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Der Luftkrieg /1940
ОглавлениеAm 25. Juni wird Willi ins Kompaniebüro bestellt. Er überlegt sich, was er wohl angestellt hat, aber es kommt ihm nichts in den Sinn, welches Vergehen ihm zur Last gelegt werden könnte. Hoffentlich nicht wieder die Sache mit seiner Uroma, das hat er inzwischen verdrängt und für unwichtig eingestuft. Er kann also mit ruhigem Gewissen vorsprechen.
Als er eintritt, ist der Kommandant noch am Telefon, er muss warten. Dann legt der den Hörer auf und kommt auf Willi zu.
«Gehen wir kurz nach draussen», schlägt der Kommandant vor. Willi wird es nun doch etwas bang.
«Leutnant Wolf, sie sind Luftfahrtingenieur?»
«Ich bin mit dem Studium nicht fertig», erklärt er seinem Kommandanten, «der Krieg kam dazwischen.»
«Ja das trifft bei vielen Wehrmännern zu», entgegnet der Kommandant mit ruhiger Stimme, was Willi etwas beruhigt.
«Das mit dem fehlenden Abschluss sehen die in der Heeresleitung anscheinend nicht so eng. Die brauchen Leute wie sie in der Rüstungsindustrie. Die wird immer wichtiger. Auf jeden Fall sind sie mit einem Antrag an mich gelangt, Sie aus der Wehrmacht zu entlassen, damit sie beim Aufbau einer Flugzeugfabrik helfen können.»
«Zu Befehl Herr Oberst - Heil Hitler!»
Die Details zu seiner Entlassung, erklärte ihm der Feldwebel. Mit einem LKW welcher in Deutschland Nachschub holen muss, wird er nach Aachen gefahren. Dort erfolgt die offizielle Entlassung aus der Wehrmacht. Die Uniform wird eingezogen. Freundlicherweise erhält er als Ersatz einen Anzug. Zudem werden ihm der Sold und eine Abgangsentschädigung ausbezahlt. Weiter erhält er einen Transportgutschein für eine Fahrt nach Worms und eine Fahrt von Worms nach Rostock, drei Wochen später.
Die Zeit in Worms verbringt er bei seiner Familie. Seine Eltern arbeiten immer noch in der Lederfabrik. Vater muss allerdings kein Leder mehr einkaufen, jetzt kann er es requirierten. Sowohl Bauern, wie auch die Fleischer, werden verpflichtet, die Felle der geschlachteten Tiere der Wehrmacht abzugeben. Die Entschädigung ist klar geregelt. Diese Verordnung erleichterte Franz die Arbeit, er kann jetzt doppelt so viel Tierfelle beschaffen, da er nicht mehr feilschen muss.
Seine Mutter Rosa ist Aufseherin in der Näherei und musste die Mädchen überwachen. Diese werden jeden Morgen mit einem LKW von einem Lager ausserhalb Worms hergefahren. Diese Mädchen musste Rosa im Auge behalten. Nebst einer Haselrute, mit dem sie den Mädchen auf die Finger schlägt, hatte sie weitere Möglichkeiten, indem sie bei dem Lagerkommandant Meldung erstatten kann. Nach einer solchen Meldung erscheinen die Frauen längere Zeit nicht mehr zur Arbeit. Zwei bis drei Wochen später, tauchen sie bis auf die Knochen abgemagert wieder auf, sind aber so geschwächt, dass sie die Frauen nicht mehr brauchen kann. Deshalb greift sie nur in Ausnahmefällen zu diesen drastischen Massnahmen. Meistens reichen leichte Schläge mit der Rute aus, ab und zu musste sie etwas härter zuschlagen, dann haben die Frauen begriffen, wer hier die Chefin ist.
Für Willi gibt es nicht viel zu tun. Als erstes überprüft er das Warenlager im Gartenhaus und kontrolliert, ob sich kein Schimmel gebildet hatte oder ob andere Massnahmen erforderlich sind, dass die eingelagerten Waren nicht an Wert verlieren, denn eines ist sicher, zur Zeit kann man diese Ware nicht verkaufen.
