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1. Kapitel

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Peter Friedmann sah so aus, wie man sich einen Geschäftsmann aus den fetten Jahren des Aufschwungs nach dem Krieg vorstellt, mit einem kleinen Wohlstandsbauch, Hornbrille, Anzug und Hut, Limousine und Chauffeur. Wenn das Wetter es erforderte, trug er einen Trenchcoat. Klein war er nicht mit seinen 1,80 m. Er war, auch für seine fünfund­fünfzig Jahre, recht konservativ ausgerichtet, wenn man nicht bieder sagen wollte. Auch in der Freizeit waren ihm Jeans ein Gräuel. Er sorgte für seine Familie, gab für alle sein Bestes und freute sich, wenn es allen gut ging, und seine Frau und die beiden Kinder ihm dankbar waren, was zweifellos auch der Fall war. Hobbies hatte er keine, außer seinen Geschäften. Geschäfte machen und Erfolg dabei haben war seine Leiden­schaft. Wenn ihm mal wieder ein Coup gelungen war, konnte er sich diebisch freuen. Immer noch, denn finanziell war inzwischen alles im sogenannten grünen Bereich und es gelang ihm dann häufig, seine Frau anschließend zu einem eleganten Essen auszuführen. Den einzigen Luxus, den er sich gönnte, war der Kauf eines Cabrios. Alle Jahre, wenn ein neues Modell oder ein Facelift auf den Markt kam, gönnte er sich diese Ausgabe, denn er hatte als Jugendlicher immer davon geträumt, einmal einen Mercedes SL sein Eigen zu nennen und nun war dieser Traum in Erfüllung gegangen. Er hatte sehr viel Spaß daran. Es war für Peter Friedmann immer wieder ein Genuss, in einer lauen Sommernacht, so wie es heute eine war, mit geöffnetem Cabrio durch die Heide zu fahren. Wie oft hatte er mit seiner Frau früher eine Nachttour unternommen. Wenn sie beide nach dem Abendessen noch auf der Terrasse saßen, dann fuhren sie oft einfach los und genossen die laue Luft in der Heide. Er nahm sich vor, sein Leben wieder mehr zu genießen, ja er würde seinen Kindern das Unternehmen übergeben und sich ganz ins Privatleben zurückzuziehen. Er musste nur jetzt erst alles in geordnete Bahnen lenken, die »schlechten Geschäfte«, wie er sie nannte, abwerfen und nur noch das Kerngeschäft behalten. Das ganze schlechte Umfeld musste er verlassen. Aber wie? Er musste dies alles mit Magdalene besprechen. Gleich morgen. Sie würde ihm helfen, denn sie hatte immer gute Ideen, wenn er in einer schwierigen Lage war, einfach weil sie außen vor stand und auf diese Weise ein anderes Blickfeld hatte. Schließlich wollte er nicht so enden wie Gregori.

Der Wagen bog in die Einfahrt ein. Er schloss das Dach, öffnete das Garagentor und stellte den Wagen ab, nahm den Koffer und die kleine Tasche aus dem Kofferraum und wollte gerade die Haustür aufschließen, als Magdalene schon in der Tür stand und ihn begrüßte. Sie hatte ihn erwartet und das Auto gehört.

»Hallo Peter! Schön, dass du heile wieder zuhause bist. Wie war der Flug?«

Ehe er antwortete, stellte er das Gepäck ab, nahm sie fest in seine Arme und küsste sie lange auf ihren rot geschminkten Mund. Er mochte dieses kräftige Rot und freute sich, dass sie es für ihn noch so spät am Abend aufgelegt hatte. »Hallo meine liebe Magdalene, gut siehst du aus!«, sagte er zuerst und sie freute sich über das Kompliment. Dann fuhr er fort: »Der Flug war angenehm, aber die Maschine hat sich auf dem kurzen Stück von Larnaka nach Hamburg um eine dreiviertel Stunde verspätet. Erst verzögerte sich der Abflug und dann konnten wir nicht pünktlich landen. Ich weiß nicht warum. Ich habe aber mehr als zwei Stunden fest geschlafen. Diese neuen Schlafsitze sind wunderbar«. Er reckte sich. »Aber jetzt bin ich froh, dass ich wieder zuhause bin.«

