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2. Kapitel

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Auf dem Polizeirevier Jesteburg war die Stimmung gedrückt. Zur Lagebesprechung um acht Uhr morgens waren alle anwesend, auch die, die eigentlich wegen der Nachtschicht seit sechs Uhr Feierabend hatten. Sie waren dazu verdonnert worden, bei dem Briefing, wie die Leute aus Hamburg die morgendliche Besprechung heute nannten, anwesend zu sein. Die Stühle mussten zusammengerückt werden und verschie­dene Kollegen holten weitere aus den benachbarten Büros, bis alle einen Sitzplatz hatten. Ein Einsatz­kommando aus Hamburg war angereist »zur Unter­stützung der Ermittlungen«, wie sie es nannten.

Hauptkommissar Berendtsen, ein untersetzter Mittvierziger im grauen Anzug mit roter Krawatte, stellte sich und seine beiden Kollegen vor. Es handelte sich um die beiden Kriminalassistenten Holler und Weinheim. Dann fand er ein Papiertaschentuch in seiner Hosentasche und polierte die Gläser seiner Hornbrille. Dann wandte er sich an die Anwesenden.

»Guten Morgen, meine Herren«, in diesem Augenblick erspähte er die einzige Dame im Raum. Es war Laura, die Praktikantin.

»Entschuldigung bitte. Also noch einmal: guten Morgen, meine Dame und meine Herren.

Was haben wir bisher? Kann bitte jemand die Situation zusammenfassen? Wie ist die Lage?« Er machte eine einladende Handbewegung. »Herr Kollege Schmidt, bitte?« Dieser war der Leiter der Dienststelle und so dem Beamten aus Hamburg inzwischen bekannt.

Der erhob sich von seinem Platz.

»Viel haben wir nicht, wie sie ja wissen, aber wir hatten ja auch noch keine Möglichkeit, der Sache richtig nach­zu­gehen, weil Ihre Leute ja alles an sich gerissen haben, ohne dass sie die Gegeben­heiten hier in der Heide kennen. Hamburg und Heide sind zwei Paar Stiefel….«

»Meine Leute haben gar nichts an sich gerissen. Wir haben genug zu tun, da brauchen wir nicht noch mehr Arbeit hinterher zu laufen. Außerdem kennen wir die Gegeben­heiten, …auch hier in der Heide.«

»Ich fasse zusammen:«, fuhr Schmidt fort und man sah ihm an, dass er sich fühlte wie ein begossener Pudel. »Heute Nacht um 1 Uhr 25 hörte ein Gast im Hotel‚ ›Lamm‹ in Marxen einen lauten Schrei, der aus dem Zimmer 206 zu kommen schien. Als er an die Tür klopfte, hörte er mehrmals das Wort »Hilfe, Hilfe«. Er versuchte vergebens, die Tür zu öffnen – dort sind die Zimmer mit Türschlössern versehen, die nur mit einer Zimmerkarte zu öffnen sind«, fügte er anmerkend hinzu und sah dabei in die Runde als wolle er sicher gehen, dass alle Anwesenden ihn verstanden hatten. Dann glitten seine Augen kurz suchend über sein Konzept und er fuhr fort: »Er rief in etwa: ›Kann ich helfen? Aufmachen! Ich trete die Tür ein‹! Er rappelte mehrfach an der Türklinke, als auch schon von innen geöffnet wurde und ein Mann das Zimmer fluchtartig verließ und Herrn Kohlmann – so heißt der Zeuge – so heftig zur Seite stieß, dass dieser zu Fall kam. Der Täter entfernte sich über den Gang. Dieser Herr Kohlmann betrat das Zimmer und fand ein regungslos im Bett liegendes Mädchen im Alter von ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Er konnte weder Atemgeräusche noch den Puls des Mädchens ausmachen und ging davon aus, dass sie tot war. Während er die 110 anrief, hörte er die Nebentür zufallen, die auf die Feuerleiter führt. Vond dort aus gelangt man auf den Parkplatz.«

»War diese Tür nach außen etwa offen!?«, unterbrach ihn Hauptkommissar Berendtsen mit völligem Unverständnis.