Als diese Arbeit erledigt ist, befasst er sich mit dem Flugzeugbau. Er schreibt einen Bericht, über die während seiner Zeit in der Flugzeugfabrik gemachten Erfahrungen. Er hofft, dass nach dem Krieg, mit diesem Bericht das Ingenieurdiplom leichter zu erlangen ist. So wie er die aktuelle Lage beurteilt, wird der Krieg nicht mehr lange dauern. Die gefährlichsten Gegner sind besiegt, dann wird Hitler seine Visionen über ein Europa unter einer deutschen Führung umsetzen. Alle werden von den weitsichtigen Projekten des Führers profitieren. Jeder wird erkennen, dass der deutschen Organisation nichts Gleichwertiges entgegengestellt werden kann. Der Lebensstandard in Europa wird für alle steigen. Dies gilt natürlich nicht für Juden, das ist klar, die werden ihre beherrschende Stellung verlieren.
Wenn Willi in Worms spaziert, wird er immer wieder von der Gestapo kontrolliert. Ein Mann im wehrpflichtigen Alter, welcher ohne Arbeit durch Worms spaziert, ist verdächtig. Einmal hat er seine Bescheinigung, dass er ordnungsgemäss aus der Armee entlassen wurde, nicht dabei. Er wurde sofort verhaftet und ins Gestapo Hauptquartier gebracht. Dort sass er für drei Stunden fest. Erst als ihm sein Vater das fehlende Papier brachte, wurde er entlassen.
«Die schauen schon, dass jeder seinen Pflicht gegenüber Hitler erfüllt», meint sein Vater, als sie wieder auf der Strasse stehen, «wie kann man ein so wichtiges Dokument zuhause lassen. Ich hoffe, das wir dir eine Lehre sein!»
Willi äussert sich nicht. Ihm sitzt der Schreck noch in den Knochen. Ihm ist nichts passiert, sie behandelten ihn vorsichtig. Er konnte darauf hinweisen, dass sein Entlassungsschreiben in der anderen Jacke steckt und er in zwei Wochen in eine Flugzeugfabrik abkommandiert wird. Er hat schon bemerkt, dass sie mit ihm vorsichtig umgehen, wenn seine Geschichte stimmt, dann ist er eine kriegswichtigtige Person.
Was Willi in den drei Stunden bei der Gestapo mitbekommt, beschäftigt ihn sehr. Wie die mit ihren Häftlingen umgehen, scheint alles andere als freundlich zu sein. Er hat im Gang eine ältere Frau gekreuzt, welche nebst einem blauen Auge, noch einige blaue Flecken am ganzen Körper aufwies. Die waren deutlich zu sehen, weil sie oben rum, nur einen BH trug.
Aus dem Verhörzimmer hörte man, wie die armen Kerle durch die Gestapoleute angeschrien wurden. Einige kurze, aber heftige Schreie, deuten darauf hin, dass auch mit Schlägen nachgeholfen wurde, wenn die Antwort nicht ins Bild der Schergen passte.
«Man muss schon acht geben», führt sein Vater den Monolog weiter, «es ist zu einem Volkssport geworden, Leute, gegen welche man noch eine Rechnung offen hat, bei der Gestapo anzuschwärzen. Am Besten ist es, wenn man die Schnauze hält, deshalb gehe ich auch nicht mehr in Kneipen. Es kann lebensgefährlich sein, wenn man betrunken einen falschen Witz erzählt. Ich kenne einige, welche nach einem lustigen Abend verschwunden sind.»
Noch immer ist Willi nicht bereit, sich auf eine Diskussion einzulassen und geht stumm neben seinem Vater her. Nicht auszudenken, was mit Ihnen geschehen würde, wenn jemand von den Geschäften mit den Juden erfahren würden. Zum Glück waren sie von Anfang an vorsichtig. Sogar sein Kumpel von der SA wusste nichts davon, dass er vorher seine Opfer abgezockt hatte und sich sein SA-Kumpel nur noch mit den Resten bedienen konnte, welch er übrig lies.
