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„Fatima, Fatima! Kommst du mal?“, rief der Vater von der Diele aus nach oben, wo sich die Kinderzimmer befanden.

Salah kam aus dem Hauswirtschaftsraum zu ihrem Mann. Sie hatte an seinem Ton gehört, dass etwas Ernstes vorgefallen sein musste. „Was ist denn?“, fragte sie.

Er reichte ihr einen Brief, den er gerade aus dem Briefkasten geholt hatte. „Fatima hat einen Verweis bekommen.“

Die Mutter nahm stirnrunzelnd den Brief und las.

„Fatima, kommst du jetzt endlich!“, rief der Vater barscher.

Da wurde im ersten Stock eine Tür geöffnet, Fatima kam heraus und blieb am Geländer stehen. „Was ist denn, Papa?“, fragte sie in liebevollem Ton.

„Komm zu uns herunter, wir haben mit dir zu reden!“ Mo fuhr herum, ging ins Wohnzimmer und setzte sich auf das Sofa.

Die Mutter setzte sich neben ihn.

Fatima kam hinter ihnen her und setzte sich ihnen gegenüber in einen Sessel. Sie schwieg, da sie gespürt hatte, dass es um eine ernste Angelegenheit gehen musste.

„Du hast einen Verweis von der Schule wegen Beleidigung eines Mitschülers bekommen. Was hast du dazu zu sagen?“

Fatima sah zu Boden und schwieg.

Die Eltern sahen erst sie, dann sich und dann wieder sie an.

„Willst du auch noch verstockt sein, wenn dein Vater eine Antwort verlangt?“, fuhr sie der Vater wieder barsch an. „Ich will wissen, warum du einen Verweis bekommen hast. Ich habe dich nicht dazu erzogen, Ärger zu machen!“

„Nein, nein, nein, Papa, bestimmt nicht!“, antwortete sie verzweifelt. „Aber ich kann es dir nicht erklären, glaube mir!“

Die Eltern sahen sich überrascht an.

„Du wirst es mir erklären!“, meinte der Vater bestimmt und lehnte sich verärgert und drohend nach vorne.

Salah legte beruhigend die Hand auf die seine. „Warum kannst du es uns denn nicht erklären?“

„Es …!“ Fatima druckste vor sich hin.

„Na los, raus mit der Sprache!“, knurrte Mo.

„Es …!“ Sie holte tief Luft. „Es wird euch wehtun!“

Sie sahen sie überrascht an.

„Es wird uns wehtun?“, fragte Salah verwirrt.

Der Vater sah sie nur erstaunt an. „Erzähl uns, was passiert ist!“, meinte er dann ruhig. „Auch wenn es uns weh tut!“

Wieder holte Fatima Luft. „Wir hatten Geschichtsunterricht!“, begann sie dann von Neuem. „Es ging um die Kreuzzüge.“

Der Vater nickte. Er ahnte, was kam. „Sprich!“, bat er sie nun liebevoll.

„Der Geschichtslehrer erzählte von den Kreuzzügen. Er berichtete, wie die Kreuzfahrer unsere Vorfahren niedergemetzelt und abgeschlachtet haben. Und da, da …!“, rief sie fast erregt vor Zorn aus, der sie wieder ergriff.

„Was geschah dann?“, wollte die Mutter wissen.

„Da sagte so ein dummer Deutscher, dass man das mit uns Arabern heute auch machen sollte!“ Sie begann zu weinen.

Die Eltern hatten geahnt, was kommen würde. Sie nickten, waren nicht voller Wut, sondern nur voller Enttäuschung.

„Und da habe ich zu dem Jungen laut Dreckskerl gerufen!“ Sie fing hemmungslos an, zu weinen.

Die Mutter stand auf, setzte sich zu ihrer Tochter und nahm sie in den Arm.

„Der Lehrer hat nur das Schimpfwort gehört, nicht, was der Junge gesagt hat. Und als er die Klassenkameraden fragte, haben die gesagt, sie hätten nichts gehört und wüssten nichts.“

Mo nickte traurig. „Ja, ich glaube dir. Ich kann mir das gut vorstellen, dass das so war. Ich habe auch schon so etwas erlebt. Es ist schrecklich demütigend.“

Sie sahen sich ratlos an.

„Ich werde morgen zum Lehrer gehen und ihm sagen, wie es war“, beschloss der Vater.

„Bitte, bitte nicht!“, flehte das Mädchen nun plötzlich.

„Aber warum denn nicht, das ist doch eine gute Idee!“, meinte die Mutter.

„Nein, nein, nein!“, rief das Mädchen aus und sprang auf. „Wenn du das tust, dann werden sie es mir richtig zeigen. Die haben immer jemanden auf dem Kieker und dem geht es dann richtig dreckig. Die mobben ihn dann oder verprügeln ihn oder was weiß ich, was die noch machen. Wenn ich nichts mache, dann lassen sie mich in Ruhe. Sie haben dann immer andere auf dem Schirm. Asylanten, Flüchtlinge, irgendwas, was gerade Thema ist. Bitte, bitte tu nichts, dann ist die Sache bald vergessen!“ Sie kniete sich vor ihn hin und sah ihn flehend an.

„Also gut!“, versprach er schließlich. Er drückte sie an sich. „Mach dir keine Sorgen. Wir lieben dich und verstehen dich!“

„Danke!“, atmete sie da erleichtert auf. Damit stand sie auf, um wieder nach oben zu gehen.

„Und dass du es nur weißt: Wir haben die Kreuzzüge gewonnen. Wir haben die Eindringlinge aus unserem Land geworfen!“, rief er ihr grinsend hinterher. „Dank sei Saladin und Allah, der ihm geholfen hat!“

Da drehte sie sich nochmals zurück und grinste zurück.

Der Schläfer

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