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Hirsauer Reform
ОглавлениеDer Aufstieg des kurz zuvor von den Grafen von Calw wieder eingerichteten ehemaligen karolingischen Sankt Aurelius Klosters in Hirsau zur Hochburg der gregorianischen Partei während des Investiturstreites und zum einflussreichsten Reformzentrum in Süddeutschland im ausgehenden 11. und beginnenden 12. Jh. verdankt sich der Tatkraft des universalgelehrten Abtes Wilhelm, der 1069 aus Sankt Emmeram in Regensburg berufen wurde. Mit Amtsantritt schloss er einen von Heinrich IV. beurkundeten Vertrag, in dem die einstigen gräflichen Eigenherren der künftigen Unabhängigkeit des Klosters und seiner unmittelbaren Unterstellung unter den apostolischen Stuhl zustimmten. Damit war die Grundlage aller späteren Reformbestrebungen geschaffen. Seine 1079 verfassten „Constitutiones Hirsaugienses“ enthalten genaueste Vorgaben für den Tagesablauf der Mönche. Was Strenge und Verinnerlichung des monastischen Lebens anbelangt, gehen diese durchaus persönlichen Auslegungen der Regeln des hl. Benedikt weit über die in mancher Hinsicht vorbildlichen Reformideen Clunys hinaus. Die neu geschaffene Institution der Laienbrüder, die außerhalb der Klausur untergebracht, den Großteil der Handarbeit übernahmen, bot den Mönchen Freiraum für vermehrte religiöse Praktiken. Und eben diesen, den Gebeten und Messen, die eine stetig wachsende Zahl von Priestermönchen übernahm, galt schließlich das Interesse vieler Adliger, die, besorgt um das eigene Seelenheil oder um dasjenige verstorbener Angehöriger, ihre Stiftungen in der Folgezeit mit Mönchen aus Hirsau besetzten. Beim Tod Wilhelms im Jahre 1091 gab es bereits elf Tochterklöster und Priorate – bis zu Beginn des 13. Jh. war die Zahl der Gründungen auf 130 gestiegen, wobei allein 56 Äbte dem Mutterkloster entstammten.
Wie die „Constitutiones“ selbst, die trotz weiter Verbreitung keinen neuen Orden begründeten, besaß auch die Architektur des Mutterklosters Sankt Peter und Paul vorbildlichen, aber nicht verbindlichen Charakter für die Tochtergründungen. Bestimmte Gemeinsamkeiten nehmen auf die spezifischen liturgischen Erfordernisse der Hirsauer Kongregation Rücksicht: So etwa die Chorschranken im östlichen Langhausjoch zur Trennung des Chorus minor für die Laienbrüder vom Chorus maior für die Mönchsgemeinschaft oder die vermehrte Zahl von Altären im meist gerade nach Osten hin abschließenden Chorbereich, die der gewachsenen Schar von Priestermönchen erlaubte, das Gebot der täglichen Messlesung zu befolgen. Die großartige Strenge und Einfachheit der Architektur spiegelt den Geist wider, der in ihren Mauern herrschte.
Südlich der Kirche liegen die Ruinen der 1469–94 von Hans Spryß errichteten Klausurgebäude, die sich um den großen Kreuzgang mit 39 Arkaden (!) gruppieren.
Östlich der Klausur liegt die ehemalige Marienkapelle, die Martin von Urach 1508–16 erbaute. Ihre Westfassade und das Gewölbe, das auf alten Apostelkonsolen aufruht, sind neugotisch. Zusammen mit dem Südflügel der Klausur bildet die unregelmäßige dreiflügelige Renaissance-Anlage, die 1586–92 von den württembergischen Hofarchitekten Georg Beer und Heinrich Schickhardt als Jagdschloss für Herzog Ludwig errichtet wurde, einen geschlossenen Innenhof aus. Bis vor wenigen Jahren stand hier der uralte Baum, der den schwäbischen Dichter Ludwig Uhland zu seinem Gedicht „Die Ulme zu Hirsau“ inspiriert hatte.