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Für die Kaiserin

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Jahr 1, Kaiserin Rhodena, Sommer


Sylva von Bethan, Kampfmagierin

Neben Fürsten, Ministern und Armee zählte auch die Weiße Gilde zu den Säulen des Reiches, und deshalb nahmen Magister Reimer und Magistra Feuerstaub mit den Novizen des Abschlussjahres an Prinzessin Rhodenas Krönung teil. Die dicht gedrängten Menschen in den geschmückten Straßen der Hauptstadt und die allgegenwärtige Freude und Fröhlichkeit bei den Darbietungen der Musikanten und Gaukler eröffneten Sylva eine neue Welt, doch die Krönungsfeier war der unumstrittene Höhepunkt in ihrem jungen Leben. Mit Stolz und Freude leistete sie Rhodena den Eid: Dafür hatte sie die langen Jahre der strengen Ausbildung auf sich genommen.

Zunächst herrschte am Hof Verwunderung, weil die Fürsten von Lausan und Windon, die Grafen von Sirnan und Rotfurt und die Vertreter der Lausaner Akademie nicht rechtzeitig eintrafen, doch niemand zog dafür einen anderen Grund in Erwägung, als die Hochwässer des Frühlings.

Dann tauchte das Gerücht auf, Ungalf Schwarzhand, Fürst von Windon und Schwager des verstorbenen Kaisers würde Rhodena die Gefolgschaft versagen, und bald darauf wurde es zur Gewissheit: Ungalf stellte Rhodenas Anspruch in Frage und rief sich selbst zum Kaiser aus. Magister Reimer unterstellte die Kampfmagier dem Befehl der Generalin Adama von Hohenau, aber er selbst führte die Novizen zu Sylvas Enttäuschung nach Bethan zurück.

Noch auf der Heimreise erreichten sie beunruhigende Nachrichten. Sirnan, Lausan und Rotfurt waren der bösartigen Verleumdung gefolgt, nach der Rhodena nicht Polanas’ leibliche Tochter wäre, und hatten sich dem Aufstand angeschlossen. Sylva wollte auf der Stelle umkehren und sich den kaiserlichen Streitkräften anschließen und stritt darüber mit Reimer.

„Die Aufständischen haben ohne Unterstützung durch die Weißen Magier keine Aussicht auf Erfolg“, versicherte er ihr. „Ich schick Dich sicher nicht ohne Abschluss in den Krieg.“

Bei ihrem Eintreffen erinnerte die Schule an einen aufgescheuchten Bienenstock, und noch am selben Abend beorderte sie der Rektor in den Festsaal. Seine Mitteilungen waren erschreckend und von weitreichender Auswirkung für die angehenden Zauberer. In Unkenntnis der Größe des Aufstandes und der Stärke der feindlichen Kräfte war das kaiserliche Heer geschlagen und zurückgeworfen worden. Zudem genoss der Feind viel stärkere magische Unterstützung als erwartet. Nicht nur die Akademie von Lausan, sondern auch Anhänger der Schwarzen Lehre und andere, nicht näher benannte Zauberkundige unterstützten die Rebellion, was das Ausmaß der Niederlage noch verstärkt hatte.

Die Lehrkräfte entschieden sich für eine abgekürzte Abschlussprüfung, die sich auf die Fähigkeiten des Kampfes, seien es aktive Angriffsschläge oder die Abwehr feindlicher Magie, konzentrierte. Oft hatten einige Lehrer, allen voran Vilana Südfahrer, Sylvas theoretische Leistungen kritisiert, ihr Versagen in der Alchimie und ihre rudimentäre Kenntnis der alten Sprachen bemängelt, doch plötzlich schien dies nicht mehr von Bedeutung zu sein.

Mit ihr traten die braunhaarige Nikki und ein hoch gewachsener Novize namens Lothran an. Beide waren in vielen Dingen besser, aber Sylva war die Einzige, die den gefährlichen Großen Feuerball zumindest in seinen Grundzügen meisterte. Gut ausgeführt konnte man damit eine halbe Kompanie verbrennen und einen Kampf entscheiden, ehe er überhaupt begann.

Allerdings hatte die Ausführung auf einem Übungsplatz mit der Anwendung im Gefecht nicht viel gemein. Jeder Absolvent des kämpfenden Zweiges wusste um den Rückschlag auf den Zauberer. Deshalb übten die Novizen die Kampfzauber an Ratten, um die nadelartigen Stiche kennenzulernen, aber nur Sylva kannte den Schmerz, der mit dem Tod eines Menschen einherging. In der Nacht vor der Krönung hatte sie sich gegen Einbrecher zur Wehr gesetzt und zwei von ihnen getötet. Damals war ihr übel geworden, und sie war noch nicht darüber hinweg.

Während der Prüfung ließ Magister Reimer bei der Demonstration der Schock-, Frost- und Feuerzauber nicht locker, ehe ihre magischen Energien aufgebraucht waren. Erschöpft und von geistiger Leere erfüllt, zwang er sie, die letzten Zauber mit der Kraft ihres Lebens zu speisen. Magistra Südfahrer protestierte, da dies den Prüfungsregeln widersprach, aber das Kollegium ließ den erfahrenen Kampfmagier gewähren bis Nikki zusammenbrach.

