Читать книгу Der rasierte Fisch - Gert Podszun - Страница 12
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Auf der Fahrt vom Flughafen Hannover nach Bielefeld erinnerte Richard sich an seine bisherige berufliche Vergangenheit. Seine Abiturnoten waren im oberen Drittel. Die Ergebnisse vom Studium ebenso.
„Besser der erste im zweiten Drittel als der Letzte im ersten Drittel!“ war die Formel, die ihm sein Vater früher gesagt hatte, wenn es Zeugnisse gegeben hatte. Seine Zusatzausbildung und viele Lehrgänge hatten ihn besonders qualifiziert. Seine erste Stelle brachte ihm nach kurzer Zeit Prokura in einer mittelständischen Firma. Er hatte dort zwei Dutzend Ingenieure geführt. Im Vertrieb dieses Unternehmens hatte er Zeichen für eine nachhaltige Umsatzsteigerung gesetzt. Bis jetzt bin ich doch insgesamt erfolgreich gewesen. Und Erfolg gibt einem ja Recht. Wenn dann der Erfolg erforderlich macht, dass ein Standortwechsel notwendig wird, dann gehört es eben dazu. Es hat sich ja mit Berlin wunderbar ergeben. Ich fühle mich wohl mit der neuen Aufgabe. Und ich bin überzeugt, dass der Umzug nach Berlin für meine Familie sinnvoll und zumutbar ist.
Angelika hatte noch einmal alle Wohnungsangebote gesichtet. Besonders die Unterlagen von der Sybelstraße hatte sie mehrfach intensiv studiert. Richard besprach mit ihr noch einmal die übrigen Projekte. Beide fühlen sich zuletzt in der Vorentscheidung für die Wohnung in der Sybelstraße bestärkt und feierten ihre Entscheidung mit einem Glas Wein.
„Wir sollten morgen früh mit den Kindern sprechen. Sie sollen ja auch gerne mit uns zusammen nach Berlin ziehen.“
„Natürlich, ich möchte, dass die beiden mit uns zusammen glücklich werden in Berlin.“
„Glück, Richard, was ist das? Glück. Ein großes Ziel. Und wie lange dauert das?“
„Angelika, Dein Ansatz ist sehr kritisch. Wenn Du Glück auch noch mit Zeit verquickst, dann ist die Erwartung vielleicht zu hoch. Ich denke, dass wir zunächst eine Basis sichern wollen. Und die kann man bestimmt festhalten. Und siehe doch einmal, wir haben eine neue Basis in Berlin. Die können wir festhalten.“
„Man kann nicht viel festhalten.“
„Doch, Angelika, unsere Liebe und unser Glück. Mit guter Arbeit schafft man dafür eine Basis.“
Angelika hatte den Mut zu schweigen.
„Wir werden morgen noch einmal mit den Kindern sprechen.“
„Sie werden schöne große Zimmer bekommen. Sie müssen noch von ihren Freunden hier verabschieden. Wie sollen wir das machen?“
„Meine Mutter hat dazu eine Idee.“
Richard schwieg eine kleine Weile.
„Hat sie eine wirklich gute Idee?“
„Du kennst doch ihre Freundin, Frau Bockstette. Sie hat ein Umzugsunternehmen und eine Gaststätte. Wir kriegen einen Sonderpreis, wenn wir da feiern würden.“
„Einverstanden, Angelika. Morgen früh sprechen wir mit den Kindern und fragen sie, wie sie den Abschied feiern möchten. Dann sprechen wir mit Deiner Mutter.“
Grete Brömmelsiek, die Mutter von Angelika, hatte das Lieblingsgericht ihrer Tochter, Ochsenzunge in Madeirasauce, vorbereitet und den Tisch im selten genutzten Wohnzimmer gedeckt.
