Читать книгу Der Rosenpitter - Gerhard Nattler - Страница 9
6. Kapitel
ОглавлениеDie Haustür öffnete sich gleich nach dem Schellen, denn Peter Friedmann und Herr Schwertfeger standen hinter der Tür, da auch der Kommissar gerade gekommen war. Berendtsen hatte seinen Wagen bereits in der Einfahrt stehen sehen.
»Herr Friedmann, guten Tag, mein Name ist Berendtsen, Hauptkommissar von der Hamburger Kriminalpolizei. Darf ich Sie noch einmal sprechen?«
»Kommen Sie nur herein. Ihr Kollege Herr Schwertfeger ist gerade im Moment gekommen. Er hatte Fragen zu diesem Zettel, den die ermordete Dame aus dem Lamm bei sich hatte.« Er ging vor ins Wohnzimmer, wo sich die Familie und der Kommissar versammelt hatten. »Nehmen Sie doch Platz. Meine Mutter müssen Sie bitte entschuldigen, sie hat sich hingelegt. Diese Beruhigungsspritze zeigt jetzt Wirkung.«
Die beiden Beamten begrüßten die, wie sie vermuteten, Tochter des Hauses, Peters Schwester, die in dem Sessel saß. Sie trug immer noch die Jeans von heute Morgen mit dem T-Shirt, auf dem ein Segelschiff zu sehen war, das ihm in anderem Zusammenhang bekannt war. Es war die Gorch Fock, wie ihm nach kurzem Nachdenken wieder einfiel, das Schiff der Marine, so wie es auf dem alten Zehn-Mark-Schein abgebildet war. Schwertfeger setzte sich auf das Zweiersofa, was den beiden Beamten angeboten worden war, Berendtsen aber stellte sich ans Fenster und sah in den Garten hinaus. Sein Kollege griff in seine Jackentasche, holte den Zettel hervor und legte diesen ca. 4 x 4 cm kleinen Klebezettel, das Bild und den Pass des toten Mädchens auf den Tisch. »Können Sie etwas dazu sagen? Vielleicht kennen Sie das Logo? Das Wort darunter lautet Grepétachys. Sagt Ihnen das etwas?«
»Die Schrift kann ich lesen. Ich habe Altgriechisch in der Schule gelernt. Γρηπέταχυς… Grepétachys«, wiederholte er nachdenklich. »Sagt mir nichts. Das Wort ›tachύs‹ heißt ›schnell‹, das weiß ich noch. Das Logo aber kenne ich auch nicht. Man kann auch gar nicht ersehen, was es bedeuten soll.« Er besah sich das Bild genauer. »Es sieht bald aus wie ein Schiff mit Flügeln. Ich kann Ihnen da leider gar nicht weiter helfen. Kann ja z. B. ein Hotel oder sonst irgendjemand gewesen sein, der ihr in Griechenland oder sonst wo die Adresse aufgeschrieben hat«, er hob die Schultern, um sein Unwissen zu unterstreichen, »der einfach nur zufällig diesen leeren Zettel oder diesen Klebeblock zur Hand hatte.« Er nahm das Bild und den Pass in die Hand, sah sich beides lange an, blätterte oberflächlich durch den Pass und schüttelte den Kopf. »Ich kann Ihnen dabei nicht weiter helfen. Gar keinen Schimmer.«
Berendtsen sah sich im Zimmer um. Die Familienfotos hatten es ihm angetan. Die meisten waren auf verschiedenen Familienfeiern entstanden. Geburtstage, an den Torten leicht zu erkennen, Abiturfeier von Peter und seiner Schwester, die auf einem zweiten Bild noch mit einem Doktorhut zu sehen war. Auf den neueren Fotos fehlte die Großmutter. Fünf Bilder in chronologischer Reihenfolge zeigten die Entwicklung eines kleinen Bootsbau-Betriebs bis hin zu einer respektablen Werft für größere Yachten und Segler. Der alte Mann schien wohl der Inhaber dieses Unternehmens zu sein, denn auf einem Bild händigte er einem Mitarbeiter eine gerahmte Urkunde aus nebst einer Uhr in einer Schatulle Auf einem anderen spendierte er einer Dame eine Magnum-Flasche Champagner, deren Inhalt offensichtlich für die Taufe einer Yacht verschwendet werden sollte. Diese Aufnahme schien ihm die neuste in der Sammlung zu sein. Mit der Beobachtungsgabe eines erfahrenden Kommissars stelle er fest, dass zwei Bilder nicht ganz gerade hingen. Er brachte das in Ordnung.