In den folgenden Tagen bleibt er lieber zu Hause. Er wartet darauf, dass er endlich nach Rostock abreisen kann. Meistens hört er Radio. Stündlich treffen die Erfolgsmeldungen von der Front ein. Am 22. Juni unterzeichnen die Franzosen die Kapitulation, der Krieg ist zu Ende. Die Zeitungen zeigen einen vor Stolz beinahe platzenden Hitler beim Verlassen des Eisenbahnwagens in Compiègne. Der Schmach des Weltkriegs ist getilgt. Jetzt kann man den Frieden vorbereiten und Willi hofft, dass er in Rostock früher oder später, Passagierflugzeuge bauen kann. Sicher das wird noch eine Weile dauern, noch muss das Erreichte gesichert werden.
Auf der Fahrt nach Rostock liest er die Zeitung. Ein unglaublicher Stolz befällt ihn, als Hitler, vor dem Eifelturm in Paris, sich den Fotografen stellt. Willi hat nicht viel, aber wenigstens ein bisschen dazu, beigetragen.
In Rostock wird Willi von Ortsgruppenleiter empfangen. Er fühlt sich geschmeichelt. Mit einer solchen Wertschätzung hätte er nicht gerechnet. Diesmal wird ihm eine grosse Wohnung mit teuren Möbeln zugeteilt. Die Einrichtung deutet darauf hin, dass sie einmal einer wohlhabenden jüdischen Familie gehört hatte. Allerdings sind alle jüdischen Symbole aus der Wohnung verschwunden.
«Ich hoffe sie fühlen sich hier wohl», erklärt der Ortsgruppenleiter, «wenn etwas fehlt, melden sie sich.»
«Danke, ich denke ich komme hier gut zurecht.»
«Dann wünsche ich ihnen einen guten Start. Sie wissen ja wo die Fabrik liegt, unten steht ein Motorrad, mit dem können sie in die Fabrik fahren - Heil Hitler!»
«Heil Hitler! Herr Ortsgruppenleiter.»
Zackig hebt Willi den rechten Arm. Der Ortsgruppenleiter erhebt seinen Arm ebenso zackig und verlässt die Wohnung.
Das muss Willi erst verdauen, er setzt sich aufs Sofa und starrt nachdenklich vor sich hin. Er hat es geschafft, er ist nicht mehr der Studenten, welcher in einer engen Studentenbude mit drei anderen Studenten zusammen wohnt. Er hat eine eigene Wohnung. Nachdem er seine Fassung wieder gefunden hat, geht er in die Küche und kocht sich einen Kaffee. Es gibt tatsächlich Bohnenkaffee, er ist ein Glückspilz.
Auf dem Tisch in der Stube findet er einen Brief, in welchem ihm weitere Anweisungen mitgeteilt werden. So wird erwartet, dass er in der SA-Uniform zur Arbeit erscheint. Die Rangabzeichen weisen ihn als Leutnant aus, entsprechend dem Rang, wird auch sein Lohn bemessen. Er wird ein gutes Leben führen können. Mit der Uniform sind zahlreiche Privilegien verbunden.
Obwohl das grosse Bett sehr angenehm ist, hat er schlecht geschlafen. Er ist immer wieder aufgewacht. Trotzdem fühlt er sich am Morgen bereit. Vor dem Haus steht ein Motorrad zu dem der Schlüssel, welcher am Schlüsselbrett hing, passt. Zum Glück hat ihm Vater einige Male sein Motorrad geliehen, so weiss er, wie man damit umgeht. Vorsichtig fährt er auf die Strasse und biegt in Richtung Flugzeugfabrik ab.
In der Fabrik nimmt ihn ein neuer Fabrikleiter in Empfang.
«Heil Hitler, ich bin hier der Chef, ich heisse Paul Walter, ihre Akte kenne ich, Herr Wolf, ich heisse sie willkommen.»
