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Im Amtshaus /1922

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«Herr Wolf sofort in den Ratssaal», ruft die Sekretärin des Bürgermeisters, «schnell es herrscht dicke Luft!»

Nach rund zehn Minuten ist der Ratssaal mit diskutierenden Männern gefüllt. Alle sind da, nur der Bürgermeister fehlt noch, aber seine Schritte hallen schon durch den Gang. Schon sein Tritt verrät, dass er schlechte Laune hat.

«Sind alle da?», ruft er in den Saal, ohne die Antwort abzuwarten, legt er los, «meine Herren, wir haben ein Problem, die Gewerkschaft hat zum Streik aufgerufen. Wir müssen mit Unruhen rechnen. Die Preise steigen monatlich und nun verlangt die Gewerkschaft, dass der Lohn angeglichen wird. Es ist zum einen ein Problem der Stadt Worms, aber in den anderen Städten ist es ähnlich. Will sich jemand dazu äussern?»

«Das linke Pack sollte man einsperren», ereifert sich Herr Wolf, «zur Zeit des Kaisers, hätte man nicht lange gezögert.»

Im Saal wird es laut, die kaisertreue Zentrumspartei hat im Stadtrat zwar eine knappe Mehrheit, doch bei den letzten Wahlen haben die Sozialisten zugelegt. Deshalb arbeiten jetzt auch einige Linke im Stadthaus und die protestierten gegen das Votum von Wolf.

Der Bürgermeister lässt die erregte Diskussion eine Zeitlang laufen, dann erhebt er die Stimme: «Wir wollen uns doch nicht selber in die Haare geraten. Was wir brauchen sind konkrete Vorschläge. Denken sie daran, unsere Partei steht für christliche Werte ein.»

Die Diskussionen in kleinen Gruppen gehen weiter. Wolf hält sich zurück. Er hat die bösen Blicke einiger Mitarbeiter gesehen. Einigen ist durchaus zuzutrauen, dass sie handgreiflich werden. Zudem käme auch ihm eine Lohnerhöhung gelegen, es ist wirklich so, alles wird teurer.

Nach einer halbstündigen Sitzung, einigt man sich darauf, dass zumindest die berechtigten Forderungen erfüllen werden müssen.

«Die Sitzung ist geschlossen!», verkündet er, «seid vorsichtig, bitte keine Provokationen. Die Stimmung ist heikel, ein Funke und es gibt eine Katastrophe. - Wolf kommen sie noch in mein Büro, wir müssen die finanziellen Möglichkeiten abklären.»

Schmitz holt noch das Kassenbuch. Den ganzen Vormittag sitzen sie über dem Kassenbuch und rechnen verschiedene Möglichkeiten durch.

«Also, wenn ich das richtig verstanden habe», fasst der Bürgermeister zusammen, «dann könnten wir zehn Prozent Lohnerhöhung verkraften. Die Gewerkschaft verlangt aber mehr. Meine Partei rät ebenfalls auf die Forderungen einzugehen.»

«Wenn wir auf fünfzehn erhöhen, brauchen wir einen Kredit von der Bank.»

«Richtig, im Moment sollte das kein Problem sein. Zudem werden, bei steigenden Löhnen auch die Steuern höher ausfallen, es gäbe also Mehreinnahmen. Auf lange Sicht, wäre es für die Stadt sogar von Vorteil. Das Problem ist, wenn wir die Löhne anheben, dann muss die Industrie nachziehen, die werden keine Freunde haben.»

«Der soziale Frieden ist mir sehr wichtig. Das sehen auch die Freunde in der Partei so. Sie meinen Geld kann man drucken, das kostet nicht viel. Wir halten uns an die Richtlinien der Zentrumspartei und gehen auf die Forderung ein. Die Wirtschaft angekurbelt ist im Moment das Wichtigste. Nur das garantiert den sozialen Frieden.»

«Wenn sie meinen», nickt Wolf, «bestellen wir bei der Zentralbank einige tausend Mark und füllen damit die Lohntüten der Arbeiter. So kurbelt man die Wirtschaft an, haben Sie dabei keine Bedenken?»