Sie wischte ihm einen kleinen roten Streifen von der Oberlippe. »Warum hast du nach der Landung nicht angerufen?«, fragte sie ihn auf dem Weg zum Wohn­zimmer und fuhr sogleich fort: »Komm erst einmal herein. Setzen wir uns noch ein wenig auf die Terrasse? Ich habe dir ein Bier kalt gestellt.«

Zunächst hängte er sein Jackett an die Garderobe. Den Autoschlüssel warf er lässig in die Schale auf dem kleinen Schränkchen und seine Schuhe tauschte er mit den Filzpantoffeln. Sie hatten waren nicht mehr die neusten, aber er trug sie immer gerne. Er zog seine alte Strickweste über und antwortete ihr: »Ich habe nicht gedacht, dass du so lange auf mich wartest, dachte, du liegst schon im Bett und wollte dich nicht auf­wecken. Bist du wach geblieben?«.

»Ich habe den Abend vor dem Fernseher verbracht. Ich bin während eines alten Tatorts eingenickt und erst aufgewacht, als ich deinen Wagen bemerkt habe.

Er trank den ersten Schluck mit Genuss. »Richtiges Bier gibt es eigentlich nur hier bei uns. Habe mich schon unterwegs darauf gefreut.«

»Wie waren die Tage auf Zypern? Hast du etwas über Gregoris Tod erfahren?«

»Sie gehen davon aus, dass er von seinem Boot gestürzt und ertrunken ist. Vorstellen kann ich mir das nicht.«

»Der Mann ist mit Booten aufgewachsen. Er hat doch schon als Kind seinem Vater beim Bootsbau geholfen.« Magdalene machte ein nachdenkliches Gesicht. »Wann hat er den Bootsbau von seinem Vater übernommen? Vor zwanzig Jahren? Oder länger?«

Sie schwiegen eine Weile, Peter trank einen Schluck und machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Vor jetzt bald zwanzig.«

»Aber… wer sollte ihm etwas antun? Und warum?«, fuhr Magdalene fort. »Jetzt auf einmal.«

»Ich weiß es nicht. Es war mit ihm etwas im Gange, womit er nicht herausgerückt ist. Er ist ja nicht nach Zypern gekommen, um Urlaub zu machen. Ich habe vor knapp zwei Wochen mit ihm telefoniert und er sagte mir, dass es in Ägypten Probleme gäbe und er eine Weile dorthin wollte, um sich um verschiedene Angelegenheiten zu kümmern. Er hat sich nicht darüber ausgelassen, was es war, obwohl ich ihn mehrfach gefragt habe, ob ich ihm helfen könnte. Es muss sich aber um etwas sehr Wichtiges gehandelt haben. Er wollte mir bei Gelegenheit Bescheid geben. Dann könnte ich etwas für ihn tun.«

»Was sollte das sein?«

»Ich habe eine Vermutung, denn er hat mir aus Limassol eine kurze SMS geschrieben, aber ich kann noch nicht darüber reden, denn ich muss erst noch etwas telefonieren. Morgen Mittag weiß ich bestimmt schon mehr.« Er holte eine zweite Flasche Bier aus dem Kühlschrank und schenkte sich ein. »Das Blöde ist, er hatte wichtige Informationen, die ich unbedingt brauche und wollte mir deswegen eine Nachricht zukommen lassen.« Er trank sein Bier. »Wie soll ich jetzt an diese Daten kommen?«

»Für die Geschäfte? …Wichtig?«

»Ganz wichtig, aber das erzähle ich alles morgen, wenn ich telefoniert habe. Jetzt lass uns einfach etwas plaudern«, er trank mit großen Schlucken das halbe Glas leer, dann fuhr er fort: »Wir sollten wieder öfter eine Cabrio-Tour unternehmen. Es war so schön heute Abend von Hamburg bis hierher. Ich bin den ganzen Weg über die Landstraße gefahren. Weißt du noch, wie wir früher oft abends losgefahren sind? Manchmal waren wir erst um drei Uhr nachts wieder zuhause. Daran musste ich heute Abend denken, als ich durch die Heide kam.«

Sie plauschten beide noch lange von alten Zeiten und es wurde spät, bis sie zufrieden ins Bett gingen.