«Heil Hitler! Herr Walter», meldet sich Willi und grüsst vorschriftsmässig, «ich freue mich auf die Aufgaben.»
«Dann wollen wir Mal einen Rundgang machen, dabei kann ich ihnen am Besten erklären, was wir von ihnen erwarten.»
Seit seinem letzten Arbeitstag in der Fabrik hat sich viel, um nicht zu sagen alles, verändert. Auffallend ist der hohe Frauenanteil, es gibt nur noch wenige Männer in der Fabrik. Neu ist auch eine zweite Produktionsstrasse, welche eben in Betrieb genommen wird. Man will die Produktion verdoppeln. Der Führer verlange das so.
«Wir können die eroberten Gebiete nur halten, wenn wir eine starke Wehrmacht haben und dazu gehören gute Bomber», erklärt Herr Walter.
«Der Führer weiss schon was er machen muss», bestätigt Willi seine Aussage.
Damit ist die Aufgabe von Willi klar definiert. In seinem Büro studiert er die letzten Pläne des zu bauenden Bombers. Die Bezeichnung lautet immer noch Do111. Mit der Do111, welche Willi noch vor zwei Jahren baute, ist diese neue Ausführung nicht mehr zu vergleichen. Er staunt über die technischen Fortschritte in dieser kurzen Zeit. Da waren gute Konstrukteure an der Arbeit.
Am Nachmittag beginnt er seine eigentliche Arbeit. Als erstes nimmt er an einer Sitzung teil und wird als Leutnant Wolf den anderen Ingenieuren vorgestellt. Dann beginnt die Sitzung mit den Problemen, welche bei der neuen Produktionsstrasse noch auftreten. Willi wird beauftragt, sich um den Radkasten zu kümmern, da kommt man schlecht an die Schrauben und hat deshalb Probleme, diese festzuziehen. Es dauert nicht nur zu lange, es gab auch schon Reklamationen, weil sich ein Fahrwerk gelöst hatte, was zu einer langwierigen Reparatur zwang.
Nach der einstündigen Sitzung, macht sich Willi an die Arbeit. Er schaut vor Ort nach und prüft einige Möglichkeiten, nur so einfach ist es nicht. Als Provisorium ändert er die Reihenfolge der Montage, indem er das Teil welche das Festschrauben behindert erst nachträglich einbauen lässt. Es geht etwas besser, ist aber mit anderen Nachteilen verbunden. Nachdem er eine Nacht über das Problem nachgedacht hatte, geht er am nächsten Morgen in die Werkstatt und gibt Anweisungen für einen speziellen zweiteiligen Schlüssel, damit kann man zumindest garantieren, dass die Schraube sicher befestigt ist.
In den nächsten Wochen läuft die Produktion an, noch dauert die Montage länger, doch mit jedem montierten Bomber, nimmt die Routine zu und es geht immer einfacher.
Die technischen Probleme lassen sich meistens lösen, doch ein anderes Problem stellt für Willi eine echte Herausforderung dar. In der Montagehalle steigt die Temperatur im Juli auf dreissig Grad an. Dies veranlasst die meisten Frauen, dass sie unter dem Blaumann nur noch die Unterhose tragen. Meist sind die obersten Knöpfe geöffnet und bietet beim richtigen Blickwinkel beste Aussichten auf meistens sehr schön geformte Brüste. Unter den Frauen gibt es einige, die mit dieser Form von Ablenkung bewusst spielen und sich einen Spass daraus machen, die Männer, welche eh schon in der Minderheit sind, so richtig anzumachen.
Am 13. August informiert Paul Walter, dass sich Hitler dazu entschlossen hat, auch England zu erobern. Es sei wichtig, dass in Europa kein Gegner mehr Gegenwehr leistet. Die Invasion der deutschen Wehrmacht wird mit massiven Luftschlägen vorbereitet.
«Meine Herren!», betont Herr Walter mit Nachdruck, «ihr wisst was das bedeutet, der Führer setzt auf euch. Wir brauchen jede Menge Bomber, nur so können wir die Engländer in die Knie zwingen.»
