuschung, Vorwurf und aufkeimende Furcht lagen in ihrem Blick. Den Ausdruck in ihren grauen Augen würde Sara nie wieder vergessen.

„Vertraut mir“, bat sie flehentlich. Sie zog die Ältere an sich küsste sie, kostete die Berührung der Lippen bis das Beben in Rhiannons Körper verebbte. Liebe und Geborgenheit durchfluteten sie, als Sharana sie beide umfing und ERUs Geschenk entfesselte.

* * *

Die Frauen lösten sich voneinander. Sara konnte nicht sagen, wie lange sie sich dem Rausch der Göttin hingegeben hatten. Die Kerzen waren heruntergebrannt, und das Wasser war kühl. Rhiannon lehnte am Beckenrand. Ihre Brust hob und senkte sich, und sichtbare Schauer liefen durch ihren schlanken Körper.

Sara hatte schon vielen Andachten zu Ehren der Liebesgöttin beigewohnt und brachte sich jedes Mal voller Hingebung ein, doch diesmal war es besonders gewesen. Nie zuvor hatte sie sich Sharana so nah gefühlt, hatte sie die Zuwendung der Hohepriesterin so unmittelbar genossen. Die Göttin selbst war in ihnen gewesen, hatte sie erfüllt, daran gab es keinen Zweifel. Fragend sah sie zu Sharana und diese nickte lächelnd. Es war gelungen.

Sara wandte sich zu Rhiannon und küsste sie. „Vergebt mir, Baronin.“ Dankbar spürte sie, wie ihr Kuss erwidert wurde.

„Sara!“ Sharanas Stimme drang glockenhell an ihr Ohr, während ihr die Hohepriesterin übers Haar strich. „Es ist noch nicht zu Ende. Trockne die Baronin ab, frisiere sie und geleite sie in das Zimmer ihres Gemahls. UNAs Segen ruht in ihr und ERUs Zauber ist mit ihr, aber wir müssen auch PHALLONs Macht entfesseln, damit es vollendet wird.“

Rhiannon war schläfrig und reagierte dennoch mit erwachender Leidenschaft auf jede noch so flüchtige Berührung. Schließlich nickte sie auf dem fürstlichen Doppelbett ein und Sara sorgte mit geübten Handgriffen dafür, dass das zarte Nachthemd ausreichend viel verbarg und zugleich enthüllte, ehe sie wieder ins Bad eilte.

Sharana erwartete sie bereits. „Kümmere Dich persönlich darum.“ Ihre Handbewegung umfasste die Reste der Kerzen und die Badeutensilien. „Aber bring mich vorher aus dem Haus.“ Die Blonde trat an sie heran und küsste sie inbrünstig. Dann legte sie ihre Finger unter das Kinn der Tempeldienerin und sah ihr tief in die Augen. „Ich danke Dir, Sara, Priesterin der ERU, für Deine Hilfe bei dieser wichtigen Aufgabe.“

Sara zuckte zusammen. Priesterin? In ihrem Alter? Ehrfurchtsvoll neigte sie ihr Haupt vor der Hohepriesterin und sprach die rituellen Worte, die ihre Ernennung bestätigten: „ERU, ich danke Dir.“

* * *

Sie lag noch lange wach. Der Vollmond hielt ihren Blick gefangen. Dominus noch einmal zu foppen, damit Sharana unbemerkt aus dem Haus kam, war leicht gewesen und der Herr Baron hatte seine Gemahlin besucht und das Ritual vollendet.

Sara fühlte sich leicht, beschwingt und zugleich müde. Der Nachtwind liebkoste ihre Haut und schmeichelte ihrem erhitzten Leib. Es war, als spürte sie die zärtlichen Hände der Hohepriesterin. „Priesterin der ERU“, hallten Sharanas Worte nach. Der Gedanke an den Namen der schönen Göttin genügte ihr, um sich noch einmal in einem erregenden Schauer zu verlieren. Die Hände zwischen ihre Schenkel gepresst schlief Sara ein. In ihren heißen Träumen war ERU bei ihr, und in dieser Nacht trug die Göttin Sharanas Antlitz.

* * *


Schatten und Licht

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