Noch während Sylva und Lothran nach Atem rangen, griff Reimer an. Trotz ihrer Überzahl konnten sie sich seiner Schläge kaum erwehren. Sein Kampfstab sauste in rasender Folge auf die Novizen nieder, und bald spürte Sylva die nagende Erschöpfung. Ihre zunehmend tauben Arme würden seinen Angriffen nicht mehr lange standhalten. Als der Lehrmeister Lothran mit einer schnellen Kombination entwaffnete, gab sie auf.

Reimer ignorierte ihre Kapitulation und sie wehrte sich mit wachsender Verzweiflung. Plötzlich griff er den unbewaffneten Lothran an und holte zu einem heftigen Schlag aus. „LICHTBLITZ“, schrie Sylva erschrocken und stieß ihre Linke vor, während die Magie wieder einen Funken Leben aus ihrem geschundenen Körper riss. Reimer brach den Angriff ab und hob die Arme schützend vors Gesicht. Mit einem wütenden Aufschrei hieb Sylva nach seinem Kopf, traf seine Stirn und er fiel um wie ein Brett.

Erschrocken ließ sie ihren Stab fallen und stürzte zu ihm. Wie durch einen Schleier hörte sie Magistra Südfahrer geifern: „Sie hat eine Lehrkraft mit Magie angegriffen. Ausschluss! Gemäß der Akademieordnung ist sie auszuschließen!“

Ist alles vorbei? Hat ein Moment mangelnder Selbstbeherrschung alles zerstört? Tränen der Erschöpfung und der Verzweiflung liefen über ihre Wangen. Ihre Lippen formten Worte der Heilung, die sie nicht mehr mit Magie füllen konnte, bis sie jemand beiseite zog und ins Gras bettete. „Verweis von der Akademie! Ausschluss aus der Gilde!“, keifte die Südfahrer durch den Tumult.

„RUHE!“ Die kräftige Stimme des Schulleiters beendete die Debatte. „Wertes Kollegium, wir haben gesehen, was einen Bethaner Absolventen ausmacht. Disziplinierte Magieanwendung im Sinne der Aufgabe bis zur Erschöpfung der magischen Energien und darüber hinaus.“

Sylva fühlte eine Flasche an ihrem Mund.

„Ausdauernder, aufopferungsvoller Kampf gegen einen überlegenen Gegner.“

Sie schluckte den wärmenden Trank und spürte augenblicklich seine heilende Wirkung. Ihr Kopf wurde klarer.

„Einhaltung der Regeln des Kampfes, so lange es ihr möglich war. Und die Verletzung dieser Regeln, als es der Schutz eines Unschuldigen erforderte und kein anderes Mittel mehr zu Gebot stand. Wer möchte der frischgebackenen Magistra zu ihrer mit Auszeichnung bestandenen Abschlussprüfung gratulieren?“

Magistra Südfahrer sog scharf die Luft ein. Dann stand Magister Reimer vor Sylva und zog sie auf ihre noch wackeligen Beine. Fassungslos starrte sie auf die riesige Beule an seiner Stirn. „Ich bin so stolz auf Dich, Mädchen“, strahlte er und zog sie in seine Arme. „Der Blitz war mutig. Du konntest nicht wissen, ob Du meinen Geist bezwingen kannst. Du hast damit nicht nur Lothran gerettet, sondern auch einen aussichtlosen Kampf für Dich entschieden.“

* * *

Die Magierin saß aufrecht im Sattel ihres schwarzen Hengstes. Beinahe hätte die junge Frau in der weißen Robe stolz und eindrucksvoll gewirkt, doch der müde Blick von Ross und Reiterin trübte das Bild. Hier, in den Ausläufern des baelischen Kammes, war die Landschaft lieblich und freundlich. Unter ihnen lag ein herrlich schönes Tal und an den tiefer gelegenen Nordhängen durchbrachen Weinberge und von saftige Wiesen den Mischwald.

„Sylva?“ Torins Stimme riss sie aus ihren Gedanken. „Wir müssen weiter.“

Obwohl Rhodenas Krönung und ihre Abschlussprüfung keine drei Monde zurücklagen, schienen die Erinnerungen daran in ein anderes, früheres Leben zu gehören. Die abgekämpften Reiter, deren müde Tiere sich widerwillig über den Anstieg quälten, verdeutlichten Sylva, dass die Jahre des Friedens vorbei waren. Als die Reihe der berittenen Schützen vorübergezogen war, trieben die Beiden ihre Pferde an um aufzuschließen.

Sylva sollte erste Kampferfahrungen machen und hatte sich gefreut, als sie dem Kommando ihres Freundes zugeteilt worden war, aber der Einsatz entwickelte sich zu einem Desaster. Militärisch betrachtet war ihr Trupp von etwa dreißig Kundschaftern unbedeutend und ihr Auftrag, feindliche Bewegungen südöstlich der Stadt Chur aufzuklären, hatte schon lange seine Bedeutung verloren.