«Ich halte mich an die Weisungen der Partei», erklärt der Stadtpräsident, «wenn die sagen, wir sollen auf die Forderungen eingehen, dann machen wir das so.»

«Ist mir auch recht», willigt Wolf ein, «ich werde mich um die Kredite kümmern.»

«Übrigens!», wendet sich der Bürgermeister an Wolf, «die Zeit des Kaisers ist vorbei! Das sehen sogar die in der Parteileitung so. Bedenke, dass es der Kaiser war, der uns diesen Scheisskrieg aufgedrängt hatte. Jetzt sind andere Zeiten, wir müssen uns jetzt mit dem Frieden arrangieren.»

«Ich meine nur, zur Zeit des Kaisers ging es uns noch gut.»

«Vor dem Krieg vielleicht, aber auch da nicht allen.»

«Ja den Revoluzzern, die sich nicht anpassen wollten. Aber die waren selber schuld.»

«Du bist unverbesserlich Wolf! Die Zeiten haben sich geändert. Bedenke, - unsere Partei vertritt die Kirche und die muss den Armen und Schwachen helfen.»

«Ja vielleicht, aber wenn jeder machen kann was er will, wo kommen wir da hin?»

«Ist gut Wolf, du änderst dich wohl nie! Geh und kümmere dich um den Kredit.»

Als Wolf zum Mittagessen nach Hause geht, muss er sich durch eine Menschenmenge drücken. Die Stimmung ist gereizt. Noch scheint sich nicht herumgesprochen zu haben, dass die Löhne steigen. Möglichst unauffällig drückt er sich vorbei und erreicht die Querstrasse, an der sein Haus liegt.

Sein Frau Rosa ist bereit für das Mittagessen. Auch Wilhelm sitzt bereits mit gewaschen Händen am Tisch.

«Wegen diesen asozialen Kerlen kommt man noch zu spät zum Mittagessen», brummt er. Dann spricht er das Tischgebet und kurz danach, schöpft ihm Rosa einen Löffel voll Gemüsesuppe in den Teller. Es wird kein Wort gesprochen, jeder löffelt den Teller leer.

Danach wird Schmorbraten mit Kartoffeln serviert. Erst als Rosa mit einer Tasse Kaffee erscheint, ist das Sprechverbot aufgehoben.

«Wie war es in der Schule?»

«Wir lernen jetzt die Zahlen über tausend. Es sei nötig, sonst können die Kinder nicht mal einkaufen gehen.»

«Soll das eine Anspielung sein? - Ich muss wohl mit Ihr sprechen. Sie soll sich aus der Politik heraushalten.»

«Das ist nicht Politik», verteidigt Rosa die Lehrerin, «man ist heute bei vielen Einkäufen schnell bei eintausend Mark. Es macht also Sinn, wenn die Kinder lernen mit diesen Zahlen umzugehen.»

«Ist ja gut», brummt der Vater.

«Heute Abend könnten wir doch ins Kino gehen, es läuft ein Film von ...»

Weiter kommt Rosa mit ihrem Vorschlag nicht. Franz unterbricht sie und erklärt, in keinem Widerspruch duldendem Ton, dass heute Donnerstag ist und er in den Schachklub muss.

«Dieses neumodische Kino sagt mir nichts.»

«Du warst ja noch gar nie im Kino», stellt Rosa mutig fest, «alle gehen hin.»

«Ich bin eben nicht wie alle», erklärt er leicht erzürnt, aber bestimmt, «dieses amerikanische Kino brauchen wir nicht. Pasta!»

Damit ist das Thema erledigt, jede weitere Diskussion erübrigt sich. Er trinkt seinen Kaffee aus und macht sich auf den Weg ins Stadthaus, dort wartet eine Menge Arbeit. Rosa schaut ihm noch nach, bis er das Gartentürchen schliesst. Mit einem Winken verabschiedet sie sich. Ihr Franz ist schon ein toller Mann.