»Diese Tür ist nachts zwar nicht abgeschlossen, sondern nur zugezogen, weil sie als Notausgang gilt und nicht abge­schlossen werden darf. Sie ist aber durch ein Spezialschloss gesichert und nicht von außen, sondern nur von innen her zu öffnen. Als die Nachtschicht und der Notarzt eintrafen, stellte…«, er blätterte seinen Notizblock um, »Herr Dr. Wellenberg, ein Arzt hier aus dem Jesteburger Krankenhaus, den Tod fest. Nach erstem Anschein wurde ihr wohl das Genick gebrochen. Es handelt sich also mit ziemlicher Sicherheit um einen professionellen Killer, denn viel Gegenwehr hat das Mädchen auf keinen Fall geleistet. Der Kollege Groß sah sich im Zimmer um und fand einen Zettel mit der Adresse ›Asendorfer Heide 19‹. Es handelt sich um einen Zettel – wohl von einem Werbe­blöckchen – mit einem Firmenlogo und griechischer Schrift darunter. Die Adresse war ganz normal in lateinischen Groß­buchstaben geschrieben. Wir haben die Kriminalpolizei in Hamburg benachrichtig, wie es in diesem Fall vorgeschrieben ist und den Zettel an einen Herrn Kommissar…« Er wollte gerade wieder auf seinen Block schauen, da ergänzte Berendtsen…

»Schwertfeger«

»Genau. Der ist inzwischen zu dieser Adresse unterwegs.«

»Kennt jemand die Adresse?«, fragte Bernds

Es meldete sich die Praktikantin: »Es ist die Adresse von Herrn Peter Friedmann. Ich kenne das Haus. Es sind Nachbarn von meiner Tante.«

»Was sind das für Leute, die Friedmanns?«

Schmidt antwortete: »Es sind Geschäftsleute. Dem Mann gehören in Hamburg drei Etablissements im Rotlichtviertel, eines davon liegt auf der Reeperbahn. Außerdem gehören ihm einige Hotels.«

»Könnte es sein, dass sich das Mädchen bei ihm vorstellen wollte?«

»Das glaube ich kaum, denn diese Mädchen waren hier noch nie zu sehen. Die gehen direkt zu den Häusern. Da befinden sich auch die Leute, die sie begutachten.« Unangebrachte Kommentare erfüllten den Raum.

»Meine Herren…bitte!« Der Kommissar bat um erneute Aufmerksamkeit.

In dem Moment schellte das Mobiltelefon in Berendtsens Hosentasche. Er nahm an.

»Hier Berendtsen.«

Es meldete sich Kampmann, der von dem Geschehen bei Friedmann berichtete.

»Was?!...« Berendtsen war entsetzt. »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Friedmann ist tot? Der Schütze konnte entkommen? Und Ihr zwei Schafsköpfe konntet nichts machen? Das will ich aber schriftlich. Heute noch! Und zwar in Schönschrift!« Sein Gesicht, was vorher mit leichten roten Äderchen durchzogen war, schwoll auffallend an und bekam jetzt eine tiefrote Farbe, die vermuten ließ, dass er im nächsten Moment einem Schlaganfall erliegen könnte, zumal er mit seinem leichten Übergewicht nicht der Sportlichste zu sein schien. In dem Konferenzraum herrschte eisige Stille. Die Anwesenden bekamen es mit der Angst, dass der Hauptkommissar gleich selbst einen Notarzt benötigte. Dann hörte er einen Augenblick wieder zu, um gleich darauf wieder laut zu werden: »Ihr habt alle beide keine Ahnung, woher der Schuss kam?«

»Keinen blassen Schimmer! Wir können uns nicht einmal daran erinnern, einen Schuss gehört zu haben. Tut uns leid. Wir hatten keine Chance.«

»Dann schicke ich mal die Leute«

»Die haben wir bereits benachrichtigt.«

»Auch gut, dann läuft das ja wenigstens.« Dann wandte er sich an die kleine Versammlung, musste allerdings einmal tief Luft holen:

»Herr Peter Friedmann ist vor wenigen Minuten in seinem Haus erschossen worden….«

