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7. Kapitel

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Carla war im Elternhaus bei der Mutter geblieben. Man konnte sie heute nicht alleine lassen, zumal sie immer noch nicht aufgewacht war. Sie war noch lange im Wohnzimmer geblieben und hatte später im Arbeitszimmer hinter den Schreibtisch auf dem »Chefsessel« Platz genommen, wie die Familie den wunderbar bequemen Schreibtischstuhl nannte. Er hatte den Namen seit dem Tag, an dem er geliefert wurde. Sie strich über das weiche Leder, das inzwischen ein wenig Patina angesetzt hatte und an einigen Stellen der Armlehne hatte er einige Schrammen abbekommen, aber er sah wunderbar aus und man saß darin besser als am ersten Tag. Der Schreibtisch war leer. Die Spurensicherung hatte alles, was sie für wichtig gehalten hatte, mitgenommen. Nur der dunkle Bildschirm stand einsam da, die Schreibtischgarnitur mit Locher, der Schale mit den Stiften und Vaters Füller, den Brieföffner und die alte Unterlage aus grünem Leder hatte man liegen lassen. Unter der Schreibtischunterlage fand sie ein altes Schwarz-Weiß-Bild, das Vater auf einem Schlitten zeigte mit ihr und Peter auf seinen beiden Knien. Sie saß einfach nur da und machte sich Gedanken, wer so eine grausige, gezielt geplante Tat an ihrem Vater begehen würde und warum.

Sie sann darüber nach, dass sie früher, als sie noch nicht in der Schule war, immer auf Vaters Schoß gesessen hatte, ihm bei seiner Buchführung zugesehen hatte und er ihr ganz nebenbei das Schreiben und Rechnen beigebracht hatte. Sie konnte schon sehr viel mehr als ihren Namen schreiben und schriftlich addieren und subtrahieren, noch ehe sie in die Schule kam. Manchmal war die Lehrerin ungehalten gewesen, wenn sie in der Schule mehr geschrieben hatte als verlangt worden war. Sie hatte es mit Absicht getan, gestand sie sich jetzt erstmals ein, damit alle Kinder wussten, dass sie ihnen überlegen war. Besonders den Jungen, der in der Bank hinter ihr saß, provozierte sie am liebsten. Sein Name war Uli Wlaczik, das wusste sie noch genau und er hatte sie deswegen oft mit dem Bleistift in den Rücken gestoßen. Dann hatte sie – je nach Laune – laut aufgeschrien, damit Frau Kreesig, so hieß ihre erste Lehrerin, aufmerksam wurde und Uli ermahnte, was ihn manchmal noch streitbarer hatte werden lassen.

Carla schreckte auf. Hatte die Mutter gerufen? Es rührte sich nichts. Sie ließ den Gedanken wieder ihren Lauf.

Sie hatte sich früher oft herausgestellt und auf sich aufmerksam gemacht, musste sie zugeben. Sie hatte damals erfahren, dass zum Ende ihres Studiums in Aachen nur ein einziger Platz für Doktoranden freigegeben werden sollt. Also hatte sie in den letzten zwei Semestern in den Vorlesungen stets auf sich aufmerksam gemacht, um bei ihrem Doktorvater bekannt zu werden. Letztlich hatte sie den Erfolg einer guten Idee zu verdanken. Sie hatte dem Professor angeboten, für ihn in der Vorlesung die Dias weiter zu schalten, weil er immer Schwierigkeiten mit der Fernbedienung hatte und ständig die Vor- mit der Zurücktaste verwechselte.

»Manchmal braucht man einfach nur etwas Glück und ein Auge dafür, was anderen gerade zu schaffen macht, um weiter nach vorne zu kommen«, dachte sie laut.

Es gab viele Anekdoten, die sie aus dieser Zeit zum Besten geben könnte, wenn sie einmal richtig nachdachte. Sie strich versonnen und sanft mit den Fingern über einen verblassten Tintenfleck auf der ledernen Schreibtischunterlage. Sie selbst hatte ihn verursacht, als sie einmal auf Papas Schoß beim eifrigen Malen ihren Vater angestoßen hatte, als er gerade dabei war, seinen Füller mit frischer Tinte zu versorgen. Das Tintenfässchen war dabei umgeworfen worden. Er hatte sich geärgert, weil er es versäumt hatte, es früh genug aus ihrer Reichweite zu bringen, aber er hatte nicht mit ihr geschimpft. Das hatte er nie getan. Der Schreibtisch selbst hatte zum Glück nichts abbekommen, denn das Gefäß war schon fast leer gewesen. Gott sei Dank.