Als direkte Folge von Hitlers Entscheid, erhalten sie zusätzliche Arbeiterinnen. Jetzt werden die kritischen Stellen doppelt besetzt, so dass pausenlos gearbeitete werden kann.
Die Zusammenarbeit hat sich schliesslich eingespielt. Die Produktionsziele werden übertroffen. Als der Herbst langsam näher kommt, wird es in den Hallen wieder kühler und die Frauen ziehen ihre Unterwäsche wieder an. Die Spielchen verlieren langsam ihren Reiz.
Im September erwarteten alle, dass die Invasion endlich gestartet wird. Diese müssten vor dem Einsetzen der Herbststürme erfolgen, das ist inzwischen auch zum Radio durchgesickert. Das Problem besteht darin, dass die Deutschen noch nicht die Lufthoheit besitzen, es sind immer noch Jagdflieger der Royal Air Force in der Luft. Die deutschen Bomberstaffeln geben alles, aber die bombardierten Flugplätze werden schneller wieder einsatzbereit, als die nächsten zerstört werden konnten.
Auch können noch so viele britische Flugzeuge am Boden und in der Luft zerstört werden, die Zahl der englischen Flugzeuge in der Luft nimmt nicht ab. Dafür nehmen die Verluste der Luftwaffe täglich zu.
In der Flugzeugfabrik in Rostock muss die Produktion runtergefahren werden, die Lieferungen der Einzelteile geraten ins Stocken. Langsam verlieren sie ihren guten Ruf bei Hitler. Der oberste Chef von Willi erhält beinahe täglich Anrufe aus dem Führerhauptquartier. Inzwischen muss sich Willi persönlich um den Nachschub kümmern. Eine undankbare Aufgabe, wie soll man Einzelteile herstellen, wenn man kein Aluminium bekommt? Bei einigen Teilen kann man auf Holz umsteigen, bei Teilen welche stark belastet werden ist das nicht möglich. Manchmal nimmt man hochwertigen Stahl, doch der ist auch knapp und wird für Panzer und Kanonen dringend benötigt. Zudem wird das Flugzeug schwerer, was sich auf die Bombenlast oder auf die Reichweite auswirkt. Beides Kriterien, welche in der Schlacht um England sehr wichtig sind. Zum Glück für Willi haben Flugzeuge zurzeit höchste Priorität, so kann er wenigstens Teilerfolg verbuchen.
Dann ist der Oktober da und das englische Wetter ist stärker als jede Planung der Generäle, man muss die Angriffe auf England reduzieren. Die Engländer erhalten eine nicht eingeplante Verschnaufpause. Für Willi hat es den Vorteil, dass nicht mehr so viele Maschinen verloren gehen, die Luftwaffe erreicht wieder ihren Sollbestand.
Die Engländer scheuen auch nicht mehr vor Bombenangriffen auf deutsche Städte zurück. Mönchengladbach war der Anfang und jetzt schafften es die Engländer sogar einige Bomben auf Berlin abzuwerfen, man weiss nie, welche Stadt als nächstes an der Reihe ist.
Dabei sind die Verluste der Wehrmacht relativ gering. Auch das Leben in deutschen Städten ist besser geworden. In den Läden gibt es Fleisch und Butter zu kaufen. Es gibt genug Lebensmittelmarken. Frankreich liefert frisches Gemüse und noch wichtiger, gute Weine. Gut die Weine sind für die Parteigrössen reserviert. Willi trinkt eh lieber Bier als Wein, auch wenn der Wein noch so gut ist.
Das hat er bei seiner Feier zum seinem 27. Geburtstag gemerkt, als Ingenieur Walter zwei Flaschen vom angeblich besten Burgunder mitbrachte. Schlecht ist der Wein nicht, aber das Bier schmeckt genauso gut und ist wesentlich günstiger.