Eine mehrfache Übermacht drängte sie nach Süden ab und die Reiter aus Sirnan verfolgten sie jetzt seit sechs Tagen. Obwohl Torins Leute jeden Trick anwandten, der ihnen in den Sinn kam, ließ sich der hartnäckige Gegner nicht abschütteln. Wie es aussah, mussten sie noch tiefer in das unwegsamer werdende Hügelland zurückfallen.

„Das ergibt keinen Sinn“, fluchte Torin. „Wieso jagen die hinter uns paar Figuren drei ganze Abteilungen her?“

Sylva zuckte mit den Achseln. Sie wusste keine Antwort.

„Haben die sicher einen Magier dabei?“ bohrte der junge Leutnant nach.

„Zumindest einen“, erwiderte die Magierin. „Deshalb können wir sie auch nicht abschütteln.“

Sie sah nach Süden. Über dem Gebirge ballten sich Gewitterwolken zusammen, die einen beeindruckenden Kontrast zu den lichtdurchfluteten Hängen und der stechenden Sonne darstellten. Die Nähe der baelischen Grenze bereitete ihnen jedoch größere Sorgen als das Wetter. Sie würde dem Zurückweichen ein jähes Ende bereiten.

„Schau nicht nach oben“, sagte Sylva.

„Was gibt’s?“, erkundigte sich Torin.

„Die Krähe ist wieder da.“

„Wieso interessiert Dich die?“ wollte Torin wissen. „Die habe ich in den letzten Tagen immer wieder einmal gesehen.“

„Genau“, erwiderte Sylva. „Ich glaube, das Vieh ist der Grund, warum uns die Verfolger immer wieder aufspüren.“

Sie setzten sich an die Spitze des kleinen Zuges. „Im nächsten Wäldchen zieht einer Deiner Reiter meinen Umhang über. Nimm meine Kleider und pass auf meinen Stab auf.“

„Was hast Du vor?“

Die Magierin blieb die Antwort schuldig und konzentrierte sich. Die Krähe gehörte vermutlich einem der Zauberkundigen im Trupp der Verfolger. Lieber hätte sie sich dem Magier selbst gestellt, aber das war nicht möglich, ohne sich gleichzeitig mit den Soldaten einzulassen, und die Vermutung, es könnte sich um mehrere Magiebegabte handeln, verbesserte ihre Chancen nicht. So unerfahren wie ich können die feindlichen Zauberer gar nicht sein, gestand sie sich widerwillig ein.

* * *

Tierverwandlungen faszinierten Sylva von Anfang an. Der Spruch gehörte nicht zum Kern ihrer Ausbildung, aber sie sollten die Thesis kennenlernen. Alle waren überrascht, als sie sich auf Anhieb in einen Kaiseradler mit pechschwarzem Gefieder und weißen Flügelspitzen verwandelte. Intuitiv hatte sie jenes Tier ausgesucht, mit dem ihre Seele in Verbindung stand, was derartige Verwandlungen begünstigte. Den Zauber zu kennen hieß aber nicht, auch den Körper des Tieres zu beherrschen. Besonders bei Vogelgestalten kam es zu Unfällen durch mangelnde Koordination oder Erfahrung und Sylva meisterte gerade einmal den normalen Flug, aber eine bessere Gelegenheit würde sie nicht bekommen.

* * *

Als sie die Bäume erreichten, stieg die Magierin ab und gab Torin ihren Stab. Einer der Reiter, Larn, legte ihren Mantel um. Als er seinen Helm abnahm, ergoss sich wallendes schwarzes Haar über seine Schultern.

„Eine fast perfekte Täuschung, aber der Bart stört“, grinste Torin. Er stutzte. „Blick nach vorn!“ brüllte er, als er sah, dass sich Sylva entkleidete.

„Ich weiß nicht, was Du vor hast, aber sei vorsichtig.“ Verlegen nahm er die Kleider der nackten Magierin entgegen. So sehr er diesen Anblick unter anderen Umständen herbeigesehnt hätte, so schwer lastete jetzt der Druck auf seiner Brust. Sie setzte sich einer unkalkulierbaren Gefahr aus, bei der er ihr nicht beistehen konnte.

* * *

Sylva sah den Reitern nach, kauerte sich zusammen und konzentrierte sich auf die wesentlichen Elemente des Zaubers. Wirkungsdauer abschätzen, die kann nachträglich nicht verlängert werden.

Ihr Körper wurde leichter. Keine Spielchen. Der Gegner ist wendiger und kann besser fliegen.

Ihre Beine verkrüppelten zu starken, krallenbewehrten Fängen. Mein Vorteil liegt in der Kraft und im höheren Gewicht.

Es zog in ihren Armen, während sie sich unnatürlich verbogen und verrenkten. Wenn ich sie habe, darf ich nicht mehr loslassen.

Schwarze Federn entsprossen ihrer Haut. Ihre Nase wurde lang und krümmte sich. Die Landschaft erstrahlte in ungewohnter Schärfe.

Sie spürte die Liebkosung des Windes unter ihren Schwingen und stieß sich mit einem heiseren Schrei ab. Sie fand die Aufwinde nicht gleich, doch bald trug sie die Thermik höher und höher. Ein Feldhase wäre fein, schoss es ihr durch den Kopf.