»Und Sie, Frau Friedmann?« setzte Schwertfeger die Befragung fort, »Sie sind die Tochter, nehme ich an?« Sie saß ihrem Bruder gegenüber. Schwertfeger stellte eine große Ähnlichkeit mit der Mutter fest. Sie war allerdings nicht ganz so hager. Sie rauchte nicht. Keiner rauchte in der Familie. Er fand auch nirgendwo im Zimmer einen Aschenbecher.
»Carla Friedmann. Guten Tag.« Sie begrüßte die Kommissare mit einem Kopfnicken. »Ich weiß auch nichts. Mir ist dies alles völlig suspekt. Was sollte auch eine Frau aus Griechenland mit uns zu tun haben?«
»Das Mädchen war aus Georgien, aus Batumi, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer, 25 Jahre alt, hieß Maria Koráshvili und war seit zwei Tagen hier in der Heide. Sie hat offensichtlich auf die Rückkehr Ihres Vaters gewartet.« Er zeigte auch ihr den Pass. »Sie hatte sich im Hotel ›Lamm‹ einquartiert.« Er zeigte ihr die Passeinträge. »Wie Sie an den Visa und Stempeln sehen können, kam das Mädchen nicht direkt aus Georgien, sondern hatte die letzte Station in Larnaka.«
Eine weitere Frau kam ins Zimmer und brachte auf einem einfachen Küchentablett Kaffee und Plätzchen. Sie stellte sich als Hannelore Krüger vor und war die Freundin von Peter. Sie trug eine weiße Bluse zu einem dunkelblauen Kostümrock, der dazugehörige Blazer hing über einem Stuhl, der vor einem geöffneten, aber sehr aufgeräumten Sekretär stand. Nussbaum mit Intarsien verziert. Nur ungeöffnete Post lag auf der Klappe. Offensichtlich von heute.
Als sie allen eingeschenkt hatte, wandte sich Berendtsen an die Runde: »Warum war Ihr Vater eigentlich in Larnaka? Was hat er dort gemacht?«
»Er hatte dort geschäftlich zu tun«, antwortete Peter. Als er die fragenden Augen der beiden Beamten sah, fügte er hinzu: »Wir haben dort ein Hotel.«
»Ihr Vater ist doch der Besitzer mehrerer Etablissements in Hamburg, eins davon auf dem Kiez? Ist das richtig?«
»Ja. Diese drei Gewerbe hat er von seinem Vater übernehmen müssen. Er selbst hat dann das Geschäft ausgebaut, aber nur mit seriösen Hotels und Begleitservice, die eben nicht jeden Wunsch erfüllen.« Nach kurzer Unterbrechung setzte er nach: »Wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Er ist der ›Rosenpitter‹?«
»Ja. Er war es.«
Berendtsen mischte sich ein: »Glauben Sie, dass die Ermordung Ihres Vaters evtl. mit diesen Geschäften zusammenhängt?« Er sah Peter ins Gesicht. »Ist es vielleicht möglich, dass er jemandem in die Quere gekommen ist mit seinen Geschäften? Es wäre nicht das erste Mal, dass es Revierkämpfe gegeben hat.«
»Das glaube ich kaum. Mein Vater hat noch nie Streit mit Banden gehabt. Die Geschäfte bestehen schon so lange, ja, sie waren ja schon da, als es noch gar keine richtige Konkurrenzsituation auf dem Kiez gab, jedenfalls nicht auf dem heutigen Niveau. Da hätte höchstens mein Vater sich verteidigen müssen. Die Geschäfte laufen ja gut.« Peter machte eine Pause. Dann überlegte er laut: »Mein Vater war eher der Typ: ›leben und leben lassen‹. Er hatte keinen Streit. Ich kenne keinen, mit dem er Probleme hatte.«
»Sind Sie auch in dieser Branche tätig? Arbeiten Sie mit Ihrem Vater zusammen?«, fragte Schwertfeger nach.