Inzwischen hat in Berlin der Wind gedreht. Die Luftwaffe hat bei Hitler an Einfluss verloren. Die knappen Ressourcen werden neu für die Panzertruppen eingesetzt. Hitler hat entschieden, dass vor dem Frühjahr keine Invasion möglich ist. Somit hat das Bombardieren der englischen Städte, nicht mehr erste Priorität.
Dank diesem Entscheid kann Willi wieder für ein paar Tage nach Worms fahren. Dort erwartet ihn eine Überraschung. Sein Vater, welcher ihn vom Bahnhof abgeholt, informiert ihn, dass er, im norden Frankreichs, in einer französischen Kleinstadt, mit dem Aufbau einer Verwaltung beauftragt wird.
Rosa ist gar nicht erfreut, dass ihr Franz nach Frankreich muss. Sie nimmt ihren Teil der Aufgabe sehr ernst und stattet Franz mit reichlich Wäsche aus. Zudem werden Würste und Käse mit eingepackt, sie will nicht, dass ihr Franz hungern muss.
Nach zwei Tagen ist Willi froh, dass er die hektische Wohnung seiner Eltern, wieder Richtung Rostock verlassen kann. Mit einer herzlichen Umarmung verabschiedet er sich von seinem Vater. Der muss sich in zwei Tagen in Saarbrücken melden, in welche Stadt er dann verlegt wird, ist geheim.
In Rostock wird es wesentlich ruhiger. Die Produktion wird heruntergefahren. Viele Arbeiterinnen und Kriegsgefangene werden verlegt. Einige Maschinen werden anderen Betrieben zugeteilt. Wie es einem geht, wenn man den Führer enttäuscht, erfährt sein Chef am eigenen Laib. Er wird als Offizier in eine Kampftruppe verlegt.
In Europa wird nur noch im Balkan gekämpft. In Libyen geraten die italienischen Truppen in Bedrängnis. Sie werden von massiven englischen Einheiten zurückgedrängt.
In Frankreich wird jetzt die zivile Verwaltung eingeführt. Es ist wichtig, dass die französischen Firmen, die Wehrmacht mit Stahl und Kohle beliefern. Das ist jetzt die Aufgabe von Franz, er muss überwachen, dass der Soll erfüllt wird. Dass dabei die einheimischen Besitzer des Werks tüchtig mitverdienen, muss man in Kauf nehmen, dafür läuft die Produktion reibungslos.
Die Strategie heisst, in den besetzten Gebieten, die einheimische Bevölkerung auf die deutsche Seite ziehen. Die Deutschen betrachten die Franzosen als arisch, die Besetzung erfolgte lediglich deshalb, weil man sie vom jüdischen Joch befreien muss. Wenn sie jetzt mitziehen, so können sie vom Aufschwung profitieren. Das Jahresende 1940 wird von den Nazis mit viel Pomp gefeiert. Es ist das Jahr der Wiederherstellung der Ordnung in Europa.
Im April erhält Willi einen Brief vom Wehrmachtskommando. Nichts Gutes ahnend, öffnet er den Brief. Darin wird ihm mitgeteilt, dass die aktuelle Situation es erfordere, dass er als Leutnant zu den Panzertruppen zurückkehrt. Noch hat er drei schöne Wochen in Rostock vor sich, erst dann beginnt das Militärleben erneut.
Den Aufenthalt in Rostock kann er zwei Wochen früher beenden und noch seine Mutter besuchen. Die geniesst überraschender Weise ihre Freiheit. Es ist das erste Mal in ihrem Leben, dass sie nicht für einen Mann sorgen muss. In der Fabrik kann sie sich entfalten, sie führt in ihrer Abteilung ein strenges Regime. Die Frauen haben nichts zu lachen. Die jungen Mädchen hat sie unter Kontrolle.
Als ihr Wilhelm zuhause auftaucht, um sich auf seine Offizierslaufbahn vorzubereiten, fällt sie kurz in die Mutterrolle zurück, mit dem Ergebnis, dass sie übertreibt. Willi hat nichts anderes erwartet und lässt sich bemuttern. Nach einer Woche taucht unerwartet auch Franz zuhause auf. Er fährt unerwartet mit einem französischen Auto vor.