Die Krähe, schlag die Krähe, meldete sich eine andere Stimme, tief aus ihrem Inneren und doch entfernt.

Weit unten, inmitten der grünen Hügel, sah sie Pferde in einer unnatürlich langen Reihe. Sie trugen Menschen auf ihren Rücken. Einer, der mit dem weißen Umhang, berührte etwas in ihr. Sie fragte sich, ob die seltsamen Zweibeiner wussten, dass sie als Beute zu groß waren und deshalb auf jegliche Tarnung verzichteten. Etwas weiter und doch viel zu nah – Zu nah? Wofür zu nah? – erkannte sie andere Reiter in noch größerer Zahl.

Die Krähe! Schon wieder war diese Stimme in ihrem Kopf, diesmal eindringlicher. Schließlich entdeckte sie einen Punkt am Himmel, der unbeirrt der kleineren Reiterschar folgte. Diesem frechen Vieh würde sie zeigen, was es hieß, in ihr Revier einzudringen.

Bald hatte sie die richtige Überhöhung. Sie winkelte die Schwingen an und ließ sich fallen. Immer schneller strich der Wind durch ihre Federn, berauschte sie, doch die Krähe erkannte die Gefahr und wich aus.

Sylva Fänge schlugen ins Leere und sie kreischte zornig.

Obwohl ihre Schwingen in den rasenden Fahrtwind griffen, schoss sie um etliche Flügelspannen an der Beute vorbei. Noch hatte sie die höhere Geschwindigkeit und die nutzte sie für einen zweiten Anflug, doch sie verfehlte abermals.

Plötzlich war die Krähe über ihr, hackte mit ihrem Schnabel nach ihrer rechten Schwinge. Einmal, zweimal spürte Sylva heftigen Schmerz am Flügel, dann am Nacken. Sie ist zu wendig. Dreh ab.

Wer mischte sich da in ihren Kampf ein? Konnte die Stimme recht haben? Sie wollte Höhe gewinnen. Sie flieht.

Lass sie, ein Hase schmeckt sowieso besser.

Schlag sie, bevor sie entkommt.

Wieder schoss sie herab. Obwohl die Krähe abermals einen Haken schlug, schloss sich Sylvas linker Fang um etwas Weiches. Die heftige Gegenwehr des anderen Vogels brachte sie aus ihrer stabilen Fluglage und der Krähenschnabel hackte zornig nach ihren Fängen. Der Instinkt des Adlers wollte loslassen, aber eine stärkere Präsenz zwang sie festzuhalten.

Ich habe keine Zeit mehr! Das wird knapp!

Sylva zog die Schwingen an und ließ sich fallen. Mit zunehmender Geschwindigkeit wurde das Flattern der Beute heftiger, doch dann erlahmte es, als unter dem Druck des Sturzflugs ein Flügel brach. Der Boden kam schnell näher und damit auch der gefährliche Wald. Eine letzte Korrektur brachte sie in Anflug auf die kleine Reiterschar. Die Zweibeiner starrten ihr gebannt entgegen.

Menschen sind Feinde.

Nein, sie sind die Rettung.

Instinktiv öffnete Sylva die Schwingen. Das Gewicht der Beute behinderte sie, aber sie ließ nicht locker, bis sie mit halb angezogenen Flügeln durch einen Busch rauschte und sich überschlug. Nicht einen Augenblick zu früh, durchzuckte es sie, als die Rückverwandlung einsetzte.

Der Schmerz setzte ohne Vorwarnung ein. Wo der scharfe Krähenschnabel sie verletzt hatte, klafften blutende Wunden, und die Landung hatte hässliche Schürfungen hinterlassen. Torin und ein paar Männer liefen besorgt auf sie zu.

Sie wollte sich aufrichten. Ein feurig lodernder Stich durchzuckte ihren rechten Arm und sie fiel mit einem spitzen Aufschrei zurück. Sie biss die Zähne zusammen um bei Sinnen zu bleiben. „Gebrochen“, stöhnte sie, als Torin heran war. „Du musst ihn einrichten.“

Zwei der Männer richteten sie auf und fixierten ihren Oberkörper. Dabei fiel ihr Blick auf eine leblose weibliche Gestalt. Noch halb in der Verwandlung zur Krähe gefangen, lag sie wenige Schritte entfernt mit unnatürlich verrenkten Gliedern auf dem steinigen Grund. Wie es aussieht, habe ich das bessere Ende erwischt, ging es ihr durch den Kopf, doch der Gedanke wurde von einem weiß explodierenden Schmerz ausgelöscht, als Torin jäh an ihrem gebrochenen Arm zog.

* * *

„Du hättest den letzten Heiltrank nicht an mich verschwenden dürfen.“ Sylva hielt sich im Sattel. Sie wollte die Schmerzen, die Nachtfalkes Bewegungen auslösten, ignorieren, aber der magische Trank hatte nur die schlimmsten Verletzungen geheilt. Falls sie nicht zur Ruhe käme, konnte es Wochen dauern, ehe ihr Arm der Belastung eines ernsthaften Kampfes standhielt.