„Ich freue mich, dass wir noch ein wenig Zeit haben, bevor Dein Mann mit den Kindern kommt.“
„Ja, weißt Du, die Kinder wollten eine Abschiedsparty mit ihren Freunden machen und da gehört ein Besuch bei McDonalds dazu. Wir haben also noch genug Zeit.“
„Ich bin froh, dass wir Zeit mit uns alleine haben, mein Kind. Du bist hier aufgewachsen. Du hast hier Deine Schulfreunde. Du bist hier in die Kirche gegangen. Ich sehe noch Dein Gesangbuch mit dem Goldschnitt vor mir. Kind, ist das der richtige Weg? Nach Berlin? Du kennst doch so etwas nicht. Solche Großstädte. Da bist Du schnell allein. Der Sohn von der hiesigen Brotfabrik war immer hinter Dir her. Sogar Blumen hatte er Dir geschenkt, Und der Pfarrer hätte es auch gut gefunden.“
„Mama, das ist doch alles vergessen.“
„Aber Du bist doch von hier.“
„Ja, aber wir sind mittlerweile keine Dorf- und Stadtmenschen mehr, sondern Europäer oder Kosmopoliten.“
„Schmeckt es Dir?“
„Gut wie immer.“
„Siehst Du, das wirst Du dann nicht immer haben können.“
„Ich kann mittlerweile auch kochen, liebe Mama.“
„Ich kann Dir ja nichts verbieten oder vorschreiben. Vielleicht sind ja so zugereiste Männer wie der Richard ganz gut. Aber ich werde Dich sehr vermissen. Deswegen bin ich ein bisschen komisch. Wenn doch Berlin in Bielefeld wäre.“
Angelika spürte, dass ihre Mutter ein paar Tränen unterdrückte.
„Es ist doch gar nicht so weit bis Berlin. Du wirst uns bestimmt oft besuchen. Das wird Dir Spaß machen.“
„Du weißt, dass ich nicht mehr so ganz fit bin. Seit Papa gestorben ist, geht es mir nicht besser. Ich werde dann ganz alleine sein.“
„Du hast doch die Frauenhilfe und die Kirche.“
„Ja, ja.“
„Wenn man viel alleine ist, wird man leicht depressiv.“
„Mama, Du bist doch immer sehr viel unterwegs und hast alle Deine Freundinnen hier. Wir gehen jetzt nach Berlin. Und Du wirst uns oft genug sehen.“
„Es ist schon schade, dass die Familien so auseinander gehen.“
Angelika hatte nicht das Bedürfnis, dieses Gespräch weiterzuführen.
Richard, Andrea und Julian feierten zusammen mit ihren Freunden den Abschied von Bielefeld auf dem Spielplatz eines Schnellrestaurants. Nach dem Fest trennten sich die Freunde. Richard fuhr mit seinen Kindern Angelika und ihrer Mutter.
Unterwegs fragte Andrea:
“Ist Berlin schöner als Bielefeld?“
„Berlin ist viel, viel größer. Es gibt viele Seen und viele Wälder. Wir haben eine schöne neue Wohnung. Ihr beide bekommt eigene große Zimmer. Ihr werdet schnell neue Freunde finden. Und wir können zusammen schöne Ausflüge machen. Und außerdem könnt ihr bald mit der Mama zusammen nach Berlin fliegen.“
„Und die Oma, kommt die mit?“
„Ich glaube, die Oma wird uns viel besuchen.“
Andrea kuschelte sich an ihren Papa.
„Ich habe Angst. Das ist alles fremd.“
„Weißt Du, mein Kind, wenn man größer wird, so wie Du, dann kommen immer wieder neue Dinge auf einen zu. Man muss sich mit ihnen beschäftigen. So ist das auch mit Berlin und unserer neuen großen Wohnung.“
Richards Schwiegermutter erwähnte die Gaststätte ihrer Freundin Bockstette nicht mehr.
Julian schmiegte sich an seine Mama.
„Ich packe jetzt meinen Teddy ein.“
Die Umzugsfirma übernahm den Hausrat.