«Gut dass du da bist», erklärt er nach der Begrüssung, «du musst mir helfen, das Auto auszuladen, aber erst wenn es dunkel ist.»
Der Grund, warum man warten musste, bis es dunkel ist, wird ihm klar, als er den Kofferraum öffnet. Franz hat tolle Sachen geladen, alles Dinge, welche zurzeit in Deutschland sehr begehrt sind. Darunter sind drei Harassen Wein, einige Käse und zwei getrocknete Schinken.
«Wenn man schon eine so wichtige Position bekleidet, darf man auch etwas davon profitieren.»
«Ist das nicht gefährlich?», will Willi wissen.
«Ach eigentlich nicht, ich habe frei Hand», erklärt sein Vater, «solange ich die Wehrmacht mit den Dingen beliefere, welche diese bestellen, habe ich keine Probleme.»
«Wie steht es mit den Franzosen?»
«Auch die sind ruhig. Ich muss einfach darauf achten, dass es den wichtigen Persönlichkeiten gut geht, dann unterstützen sie mich. Alles ein Geben und Nehmen. Jeder schaut, dass er möglichst ungeschoren davon kommt.»
«Das scheint im Moment die beste Einstellung zu sein, wir müssen überleben, das ist wichtig. Im Moment hat Hitler alles im Griff. Er siegt an allen Fronten, sogar in den besetzten Gebieten hat er viele Anhänger. Auch die schätzen sein Organisationstalent.»
«Ja, jetzt haben auch die Griechen kapituliert, schade, dass ich kein griechisch verstehe, da gäbe es sicher auch einiges interessantes, das man mitnehmen könnte. Doch das Transportieren wäre sicher riskanter, als aus Frankreich.»
«Nur nicht übermütig werden, aber es ist schon so, auch in Libyen rückt Rommel weiter vor, da hat er diesem Mussolini aus der Patsche geholfen.»
«Das wäre eine schöne Schlappe, wenn die Italiener Libyen an die Engländer verloren hätten.»
«Jetzt kann man sich an die Organisation in Europa machen und den Frieden geniessen», meint Willi optimistisch, «die Engländer werden schon noch merken, dass sie besser dazugehören, aber Leute welche auf Inseln aufwachsen sind angeblich immer etwas rückständig.»
«Ich hoffe du hast Recht», meint sein Vater, «ich wundere mich nur, warum du wieder zur Wehrmacht musst, das sieht nicht nach Frieden aus.»
«Man muss was man erobert hat verteidigen», meint Willi immer noch optimistisch, «da schadet eine Panzerdivision im Hintergrund sicher nicht.»
Franz antwortet nicht mehr, Rosa ist mit dem Essen fertig, seit langem sitzt die Familie wieder einmal vereint am Esstisch.
Nach dem Essen will Willi noch auf ein Bier in eine Kneipe, er ist gespannt, ob er ein bekanntes Gesicht trifft. Er ist enttäuscht, von den wenigen Gästen kennt er niemand. Sein Bier ist schon halb leer, da tippt ihm jemand auf die Schulter. Als er sich umdreht, schaut er in die blauen Augen von Gabi.
«Ach du bist es!», sagt er mit überraschten, aber erfreuten Ton, «schon lange nichts mehr von dir gehört, was machst du?»
«Ich habe im Moment Urlaub», erklärt Gabi und setzte sich zu ihm, «ich bin Krankenschwester in einem Lazarett für verwundete Piloten. Du hattest Glück, dass du nicht bei der Luftwaffe gelandet bist, die armen Kerle tun mir leid, die sind zum Teil sehr stark verbrannt. Es ist kein schöner Anblick, das kann ich dir versichern.»
«Ich hab davon gehört», meint Willi, «einer meiner früheren Kameraden hat mir geschrieben. Es hat ihn über England erwischt und er ist nur noch mit dem letzten Tropfen Benzin über den Kanal gekommen, dort versuchte er eine Notlandung, welche er nur knapp überlebte.»