Als sie aus ihren Träumereien erwacht war, ging sie nach oben und legte sich in das Bett ihres Vaters, um der Mutter nahe zu sein und ihr beizustehen, falls sie aufwachen sollte, was aber nicht geschah. Sie hatte mehrfach auf ihren Atem gehört und es war alles normal.

Peter hatte Hannelore nach Harburg gebracht, wo sie ein kleines Apartment bewohnte. Er hatte sie bis zur Haustür begleitet, war aber nicht mit in die Wohnung gegangen, obwohl sie ihn darum gebeten hatte. Ihm war im Moment nicht nach Zweisamkeit. Er brauchte seine Ruhe und wollte nachdenken. Er war noch ganz in Gedanken, als er den Wagen vor seiner Wohnung in Buchholz abstellte, weil er sie alleine gelassen hatte, obwohl sie doch genau wie die anderen, von dem Tod seines Vaters betroffen war. »Ich werde sie anrufen«, sagte er sich, als er zwei Autotüren zufallen hörte und eine Frau in Begleitung eines Mannes aus der Dämmerung auf ihn zukam. Die beiden hatten offensichtlich in dem Wagen vor dem Haus auf ihn gewartet. Jetzt standen sie im Licht der Straßenlaterne. Sie sahen beinahe aus wie Clark Gable und Marilyn Monroe in einem alten Schwarz-Weiß-Film, den er vor kurzem im Fernsehen gesehen hatte.

»Guten Abend, Herr Friedmann. Bitte entschuldigen Sie den späten Besuch. Wir sind Freunde Ihres Vaters und möchten Ihnen unser Mitgefühl aussprechen. Haben Sie einen Augenblick?«

Die Dame sprach mit ganz leichtem französischem Akzent. Der Mann stand einen Schritt hinter ihr.

»Vielen Dank, … aber ...? Ich verstehe nicht. Deshalb kommen Sie extra hierher und warten auf mich? Was soll das?«, reagierte er ungehalten.

»Wir wollen Sie nicht erschrecken und Sie auch nicht lange aufhalten«, fuhr sie fort. »Wir möchten Sie nur warnen. Die Polizei wird bei der Durchsuchung der Leiche ihres Vaters oder des in dem Hotel in Marxen ermordeten Mädchens hoffentlich eine Notiz finden mit einem Code. Merken Sie sich das alles unbedingt. Sie werden ihn brauchen. Geben Sie den Code nicht weiter, auch nicht innerhalb der Familie. Es geht um ihre Sicherheit und die der Familie. Denken Sie an Ihren Vater und fragen Sie Ihre Mutter nach Gregori. Dann wissen Sie, dass wir die Wahrheit sagen. Wir melden uns wieder bei Ihnen.«

Sie wollten gerade gehen, da drehte sich der Mann noch einmal um:

»Oder hat man den Code schon gefunden? Weiß schon jemand Bescheid?«

»Nein. Ich habe gar keine Ahnung, was Sie wollen oder wovon Sie reden. Ich weiß auch nichts von einem Mädchen, das in Marxen ermordet worden sein soll. Aber sagen Sie mir doch um Gottes Willen, wer sind Sie?«

»Sie hören doch. Freunde! Wichtige Freunde!«

Der Mann sprach ohne Akzent.

Sie stiegen in ihren Wagen und Peter erkannte einen Mercedes E 5,3 von Brabus mit französischem Nummernschild, was ihn wunderte, denn sein Vater hatte nie von Freunden in Frankreich gesprochen, geschweige denn mit ihnen Kontakt gepflegt. »Vielleicht sind sie von der ›Rose d’or‹ in Paris, legte er sich die Gedanken zurecht, die er dann aber sofort wieder verwarf, denn woher hätten sie seine Privatadresse gewusst.

In der Wohnung rief er Hannelore an und bedauerte schon vor dem Gespräch, dass er nicht bei ihr geblieben war, denn nach diesem Erlebnis mit den Fremden, hätte er doch gerne ihre Nähe gespürt.

»Hallo Peter!«, sie nahm sofort ab. »Schön, dass du anrufst. Ich liebe dich!«

Der Rosenpitter

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