„Tut mir leid“, grinste Torin. „Wir hatten keine Zeit eine Trage zu bauen und wenn wir Dich gleich begraben hätten, wären wir eingeholt worden.“

Er hatte Recht. Halb ohnmächtig und mit kaputtem Oberarm wäre sie keine Stunde im Sattel geblieben, aber das nur die halbe Wahrheit. Torin war nicht objektiv, was sie betraf. Er hätte mehr als einen Heiltrank geopfert, um sie zu retten. Was, wenn er sich zwischen ihr und seinen Männern entscheiden müsste?

* * *

Torin, Leutnant der kaiserlichen Späher

In einer Biegung des leicht ansteigenden Weges wandte sich Torin zu der losen Reihe um. Direkt hinter Sylva ritt ein Hüne mit blondem Vollbart und blitzenden, blauen Augen. Er hieß Ern, doch die Männer nannten ihn „Rammbock“. Zwei Pferdelängen dahinter folgte Larn. Die Soldaten nickten Torin aufmunternd zu. Er erkannte Bewunderung in ihren Mienen, aber auch Sorge um die tapfere Magierin.

Larns Brauner stolperte.

„Die Pferde brauchen eine Pause und die Männer auch“, sagte Sylva.

„Wir sind zu langsam“, erwiderte Torin. „Aber Du hast recht. Wenn wir die Tiere zu Tode treiben, erwischen sie uns auch.“ Morgen wären sie an der Grenze und dort endete ihre Flucht. Er wusste es und seine Männer wussten es, aber niemand sprach es aus.

„Larn, schnapp Dir einen Mann. Haltet hier Wache. Wir machen weiter oben Rast. In einer Stunde kommt ihr nach.“ Der Leutnant übergab dem erfahrenen Mann eines der beiden Signalhörner. Larn hatte scharfe Augen und war einer der besten Schützen. Torin konnte sich auf ihn verlassen.

* * *

Eine langgestreckte Lichtung bot sich für die Rast an. Die Männer fielen von den Pferden und blieben liegen, wo sie gerade waren. Voraus stieg die Straße steiler an und erklomm den licht bewaldeten Bergrücken in Serpentinen. Ein Grollen kündete vom baldigen Beginn des Unwetters.

Torin überdachte ihre Lage. Berittene Schützen waren die schnellsten Truppen auf dem Schlachtfeld. Die Generäle zählten sie nicht einmal zu den regulären Formationen. Sie waren hervorragende Kundschafter und konnten überlegenen Gegnern ausweichen. So stand es im taktischen Handbuch, und in der Ebene mochte das auch stimmen. Hier in den Bergen, mit den gewundenen Passagen und dem unübersichtlichen Terrain, verloren sie ihren Vorteil und konnten jederzeit in einen Hinterhalt geraten.

Torin wandte sich an Sylva. „Was weißt Du über Bael?“

„Nicht viel“, gestand sie. „Sie legen Wert auf ihre Unabhängigkeit und kapseln sich vom Imperium ab. Der wenige Handel wird über das Meer abgewickelt. Wir können kaum auf gastliche Aufnahme hoffen. Meinst Du, wir kämen unbemerkt über die Grenze?“

„Hier gibt‘s nur die eine Straße, also nein“, erwiderte Torin. „Selbst wenn wir es schaffen, nähmen sie uns später gefangen. Dazu kämen die politischen Verwicklungen. Das letzte, was Kaiserin Rhodena braucht, ist eine Provokation des Königs von Bael.“

„Leutnant!“, rief ein junger Soldat über die halbe Lichtung. Er stürzte aufgeregt herbei. „Leutnant!“

Alle sahen auf. In den Gesichtern spiegelte sich jähe Besorgnis. Torin unterdrückte den Impuls aufzuspringen und erhob sich so gelassen, wie er konnte. „Meldung, Soldat!“ Er hasste den förmlichen Befehlston, aber in ihrer angespannten Lage musste er die Disziplin wahren.

Der Mann nahm Haltung an. „Leutnant, ich bitte um Erlaubnis zu sprechen.“

Torin heftete seinen Blick auf die linke Schulter des Spähers, wo Bogen und Köcher sein sollten. „Was gibt’s?“

„Es ist mir gerade eingefallen. Ich kenne die Gegend.“

Als Torin ihm ermutigend zunickte, sprudelte es aus ihm heraus: „Ich war vor zwei Jahren bei meinem Onkel in Jakom. Das ist ein kleines Dörfchen in den Vorbergen, einen Tagesmarsch westlich von hier. Wir haben ausgedehnte Jagdausflüge unternommen. Einmal sind wir hier vorbei gekommen.“

„Und?“ Der Leutnant wurde hellhörig.