«Da ist er nicht der einzige», erklärt Gabi und hält dabei seinen Arm, «ich bin froh, dass du nicht mehr bei der Wehrmacht bist.»
«Das war letztes Jahr, jetzt geht es wieder los, ich werde Leutnant bei den Panzertruppen. In einer Woche übernehme ich meine neue Einheit.»
«Verwundete aus Panzer gibt es nur wenige, die sind meistens sofort tot.»
«Nicht besonders gute Aussichten», meint Willi und versucht zu lächeln.
«Wenn du die armen Kerle in meinem Lazarett sehen würdest, dann würdest du anders Reden, die leiden Höllenqualen. Brandwunden sind sehr schmerzhaft, im Gesicht besonders.»
Willi hätte gerne etwas Erfreulicheres besprochen, aber Gabi ist noch zu stark bewegt, von den im Lazarett eingelieferten Männern. Sie wirkt sehr verletzlich und auf eine andere Seite, wiederum sehr hart. Sie ist nicht mehr das Mädchen von früher. Sie ist eine harte Frau geworden, welche sich hinter einer harten Schale versteckt.
Als sie in ihrer Enttäuschung, kurz Kritik an Hitler äusserte, schaut sich Willi besorgt um. solche Aussagen können gefährlich sein, er ist erleichtert, als er feststellte, dass die am anderen Ende der Bar, die Bemerkung von Gabi nicht mitbekommen haben.
«Ich muss nach Hause», entschuldigt sich Willi, «mein Vater ist auf Urlaub aus Frankreich, ich muss mich auch um ihn kümmern, er ist sonst beleidigt», er weiss, dass diese Notlüge nicht sehr gut rüberkommt, «willst du mitkommen?»
«Nein, du hast sicher viel mit ihm zu bereden. Ich hoffe, dass du gut aus deinem Panzer rauskommst, warte, ich komme auch mit nach draussen.»
Er begleitet Gabi noch bis vor ihre Haustüre, dann verabschiedet er sich mit einem freundschaftlichen Kuss. Als er allein nach Hause geht, spukt ihm die Bemerkung von Gabi noch im Kopf rum. Wie kommt sie darauf, Hitler zu kritisieren? Das ist ungeheuerlich, merkt sie denn nicht, was dieser Mann für Deutschland leistet? Sie sieht wahrscheinlich nur das Leiden der verletzten Piloten. Das grosse Ganze im Hintergrund vergisst sie. Für ihn ist es nicht nachvollziehbar. Das deutsche Volk muss Opfer bringen, ein so grosses Ziel, ist sonst nicht zu erreichen. Hitler hat Deutschland wieder aus der Bedeutungslosigkeit herausgeführt, das muss man ihm hoch anrechnen, kein anderer hätte das geschafft.
Er ist froh, als er zuhause mit seinem Vater diskutieren kann. Der sieht die Leistung von Hitler wie er selber. Er ist ein Genie, anders kann man es nicht sagen, in nur einem Jahr hat er Europa geeinigt, alle ziehen am gleichen Strang. Verschwunden sind die faulen Subjekte, welche zu faul sind zum arbeiten. Jetzt laufen die Fabriken wieder auf Hochtouren. Jeder hat Arbeit und genug zu essen, wird doch etwas knapp, so schaut er, dass es gerecht verteilt wird. Noch müssen die letzten bekämpft werden, welche sich dem Fortschritt entgegen stellen, aber das wird Hitler auch noch schaffen.
In zwei Monaten sind die Engländer auch aus Libyen und Ägypten vertrieben, dann kann mit dem Aufbau von Europa definitiv begonnen werden. Bis Ende Jahr, werden die Engländer darum bitten, ob sie nicht auch beim Aufbau von Europa mitwirken dürfen, schliesslich sind sie auch arischer Abstammung und haben das Recht, mitzumachen, wenn man die minderwertigen Völker zurück drängen muss.