»Wenig. Ich arbeite auf einer Werft meines Großvaters, die mittlere und große Yachten baut. Ab 25 m Länge.« Er gab ein wenig Milch in seinen Kaffee und etwas Zucker und rührte um. »In den Lokalen meines Vaters bin ich nur ab und zu, wenn es etwas zu regeln gibt, während er nicht in Hamburg ist. Gestern Abend war ich noch auf St. Pauli und habe die Faktura durchgesehen und Rechnungen bezahlt.«
»Wie alt ist ihr Großvater?«
»Fünfundachtzig Jahre. Er macht nicht mehr viel. Die ganze Leitung und die Geschäfte führe ich. Er hat aber noch immer Spaß an den schönen Schiffen, wie er sie nennt, und ist jeden Tag vor Ort. Manchmal hat er noch richtig gute Ideen, nicht bei der Technik, aber wenn es darum geht, sie optisch raffiniert zu gestalten oder ansprechend zu verpacken. Darin ist er nicht zu schlagen. Er hat ein Auge für gutes Design. Er zeichnet sogar noch selbst manches Detail auf. Er freut sich wie ein König, wenn es gut gelungen ist und wir es übernehmen.«
»Werden Sie irgendwann die Werft übernehmen? Ist doch bestimmt interessant.«
»Ich denke doch. So ist es vorgesehen. Zum zweiten muss ich sagen, das Interessante an dem Job sind vor allem die Leute, die diese Boote bestellen.«
»Frau Friedmann«, wandte sich Berendtsen an die Tochter, was machen Sie beruflich?«
»Ich arbeite ebenfalls bei meinem Großvater. Ich bin für die Motoren zuständig.«
»Sie sind promoviert?«
»In Maschinenbau. Ich habe in Aachen studiert.«
»Mal nebenbei gefragt: können Sie diese Schiffe, die sie bauen auch fahren? Ist das schwer?« war Berendtsen neugierig. »Wie lernt man das?«
»Schwer zu fahren sind sie heute nicht mehr. Es gibt allerhand Erleichterungen gegenüber früher. Man hat fast überall Kameras, Navigationssysteme und Radar. Und vor allem diese neuen Joysticks sind einfach wunderbar. Sie sehen auf dem Schirm, wie das Boot liegt und dann steuern sie mit dem Stick, wohin sie wollen. Die ganze Prozedur übernimmt dann der Bordrechner. Das ist ein enormer Vorteil, besonders beim Anlegen. Früher benötigte man immer eine Crew, um eine der größeren Yachten an den Kai zu legen. Heute kann man es mit einer oder zwei Hilfskräften, notfalls alleine. Schwieriger sind die Patente, die sie brauchen. Peter und ich haben sie in Holland gemacht. Es geht dort in der halben Zeit und sie werden weltweit anerkannt. Die Zeugnisse sind neben Vaters in seinem Arbeitszimmer eingerahmt.«
»Und was machen Sie, Frau Krüger? Sie arbeiten auch in dieser Branche?«, fragte sie Schwertfeger?
»Nein, Gott sein Dank. Dann würde hier nur noch von Schiffen geredet. Ich bin die Geschäftsführerin der ›Weißen Rose‹.«
»Auf der Reeperbahn?«
»Waren Sie mal da? Sie müssen uns einmal besuchen. Wir haben seit 4 Wochen ein neues Programm, neue Musik und zwei wunderbare neue Tänzerinnen aus Trinidad.«
»Hatte noch nicht die Gelegenheit. Die viele Arbeit. Wie Sie sicher wissen, ist Hamburg ja in Richtung auf Kriminalität keine Diaspora. Aber jetzt habe ich ja einen Grund, sie einmal zu besuchen.«
»Tun Sie das. Fragen Sie nach mir. Ich werde Ihnen alles zeigen.«
Als Berendtsen schon die Klinke heruntergedrückt hatte, drehte er sich noch einmal um.
»Frühstückt Ihr Vater immer auf der Terrasse?«
»Bei jedem Wetter, jedenfalls im Sommer«, antworteten Carla und Peter gleichzeitig.
Ohne noch einmal an der Polizeistation in Jesteburg vorbei zu schauen, fuhr er direkt nach Hamburg in sein Büro, warf einen Blick in sein Postfach und entschied, alles auf morgen zu vertagen. Nebenan saßen die Kollegen auf dem mittleren Schreibtisch und teilten sich ein Pizzablech.
»Hallo zusammen. Wie weit sind wir denn mit der Spurensicherung und der Leiche. Hat sich schon irgendwas getan?« Der Chef war nicht gut drauf, das konnte man merken. Und es war nie gut, wenn er so gereizt war. Das wussten die Kollegen auf dem Morddezernat in Hamburg. Er war sauer auf sich selbst, weil er sich die ganze Sache einfacher vorgestellt hatte: totes Mädchen, Untreue, Eifersucht, Verhaftung des Freundes. Doch je weiter er in die Materie eintrat, desto undurchsichtiger wurde die Sache. Außerdem hatte er Hunger. Als sich herausstellte, dass die ganze Mannschaft noch weniger wusste als er, verabschiedete er sich und bat um Nachsicht, wenn er jetzt Feierabend machte, da er seit gut 15 Stunden auf den Beinen war. Sie boten ihm noch ein Stück Pizza an, was er auch dankbar annahm. Hastig biss er davon ein Stück ab, das ihm fast zu groß war, und so musste er eine Hand vor den Mund halten, um es nicht auf den Boden fallen zu lassen.
Dann nickte er ihnen zu und murmelte etwas vor sich hin, was die Mitarbeiter als »Schönen Feierabend zusammen!« interpretierten.