„Weiter oben, eine gute Stunde von hier, zweigt ein Waldpfad ab, nicht mehr als ein Tierwechsel. Er führt in ein Nachbartal.“

„Pferde?“

„Wir waren zu Fuß. Ich kann mich nicht an jede Passage erinnern, aber wenn wir sie führen, müsste es gehen.“

„Danke, das sind gute Neuigkeiten. Du hast uns sehr geholfen.“ Torin nickte dem Mann wohlwollend zu. „Fertigmachen! Wir brechen auf!“

Während er Sylva auf die Beine half, hallte der durchdringende Ton des Signalhorns durch das Tal. Verdammt, das ist nah, schoss es ihm durch den Kopf. Die Männer liefen durcheinander. Einige suchten ihre Pferde, andere griffen zu den Waffen, und ihre Unruhe steckte die Tiere an. Obwohl Torin keine Ahnung hatte, was los war, musste er Befehle erteilen, um der aufkommende Panik Herr zu werden. „Gruppe drei: Schützenreihe, zehn Schritt vor dem nördlichen Zugang. Gruppe eins und zwei auf die Pferde!“

Seine Anweisungen wurden ohne Verzögerung umgesetzt, doch es gab den ersten Verletzten, als ein Soldat unter die Hufe seines steigenden Tieres geriet.

Torin hörte den Hufschlag eines galoppierenden Pferdes. Dann jagte Larn um die Wegbiegung. Er lag tief über dem Hals seines Tieres und trieb es zur äußersten Eile an. Einer der Schützen ließ den Pfeil von der Sehne schnellen, der glücklicherweise verfehlte.

Dann war Larn heran. Ein Pfeil steckte in der Kruppe seines Tieres. Weitere Reiter stürmten um die Biegung, nicht mehr als ein Dutzend, aber sie erwischten Torin auf dem falschen Fuß. Sie senkten die Lanzen und griffen an.

„Pfeile los“, brüllte er, doch die überhastete Salve lag zu hoch, und kaum eines der Geschosse fand sein Ziel. Die Schützen hatten keine Zeit für einen zweiten Schuss und waren in unmittelbarer Gefahr.

„Eins Unterstützungsfeuer, zwei Gegenangriff!“

Einzelne Pfeile zischten den feindlichen Reitern entgegen. Der Leutnant riss sein Schwert aus der Scheide, doch sein Trupp formierte sich zu spät. Nichts was er noch tat, konnte die Abgesessenen davor bewahren, niedergeritten zu werden. Zwei oder drei versuchten Pfeile einzulegen, einige wandten sich zur sinnlosen Flucht und andere zogen ihre Schwerter, die ihnen gegen die anstürmenden Lanzenreiter nichts nützten.

„Übertölpelt wie ein Rekrut!“, fluchte Torin und trieb sein Pferd den Anstürmenden entgegen. Die Angreifer waren in der Unterzahl und mussten letztlich unterliegen, aber zuvor würde seine Truppe unnötige Verluste erleiden, weil er versagt hatte.

„FEUERBALL!“, hörte er Sylvas Stimme, so laut und schrill, wie er sie noch nie vernommen hatte. Eine fremde Macht berührte ihn, als etwas Heißes an seiner Wange vorbeischoss. Keine fünf Schritt vor seiner Schützenlinie explodierte ein Feuerball und verwandelte den Zugang zur Lichtung in ein Inferno, in dem der Angriff der Reiter zusammenbrach. Schmerzensschreie und panisches Wiehern drangen aus den Flammen und kündeten von Untergang und Tod.

* * *

Das magische Feuer erlosch so plötzlich, wie es gekommen war und hinterließ eine Stätte der totalen Verwüstung. Zwei von Torins Männern waren zu nahe gewesen. Teile ihrer Uniformen brannten, aber ihre Kameraden erstickten die Flammen.

Nur zwei der Angreifer hatten ihre Tiere zügeln können und suchten ihr Heil in der Flucht. Pfeile zischten hinter ihnen her, doch der Leutnant ließ den Beschuss einstellen. „Schwerverletzte? Sofortige Versorgung?“

Die Männer verneinten.

„Abrücken!“ befahl Torin mit belegter Stimme.

Sylva hielt eine Hand gegen die Brust gepresst. Ihr Gesicht war schmerzverzerrt und in ihren Augen standen Tränen.

„Bist Du verletzt?“, fragte er besorgt. „Nein“, wehrte sie ab. „Es ist nur der magische Rückschlag. Aber wir müssen den Verwundeten helfen.“

„Wir müssen weg und zwar sofort.“

„Einige leben noch“, beharrte Sylva. „Sie brauchen Hilfe.“

Besorgt sah er zu der Biegung, an der jederzeit neue Feinde auftauchen konnten. Er sah die Gefahr, aber er kannte seine Freundin. Sie würde nicht nachgeben.

„Ich bleib hier und pass auf die Lady auf.“ Der Rammbock trat an Sylvas Seite und zwei weitere Schützen folgten seinem Beispiel.

„Tut, was Ihr nicht lassen könnt!“, bellte Torin. „Beeilt Euch. Bei der Abzweigung wartet ein Mann auf Euch, aber nicht länger als eine halbe Stunde.“ Er setzte sich an die Spitze und verließ die Lichtung ohne sich umzusehen.