Es entstand Unruhe und er musste seine Mitteilung für einige Augenblicke unterbrechen, um den Kollegen Zeit zu geben, das Geschehen zu verarbeiten und auch sich selbst darüber klar zu werden, was ihm da jetzt mitgeteilt worden war. Dann hob er die Hand und die Anwesenden unterbrachen ihre Gespräche, so dass im Raum eine Stille herrschte, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können. Dann fuhr er fort: »…unter der Anwesenheit von den beiden Kollegen Schwertfeger und Kampmann. Von dem oder den Tätern fehlt jede Spur. Es muss sich nach erstem Anschein um einen Schuss aus einem Präzisionsgewehr gehandelt haben, das aus größerer Entfer­nung abgefeuert worden ist. Es fiel nur ein einziger Schuss und der traf Herrn Friedmann direkt tödlich in die Brust.«

Damit wurde die Konferenz erst einmal vertagt. Das allgemeine Gemurmel auf dem Gang ging hauptsächlich darum, was denn nun mit der stillen und gemütlichen Heide passiert. Jahrelang keine Vorkommnisse, außer vielleicht einiger Verkehrsdelikte. Und bei denen kannte man immer die Übeltäter. Meist handelte es sich um Leute aus den umliegenden Dörfern und die hatten meistens auch eine plausible Erklärung für ihr Verhalten, so dass man gar keine Personalien aufnehmen, geschweige denn, eine Anzeige zu Protokoll bringen musste. Da ließ man schon mal fünfe gerade sein. Und dann auf einmal zwei Vergehen an einem Tag, innerhalb von acht Stunden, und beides Morde. Wohin sollte das führen. Hatte die Mafia die Heide für sich entdeckt? Na dann gute Nacht…

Hauptwachtmeister Schmidt wollte gerade mit seinen Akten unter dem Arm stillschweigend in seinem Büro verschwinden, als er von den Kollegen Wimmer und Olschewski an der Schulter gehalten wurde.

»Mensch Wolle, nun schau nicht so trist drein, mein Jung. Ärgerst du dich über die arrogante freche Schnauze von dem Berendtsen? Die müssen so quatschen...«

»..sonst verlieren diese Kapazitäten ihre Autorität und werden versetzt… auf Streife«, ergänzte der andere, machte eine Pause vor »Kapazitäten« und »Autorität« und sprach jedes der beiden Wörter in einzelnen Silben aus, um diesen eine herrschaftlich, wichtige Note zu geben. »Das darfst du gar nicht persönlich nehmen … Da hast du doch schon ganz andere Dinge gehört. Bist doch sonst auch hart im Nehmen.«

»Ein Quatschkopp ist der«, versuchte Schmidt seinen Frust zu verbergen. »Macht hier auf wichtig. …Ich möchte mal wissen, wie klein der wird, wenn der von oben einen Anschiss kriegt. …Man muss sich den nur einmal in langen Unterhosen vorstellen, dann sieht die Sache schon wieder anders aus.«

»Dann guck auch anders aus der Wäsche.« Wimmer klopfte ihm auf die Schulter. »Was ist? Gehen wir drei kurz nach Ulla frühstücken?«

»Nee, heute geht das nicht. Ich muss mit zum Tatort. Sie brauchen da jeden Mann, meint der Döskopp. Eigentlich solltet Ihr zwei auch mit, aber ich habe gesagt, wir hätten heute den Radarwagen hier und ihr seid damit unterwegs.«

»Das war die beste Idee heute Morgen. Hast du gut gemacht. Danke«, freuten sich die beiden anderen.

»Dann sehen wir uns heute Nachmittag«.

»Wenn wir bis dahin fertig sind. Man weiß ja gar nicht, wie aufwändig sich die Besichtigung des Tatorts hinzieht. Das scheint ja nicht sowas Normales zu sein. Aber wir wollen erst mal sagen bis heute Nachmittag. Jedenfalls hoffe ich, dass pünktlich Feierabend ist! Hab nämlich meiner Frau versprochen, heute frühzeitig zuhause zu sein. Ich soll mit ihr zum Shoppen.«

»Dann viel Spaß bei der Untersuchung«, meinte Wimmer und Olschewski sagte nur:

»Bis dahin.«

»Schöne Grüße an Ulla«, gab Schmidt ihnen noch mit auf den Weg. Und gib nicht so viel Geld aus.

Der Rosenpitter

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