»Du hast aber lange geschlafen, mein Lieber! Ich sitze schon fast eine halbe Stunde hier auf der Terrasse und warte auf dich. Was möchtest du frühstücken?«

Er begrüßte seine Frau mit einem Guten-Morgen-Kuss, strich ihr übers Haar, blinzelte in die Runde und sah so aus, als habe er immer noch nicht richtig ausgeschlafen. »Ich habe gar nicht bemerkt, dass du aufgestanden bist.« Er ordnete seinen Morgenmantel neu und band ihn etwas fester zu. »Nur erst einmal Kaffee, dann vielleicht einen Toast.« Er nahm auf seiner Bank Platz, angelte nach der Zeitung und begann zu lesen. »Immer dasselbe«, sagte er noch zu Magdalene, »ich kann den ganzen Blödsinn und das Lügen über den Nahen Osten bald nicht mehr hören«, aber seine Frau überhörte seine Bemerkung, weil sie diese seine Ansichten schon recht oft unterbreitet bekommen hatte.

Als sie den Kaffee angestellt und sich um den Toast gekümmert hatte, schellte es an der Tür. Auf dem Bildschirm im Flur erkannte sie zwei Männer. Sie schaltete die Sprechanlage ein.

»Bitte?«

»Landeskriminalamt Hamburg. Guten Morgen«, stellten sie sich vor und einer der beiden hielt seinen Ausweis unter die Kamera.

Sie öffnete die Tür. »Was gibt uns die Ehre so früh am Morgen?«

»Mein Name ist Schwertfeger, Kommissar Schwertfeger und das ist mein Kollege Kampmann. Sind wir hier richtig bei Friedmann, Peter Friedmann?«

»Ja, das ist mein Mann. Warum?«

»Dürfen wir bitte hineinkommen? Wir hätten Ihrem Mann einige Fragen zu stellen. Nichts Schlimmes, nur einige wenige Auskünfte.«

»Wir wollen ihn nur zu einer Person befragen«, ergänzte Kampmann.

»Wir sind noch gar nicht auf Besuch eingestellt. Mein Mann ist heute Nacht aus Larnaka gekommen und gerade erst aufgestanden. Er sitzt im Morgenmantel auf der Terrasse. Bitte kommen Sie herein.« Sie wich einen Schritt zurück und schloss hinter den beiden die Haustür.

Als die beiden Männer ihre Garderobe ablegten, war ein kurzes Stöhnen zu hören, ein unterdrückter Schrei. Ein Stuhl kippte um, Geschirr fiel zu Boden. Die Geräusche kamen ein­deutig aus Richtung der Terrasse.

Frau Friedmann war tief erschrocken. »Peter? Peter, ist alles in Ordnung?«, schrie sie. Sie erinnerte sich an eine Herzattacke ihres Mannes, die er vor einem Jahr schon einmal hatte durchstehen müssen und geriet in Panik. Er war damals knapp mit dem Leben davon gekommen und hatte lange gebraucht, bis er sich wieder richtig erholt hatte.