* * *

Torin kochte vor Wut. Er ärgerte sich über sein Versagen, das beinahe zur Katastrophe geführt hätte. Larn hatte sie zu spät gewarnt und Sylva brachte durch ihren Starrsinn nicht nur sich in Gefahr, sondern auch die Männer, die bei ihr waren. Die sture, hartnäckige Ausdauer der Verfolger, erinnerte eher an ein ausgehungertes Wolfsrudel, als an eine militärische Aktion, doch am meisten ärgerte ihn, dass er die Magierin angeschnauzt hatte, anstatt ihr seine Liebe zu gestehen. Wenn sie wüsste, wie sehr er sich um ihre Sicherheit sorgte. Wie er sich nach ihr verzehrte, wenn er den Nachthimmel betrachtete und ihren Atemzügen lauschte, während sie schlief.

Aber soweit durfte es nicht kommen. Der Standesunterschied war zu groß. Sobald er diese Grenze überschritt, musste sie in abweisen und dann verlöre er sie auch als Freundin. Es war besser, die törichten Gefühle im Zaum zu halten und in ihrer Nähe zu bleiben.

„Larn!“ Torin zuckte zusammen, da seine Stimme ungewollt schroff klang. Er musste seine Laune in den Griff bekommen. Die Männer waren schon beunruhigt genug.

Larn kämpfte sich an den Reitern vorbei und Torin wartete auf ihn. „Was ist passiert? Wieso hast Du nicht früher Alarm geblasen?“

Der Mann schwieg und hielt sein Pferd an. Erst nachdem die Schützen vorüber waren und sie gut zwanzig Pferdelängen zurücklagen, setzte er sich wieder in Bewegung.

„Die Straße war gut einsehbar. Als die Reiter um die Biegung kamen, hab’ ich ins Horn geblasen, nur war nix zu hören. Stille. Nicht einmal unseren eigenen Atem haben wir gehört. Gespenstisch war das. Wir sind abgehauen, aber da war ’n verdammter Zauber im Spiel.“

Larn schwieg für einen Augenblick. „Dann hab’n sie Krysan erwischt. Also eigentlich sein Pferd. Das Biest ist aufgestiegen, hinten übergekippt und auf ihn draufgefallen. Ich konnte ihm nicht mehr helfen. Die Pferde von denen waren auch komisch. Sind gelaufen, wie frisch ausgeruht, obwohl sie genauso kaputt ausgesehen haben wie unsere. Den Rest kennst Du. Wenn uns die Lady nicht rausgehauen hätte, wär’s bös ausgegangen.“

Torin überdachte das Gehörte. „Kein Wort davon, außer zu Sylva. Sie hat schon vermutet, dass die Zauberin von heute Vormittag nicht die einzige Magiebegabte bei den Verfolgern war und wird mit Dir darüber reden wollen. Wenn Dich die Männer auf den verpatzten Alarm ansprechen, schickst Du sie zu mir.“

Schweigend ritten sie nebeneinander her. Unter anderen Umständen hätte Torin die wilde Schönheit des Bergtales genossen, aber jetzt wirkten die hohen Nadelbäume beengend und feindselig. Da zerriss ein greller Blitz das Grau und der Donner rollte mehrfach durch das enge Tal. Schwere Tropfen fielen vom Himmel und hinterließen Flecken auf den staubigen Lederrüstungen.

„Torin?“

„Ja?“

„Ich hol sie.“ Larn wendete sein erschöpftes Pferd und trieb es den eben erst erklommenen Anstieg hinunter. Nachdenklich sah ihm der Leutnant nach. Viel Glück, wünschte er im Stillen und meinte nicht nur den tapferen Reiter.

* * *

Der Junge fand die Abzweigung auf Anhieb, und der schmale Pfad war trotz des Wolkenbruchs auch für die Pferde gangbar. Waren sie bisher einem Tal gefolgt, das dem Hauptkamm und der baelischen Grenze zustrebte, bog dieser Weg entlang der Flanke eines mächtigen Granitstocks zurück nach Norden bis in das Nachbartal. Von dort, so hoffte Torin, könnte er die Truppe zurück in die Ebene führen.

Einmal mehr versuchten die Kundschafter ihre Verfolger zu täuschen. Eine Gruppe folgte dem Hauptweg, hinterließ eine deutliche Spur und kehrte später um. Einen guten Fährtenleser hielt man damit bestenfalls auf, aber bei dem starken Regen könnte es auch klappen. Die Anderen saßen ab und begannen oberhalb des Pfades Bäume zu fällen. Torin schloss sich dieser Gruppe an. Die Axtschläge hallten weit durch das Tal, doch die vielfachen Echos erschwerten die Bestimmung ihres Ursprungs.

* * *

Der Regen hörte so rasch auf, wie er begonnen hatte, und von den Hängen stiegen Nebelschwaden auf. Dennoch sah Torin einige tieferliegende Abschnitte der Straße ein. Er wartete ungeduldig auf Sylva und ihre Begleiter, doch zunächst sah er weiter unten die Reihen der Verfolger. Er schätzte seinen Vorsprung auf anderthalb Stunden, war sich aber nicht sicher, ob diese Reiter tatsächlich die Spitze der feindlichen Kolonne bildeten.