Am Sonntag, gleich nach dem Frühstück, lässt Franz vom Wilhelm den Leiterwagen aus dem Schuppen holen. Noch vor Sonnenaufgang marschieren sie los.

Rosa hat etwas zum Mittagessen eingepackt. Nach einer guten Stunde erreichen sie den ersten Bauernhof. Den Bauer finden sie im Stall, nicht beim Melken, er ist bereits am ausmisten.

Der Bauer ist misstrauisch. Was wollen diese Städter hier? Nach einem kurzen Gespräch übers Wetter und die zu erwartende Ernte, kommt Franz auf das Wesentliche zu sprechen. Er will möglichst viele Kartoffeln kaufen, natürlichen nur, wenn der Preis stimmt.

Nach einem Schnaps in der Stube des Hofs, ist das Geschäft abgeschlossen, beide schlagen ein. Franz hat soeben dreihundert Kilo Kartoffeln gekauft. Mit dem Leiterwagen kann er die natürlich nicht mitnehmen. Der Bauer liefert sie nächste Woche mit dem Fuhrwerk, das Geld blättert Franz bereits auf den Tisch.

Vater und Sohnemann machen sich auf zum nächsten Hof. Bis zum Abend kauft Franz noch weitere fünfhundert Kilo Kartoffeln und die gleich Menge Mehl. Auch das wird geliefert. Im Leiterwagen liegen bereits fünf grosse Schinken. Damit geht es jetzt nach Hause. Wilhelm hatte an diesem Tag ausreichend Gelegenheit bis tausend Mark zu rechnen. Franz geht ein grosses Risiko ein, er hat heute sein Bargeld in Waren umgesetzt.

«Davon erzählt du niemanden etwas», erklärt er Wilhelm, «das bleibt unser Geheimnis.»

Am Montag muss Franz wieder ins Stadthaus. Nach dem Nachtessen haben er und sein Sohn zu tun. Sie Räumen den Schuppen aus. Die Gartengeräte werden hinter dem Häuschen draussen gestapelt. Im Häuschen macht er Platz für das Mehl. Die Kartoffeln kommen in den Keller.

Die restlichen Tage der Woche ist er selten in der Schreibstube des Stadthauses anzutreffen. Er muss bei den Banken über den Krediten für die Stadt verhandeln. Bei dieser Gelegenheit beschafft er sich ebenfalls Kredite für sich. Er beleiht sein Haus mit einer zusätzlichen Hypothek. Genau so hoch, wie die Banken noch gewährt.

Am nächsten Sonntag marschieren die beiden wieder los. Diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Nochmals wird tüchtig eingekauft. Diesmal ist Franz an Äpfel und Käse interessiert. Erschöpft kommen die beiden abends nach Hause und Rosa macht ihnen ein ausgiebiges Nachtessen. Wilhelm fällt todmüde ins Bett.

Nun brauchen sie nur noch zu warten bis die Preise steigen. Der Schuppen ist voll mit Lebensmitteln. Regelmässig kontrolliert er, dass keine Äpfel faulen oder sich Schimmel verbreite. Es läuft gut, es gibt ab und zu ein Apfel bei dem sich ein Flecken zeigt. Diesen sondert er aus und bringt ihn Rosa, die bäckt damit einen Apfelkuchen.

Im Januar 1923 steigen die Preise so stark an, dass er die ersten Verkäufe mit gutem Gewinn tätigen kann. Soll er damit die Schulden tilgen? Neue Lebensmittel kann er jetzt nicht kaufen, das lohnt sich nicht mehr, die sind schon zu teuer. Schulden tilgen ist ebenfalls nicht nötig, die Zinsen sind weiterhin tief. Er entscheidet sich zum Kauf von einer Tonne Kohle. Er muss nur noch einen Ort finden, wo er sie lagern kann. Im Winter wächst im Garten eh nichts, er lässt die Tonne Kohle im hintern Teil des Gartens zu einem Haufen aufschichten, dann organisiert er Wellblech, um sie vor der Nässe zu schützen.

Der Politiker

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