Dann standen sie auch schon alle auf der Terrasse. Peter Friedmann lag zusammengebrochen neben dem Tisch. Er hatte die Augen geöffnet und sah seine Frau hilfesuchend an, was aber nur kurz währte, denn dann erlosch ihr Glanz und sie waren starr auf den Himmel gerichtet. Die Tischdecke hatte er bei seinem Sturz mitgezogen. Er hielt sie noch fest in der Hand. Die Zeitung verdeckte einen Teil seines Oberkörpers. Darunter erkannte Kampmann eine kleine Blutlache, die schnell größer wurde. Die Scherben des Frühstücksgeschirrs waren bis hin zu den Blumenbeeten verstreut. Harald Kampmann stand die Angst im Gesicht. Er brauchte einige Augenblicke, um sich von dem Schrecken zu erholen. Man sah ihm an, dass er einen Würgereiz unterdrücken musste. Er zog seine Waffe unter seinem Jackett hervor, nahm Deckung hinter einem Kaminvorsprung und sah sich nach allen Seiten um und als er glaubte, sich nicht in unmittelbarer Gefahr zu befinden, legte er sich flach auf den Boden und robbte zu Friedmann hinüber, fühlte den Puls und die Halsschlagader. Er warf einen Blick unter die Zeitung. Er schüttelte den Kopf.

»Nichts mehr zu machen! Mitten in die Brust, Herz wahrscheinlich!« Er strich mit seiner Handfläche über das Gesicht des Toten und schloss so seine Augen. Peter Friedmann war tot.

Magdalene schlug mit einem Schrei die Hände vor ihr Gesicht und wollte sich zu ihrem Mann niederbeugen, ihr wurde aber dabei schwindelig und sie musste sich am Tisch aufstützen. Sie schwankte stark. Beinahe wäre sie kollabiert und der Länge nach auf die Fliesen gestürzt, hätte Schwert­feger sie nicht geistes­gegenwärtig aufgefangen. Er hob sie an, um sie auf einem Gartensessel zu platzieren, der etwas abseits stand. Dabei rückte er ihr den Morgenmantel wieder zurecht, dessen zu einem Knoten gebundene Kordel, die ihn zusammenhalten sollte, aufge­gangen war. Kampmann blickte sich nach dem Schützen um. Weit und breit nichts zu sehen, nur Kühe auf der Wiese lagen in aller Ruhe da und sahen keinen Anlass, ihr Wiederkäuen zu unterbrechen. Ein unruhiger Schimmel tänzelte über die Weide. Schwertfeger versuchte, sich ebenfalls ein Bild von der Umgebung zu machen, musste aber ständig mit einer Hand die Frau auf dem Stuhl festhalten, die immer wieder aufzu­stehen versuchte, um zu ihrem Mann zu gelangen. Dabei rief sie immer leiser werdend: »Peter, Peter, was machst du?« Sie blickte mit entsetzten Augen den Kommissar fragend an: »Ist er tot? Ist mein Mann tot?« Schwertfeger brachte es nicht fertig, ihr eine Antwort zu geben. Schließlich hielt er es für das Beste, die Frau vom Ort des Geschehens fernzuhalten. Er griff ihr unter die Arme und beförderte sie zurück ins Haus, um sie im Wohnzimmer auf der Couch hinzulegen. Sie hatte die Augen geschlossen und war kreide­bleich. Mit leichten Schlägen auf ihre Wangen, weckte er sie auf und versuchte, beruhigend auf sie einzureden, was ihm aber alsbald völlig sinnlos erschien. Sie sah, noch ver­stärkt durch ihr hageres Gesicht, das nun jede Durch­blutung verloren hatte, geisterhaft aus, war völlig abwesend und gab keinen Ton von sich. Kampmann telefonierte indessen mit dem Kommissariat, um die ganze Maschinerie in Gang zu setzen, die bei einem solchen Ereignis vorgesehen war. Es war das erste Tötungsdelikt in seiner Laufbahn, bei dem er die Tat direkt miterlebte. Er war nervlich fast überfordert und musste auf seinem Spickzettel nachsehen, bei welcher Adresse er sich befand. So bemerkte er vor lauter Aufregung nicht, obwohl er beim Telefonieren in die Richtung blickte, dass sich auf der anderen Seite der hinter dem Haus gelegenen Wiese ein kleiner blauer Toyota von dem Holzschober verabschiedete.

Der Rosenpitter

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