Im Licht der tiefstehenden Sonne, die schon unterhalb der dichten Wolkendecke stand, entdeckte er endlich den weißen Umhang der Magierin. Kurz darauf sah er auch Ern und die anderen. Nachdem der kleine Trupp aufgeschlossen hatte, brachten sie die angeschlagenen Bäume zu Fall. Die Stämme verkeilten sich in dem steilen Gelände zu einem ernstzunehmenden Hindernis.

Noch einmal verlangten sie ihren Tieren das Letzte ab und schlossen noch in der Dämmerung zu den übrigen Männern auf.

* * *

Sie lagen in ihre Decken gehüllt auf nacktem Fels. Der war allemal besser, als feuchte Erde oder nasses Gras.

„Sylva?“

„Ja?“

„Danke.“

„Wofür?“

„Du hast heute Vielen das Leben gerettet, vielleicht uns allen.“

Fahles Mondlicht schimmerte durch die treibenden Wolken. Torin war besorgt, als sie schwieg. „Geht‘s Dir gut?“

„Ja, warum?“

„Die Schmerzen in Deiner Brust. Ist das was Ernstes?“

„Nein. Ja. Das ist kompliziert.“ Sylvas Stimme war kaum noch hörbar.

„Erzähl‘s mir“, bohrte er nach.

„Wenn wir mit unserer Magie verletzen, gibt es einen Rückschlag. Besonders schlimm ist es, wenn wir töten. Heute waren es so viele.“

Ihr Gesicht lag im Dunkeln. Torin wusste, dass sie weinte und unterdrückte das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen. „Das erste Mal?“

„Nein.“ Sie zögerte. „Es war vor drei Monaten in Hesgard.“

„Erzähl“, ermutigte er sie. „Das hilft.“

„Es war am Abend vor der Krönung. Wir kamen im Haus eines Bethaners unter. Magister Reimer ging mit den Anderen zu den Feierlichkeiten, aber ich hatte ein interessantes Buch entdeckt und blieb im Haus. Am späten Abend hörte ich ein Geräusch aus dem Erdgeschoss und dachte, Reimer wäre zurück. Ich wollte ihn etwas zu einer Thesis fragen, ging hinunter und sah plötzlich eine unbekannte Frau. Als ich sie ansprechen wollte, lief sie weg.“ Sylva stockte.

„Weiter“, drängte Torin. Es half darüber zu reden. Außerdem war seine Neugier geweckt.

„Ich begriff, dass sie eine Einbrecherin war und sprach einen Kältezauber. Der verursacht oberflächliche Schmerzen und schränkt die Beweglichkeit des Gegners ein, ideal um jemand einzuschüchtern. Aber ich verwendete ihn zum ersten Mal im Ernstfall und Etwas ging daneben. Mein Zauber entriss mir fast die gesamte magische Energie und tötete die Frau auf der Stelle. Es war so sinnlos.“

Torin hörte ihr Schluchzen und griff nach ihrer Hand. „Da konntest du doch nichts dafür“, wollte er sie beruhigen. „Was ist weiter passiert?“

„Dann tauchte ein zweiter Einbrecher auf. Ich hatte nur mehr wenig Magie zur Verfügung und forderte ihn auf, sich zu ergeben, aber er hat mich nur angestarrt. Zu meinem Glück aktivierte ich die magische Rüstung. Dann spürte ich einen Schlag am Rücken, ein vergifteter Wurfdolch, wie sich später herausstellte. Ohne den Schutzzauber wäre ich jetzt tot.“

Wieder stockte Sylva, fuhr aber doch fort.

„Ich war in Panik. Ich wusste nicht, wie viele Gauner noch im Haus waren. Der Flammenschlag gegen den Schurken in meinem Rücken war nicht mehr als ein Reflex. Er hat meine letzten Reserven erschöpft, reichte aber aus, um ihn außer Gefecht zu setzen. Die Schurken flohen. Ich habe mich in den ersten Stock zurückgezogen und in der Bibliothek eingeschlossen. Die halbe Nacht hatte ich Angst, sie kämen zurück. Ich wäre ihnen schutzlos ausgeliefert gewesen. Erst als Reimer und die anderen kamen, war ich in Sicherheit.“

Der Druck ihrer Hand verstärkte sich und Torin suchte nach Worten, doch als er endlich eine passende Formulierung gefunden hatte, ging ihr Atem ruhig und gleichmäßig. Ein wenig Trost hätte sie wohl erwarten dürfen, wenn sie ihrem Freund das Herz ausschüttet, schalt er sich.

* * *

Die Wolkenfetzen verzogen sich und der Mond tauchte den Lagerplatz in sanftes Licht. Der Posten war im Schatten der Bäume kaum zu erkennen. Torin setzte sich auf und ließ seinen Blick über die schlafenden Männer schweifen. Sylva wirkte in ihrer Decke schmal und zerbrechlich. Alles war friedlich, aber der Tod konnte jederzeit zuschlagen.

„Torin?“

Sie war also doch noch wach. „Ja?“

„Danke. Vielleicht kann ich das Ganze jetzt loslassen.“

Endlich schlief sie ein. In knapp drei Stunden musste er sie schon wieder wecken. Die Sommernächte waren kurz und er durfte ihren knappen Vorsprung nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Torin erhob sich und ging zur Wache.

* * *

Schatten und Licht

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